18. Kapitel: "Das erste Mal verliebt und wirklich gedacht, diese Scheiße hält."

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Bis heute kann ich mir nur schwer erklären, wie Samuels plötzliches Wiederauftauchen im April auf so fruchtbaren Boden bei mir fallen konnte ...

Es war Frühling geworden und ich verbrachte meine Freizeit oft mit Iara und Mika im Freien. Seit ich meiner gesamten Lerngruppe, mit Ausnahme von Feli, die Freundschaft gekündigt hatte, war es an der Uni so einsam für mich geworden, dass ich die meisten Veranstaltungen schwänzte. Vorlesungen, bei denen ich mir die Anwesenheit ohnehin zum Ende des Semesters selbst attestieren würde, strich ich aus meinem Stundenplan und so blieb eine Menge Zeit übrig, die ich verplemperte, indem ich die vernachlässigten Begleitlektüren für meine Kurse verschlang oder Hausarbeiten bereits vorskizzierte. Iara bestätigte mich darin, dass ich mehr für die Uni zu tun schien, seitdem ich mich von meiner Lerngruppe verabschiedet hatte und mein Gewissen beruhigte sich, als ich bemerkte, wie ich den wichtigen Stoff für die Klausuren tatsächlich nach und nach aufholte. Die Abkapselung von Joseph, Moritz und Marieke war wohl der Schubser gewesen, den ich so dringend nötig gehabt hatte, um mich im Studium wieder mehr reinzuhängen.

Wenn meine beiden Mitbewohner gerade nicht bei ihrer jeweiligen besseren Hälfte zu Besuch waren, spazierten wir gemeinsam durch Parks, gingen etwas essen und redeten fast ununterbrochen. Meine mental-gesundheitliche Verfassung hatte sich deutlich gebessert und ich hatte diesen glücklichen Umstand nicht nur meinen Freunden, sondern auch und vielleicht sogar vor allem Dag zu verdanken.

Die Spannung zwischen uns war nicht verschwunden; nicht nach unserem zweiten Nicht-Date, nicht nach dem dritten. Die Momente, in denen wir uns beinah küssten, entstanden unermüdlich und es war mir zur Gewohnheit geworden, ihn genau in diesen intensiven Sekunden, mit einem ganz allein ihm vorbehaltenen Lächeln auf den Lippen, lang anzuschauen, das Unberührbarkeit ausdrückte.

Inzwischen war es zu einem Running Gag geworden, dass Vincent mich anderen Leuten, denen ich manchmal zufällig begegnete, wenn ich die Jungs in ihrem Studio besuchte, als Dags Freundin vorstellte. Noch war ich nicht bereit, mich meinem Schicksal in Anführungszeichen zu ergeben, also machte ich mir die Mühe, Vincents Falschdarstellung sofort zu berichtigen. Er nahm es irgendwann so hin, was mir ganz recht war. Zumal ich Vincent wirklich ins Herz schloss und nicht wollte, dass wir dauernd aufeinander rumhackten. Er konnte nervig sein, das ja, allerdings erkannte ich mehr und mehr, was Dag nach ihrem Tourabschluss-Konzert im März gemeint hatte. Vincent lag aufrichtig etwas an seinem besten Freund und ich war froh, dass Dag ihn hatte und umgekehrt.

Wahrscheinlich nahm ich die unverhoffte Nachricht meines Ex-Freunds auch deshalb so positiv auf, weil ich zu diesem Zeitpunkt so unbeschwert war.

Hey Pari! Lang nichts mehr gehört von dir :P Ich hoffe, es ist okay, dass ich dir einfach schreibe. Ich bin gerade dabei, meine Kontakte auszumisten und mir ist dein Name untergekommen. Wohnst du noch immer in Berlin? Nächste Woche bin ich da und wir könnten uns ja vielleicht treffen und anstoßen, auf die alten Zeiten ... oder so ähnlich.

Ich lächelte. Samuel, meine erste große Liebe. Er war auch mein erster Freund gewesen und ich hatte mich schon häufiger gefragt, wie ernst unsere Beziehung wohl noch geworden wäre, hätten wir uns nie einvernehmlich getrennt; hätte mein Vater nie seine Chance ergriffen, eine Praxis in der Hauptstadt zu öffnen. Vielleicht hätten Samu und ich geheiratet – und wunderschöne Kinder gezeugt, vermutete ich mal anhand seines Profilbilds.

Er sah mit seinem gepflegten Dreitagebart und den kurz geschorenen Haaren wesentlich weniger unschuldig aus, als an dem Tag, an dem ich in seine Klasse aufs Hamburger Gymnasium gewechselt hatte. Damals war er schon hochgewachsen gewesen, nur nicht so extrem. Tendenziell schmaler wirkte er nach wie vor auf dem einzigen Foto, das ich von ihm hatte. Ich zoomte rein, um ihn genauer unter die Lupe zu nehmen. Mein Ex-Freund war früher bestimmt nicht hässlich gewesen, trotzdem hatte er ein bescheidenes Glow-Up erfahren, das sich sehen lassen konnte.

