Kapitel 5 - Alte Geschichten und rätselhafte Nachrichten

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Im Laufe des Abends verblassten Jans Sorgen immer mehr. Nicht, weil er logische Gründe fand, um sie beruhigt niederzulegen, sondern mehr, weil sie im Trubel des Programms vollkommen untergingen.
Herr Lurcus pflanzte mit den sieben neuen Haistras die Bucheckern in ihre Töpfe und Jan hätte doch tatsächlich fast nach einer Gießkanne gefragt. Im letzten Moment war ihm noch eingefallen, dass der Baum nicht durch Wasser, sondern gute Taten wuchs.

Nachdem sie ihre Töpfe auch noch bemalt hatten, holten sie gemeinsam die Koffer von den Carls, die Herr Lurcus zwischen all den Programmpunkten doch tatsächlich vergessen hatte, wie er ehrlicherweise zugab. Sobald alle Koffer in den Zimmern verstaut waren, verabschiedete sich der Hauslehrer. Danach ging es an die Verteilung der Betten und Schränke. Jan war es völlig egal, in welchem Bett er schlafen würde und so nahm er das, was als letztes übrigblieb und machte sich anschließend daran, seine zwei Koffer auszuräumen.

Gedankenverloren trug er die Pullover, Hosen und was er sonst noch so alles mitgenommen hatte, in den Schrank und ging in Gedanken noch einmal alles durch, was er heute erlebt hatte. Er war durch eine schwarze Tür gereist, mit einem fliegenden Holzapparat geflogen und hatte zum ersten Mal Burg Winterfels gesehen. Er war einem Haus zugeteilt worden, er hatte viele neue Leute kennengelernt und er hatte erlebt, zu was Zauberei imstande war. Und mittlerweile hatte er das Gefühl, dass er immer noch nur einen Bruchteil von dem gesehen hatte, was er in Winterfels alles lernen würde. Seine Haut kribbelte bei diesem Gedanken vor Begeisterung, während er seinen Strümpfen einen Platz im unteren Teil des Schrankes zuteilte.

Nachdem er auch die Schulbücher, die Stifte, den Schlafanzug und was er sonst noch so alles mitgenommen hatte, in seinem Schrank verstaut hatte, setzte er sich auf sein Bett, etwas unsicher, was er jetzt tun sollte. Er fühlte sich an seine Klassenfahrt in der fünften Klasse erinnert. Da war er früher ins Bett gegangen als die anderen, weil er zu viel Angst gehabt hatte, mit ihnen verbotenerweise durch die Jugendherberge zu schleichen. Am nächsten Morgen war er mit Zahncreme in den Haaren aufgewacht.

Unauffällig sah er zu den anderen. Filio Gifter, ein Junge mit einer auffällig zerzausten Frisur und ein paar kleinen Sommersprossen auf den Wangen, räumte noch konzentriert seinen Schrank ein. Er sortierte alles, was er mitgebracht hatte, nach Farben und daher lagen in seinem Schrank zwei tannengrüne T-Shirts zwischen einem zerfledderten, olivfarbenen Buch und einer Camouflage-Trinkflasche. Hannes Burgfeld, der vierte Junge aus ihrem Schlafzimmer hatte seinen Schrank bereits eingeräumt und sah schweigend aus dem Fenster hinaus. Levi verstaute gerade seine letzte Jacke im Schrank und klappte zufrieden dessen Türen zu. Er sah zu den anderen und sein Blick begegnete dem von Jan.

»Fertig!«, stellte er fest und sah zum Fenster hinaus. Die Sonne war bereits untergegangen und man konnte die Umrisse der umliegenden Hügel nur schwer vom dunklen Nachthimmel unterscheiden. »Eigentlich ist es ja schon ziemlich spät. Aber ich glaube, ich kann vor lauter Aufregung einfach nicht schlafen. Wie ist es mit euch?«
Hannes schüttelte stumm den Kopf.
»Ich auch nicht«, antwortete Jan. Er versuchte, sich seine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Würde Levi gleich auch die Idee haben, eine verbotene Nachtwanderung zu unternehmen? Was sollte er dann machen?

