Vom Verlieren und Ergreifen

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Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig. Beran rief mit unnatürlich hoher Stimme „Rufus, Radon, fasst!" und die beiden Hunde stürmten bellend auf die Gestalt im Schatten los.

Acarion riss sich aus seiner Starre und stürmte die Treppe hinunter, den Degen schon halb aus der Scheide gezogen. Wenn er nicht handelte, würden alle in diesem Haus sterben. Hass loderte in ihm auf, brennend und zersetzend. Du entkommst mir nicht.

Ein Jaulen riss an Acarions Trommelfell. Er war vielleicht die Hälfte der Stufen herabgekommen, als etwas Schweres gegen die Wand neben ihm prallte. Ein Splittern, zu laut, um nur von der Wand zu stammen. Etwas schlug vor Acarions Füßen in die Treppe ein und obwohl er immer noch kaum sehen konnte, verriet ihm der bittere, metallische Geruch, dass es bei Tageslicht kein schöner Anblick gewesen wäre. Unten schrie jemand, gefolgt von einem furchtbaren Röcheln, von dem sich Acarion die Haare aufstellten. Hundekläffen. Berstendes Holz.

Mit einem großen Schritt trat Acarion über die dunkle Form auf der Treppe – und musste sich prompt am Geländer festhalten, als er auf etwas Rutschiges trat und beinahe gestürzt wäre. Von dem durchdringenden Geruch nach Blut wurde ihm übel.

Bilder blitzten vor seinem inneren Auge auf. Freunde, die in blutige Stücke zerfetzt wurden, Bruchstücke, die die Luft zerrissen und über allem das grollende Knurren, das ihm auch jetzt in die Ohren drang und sich in seinen Kopf fraß.

Der verbliebene von Berans Hunden bellte. Acarion hielt seinen Degen umklammert und versuchte, die Dunkelheit mit seinen Augen zu durchdringen. Für einen Moment kehrte Stille ein, das Knurren verstummte, der Hund gab keinen Laut mehr von sich.

Die Nacht selbst hielt den Atem an.

Dann ertönte ein neues, schrilles Jaulen und Acarion sprang nach vorne, die Klinge ausgestreckt. Plötzlich schien das Knurren des Verox von allen Seiten zu kommen. Ein schreckliches, übelkeitserregendes Reißen ertönte.

Acarion fuhr herum. Erneut brachen Möbel, direkt neben ihm. Etwas Warmes, Nasses spritzte in sein Gesicht. Er wollte nach vorne springen – mit dem rechten Fuß trat er auf etwas, das unter ihm wegrollte. Aus dem Gleichgewicht gebracht, stürzte er nach vorne. Gleichzeitig polterten Schritte die Treppe hinunter, Fackellicht zuckte über die Decke.

„Zurück!", schrie Acarion, noch während etwas Dunkles auf ihn zugeschossen kam.

Instinktiv rollte er sich zur Seite, wissend, dass er zu langsam war, wissend, dass sich gleich scharfe Krallen in seinen Körper bohren würden.

Mit einem widerlich nassen Schlag kam etwas neben ihm auf dem Boden auf. Acarion rappelte sich auf alle Viere und starrte in gelbe Augen. Tote, gelbe Hundeaugen. Vor ihm lag etwas, dessen blutige Form gerade noch erahnen ließ, dass es einmal ein Hundeschädel gewesen war. In dem Moment raste etwas an ihm vorbei, schlug ihm hart gegen Kopf und Schultern und sandte ihn zurück zu Boden. Weiß glühender Schmerz explodierte in den getroffenen Stellen, wieder splitterte etwas, dieses Mal Glas.

Der Verox war weg.

Acarion tastete nach der Kette um seinen Hals. Der kleine Anhänger war unbeschadet.

Doch die eiserne Faust umklammerte noch immer seinen Magen und weigerte sich, ihren Griff zu lockern. Dazu breitete sich das bohrende Gefühl des Versagens in ihm aus, wetteiferte mit dem Schmerz in seinem Kopf und der Schulter.

