Epilog - Ein Prozess

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Lange Wolkenschleier verhüllten den Mond. Sie tauchten die Nacht in eine unheimliche Dunkelheit. Selbst die Lichter in den Häusern von Engertzhausen erloschen langsam. Wie die Nacht brach auch die Müdigkeit herein. Nur vereinzelt flackerten noch Bildschirme und Lampen in den Fenstern. Die wenigen Straßenlaternen des Dorfes hatten größtenteils einen Austausch der Glühbirnen notwendig. Durch ihr Flackern vermittelten sie eher Spuk als Licht.

Im Garten eines etwas verwucherten Hauses raschelten ein paar Gnome in der Hecke. Das Schild dahinter, das einst die MaG Dachdecker GmbH beworben hatte, war vergilbt und nicht mehr wirklich lesbar. Das Haus hatte in den vergangenen Monaten nur selten Besuch bekommen, sodass die Nachbarn bereits das Ordnungsamt der nächsten größeren Stadt vorbeigeschickt hatten. Es hatte allerdings nichts Verdächtiges gefunden und daher vermutet, dass die Besitzer des Hauses sich einen Urlaub genehmigten. Wäre es in der heutigen Nacht zu einer Untersuchung unterwegs gewesen, wäre es auf ein anderes Bild gestoßen.

In einem recht großen Raum des Hauses standen zwei Personen. Eine war ein hochgewachsener Mann, der sein Gesicht bestmöglich unter seinem Umhang versteckte, sodass man nur eine nach oben gewölbte Nase, sowie eine lange Narbe erkennen konnte. Langsam fuhr er mit seiner Hand über einen staubigen Bilderrahmen, in dem ein völlig regungsloser Sandstrand zu sehen war.

Hinter ihm stand eine Frau mit schulterlangen, blonden Haaren, die ihn interessiert dabei betrachtete.
»Du trauerst?«, riet sie.
Der Mann nahm die Finger von dem Bild und wischte sie an seinem Umhang ab.

»Ich lerne«, korrigierte er. »Ich lerne, zu werden wie mein Vater. Er musste seine Freunde verraten, weil er eine bessere Welt erschaffen wollte. Es tut weh, jemanden im Stich zu lassen. Aber ich fürchte, unsere Möglichkeiten, Marcos zu retten, sind begrenzt. Wir müssen fürs erste wieder untertauchen. Aus dem Verborgenen handeln. Und hoffen, dass die deutsche Justiz noch immer ein weiches Herz für Persönlichkeiten mit schwerer Kindheit hat.«

Er seufzte leise und stütze sich mit seinen Unterarmen auf der Lehne eines klapprigen Sessels ab.
»Wofür wir kämpfen ist wichtiger als das Wohl eines Mitstreiters. Es geht um Bedeutenderes. Um ein größeres Wohl.«

Die Frau musterte ihn mit einem Blick, in dem sowohl Skepsis, als auch Mitgefühl lag.
»Dann sollten wir wieder von hier verschwinden, Titus«, meinte sie schließlich. »Wir verschwenden hier nur unsere Zeit. Wir dürfen nicht ruhen. Noch ist der Feind stärker als wir. Und das müssen wir ändern.«

»Ich bin nicht gekommen, um mich an Marcos zu erinnern. Unser Besuch hier hat einen größeren Zweck. Laut Alexander wurde das Ministerium frühzeitig informiert. Bald werden sie herkommen. Und es ist mir lieber, wenn ich es bin, der gewisse Artefakte aus diesem Haus übernimmt.«
»Dann sollten wir uns beeilen«, drängte die Frau. »Unsere Beute. Sie wartet nur darauf, eingesetzt zu werden.«

Ein Schatten legte sich über Titus' Gesicht.
»Es gibt da etwas, Celia«, begann er vorsichtig. »Etwas, das ich dir noch nicht gesagt habe. Ein Problem. Die Phiole. Sie war bei Marcos. Und sie ist es vermutlich immer noch. Nur ist er nicht mehr bei uns.«

»Und die Phiole somit auch nicht?«, schlussfolgerte die Frau. Ihre Augen hatten sich geweitet, ihr Mund war leicht geöffnet. Auch wenn sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. In ihr breitete sich die Sorge aus. Der Mann nickte bloß.
»Heißt das, wir müssen das Objekt bald wieder aus irgendeinem Hochsicherheitsraum entnehmen?«, fragte Celia mit hochgezogenen Augenbrauen.