»Wieso seid ihr denn schon fertig?«, fragte Filio überrascht und warf einen Blick auf seinen noch zur Hälfte gefüllten Koffer und die zwei unangetasteten Reisetaschen daneben. Ein leerer Koffer stand bereits neben seinem Schrank.
»Was hast du denn alles dabei?«, erwiderte Levi lachend.
»Nur das Wichtigste. Ich habe schon einiges zu Hause lassen müssen, was mir wirklich am Herzen liegt.«

Levi beugte sich über Filios Koffer und holte mit hochgezogenen Augenbrauen ein rostiges Zahnrad von der Größe eines Esstellers hervor.
»Nur das Wichtigste«, wiederholte er schmunzelnd. Er legte das Zahnrad zurück in den Koffer und holte ein Kartenspiel aus seinem eigenen Schrank hervor.
»Was haltet ihr davon, wenn du deinen Koffer morgen fertig ausräumst und wir heute Abend noch eine Runde ›Bertie Botts Bohnanza‹ spielen?«

Jan konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr ihm dieser Vorschlag gefiel. Keine Mutprobe, durch die dunkle Burg zu laufen. Kein unruhiges im Bett Hin- und Herwälzen, weil er nach diesem Tag sowieso noch nicht einschlafen konnte. Ein einfaches Kartenspiel. Doch er kam auch gar nicht dazu, Levi zu antworten.
»Bertie Botts Bohnanza jeder Geruchsrichtung?«, fragte Filio schon begeistert und ließ seinen Koffer sofort zuklappen. Levi nickte vielversprechend

Und nur wenige Minuten später hatte Jan einen Stapel gewöhnungsbedürftig riechender Karten auf der Hand. Das Grinsen, dass sich über sein Gesicht erstreckte, konnte ihm aber auch die Karte mit der nach Erbrochenem riechenden Brechbohne nicht nehmen.

Am nächsten Morgen realisierte Jan aber, dass es vielleicht besser gewesen wäre, ein paar Runden weniger zu spielen. Nur Filios Wecker, einem Holzklotz mit einem verzauberten Holzspecht daran, der um Punkt sechs wie wild gegen das Holz zu hämmern begann, hatten sie es zu verdanken, dass sie pünktlich aufgewacht waren. Nun saß Jan schlaftrunken mit den anderen Jungen aus seinem Zimmer im Innenhof am Frühstückstisch und kratzte gerade die letzten Reste seines Rühreis zusammen, als Herr Lurcus zu ihnen kam.

Er begrüßte sie freundlich und verteilte jedem von ihnen ein Papier. »Eure Stundenpläne«, erklärte er, »Ich führe euch gleich in euren Klassenraum. Da wird heute eure erste Doppelstunde stattfinden. Wenn mich nicht alles täuscht, habt ihr die gemeinsam mit den Ehuras. Da eure Hausgruppen relativ klein sind, habt ihr immer mit einem anderen Haus gemeinsam Unterricht, daher werdet ihr auch manchmal den Raum wechseln. Aber das seht ihr ja alles auf dem Stundenplan. Jetzt möchte ich euch auch nicht weiter stören. Esst noch fertig und kommt dann zum Ausgang des Innenhofs. Ich warte da auf euch.« Mit diesen Worten drehte Herr Lurcus sich um und ging in Richtung der Mädchen, die am anderen Ende des Haistratischs Platz genommen hatten. Jan betrachtete interessiert das Papier. Es zeigte an, dass er als erstes Einfache Zauberei hatte. Ihm fiel ein, dass Frau Schmidt, die er auf dem Platz vor der Villa Hohenthal getroffen hatte, dieses Fach unterrichtete. Bei ihrer ersten Unterhaltung war sie recht nett gewesen und Jan hoffte, dass auch der Unterricht bei ihr Spaß machen würde. Überrascht stellte er fest, dass das Feld für Einfache Zauberei nun gelb zu leuchten begann. Er sah auf den Plan von Levi, wo sich ihm das gleiche Schauspiel bot.
»Scheint wohl eine Erinnerung zu sein, dass es gleich los geht«, überlegte Levi achselzuckend.