„Was geht hier vor?" Der Fackelschein war wieder an der Decke erschienen.

Acarion stöhnte und kam mühsam wieder auf alle Viere. Lehrion war am oberen Ende der Treppe erschienen, eine rußende Fackel in der Hand, und starrte fassungslos zu ihm hinunter. Eine steile Falte hatte sich zwischen seinen Augen gebildet und er blickte nicht unbedingt freundlich drein.

Das Fackellicht offenbarte nun, was Acarion das düstere Licht durch die Fenster zuvor nur hatte erahnen lassen. Berans Gaststube existierte nur noch in Einzelteilen. Kaum ein Möbelstück war unbeschädigt. Und über all dem lag ein feiner roter Schleier, glänzend im schwachen Licht.

Rufus' massiger Körper, oder vielmehr was davon übrig war, lag auf der Treppe. Blut tropfte von den Stufen. Von Radon war nicht viel mehr als der rote Schleier übrig geblieben, der blutige Klumpen mit den gelben Augen war das größte Stück, das noch zu sehen war.

Acarion hatte genug solcher Tode gesehen. Sie hatten viele Soldaten nicht begraben können, weil von ihnen nicht mehr als ein roter Schleier übrig geblieben war, der an der Haut und den Uniformen ihrer Kameraden haftete und sich nie abwaschen zu lassen schien.

Ein jäher Ruck riss Acarion zurück in die Gegenwart. Jemand hatte ihn am Kragen gepackt und in eine sitzende Position gezwungen. Erst einen Moment später, als die gleiche Person seine Arme hinter dem Rücken festhielt und sie an den Handgelenken mit einem Stück Schnur oder Seil zusammenzurrte, wurde ihm endgültig klar, dass es keine Geste der Hilfsbereitschaft gewesen war.

„Sieh an, sieh an." Lehrions Stimme triefte vor Hohn. „Da hat wohl jemand mehr Dinge als eine magische Ausbildung geheim gehalten."

Langsam blickte Acarion auf. Lehrion hatte irgendwie den Weg die Treppe hinuntergefunden und stand nun vor ihm, die faltigen Gesichtszüge steinern. Jemand anders stand noch immer hinter Acarion und zog das Seil um seine Handgelenke fest.

„Was ist hier passiert?" Kilias war am oberen Ende der Treppe erschienen, Entsetzen auf dem Gesicht. Vion trat nun ebenfalls in Acarions Blickfeld. Er war derjenige gewesen, der ihm die Hände gefesselt hatte. Der freundliche Schausteller war nicht wiederzuerkennen.

„Das", sagte Lehrion beinahe genüsslich, „ist eine ausgezeichnete Frage."

„Macht Euch nicht lächerlich", sagte Acarion kühl.

Der Großteil seiner Mitreisenden kam nun ebenfalls aus ihren Zimmern. Malia und Niva standen auf halber Höhe der Treppe und ihr entsetzter Blick wanderte zwischen Rufus' Kadaver und Acarion hin und her.

Kilias war der Einzige, der es bis hinunter in die Gaststube geschafft hatte, aber er hielt sich an einem Treppenpfosten fest. Wie ein Kind, das behauptete, beim Fangenspielen dort nicht abgeklatscht werden zu können

Lehrion hatte sich vor Acarion aufgebaut und blickte nun als erhabener Richter auf ihn herab. Am oberen Ende der Treppe konnte Acarion vage Alenas leichenblasses Gesicht erkennen und er glaubte, irgendwo Lina auf Syra einreden zu hören.

Nur Yona fehlte. Wo steckte sie den ganzen Abend?

„Ich habe Beran nichts getan", sagte Acarion bestimmt, „und die Fesseln sind vollkommen unnötig."

In diesem Moment keuchte Kilias entsetzt auf. „Da ist er!"