Statt einer Antwort wandte sich Titus von dem Sessel ab, auf dem er sich bis gerade eben noch abgestützt hatte und trat wieder zu dem Schrank, wobei er diesmal eine seiner Türen öffnete. Eine große Sammlung von Geschirr aller Art erwartete ihn. Gründlich geordnet standen Tassen, Teller und Essensschalen auf- und nebeneinander.

»Alexander meint, dass sie im Ministerium noch von nichts mitbekommen hätten«, antwortete er schließlich. »Aber ich habe Isabell schon geschickt, um auf dem Schlachtfeld zu suchen. Dort ist sie auch nicht.«

Er fuhr mit seinem Zauberstab über die Schrankböden. Dabei schien er allerdings nicht fündig zu werden, denn er schloss die Tür kurz daraufhin wieder und wandte sich der nächsten zu.
»Die Beute wird sich aber wohl kaum in Luft aufgelöst haben«, erwiderte die Frau, während sie die Hände in den Taschen ihres Umhangs versenkte und auf den Mann zuschritt. »Entweder Alexander oder Isabell müssen einen Fehler gemacht haben.«

Hinter der nächsten Tür erwartete Titus eine Menge an Kartons. Zufrieden zog den obersten heraus.
»Oder aber Marcos hat es geschafft, sie zu verbergen«, ergänzte er dann. »Er muss es geschafft haben. Wenn jemand unser Artefakt gefunden hätte, wäre es schon längst dem Ministerium übergeben worden und Alexander hätte davon mitbekommen. Entweder Marcos trägt sie weiterhin unbemerkt bei sich oder er hat es geschafft, sie irgendwo zu verstecken, wo sie niemand findet. Ich vertraue Isabell und Alexander. Mein Vater wusste auch, wem er trauen konnte und wem nicht.«

Er hob den Deckel von dem Karton in seiner Hand. Ein rundes Artefakt mit einigen eckigen Auswüchsen kam zum Vorschein. Ruhig legte er den Deckel wieder darauf und ließ die Box neben den Sessel schweben.

»Du weißt, dass es unsere Enthüllung bedeuten kann, wenn sie in falschen Händen ist?«, fragte Celia vorsichtig, während auch sie nun mit ihrem Zauberstab über eine Schrankwand fuhr.

Titus Kapuze deutete ein Nicken an.
»Wir führen den Plan trotzdem aus. Es gibt genug Notlösungen. Wir haben den verrückten Alten nicht umsonst so lange bei uns behalten. Morgen ist der Prozess. Morgen kommt die Sache Ulrich Jürgens zum Aufruf.«

»Heute kommt die Sache Ulrich Jürgens zum Aufruf« Ein leicht korpulenter Mann, der in eine lange schwarze Robe mit weißer Halskrause gekleidet war, sah sich aufmerksamkeitssuchend im Gerichtssaal um. Vor ihm stand ein Namensschild mit der Aufschrift Richter Frederick Pfeffer. Neben ihm am Tisch ließ eine Frau ihren Kugelschreiber in die Luft schnellen und erste Wörter auf einem reinweißen Papier vor sich notieren. Ihr Namensschild verriet, dass es sich bei ihr um die Protokollantin L. Brand handeln musste. »Ich stelle fest, dass die Frau Staatsanwältin zugegen ist. Es ist erschienen der Angeklagte Herr Jürgens, sowie seine Verteidigerin Svenja Spielman. Wir wollen zuerst einmal die Sach- und Rechtslage erörtern. Es geht um einen Diebstahlverdacht, den der Angeklagte begangen haben soll. Nun bitte ich um Verlesung der Anklage.«

Sein Blick wanderte zu seiner linken Seite, wo sich eine Frau mit schulterlangen, schwarzen Locken und einer Brille mit auffällig breitem Rahmen von ihrem Platz erhob. Sie hielt einen Stapel Papiere fest in ihrer Hand.

