Kapitel 30 - Zwischen den Gewächshäusern

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»Wie sollen wir denn da runterkommen?«, fragte Jan verzweifelt und sah aus dem Fenster ihres Schlafsaals auf den Hof von Winterfels, der von der untergehenden Sonne schwach beleuchtet wurde.
»Es gibt so ein Zauber, mit dem man...«, begann Levi gerade, als Filio in den Raum gelaufen kam.
Er summte ein Jan unbekanntes Lied und erschrak sichtlich, als er die beiden Jungen entdeckte.

»Ist euer Gespräch schon fertig?«, erkundigte er sich verwundert.
Jan und Levi warfen sich ratlose Blicke zu.
»Wir haben kein Gespräch«, erklärte Levi eilig. »Wir mussten uns eben schnell etwas einfallen lassen, um aus dem Innenhof zu verschwinden. Und jetzt brauchen wir etwas, um aus dem Fenster zu klettern.«

Filio sah sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
»Ich habe zwar so wenig verstanden, wie wenn Herr Egger etwas auf Englisch erzählt, aber vielleicht hilft euch ja das hier.«
Er öffnete seine quietschende Schranktür und wühlte in einer Ablage voller Gerümpel herum. Jan glaubte, eine Dose, einen Tennisball und ein Fahrradschloss zu entdecken.
Filio hingegen zog einen kurzen Strick aus dem Schrank und hielt es ihnen stolz entgegen.
»Das nie endende Seil aus dem Zauberscherze-Sortiment der Weasleys«, stellte er stolz vor und knotete es am Fensterbrett fest, wobei er immer wieder an einem Ende der Leine zog.

Als er eine einladende Geste zum Fenster hinaus machte, hing sein Seil bereits fast bis zum Boden. Während Levi vorsichtshalber den Knoten mit einem festigenden Zauber versah, betrachtete Jan begeistert den Weg nach unten. Seine Hoffnung, Herrn Jorski zu überführen, flammte erneut auf.
»Und du bist sicher, dass du das machen willst?«, fragte Levi noch einmal vorsichtig nach. »Wenn Herr Jorski uns erwischt, dann sind unsere Buchen ganz schnell so klein wie Leonards Baum.«
Jan zögerte keinen Augenblick. Jetzt war seine Chance und die würde er nicht verpassen.
»Ich bin mir sicher«, bestätigte er. »Aber du musst nicht mitkommen. Wenn dir das zu riskant ist, dann verstehe ich das.«

Doch Levi winkte ab.
»Ich komme mit dir«, versicherte er. »Ich habe mich nur gefragt, ob es das wirklich wert ist. Aber wenn dir das wichtig ist, klettern wir aus dem Fenster, gemeinsam.«
Ein warmes Gefühl durchströmte Jans Herz. Es war anders, als das aufgeregte Klopfen seines Herzens, wenn er mit Marina sprach, aber es war mindestens genauso schön. Nie zuvor in seinem Leben war ihm solche Freundschaft und Zusammenhalt begegnet.

»Vielen Dank«, sagte er einfach nur, unfähig seine Freude in Worte zu fassen. Und dann schwang er sich auf das Fensterbrett und griff mit seinen Händen nach dem Seil.
Sobald er aus dem Fenster stieg und das Seil, das er mit seinen beiden Händen kräftig umklammerte, sein einziger Halt war, überkam ihn ein leichtes Schwindelgefühl.
Er spürte eine Ader an seiner Schläfe vor Aufregung hefig pulsieren und nahm kaum war, wie Filio das Seil so verzog, dass es immer länger wurde und Jan immer weiter nach unten gelassen wurde. Seine Hände begannen langsam ihren Halt zu verlieren, seine Armmuskeln brannten schrecklich.