Halb begraben unter einem zerbrochenen Tisch waren gerade noch eine menschliche Hand und ein Bein zu sehen.

Es dauerte nicht lange, den Gastwirt freizulegen. Beran hatte die leeren Augen entsetzt aufgerissen, aber sein Körper war unversehrt. Jemand schluchzte.

Als wäre er der freundlichste Mensch in allen luvanischen Ländern gewesen, schoss es Acarion durch den Kopf, während seine Benommenheit langsam nachließ und ihm die Schwierigkeiten klarwurden, in denen er sich befand.

„Nichts getan, ja?" Lehrion ragte immer noch über Acarion auf, doch selbst aus dieser demütigenden Position heraus war das triumphierende Glimmen in den Augen des alten Mannes sichtbar. Er hatte Acarion sein spätes Eingreifen bei dem schwarzen Nebel nicht verziehen.

„Lehrion, ich bitte Euch", sagte Acarion. „Ihr interpretiert diese Situation völlig falsch. Ich bin nicht für Berans Tod verantwortlich."

Er holte tief Luft.

Und sprach die entscheidenden Worte aus.

„Es war ein Verox."

Stille.

Dann prustete Vion: „Ein Verox. Mitten in Tavagarien."

„Die Verox sind besiegt." Linas Stimme wohnte die gleiche Kälte inne wie Lehrions. Offenbar hatte sie Syra dazu gebracht, im Zimmer zu bleiben und machte sich nun an den rutschigen Abstieg die Treppe hinunter, die Augen starr auf Acarion gerichtet. Alena blieb allein oben zurück.

„Sie haben sich in das Blutdorngebirge verkrochen und sind da verreckt. Es gibt keine Verox mehr."

Linas Stimme war von einem Hass durchdrungen, den er selbst bei vielen Gelegenheiten gespürt hatte.

„Ich wünschte, das wäre die Wahrheit", sagte Acarion leise.

„Wenn überhaupt", sagte Kilias, die Stimme unnatürlich hoch, „sind sie irgendwo in den Bergen."

Acarion fühlte die altbekannte Frustration in sich aufflackern. „In Tavagar wurde kurz vor meiner Abreise einer hingerichtet."

Wenn Raverion sich dieser Lüge bediente, dann stand es auch ihm zu. Er beobachtete gerade nur die Konsequenzen der Beschönigungen, die der König seinem Volk erzählte.

„Es ist schon merkwürdig", sagte Lehrion, der noch einen Schritt nähergekommen war und Acarion damit zwang, den Kopf in den Nacken zu legen. „Wir werden von riesigem Lärm geweckt und finden dich in den Einzelteilen der Gaststube, kniend in einer Blutlache neben der Leiche unseres Gastgebers. Als wir vor Kurzem alle in Gefahr waren, hast du dich erst dazu herabgelassen, zu helfen, als es auch dir an den Kragen ging. Und nun erzählst du uns, ein Verox wäre hier eingedrungen?"

So ungläubig, wie er das letzte Wort aussprach, hätte Acarion auch behaupten können, er hätte gesehen, wie ein Kind einen Sat'ysch als Haustier ausführte.

Lehrion beugte sich zu ihm herunter. Der Atem des alten Mannes schlug Acarion ins Gesicht. „Du hast uns schon vorher nicht die Wahrheit gesagt."

„Warum sollte ich Beran töten?", hielt Acarion dagegen. „Er war mein Gastgeber ebenso wie eurer. Ich habe Ron ebenso bezahlt wie ihr, um nach Hasodar zu kommen. Ich verlasse mich ebenso auf die Sicherheit, die Ron mir -"

Ein Gefühl breitete sich in seinem Magen aus, als hätte jemand einen Eimer Eiswasser darin entleert. Mit einem Schlag wusste Acarion, warum sich Ron so geheimnisvoll verhalten hatte. Warum er mit seiner Unterstützung verschwunden war.

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