»Die Staatsanwaltschaft legt aufgrund der Ermittlungen dem Angeklagten folgenden Sachverhalt zur Last«, begann sie mit der üblichen Floskel. »Am 28.12. letzten Jahres gegen 1 Uhr nachts ist aus dem deutschen Zaubereiministerium in Berlin die Phiole der Horkruxe entwendet worden. Dabei ist ein Auror ermordet worden. Außerdem wurde ein Mitglied des Sicherheitspersonals mit einem schweren Fluch versehen, Schutzeinrichtungen des Ministeriums sowie der Gang, der zu dem Raum der Erinnerungen führt, wurden mutwillig zerstört.

Der Zeuge Herr Peter beschreibt zwei Tatverdächtige, die sich ihm unter dem Namen Lennox MacLean und Caitriona MacLean ausgegeben haben, mit der Behauptung die Genehmigungsformulare für die Eröffnung ihres Ladens abholen zu wollen. Dabei verwiesen sie auf einen Termin mit dem Leiter der Abteilung für magisches Wirtschaftsgeschehen Herrn Eisenthal, der allerdings versichert, von einem solchen Termin nichts gewusst zu haben. Da die Namen Lennox und Caitriona MacLean nicht im internationalen System erfasst sind, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Pseudonyme handelt. Die Abteilung für magische Strafverfolgung hat allerdings trotz intensiver Nachforschungen keine Tatverdächtigen ermitteln können, die hinter den Namen stecken könnten. Nun wurden durch Herrn Alexander Pettigrew allerdings neue Beweismittel gesichert, die den Angeklagten schwer belasten.«

Die Staatsanwältin warf noch einmal einen prüfenden Blick auf ihr Papier, bevor sie wieder Platz nahm. Daher ergriff der Richter wieder das Wort.
»Ich bitte den Zeugen in den Sitzungssaal!«

Er erhob seinen Zauberstab und öffnete damit die Tür zum Gerichtssaal. Ein Mann, gekleidet in einen schwarzen Anzug und ein ebenfalls schwarzes Hemd, begleitet von einem Mitglied des Sicherheitspersonals, trat in den Raum. Mit sicheren Schritten ging er auf den Zeugenstuhl zu, sodass sein Begleiter fast schon Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten.
Seine blassgrauen Augen sahen fokussiert zu dem Richter.

»Ich ermahne Sie dazu, ausschließlich die Wahrheit zu sagen«, startete Frederick Pfeffer die Belehrung. »Andernfalls kann dies strafrechtliche Konsequenzen für Sie haben. Eine unvollständige Aussage wird ähnlich bewertet. Herr Pettigrew, wir bitten um eine Schilderung ihrer Ergebnisse.«

Der Richter setzte sich wieder und für einen Moment waren die Geräusche, die der Kugelschreiber der Protokollantin von sich gab, das Einzige, was man hören konnte. Dann begann der Zeuge zu sprechen.

»Der Fall Ulrich Jürgens hat mich schon beunruhigt seitdem ich versuche, in Deutschland die Missstände zu bekämpfen, die offenbar der Feder meines Cousins entstammen«, erzählte er. »Ein Lehrer, der auf mysteriöse Art und Weise verschwindet, sein Haus ein bloßes Trümmerfeld und selbst ein halbes Jahr nach dem Vorfall noch keine Hinweise über Täter oder Motive. Nachdem ich beim Verhör gewisser Schwarzmagier aus dem Schlangenauge allerdings ebenfalls auf den Namen Ulrich Jürgens im Zusammenhang mit weiteren Schilderungen, die im Zeugenbericht auf den Seiten 6 bis 8 zu finden sind, gestoßen bin, war ich überzeugt, mir das ehemalige Haus des Angeklagten ansehen zu müssen.