Er warf einen Blick zum Boden und atmete erleichtert auf, als er sah, wie nah das Gras und die Erde ihm schon waren. Mit einem Gefühl der Leichtigkeit ließ er das Seil los und landete für seine Verhältnisse geschickt auf dem Boden.
Kurz darauf sah er Levi aus dem Fenster klettern. Filio ließ auch ihn nach unten. Dabei steckte er seinen Kopf immer wieder aus dem Fenster und betrachtete konzentriert die Situation. Sein sonst so charakteristisches, lustiges Grinsen war dem Ernst der Lage gewichen.

Jan konnte sich vorstellen, dass auch ihm ein Stein vom Herzen fiel, als Levi auf dem weichen Gras landete und sich erleichtert aufatmend umsah. Er zeigte Filio einen dankenden, nach oben gestreckten Daumen und wandte sich dann Levi zu.
»Gehen wir vorsichtig in Richtung des Eingangstors«, schlug er vor. »Dann sollten wir ihn auf dem Weg entdecken.«
»Hoffen wir nur, dass auch wirklich wir ihn zuerst entdecken.«

Gemeinsam schlichen sie um den Turm, in dem der Saal der Spiegel war, und spähten vorsichtig um die Ecke. Auf dieser Burgseite erstreckten sich auf großem Gelände die Stallungen und Gewächshäuser. Im orangegelben Licht der untergehenden Sonne wirkten sie vollkommen ruhig und friedlich, als hätte man sie gerade aus einem Märchen geholt. Nichts deutete darauf hin, dass hinter ihnen, oder sogar zwischen ihnen, schreckliche Verbrecher ihr Unwesen trieben.

Jan sah konzentriert zwischen den hölzernen und steinernen Gebäuden umher. Nirgends konnte er eine Bewegung von Herrn Jorski ausmachen.
»Als wir hier das letzte Mal Herr Jorski hinterherspioniert haben, ist ein Stall in die Luft gegangen«, erinnerte sich Levi und musterte das Schulgelände kritisch.
»Hoffen wir mal, dass heute nichts explodiert«, entgegnete Jan. Seine Sorge wuchs und ebenso seine Zweifel an der Idee, seinem Lehrer nach draußen zu folgen. Aber jetzt wollte er nicht mehr zurückrudern.

»Lass uns mal zwischen den Ställen nachschauen«, schlug er vor.
Levi nickte und setzte ein möglichst zuversichtliches Lächeln auf.
Gemeinsam gingen sie auf die Behausungen der Tiere zu. Aus manchen drang gespenstische Stille, während sie an ihnen vorbeiliefen, die Bewohner anderer wiederum machten so laute Geräusche, dass Jan seine eigenen Schritte nicht hören konnte.

»Herr Lurcus sollte seine Muffliato-Zauber erneuern«, meinte Levi, als sie an einem Stall vorbeikamen, in dem ein Vogel wohnte, der schrecklich schiefe Trauergesänge von sich gab.
»Warum sollte sich Herr Jorski eigentlich hier mit jemandem treffen?«, fragte Jan auf einmal. »Es ist laut und auf dem Weg hierher käme sein Besucher direkt an der Stelle vorbei, wo einer unserer Lehrer Wache hält. Wäre nicht der Eulenturm viel geeigneter? Da verdeckt eine Mauer die Sicht auf den Wachposten und die beiden könnten sich unterhalten ohne, dass jemand den Bann überqueren müsste, weil die Grenze ja seit neuestem genau dort verläuft.«

Er glaubte zu sehen, wie Levi leicht schmunzelte.
»Es war deine Idee, hier zu suchen«, erinnerte er ihn. »Zum Eulenturm gehe ich noch mit dir. Und wenn Herr Jorski da nicht ist, gehen wir wieder.«
Jan nickte eilig. Er wollte Levi keinesfalls verärgern, indem er stur versuchte, Herrn Jorski auf einem riesigen Gebiet zu entdecken. Schließlich war er ihm dankbar, dass er überhaupt mitgekommen war.