Schon bald standen die vier Erstklässler auf, wobei Filio sich noch ein Crossaint mitnahm. »Man soll frühstücken, wie ein Kaiser«, antwortete er, als er den fragenden Blick von Hannes bemerkte.
Gemeinsam liefen sie zum Ausgang des Innenhofs, wo Herr Lurcus und die drei Erstklässlerinnen aus Haistra schon auf sie warteten. Der Lehrer führte sie durch verschiedene steinerne Korridore und blieb vor einer mit Bucheckern bemalten Holztür stehen

»Das hier ist euer Klassenraum«, erklärte Herr Lurcus und sah besorgt auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Wartet hier im Gang noch bis Frau Schmidt kommt und euch die Tür aufmacht! Ich muss jetzt zu den Drittklässlern. Ehuras und Kestens. Ich hege zwar keine Vorurteile, aber ich muss schon sagen, dass einige Ehuras großen Wert auf Pünktlichkeit legen. Ich sollte besser losgehen.«
Mit schnellen Schritten verschwand er in der Richtung, aus der er gekommen war.

Kurz darauf kam Frau Schmidt und ihr folgten die Erstklässler der Ehuras. Die Lehrerin schloss die Tür auf und ließ die Schüler sich einen Platz suchen. Jan und Levi setzten sich nahe ans Fenster und holten die Bücher für einfache Zauberei aus ihren Taschen heraus. Doch zu ihrer großen Verwunderung machte Frau Schmidt mit einer schnellen Bewegung ihres Zauberstab das Licht aus und mit einer anderen ließ die die Rollläden herunterfahren. Ein Mädchen aus Ehura gab einen leisen Schrei von sich. Jan warf Levi einen fragenden Blick zu, doch aufgrund der Dunkelheit konnte er dessen Gesichtsausdruck nicht erkennen. Dann ertönte Frau Schmidts Stimme. Sie stellte sich vor und erklärte kurz den Unterschied zwischen den Fächern Einfache Zauberei und Fortgeschrittene Zauberei. Jan bemühte sich zwar, aufmerksam zuzuhören, aber er merkte, dass es ihm schwerfiel sich zu konzentrieren. Ihn interessierte jetzt viel mehr, warum sie alle Lichter ausgemacht hatte. Noch immer traute er dieser Schule nicht ganz. Sein Vater hatte kurz nach dem Eintreffen des Briefs etwas von hinterhältigen Verbrecherbanden und Kinderversuchen erzählt. Hin und wieder beschlich Jan die Sorge, dass sein Vater recht gehabt hatte und das hier einfach nur eine außerordentlich gut inszenierte Falle war.

»Ihr habt euch sicherlich schon gefragt, warum ihr hier in der Dunkelheit sitzt«, sagte Frau Schmidt geheimnisvoll und Jan nickte reflexartig. »Keine Sorge, wir werden es gleich wieder etwas heller machen. Aber ich wollte euch zeigen, warum der Zauberspruch, den ich euch als erstes beibringen möchte, so wichtig ist.« Sie machte eine Pause und sprach kurz darauf die Worte »Lumos!«, woraufhin ein Licht aus der Spitze ihres Zauberstabs erschien. Jan sah begeistert auf. Er konnte kaum glauben, dass er so etwas in wenigen Augenblicken auch lernen würde. Während Frau Schmidt erklärte, wie man den Zauberstab bewegen musste und auf welcher Silbe die Betonung lag, nahm Jan seinen Zauberstab schon einmal in die Hand und übte stumm die Bewegungen. Danach zündete Frau Schmidt eine blau leuchtende Laterne an und stellte sie auf das Lehrerpult, damit die Schüler zwar sehen konnten, was sie machten, aber auch das Licht an ihren Zauberstäben erkennen konnten.

