iv. wohin?

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VIKTOR!

"Verpiss dich.", sage ich ihr. Meine blassen Hände sind zu Fäusten geballt und ich versuche, mich groß zu fühlen. Das alles ist anregend, aber es verletzt mich nicht, nicht so, wie es es eigentlich tun sollte.

Ich hatte auf jeden Fall nicht vorgehabt aus dem Fenster zu springen. Das hier war der erste Stock. Hochhäuser sind eine bessere Wahl.
Und ich denke nicht, dass mein Vater wirklich Sorgen um mich hatte, mehr um meine Mutter. Oder dass ich so wie meine Mutter bin.

"Willst du mitkommen?"
Milas Stimme verwirrt mich. Sie lässt meine Hände sich wieder entballen.

"Was?"

Mila schnauft – kann von dem kalten Regen kommen – und fängt an: "Fick alles. Fick deine Eltern. Ich meine wirklich, Viktor, einen Fick auf deine Eltern, haben die dich überhaupt schon mal umarmt? Fick meine Mutter, die es nicht hinbekommt sich mal nicht von Fremden flachlegen zu lassen. Fick die Schule. Fick den Regen. Fick die Gartenzwerge und fick den Kapitalismus."

Sie wischt sich über die Nase und schaut mich an.
"Fick dieses Kaff. Ich gehe. Kommst du mit?"

Ich erinnere mich wieder daran, wie ich alles einfach passieren lassen.

Meine Mutter / Die Leere / Mila / Mila, die mich beim Masturbieren sieht

Das alles macht Leben einfach. Und wenn ich so darüber nachdenke, dann ist das hier doch auch wie Alles-Passieren-Lassen, oder? Und dann ist das auch richtig und einfach und das, was man machen muss in Situationen wie diesen.

Ich mag es nicht zu Denken wie jetzt.

"Wohin?", frage ich.

Mila zuckt mit den Schultern. "Die Niederlanden, Polen, Belgien. Überall. Wir können mit dem Zug fahren und dem Flixbus und das ist doch eigentlich egal, wir machen das einfach, Viktor. Das ist doch der Sinn im Leben, Idiot, Weitergehen."

Sie streckt ihre Hand aus. "Gib mir dein Handy."

Ich beuge mich zu den Holzdielen, öffne die vordere Tasche meines Rucksacks und hole mein Handy raus. Ich gebe es ihr. Es ist ein silbernes Tastentelefon.

"Dein Ernst, Viktor?"

Ich nicke einmal kurz mit dem Kopf. Ich benutze das Telefon nicht oft.

Mein erstes Handy mit Touch habe ich von meinem Vater geschenkt bekommen, in der 6. Klassen. Weil ich es nicht brauchte, habe ich es ihm zum Geburtstag zurück geschenkt. Ich glaube, er hat sich gefreut.

"Nein, ist cool.", meint Mila, dann schlägt sie das Telefon so lange gegen die Fensterbank, bis es auseinander bricht.

Mila muss meinen Blick bemerkt haben und stöhnt entnervt. "Was, Viktor? Willst du, dass unsere Handys nach 24 Stunden geortet werden?"

Sie holt ihr Iphone raus und fragt mich, ob ich eine Nadel habe. Ich gebe ihr eine Büroklammer. Sie stochert in dem Schacht, wo die Sim-Karte drin ist, herum, bis er sich öffnet, holt die Karte heraus, zerbricht sie und steckt ihr Handy wieder weg.

Die meisten einschneidenden Momente in meinem Leben bekomme ich nicht mit. Aber ich denke, jetzt kann ich mich entscheiden, was ich mitbekomme und was nicht.

"Mein Vater fährt meine Mutter gerade zur Therapie. Wir können gehen.", merke ich an.

Mila wirft sich ihre Lederjacke über ihre Schultern und ihren dunkelroten Rucksack. Bevor wir rausgehen, zieht sie sich ihre Stiefel an und ich schaue aus dem Augenwinkel in die Küche. Ich gehe rein, hole die Froschspardose aus dem obersten Regal runter und nehme einen Fünfziger raus.

Als wir über die verlassenen, breiten Straßen laufen, fühle ich die kalte Luft, die durch meinen Strickpullover auf meine Haut stießt. Ich sehe Mila zu, die ein paar Schritte vorläuft und sie strahlt nicht, aber es fühlt sich an, als wäre sie aufgeladen. Sie schaut zu mir zurück. Die Straßenlaternen scheinen in ihr Gesicht und ihre schulterlangen Haare bewegen sich zu ihrer Drehung.

Ich nehme zwei große Schritte und als ich neben ihr stehe, nimmt sie meine Hand und sie sagt mir, ich solle sie drehen und ich tue das, aber dann löst sie sich wieder von mir, weil sie ihre Hand ausgekugelt habe.
Im Gehen öffnet sie ihren Rucksack, zieht ihr Mathebuch – das einzige Buch in ihrem Rucksack – raus, ein Feuerzeug, stellt sich auf den Bürgersteig und zündet ihr Schulbuch an. Sie wirft es weg und murmelt: "Für die Reinigung meiner Seele."

Ich öffne meinen Rucksack, halte ihr mein Physikbuch und mein Deutschbuch hin, aber sie nimmt sie nicht an, sondern gibt mir ihr Feuerzeug.

Wir stehen im Rauch, Ruß zu meinen Sneakern und schauen den Büchern beim Verbrennen zu.

Und wir gehen weiter.

/ Wir sitzen in einer kleinen Bushaltestelle und nehmen 10 Minuten später den Bus in die nächste Stadt, der jede Stunde kommt. 21 Uhr.

/ Um halb 10 stehen wir am Bahnhof zwischen Dealern und auf Bänken schlafenden Menschen. Mila hat ihren Hinterkopf gegen die Glasscheibe gelehnt, sie schaut nach oben und wenn sie atmet, steigen Nebelwolken in die Nachtluft. Mila ist ruhig. Danach kauft sie uns mit ihrem Kleingeld Tickets am Automaten nach Düsseldorf.

/ Wir sitzen im Zug, in einem Abteil. Er ist leer. Die Beleuchtung surrt. Ich falte den Fünfziger in meinen Händen immer und immer wieder, während ich Mila gegenüber beim Schlafen zuschaue. Sie ist vor 20 Minuten eingenickt, die Stiefel auf dem Tisch zwischen uns, den Hinterkopf in der Ecke zwischen Fensterscheibe und Sitz, Haarsträhnen im Mund.
Ich strecke mich und knipse das Licht über uns aus.

Während ich in das Dunkel auf der anderen Seite schaue, in dem manchmal Städtelichter und Autoscheinwerfer aufblitzen, versuche ich mir meine Mutter und meinen Vater vorzustellen, aber ich habe keine Vorstellungskraft, also kann ich mir auch nicht vorstellen, was sie tun werden, wenn sie verstehen, dass ich weg bin.

Ich bin Viktor, ich bin 17 und ich renne mit einem Mädchen, das ich nicht kenne, in die Niederlanden weg.

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