Also nahmen sie Kurs auf den Eulenturm.
Schon nach kurzer Zeit kamen sie an den letzten Ställen vorbei und sahen die Gewächshäuser vor sich. Doch zwischen zwei von ihnen entdeckte Jan etwas ganz anderes. Eine etwas kleinwüchsige Gestalt mit schwarzen Haaren. Schnell zog er Levi hinter einen Stall, sodass sie nicht mehr gesehen werden konnten.

»Da war Herr Jorski«, flüsterte er aufgeregt.
Levi drehte seinen Kopf und spähte vorsichtig um die Ecke.
»Er dreht sich um und kommt jetzt in unsere Richtung!«
Er und Jan schlichen um den Stall herum, und versteckten sich hinter einem Gebüsch. Von dort aus konnten sie zwar nur sehr undeutlich sehen, aber sie waren überzeugt, dass sie hier unbemerkt bleiben würden.

Herr Jorski kam schon bald zwischen den Gewächshäusern hervor und sah sich aufmerksam um. Er zuckte unsicher mit den Augen. So kannte Jan seinen Lehrer eigentlich nicht. Wenn es nicht gerade um die deutsche Sprache ging, trat er immer sehr zielstrebig auf. Nun trat er unruhig auf der Stelle hin und her. Jozef M. Wozniak schien sich zu verspäten. Auf einmal allerdings ertönte eine Stimme, die den Lehrer herumfahren ließ.

»Witold«, erklang es von links. Hinter dem benachbarten Gewächshaus trat ein Mann hervor. Er hatte eine Kapuze über seinen Kopf gezogen, sodass man nicht viel von ihm erkennen konnte. Lediglich ein kahl rasiertes Kinn, eine dünne, spitze Nase und ein paar lange Strähnen, die dem Fremden ins Gesicht fielen, waren zu erkennen.

»Dachtest du allen Ernstes, dein Kollege Wozniak würde dir schreiben?«
Herr Jorski reagierte nicht auf die Frage, sondern feuerte bloß einen blauen Lichtblitz aus seinem Zauberstab ab, den sein Gegenüber allerdings mühelos abwehrte.
»Und dachtest du ernsthaft, für dein großartiges Gerät hätten wir keinen Bannzauber?«
Ein hämisches Lachen entwich dem Fremden, wofür er einen weiteren Lichtblitz erntete. Auch diesen parierte er problemlos.
Mit konzentriertem Gesicht schickte Herr Jorski rote Funken in die Luft, doch diese prallten in gut drei Meter Höhe an einer unsichtbaren Wand ab und fielen wie flammenfarbene Schneeflocken zu Boden.

»Wir haben unser Unterfangen gut geplant, Witold«, erzählte der Fremde unbeirrt weiter. »Bevor du versuchst zu schreien, einen Muffliato hat er auch über das kleine Gebiet hier gelegt. In seinem Beruf mag Grimmson eine Katastrophe sein, aber in Sachen Bannzauber macht ihm keiner was vor.«

»Was habt mit Jozef gemacht?«, fauchte Herr Jorski, während er einen weiteren Lichtblitz abfeuerte. So langsam schien er sich von seinem Schock zu erholen.
»Dem Minister geht es gut«, antwortete sein Gegner. »Wir kümmern uns um ihn, als wäre er unser Gast.«
Während Jan gebannt weiter dem Duell der Zauberer zusah, schlug sich Levi mit der Handfläche gegen die Stirn.

»Jozef Wozniak ist der Zaubereiminister von Polen«, erinnerte er sich seufzend. »Wie konnte ich das nur die ganze Zeit über vergessen?«
Jan wollte sich gerade zu ihm umdrehen, als er sah, dass auch Herr Jorski seinen Kopf wandte. Mit Sicherheit hatte er bemerkt, dass sie da waren, musste sich nun aber wieder auf seinen Gegner konzentrieren, da der einen weiteren Lichtblitz abfeuerte.

»Wir seien nicht allein«, sagte Herr Jorski, während er einen weißen Zauber, wie ein Schutzschild vor sich platzierte, an dem der grüne Strahl des Gegners abprallte.
Jan warf Levi einen panischen Blick zu. Was sollten sie nur tun? Ihm war seine Idee, Herrn Jorski hinterher zu spionieren mittlerweile höchst unangenehm. Seitdem Herr Jorski selbst Opfer eines Hinterhalts geworden war, tat der Lehrer ihm wirklich leid und auch wenn er sich nicht ganz zusammenreimen konnte, was es nun mit manchen seiner merkwürdigen Handlungen oder dem mysteriösen Briefkontakt auf sich hatte, brachen seine Verdächte langsam in sich zusammen.

»Nein, das seid ihr wirklich nicht«, ertönte da plötzlich eine kalte Stimme. Hinter einem Gewächshaus trat ein weiterer Mann hervor. Auch er hatte seine schwarze Kapuze tief ins Gesicht gezogen und erinnerte Jan damit ein wenig an die Dementerl aus Herrn Eggers Unterrichtsstunden. Der Junge konnte nur wenig von dem Fremden erkennen, aber die lange Narbe, die auf seiner Wange deutlich sichtbar war, reichte ihm schon vollkommen aus, um sich von ihm zu fürchten.

»Pettigrew«, flüsterte Herr Jorski erschrocken und stieß erneut kräftige, rote Funken in die Höhe, die allerdings wieder nach wenigen Metern an einer unsichtbaren Wand abprallten.
»Witold Jorski«, grüßte der Neuankömmling den Lehrer. »Ich habe lange hierauf gewartet. Der Mann, der mir das Leben schwergemacht hat, bevor ich in Deutschland verschwunden bin. Der Mann, der einige meiner Unterstützer nach Askaban geschickt hat. Der Mann, der sein Land und seine Familie verlassen hat, um meiner hauchdünnen Spur hierher zu folgen. Dieser Mann steht jetzt vor mir. In Unterzahl. Überrascht. Nicht mehr ganz Herr seiner Kräfte und Gefühle. Du hättest dich damit zufriedengeben müssen, Erklings daran zu hindern, über die Grenze zu laufen. Jetzt ist es zu spät.«

Er ging zwei Schritte auf Herrn Jorski zu.
»Genug der Worte. Lassen wir unsere Zauberstäbe reden!«, meinte er schließlich und gab seinem Verbündeten ein Kopfnicken.
Daraufhin feuerten beide einen mächtigen Zauber auf Herrn Jorski ab. Der Lehrer erzeugte erneut ein weiß leuchtendes Schutzschild vor sich, doch der Spruch seiner Gegner war so stark, dass er mitsamt seines Schilds von den Füßen gerissen wurde und gegen die Wand eines Gewächshauses krachte.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht blieb er liegen.
»Sollen wir es kurz und schmerzlos machen, Jorski?«, fragte der Vermummte, der eben als Pettigrew angesprochen war, mit seiner kalten Stimme.
Doch der Lehrer richtete sich mühevoll in Sitzposition und sah seinem Gegner direkt in die Augen.
»Ich werde kämpfen«, antwortete er entschlossen. »Für Jozef. Für Lenka. Für Merino. Und für Sicherheit meiner Familie.«

Jan konnte sich das nicht mehr ansehen. Was auch immer es mit Herrn Jorski auf sich hatte, er musste sich getäuscht haben. Der arme Kerl, den er das ganze Jahr über verdächtigt hatte, schwebte in höchster Lebensgefahr. Jan wusste zwar nicht, wieso, aber seine ganzen Vermutungen mussten falsch gewesen sein. Nur schien er das alles viel zu spät zu begreifen.
»Levi, was machen wir jetzt?«, fragte er panisch.
Ohne zu zögern richtete sich Levi mit erhobenem Zauberstab auf.
»Wir helfen Jorski.«

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