Doch Jan musste feststellen, dass der Lumos-Zauber gar nicht so einfach war, wie es ausgesehen hatte. Auch wenn er die Hand konzentriert nach oben und wieder zurück nach unten bewegte und sich Mühe gab, das Lu besonders zu betonen, erleuchtete kein Licht. Während bei seinen ersten Versuchen noch rein gar nichts passierte, erzeugte er bei seinem fünften Versuch ein merkwürdiges Geräusch und bei seinem sechsten einen schwächlichen Windhauch. Erstaunt sah er, dass zwei Mädchen aus Ehura bereits ihren Zauberstab zum Leuchten gebracht hatten und bald erschien auch beim Zauberstab von Julius, dem Jungen aus seinem Carl, und Levi ein helles Licht. Erstaunt sah Jan zu Levi. Dieser nahm hilfsbereit Jan Arm in die Hand und führte ihn so, wie es für den Zauber nötig war. Jan sprach erneut die richtigen Worte dazu. Und tatsächlich erschien ein Glimmen an der Spitze seines Zauberstabs. Es war nicht so stark wie das von Levi und würde keinesfalls ausreichen, um im Dunkeln den Weg ins Bad zu finden. Aber dennoch breitete sich ein wohlig warmes Gefühl in ihm aus. Er war wirklich ein Zauberer. Er hatte seinen ersten Zauberspruch gelernt. Und er hatte einen guten Freund gefunden, der ihm half, wenn er etwas alleine nicht schaffte.

Nachdem auch der letzte Schüler seinem Zauberstab zum Leuchten gebracht hatte, löschte Frau Schmidt die Lichter wieder und ließ sie noch ein paar Mal den Lumos-Zauber ausprobieren. Den Zauber, um das Licht wieder zu löschen, verkündete sie, würden die Schüler in der nächsten Stunde Einfache Zauberei lernen. Doch ein Blick auf den Stundenplan verriet Jan, dass sie jetzt erstmal Geschichte der Zauberei hatten. Das leuchtende Feld verkündete zudem, dass sie dafür in den Klassenraum der Kestens gehen mussten. Also schulterten er, Levi und die anderen Haistras ihre Rucksäcke und verließen ihren Raum. Eine mit Kastanien bemalte Tür verriet, dass der Klassenraum der Kestens direkt neben dem der Haistras lag. Als sie eintraten, bemerkten sie, dass sowohl Frau Relting, als auch die Kestens schon da waren. Weil die Schüler aus dem Haus der Kastanie die komplette hintere Reihe im Beschlag genommen hatten, gingen die Haistras in die vordere Tischreihe. Jan setzte sich an einen Tisch mit Filio, dessen Haare nach der Stunde einfache Zauberei noch unordentlicher aussahen als vorher. Frau Relting begrüßte sie höflich und nachdem sie die Anwesenheitsliste durchgegangen war, begann sie mit der Geschichtsstunde. »An vielen Zauberer- und Muggelschulen ist Geschichte ein schrecklich langweiliges Fach«, erzählte sie und Jan erinnerte sich bei diesen Worten nur zu gut an seinen Geschichtslehrer aus dem letzten Schuljahr, »bei uns wird das allerdings anders sein. Wir lernen hier nichts über die Steinzeit oder die Französische Revolution. Ich habe gehört, dass diean Muggelschulen ein beliebtes Thema ist. Stattdessen lernen wir, wie Deutschland in seine missliche Lage in der Zaubererwelt gekommen ist.«

»Weiß jemand von euch, wie aktuell die außenpolitische Situation Deutschlands ist?«, fragte sie und nachdem der Beitrag der Haistra Lina Dreyer nicht ganz das war, was sie hatte hören wollen, fuhr sie fort. »Das müsst ihr auch noch nicht wissen, ihr werdet das in Politik und Wirtschaft der Zauberei schon noch oft genug durchgehen«, meinte sie, »zur aktuellen Zeit ist Deutschland von der restlichen Welt der Zauberer relativ ausgeschlossen. Meistens sind es nichtige Gründe, aus denen die anderen Staaten den Kontakt mit uns meiden. Nehmen wird die Engländer als Beispiel. Sie sind schon seit unserer Schulgründung vor 150 Jahre ungut gestimmt, da wir ihr Schulsystem nicht vollständig übernommen haben. Wir haben uns doch tatsächlich erdreistet, unsere Schüler erst nach sechs Jahren an einer Muggelschule aufzunehmen und haben Fächer wie Verwandlung, wo man jede Stunde ein anderes Tier in eine Tasse verwandelt, weggestrichen. Dass wir stattdessen Fächer wie Mathemathik oder Politik und Wirtschaft der Zauberei unterrichten, entzürnte sie zusätzlich. Die Lage ist vor gut fünfundzwanzig Jahren dank des weniger kompetenten englischen Ministers endgültig eskaliert.«