Am 21. Mai dieses Jahres habe ich eine ministeriell genehmigte Hausdurchsuchung vorgenommen, bei der ich den Angeklagten in den Trümmern seines Hauses vorfand. Sobald er mich entdeckte, griff er mich an, wobei er versuchte, mich mit den noch stehenden Deckenbalken seines Wohnzimmers zu erschlagen. Ich konnte den Angeklagten nach einem kurzen Duell entwaffnen und ließ ihn von meinen Kollegen vorsorglich festnehmen. Bei einer genaueren Inspektion des Hauses am darauffolgenden Tag, den 22. Mai, gegen Mittagszeit mussten wir feststellen, dass das verfallene Haus dem Angeklagten als Lager fungiert hatte. Durch einen vermeintlichen Wäschekorb konnte man in den Keller des Hauses gelangen, wo neben großen Mengen Trank der lebenden Toten und Vielsafttrank auch eine Phiole zu finden war, die es auf der ganzen Welt nur ein einziges Mal gibt. Als Beweismittel wurde dieses Gefäß dem Gericht bereits zur Verfügung gestellt. Die Phiole der Horkruxe.«

Der Richter nickte ernst.
»Vielen Dank Herr Pettigrew für diese Aussagen. Der Zeuge darf den Zeugenstuhl nun unvereidigt verlassen.« Er schlug eine Seite seiner Fallakte um. »Die Phiole der Horkruxe wurde bereits von zuständigen Sachverständigen auf Echtheit geprüft. Aufgrund eines schweren Zauberbannes ist es allerdings nicht möglich, an den Inhalt der Phiole zu gelangen. Daher wende ich jetzt das Wort an die Seite des Angeklagten. Frau Spielman, was hat ihr Mandant zu den Anschuldigungen zu sagen?«

Frederick Pfeffer sah nun nach rechts. Dort saßen zwei Personen an einem Tisch, die zuvor noch nicht zu Wort gekommen waren. Einer war ein älterer Mann, auf dessen Kopf nur noch vereinzelt weiße Haarbüschel wuchsen. Er trug eine Brille mit schmalen Metallbügeln und sein Körper erzitterte leicht, als sich der Blick des Richters auf ihn legte.

Neben ihm saß eine Frau, deren juristische Ausbildung noch nicht lange abgeschlossen sein konnte. Ihre Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden und bei genauerem Hinsehen konnte man erkennen, dass sie den Stift in ihren Händen fest umklammert hielt. Dem Blick des Richters hielt sie allerdings tapfer stand und sie erhob sich, sobald das Wort an sie gegeben worden war.

»Mein Mandant ist leider nicht in der Lage, sich an einen Vorfall, wie der Zeuge ihn schildert, zu erinnern«, antwortete sie mit klarer Stimme. »Als ich ihn zu unserem ersten Gespräch antraf, wirkte er bereits völlig menschenscheu und verstört. Ich habe meinen Mandanten noch letzten Sommer auf der Abschlussfeier meiner jüngeren Schwester gesehen und damals war er noch ein offener und lebensfroher Mensch. Aus natürlichen Gründen verändert sich niemand so sehr innerhalb eines Jahres. Für mich steht ebenso wie für die medizinischen Betreuer fest, dass mein Mandant Opfer einer Manipulation wurde. Er hat mir in unseren Gesprächen von einigen wenigen Erinnerungen erzählt, die er noch hat. Er hat einen düsteren Raum beschrieben, in dem er mit einem anderen Mann gesessen hat. Seine Erinnerungen an diesen Mann, genauso wie an die an die Menschen, die hin und wieder den Raum betraten, beschreibt er als ›wie mit einem Schwamm weggewischt‹. Für mich ist eindeutig, dass hier ein klarer Fall von Obliviierung vorliegt, weswegen ihm von Kriminellen perfekt eine Schuld zugeschoben werden konnte. Mein Mandant ist nicht Täter eines Verbrechens, sondern Opfer einer Verschwörung.«

Frederick Pfeffer war bei diesen Erzählungen innerlich ein wenig zusammengesunken. Ein Widerspruch schwebte in der Luft. Und damit auch ein komplexer Prozess. Eine Gerichtskrimi, bei dem es am Ende vermutlich mehr Verlierer gab, als ihm lieb war. Er hoffte nur, dass das Recht auf der Siegerseite stehen würde.

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