Ich hatte bereits begonnen, eine Antwort zu tippen, als Dag mich per Facetime anrief.
„Hi", ging ich überrascht ran.
„Hey", begrüßte er mich. „Warum ist es stockfinster bei dir? Oh, scheiße, hast du schon geschlafen?" Ich lachte, während ich die Nachttischlampe neben mir einschaltete.
„Wo denkst du hin? Glaubst du, ich gehe morgen zum Epochen-Seminar?"
„Na ja, wer nicht kommt hat frei, nicht wahr?" Mein Nicken wurde begleitet von einem herzhaften Gähnen.
„Weshalb rufst du an? Wolltest du nur plaudern?"
„Ja, eigentlich wollte ich bloß wissen, wann wir uns das nächste Mal sehen. Nur wir. Ohne Vince. Hatten wir lang nicht mehr."

„Ich weiß", seufzte ich. Unser letztes Treffen dieser Art lag schon fast vierzehn Tage zurück. Ich vermisste die traute Zweisamkeit mit ihm. „Geht Donnerstag für dich?", schlug ich vor.
„Okay, abgemacht", sagte er zu. „Was machen wir?"
„Hast du eventuell Lust auf Kino? Ein kleines Kino, meine ich. Wo sie Indie-Filme zeigen." Nebenbei klappte ich meinen Laptop auf und suchte nach den aktuellen Programmen.
„Pack das Ding weg", ermahnte er mich. „Wenigstens die Filmauswahl fällt in meinen Zuständigkeitsbereich, Madame, du hast schon Tag und Tätigkeit festgelegt."
„Gib's doch zu, du tanzt insgeheim ganz gern nach meiner Pfeife", erwiderte ich neckisch.
Dags Schmunzeln brachte mich dazu, zurückzulächeln.
„Wir sehen uns Donnerstag, Pari", meinte er.
„Klar, bis dann", verabschiedete ich mich.

Nachdem er aufgelegt hatte sank ich auf mein Kopfkissen. Meine Gedanken wanderten unwillkürlich zu Samu und den schönen Erinnerungen, die ich an ihn hatte. Ich war sechzehn gewesen und es hatte nicht lang gehalten. Ein paar Monate. Aber es hatte dafür gereicht, dass wir zumindest unsere Unschuld aneinander verloren. Es war für uns beide die erste Beziehung gewesen und obwohl meine Eltern von Anfang an kein Geheimnis daraus gemacht hatten, dass sie vorhatten, irgendwann mit Laya und mir zurück nach Berlin zu ziehen, brach mir der Abschied von Samu das Herz. Ihn nie wieder zu sehen, nie wieder hören, riechen, schmecken, fühlen zu können ... Ich drehte mich auf die Seite und nahm mein Handy in die Hand.

Hi Samu :) Ja, lass uns was unternehmen. Freu mich, dass du dich gemeldet hast :3

Er antwortete sofort.

Denkst du, ich hätte dich vergessen?

Ich lächelte und ließ zu, dass es kribbelte wie damals, am Anfang, wenn er mal mit mir gesprochen hatte.

Also, Pari ... Ich kann nur am Donnerstag und wollte ein paar der Berliner Clubs austesten, wenn ich schon mal da bin. Kennst du was?

Irritiert las ich die Zeilen ein zweites Mal. „Verdammt", murmelte ich leise zu mir selbst.

Geht echt nur Donnerstagabend bei dir?

Ja, leider :/

„Scheiße", sagte ich leise zu mir. „So eine Scheiße."

Das ist jetzt echt blöd. Ich habe mich gerade für Donnerstag verabredet.

Gerade?

Vor etwa zwei Minuten xD

Ich habe mich aber schon vor zehn bei dir gemeldet :c Ich war zuerst da.

Verunsichert biss ich mir auf die Unterlippe. Dag konnte ich bestimmt auch noch an einem anderen Tag treffen. Samu war aber nur nächste Woche in Berlin. Und technisch betrachtet hatte er Recht, er hatte sich früher bei mir gemeldet ... Ich hatte ihn so lang nicht mehr gesehen. Apropos lang. Dächte ich noch länger darüber nach, würde ich nie eine Entscheidung fällen. Mit kleinen Gewissensbissen rief ich das Anrufprotokoll auf und wählte Dags Nummer.

„Du nochmal", grinste er, als er abnahm. „Hast du schon wieder Sehnsucht nach mir?"
„Dauernd", konterte ich trocken, obwohl ein Körnchen Wahrheit darin steckte. „Können wir das mit dem Kino vielleicht auf einen anderen Tag verschieben?" Verdutzt sah er mitten in die Kamera und mir damit praktisch in die Augen.
„Wieso?"
„Ein alter Bekannter von mir ist in der Stadt und er kann nur am Donnerstag", erklärte ich und spürte, wie mir das Blut dabei in die Wangen stieg.
„Muss ja 'n guter Bekannter sein", brummte Dag. Er stand draußen im Dunkeln. Auf Vincents Balkon. Ich erkannte das in die Fassade eingelassene Fenster hinter ihm wieder. Mir wurde schwindlig bei dem Anblick.