Frau Relting machte eine Pause und Jan versuchte sich all die vielen Informationen zu merken, die die Lehrerin da gerade erzählte. »Hätten wir nicht Englisch als Schulfach in Winterfels aufgenommen und das nationale Quidditch-Stadion nicht Cornelius-Fudge-Arena genannt, wäre unser Land von Quidditch-Weltmeisterschaften ausgeschlossen worden«, fuhr sie fort und in Jans Kopf sammelten sich langsam einige Fragezeichen.
Doch er schien nicht der einzige zu sein, denn Anna Sommer, ein Mädchen aus Haistra, das Jan bis jetzt noch nichtviel reden gehört hatte, meldete sich zögerlich.
»Du bist bei meiner Erzählung nicht ganz mitgekommen?«, riet Frau Relting, als sie Annas gehobene Hand sah. Die nickte zögerlich.

»Das ist gar nicht schlimm. Das alles werdet ihr während eures Geschichtsunterrichts in Winterfels noch rauf und runter lernen: Die Ungerechtigkeiten, die Deutschland verursacht hat, aber auch die großen Ungerechtigkeiten, die uns angetan wurden.« Erneut machte sie eine Pause und Jan nutzte sie um Filio zu fragen, was denn Quidditch und Cornelius Fudge sei. Die Sportart Quidditch konnte Filio noch ganz gut erklären, aber bei Cornelius Fudge musste auch er passen. Den Namen hatte er noch nie gehört. Allerdings blieb auch keine Zeit mehr, darüber zu reden, denn Frau Relting fuhr bereits mit ihrem Unterricht fort. Sie verkündete, dass sie heute bei den Ursprüngen der Zauberei beginnen wollte und forderte sie auf, Bücher und Papiere aus ihren Taschen zu holen.

Nachdem der magische Gong das Ende der Doppelstunde verkündet hatte, begaben die Haistras sich zurück in ihren Klassenraum, wo sie eine Doppelstunde Mathematik bei Frau Nauberger erwartete. Mathe war etwas, das Jan schon immer leichtgefallen war und auch in dieser Stunde hatte er keine wirklichen Probleme mit dem Rechnen, doch es war deutlich anzusehen, dass Frau Nauberger sehr wohl Probleme damit hatte, die Klasse zu unterrichten. Sie wirkte wie eine Referendarin, der man ohne Vorwarnung an ihrem ersten Tag bereits eine eigene Klasse zum Unterrichten gegeben hatte. Sie versprach sich des Öfteren und schaffte es nicht ansatzweise, die zwei dauerhaft miteinander redenden Furhos in der zweiten Reihe zum Schweigen zu bringen. Jan sah ihren erleichterten Gesichtsausdruck, als sie die Schüler endlich in die Pause entließ