„Du hast kein Recht, eifersüchtig zu sein", erinnerte ich ihn mechanisch.
„Mach, was du willst, Pari. Ich erzähl dir bestimmt nicht, wie du dein Leben zu leben hast."
„Du bist verletzt." Er aschte über die Brüstung.
„Nein, ich bin nur sauer."
„Weil du verletzt bist."

Verärgert presste er die Lippen aufeinander.
„Warum entscheidest du für mich, was ich zu fühlen oder nicht zu fühlen habe? Wenn du dich mit dem Typen treffen willst, mach doch."
„Ich sage ihm ab, wenn es dich stört."
„Warum solltest du ihm absagen? Du hast selbst gesagt, dass es mich nicht stören dürfte."
„Es stört dich aber." Dag lachte freudlos.
„Mann, Pari. Wir sind in keiner Beziehung, ich schreibe dir nichts vor. Mich stört, dass du erst zu- und dann gleich wieder absagst. Mehr steckt nicht dahinter."

„Schwörst du?", rutschte es mir raus.
„Ich schwöre, Habibi", lachte er mich prompt für den Straßenslang aus.
„Auf deine Mutter?", trieb ich den Spaß weiter. Blamiert hatte ich mich ja ohnehin längst.
„Bei allem, was mir heilig ist." Dag sah über seine Schulter und kurz darauf erschien Vincent im Bild.

„Hi Zwerg Nase!", begrüßte er mich.
„Vinnie", nickte ich. Vince klopfte Dag auf die Schulter.
„Das Essen ist da."
„Lieferdienst, aha. Kocht ihr jemals?", fragte ich belustigt. Dag deutete auf seinen besten Freund.
„Er nie, ich schon." Vincent schüttelte den Kopf.
„Was?", grinste ich. „Kocht er etwa so schlecht?", fragte ich Vince. Er beäugte Dag schief.
„Wir kennen uns länger als unser halbes Leben und er hat noch nie für mich gekocht. Ich glaube, das ist bloß seine Masche, um die Ladies rumzukriegen."
„Als ob ich für dich koche, Alter, du verdienst das nicht, dass ich mich zwei Stunden für dich in die Küche stelle." Fassungslos verschränkte Vincent die Arme vor der Brust.
„Na, hör sich das einer an ... Nur weil ich keine Frau bin oder was?"
„Auch. Aber nein, Mann. Du meckerst. Du bist 'ne Mäkeltante und auf deinen Dank für meine Mühen könnte ich warten, bis ich schwarz werde. Du würdest vermutlich nicht mal auftauchen, würde ich dich einladen."
„Ey, du bist die größere Meckerziege von uns beiden!"
„Jungs", unterbrach ich sie. „Geht euch bitte nicht an die Gurgel. Außerdem: Guten Appetit."
„Danke. Man sieht sich, Zwerg Nase." Vincent zwinkerte mir zum Abschied zu.
„Ja, man sieht sich", wiederholte Dag seine Worte. „Das Essen wird kalt. Ruf an, wenn du weißt, wann du nächste Woche kannst."
„Werde ich."

Am nächsten Morgen saß Iara mir geschockt an unserem kleinen Küchentisch beim Frühstück gegenüber. Mika schlief noch.
„Du willst Samu treffen? Was ist denn aus Dag geworden? Ich dachte, ihr trefft euch."
„Tun wir auch", antwortete ich. „Ich hatte mich mit ihm sogar für den Donnerstag schon verabredet, aber dann meinte Samu, er kann nur an dem Tag kann, also habe ich das verschoben."
„Wolltest du nicht zur Abwechslung mal keinen romantischen Mist bauen?", fragte sie skeptisch und nippte an ihrem Tee.
„Samu war mein erster Freund, Iara. Ich will mir nur ein Bild davon machen, was aus ihm geworden ist", rechtfertigte ich mich.
„Warum? Ich will mir kein Bild davon machen, was aus meinem Ex-Freund geworden ist. Dafür gibt es keinen Grund. Wieso interessiert dich das so brennend?"

Ich biss von meinem Nutella-Brötchen ab. Während ich kaute, überlegte ich.
„Lass mich raten", seufzte Iara. „Er ist heiß?"
„Damit hat das nichts zu tun", widersprach ich sofort. Iara hob entschuldigend die Hände.
„Es ist unfair Dag gegenüber. Du weißt genau, dass er was für dich übrighat."
„Er hat mir versichert, dass das okay für ihn ist. Wir sind nach wie vor nicht zusammen."
Meine beste Freundin schüttelte den Kopf. „Du tust dir keinen Gefallen damit, Pari."
„Was soll denn passieren?", fragte ich gereizt.
„Oh, ich weiß nicht, vielleicht schläfst du mit deinem Ex-Freund und verletzt dich selbst und zu allem Überfluss noch Dag", warf sie einen Verdacht in den Raum und ich legte das Messer weg, mit dem ich die Butter auf meinem Croissant verstrichen hatte.
„Ich kann mich zurückhalten", sagte ich ernst.
„Das solltest du auch besser. Sei konsequent, okay?"
„Okay", fügte ich mich.

Jung, dumm & pleite

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