Als Jan am Abend zum Essen in den Innenhof lief, spürte er seine Erschöpfung. Auch wenn der Tag ihm großen Spaß gemacht hatte, merkte er, dass er heute Abend früher schlafen gehen musste als gestern. Er ließ sich am Tisch der Haistras neben Levi und Filio nieder und betrachtete begeistert das Essen, das bereits auf den Tischen stand. Im Vergleich zu den belegten Broten, die es bei ihm zu Hause jeden Abend gegeben hatte, glich die Auswahl hier fast schon einem Festessen. Zusätzlich zu verschiedensten Sorten Brot lagen auch Salate, Obst und kleine Gebäckteilchen auf den vier Haustischen.
Der Innenhof füllte sich mit immer mehr Schülern und bald herrschte ein lautes Gemurmel im Raum. Erst als Herr Tuplantis sich vom Lehrertisch erhob, wurde es langsam still. Der Schulleiter machte ein paar Schritte nach vorne auf die Schüler zu und hob seinen Zauberstab an den Mund. Jan hatte mittlerweile verstanden, dass dies so ähnlich, wie ein Mikrofon funktionierte.
»Guten Abend liebe Schülerinnen und Schüler«, grüßte er sie mit seiner kraftvollen Stimme, »viele von euch haben ihren ersten Unterrichtstag nun hinter sich und ich hoffe, dass es euch in Winterfels gefällt. Der eigentliche Grund für meine Rede ist allerdings von nicht ganz so schöner Art. Herr Jürgens - euer Lehrer für Zaubertränke - ist in den Ferien stark erkrankt und sieht sich zurzeit nicht in der Lage zu unterrichten.«
Seine Worte wurden von aufgeregtem Gemurmel unterbrochen und erst nach einigen Versuchen, Ruhe in den Raum zu bekommen, kehrte sie auch wirklich ein.

»Wir sind zutiefst traurig, um unseren Kollegen und Freund«, fuhr der Schulleiter betrübt fort, »da ihr allerdings trotz dieser bedauerlichen Tatsache in Zaubertränke unterrichtet werden müsst, haben wir einen Vertretungslehrer organisiert.«
Er sah zum Lehrertisch, wo Jan angestrengt überlegte, wer denn gestern noch nicht dort gesessen hatte. Sein Blick schweifte über eine Frau mit schulterlangen, gelockten Haaren und einen großen Mann mit einem auffällig himmelblauen Umhang bis er schließlich bei einem Zauberer mit kantigem Gesicht und kurzem, schwarzen Stoppelbart hängen blieb. Als dieser bemerkte, dass Herr Tuplantis ihn meinte, erhob er sich umständlich und senkte den Kopf zur Begrüßung.
»Herr Witold Jorski«, stellte Tuplantis den Neuen vor. »Er ist Auror aus Polen und war so freundlich, uns seine Künste in diesem Jahr zur Verfügung zu stellen. Er hat mit Hilfe seiner Zaubertränke schon so manchen dunklen Magier aufgespürt. Und als Privatlehrer konnte er auch schon einige Erfahrungen im Unterrichten von Schülern sammeln.«

»Das sagt der doch nur, um den Mann da beliebt zu machen«, schnaubte ein älterer Schüler, der gegenüber von Jan saß. »Schau dir den Kastenkopf doch mal an, der könnte uns wahrscheinlich nicht einmal das Alphabet beibringen.«
Seine Sitznachbarin nickte bestätigend. »Und wenn er einen Abschwelltrank beherrschen würde, hätte er auch nicht so eine schrecklich große Nase«, stimmte sie zu. »Der wird auf keinen Fall so gut werden, wie der gute alte Ulrich.«
Bei diesen Worten wurde Jan hellhörig. »Ulrich?«, wiederholte er schlagartig.
Die beiden älteren Schüler sahen verwundert zu ihm hinüber und Jan spürte, wie ihm vor Scham das Blut in den Kopf stieg. Warum konnte er sich nicht einmal zurückhalten?
»So heißt Herr Jürgens mit Vornamen«, erklärte der ältere Junge, noch immer sichtlich verwirrt. »Ist etwas damit?«
Rasch schüttelte Jan den Kopf. Er wollte keine Aufregung und Unsicherheit verbreiten. »Nein, alles gut«, antwortete er eilig, um der unangenehmen Konversation ein rasches Ende zu bereiten. »Mein Hund heißt nur auch Ulrich.«
Die beiden älteren Schüler warfen sich amüsierte Blicke zu, fragten dann noch aus Höflichkeit, welche Rasse es denn wäre und wandten sich dann wieder ihrem Gespräch zu, allerdings diesmal etwas leiser als vorher.
Jan und Levi jedoch sahen sich vielsagend an. Nicht irgendein schrulliger alter Zauberer war angegriffen worden, Ulrich war der Name eines Lehrers gewesen. Und erneut fragte sich Jan, ob er auf dieser Schule wirklich gut aufgehoben war.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro