23. Kapitel: "Und im Iran ist sogar tanzen illegal."

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Luft durchströmte meine Lungen. Ich versuchte nachzuempfinden, wie sich die innere Ruhe einstellte, die der tiefe Zug ganz natürlich in mir erzeugte. Als ich mir das Gefühl genau eingeprägt hatte, ließ ich meinen Atem frei und zurrte das Haargummi an meinem Hinterkopf fest um den Pferdeschwanz, sodass der Zopf sich auch bei den wildesten Bewegungen nicht lösen würde. Ich blickte in meine eigenen kastanienbraunen Augen im Spiegel. Meine Wimpern waren schön geschwungen, aber es fehlte die Tusche, die sie lang zauberte – Und somit der Ausdruck, der meine Augen sonst zum Strahlen brachte.

Die willkürlich um meine Nase tanzenden Sommersprossen traten auf meinen Wangen deutlich in den Vordergrund. Kein Rouge, das von ihnen ablenkte, keine Foundation, die sie überdeckte. Es war ewig her, dass ich mich das letzte Mal ungeschminkt auf die Straße getraut hatte und die potentiellen Blicke der Leute waren mir unheimlich. Ich starrte meinen Concealer an, der oben auf der frisch gewischten Schminkkommode stand. Zum Sport trug ich normalerweise kein Make Up. Aber Dag hatte sich vehement geweigert, Parkour als Sport zu betiteln. Wenn er mir heute bloß ein paar Tricks beibrachte, war ein bisschen Camouflage sicher erlaubt, oder nicht?

„Pari!" Mika klopfte gegen meine Tür. Hastig schaltete ich die laute Musik an meinem Rechner aus.
„Sofort!", rief ich, schraubte den Concealer auf und verteilte etwas davon unter meinen Augen.
„Er wartet unten", informierte Mika mich. „Viel Spaß!", fügte er noch hinzu, dann hörte ich wie er die Badtür verriegelte. In grau-violetten Yoga-Leggings und einem weißen, bedruckten T-Shirt huschte ich in den Flur, schlüpfte rasch in meine Nikes und nahm nur meinen Schlüssel vom Haken.

Dag konnte sehen, dass ich geschminkt war, wenn auch nur minimal, und ich fragte mich, ob ich nicht die falsche Entscheidung getroffen hatte. Kein Make Up war immer noch besser als schlecht aufgetragenes und die wenige Zeit, die mir zum Verblenden geblieben war, hatte nicht ausgereicht, um die Übergänge vollständig verschwinden zu lassen.
„Hi", begrüßte er mich, ohne mein Aussehen zu kommentieren. Ich schmiegte mich an ihn und versuchte automatisch, mich an seiner Brust vor dem Rest der Welt zu verstecken. „Bereit fürs Training?", fragte er mich.
„Klar, lass uns loslegen", brummte ich wenig enthusiastisch in seinen Hoodie.
„Hast du ein Fahrrad?" Perplex löste ich mich von ihm.
„Von einem Fahrrad war nie die Rede. Seit wann trainiert man Parkour auf dem Fahrrad?" Dag lachte.
„Tut man nicht. Hast du jetzt eins?"
„Nein", schüttelte ich den Kopf.
„Kannst du Iaras ausleihen?"
„Wozu?", fragte ich neugierig und legte beide Hände auf seine Brust. Der roségoldene Glitzerlack auf meinen Nägeln blitzte auf, als ich mich in den Stoff krallte.
„Weil ich dich ansonsten auf meinen Gepäckträger setzen muss. Ich will zum Tempodrom, das Gelände dort ist super für Einsteiger wie dich."
„Einsteiger", wiederholte ich sarkastisch. „Parkour ist bestimmt nichts, was meinen wöchentlichen Besuch im Fitnessstudio ersetzen wird."
„Ey, du Muffel", pöbelte er mich an, nahm meine Hand und führte mich zu seinem Fahrrad, das er an die Hauswand gelehnt hatte. „Sei mal offen für was Neues. Vielleicht macht's dir ja Spaß."
„Das bezweifle ich. Die Videos, die du mir geschickt hast, waren cool, aber ich bin eine Kartoffel."
„Du bist keine Kartoffel", widersprach er gereizt.
„Wenn ich von Geländer zu Geländer springen soll, bin ich garantiert eine Kartoffel, du wirst schon sehen." Ich streckte ihm die Zunge raus und kletterte auf den Rahmen des Rads, direkt vor dem Sattel. „Denkst du, du kannst so mit mir fahren?", wechselte ich das Thema.

Nachdem Dag mich stundenlang über die Treppenstufen gescheucht hatte, war ich mehr als nur erledigt.
„Das war fucking anstrengend", keuchte ich.
„Gleich lässt die Erschöpfung nach, dann fühlst du dich besser", versprach er. Ich hatte meinen Kopf statt auf die warmen Steinstufen in seinen Schoß gebettet, merkte aber, wie mein Nacken steif wurde von der Haltung, weshalb ich mich aufrichtete und die Ellbogen auf die Knie stützte.
Die Sonne ging unter und um uns herum war es menschenleer. Mit Ausnahme des Mannes, der mit seinem Hund Gassi ging, war weit und breit niemand aufgetaucht.

Nachdenklich betrachtete ich Dag. Das orangerote Licht ließ ihn strahlen. Seine Tattoos, alle eine Körperpartien, auf die die Sonne fiel, waren so verlockend. Er sah mich nahezu durchbohrend an, bis ich zu ihm aufschaute. Unsere Blicke trafen sich und meine Lippen öffneten sich ein Stück. Er schaute darauf, und kaum eine Sekunde später beugten wir uns synchron vor, küssten uns und ich realisierte, dass es der erste Kuss war, den wir in der Öffentlichkeit tauschten.

„Übrigens hast du verdammt gut mitgehalten", lobte er meinen Einsatz.
„Wie lange machst du das schon?", fragte ich.
„Über zehn Jahre und ich bin auch zertifizierter Trainer."
„Elhamdurellah", murmelte ich.
„Okay, andere Frage: Bist du eigentlich gläubig?"
„Weil ich Allah statt Gott sage?", grinste ich.
„Ist mir aufgefallen", zuckte er die Schultern.
„Na, da hast du aber gut aufgepasst, kleiner Dag."
„Sollen wir mal unseren Größenunterschied messen, Fräulein?" Ich lachte.
„Um deine Frage zu beantworten: Nein, ich glaube nicht an Gott, aber der Iran ist muslimisch geprägt und ich muss gestehen, dem ursprünglichen, alten Islam oder dem, was meine Eltern für sich aus dem Koran interpretieren, fühle ich mich sehr nah. Was Fanatiker daraus machen, hat aber nichts mehr mit Glauben zu tun."

„Was unterscheidet den alten vom modernen Islam?", wollte er wissen.
„Oh, unter anderem, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind. Der Islam ist nicht per se frauenfeindlich."
„Sind deine Eltern gläubig?"
„Ja, beide. Sie haben Laya und mich aber nicht religiös erzogen - Sie wollten, dass wir selbst entscheiden können, ob wir an etwas glauben und woran. Hierzulande herrscht Religionsfreiheit. Trotzdem fühle ich mich dem Islam bloß verbunden, wenn ich hier bin. Vielleicht gerade weil es in Deutschland keine Rolle spielt, an was du glaubst; zumindest in der Theorie. Komisch ... Bei näherer Betrachtung", stellte ich fest, „versuche ich in Berlin die ideale Iranerin in den Augen der aktuellen Regierung dort zu sein und in Shiraz bin ich Deutsche durch und durch."
„Wie meinst du das?"
„Das von der Regierung vorgegebene Ideal für Frauen im Iran gleicht Reinheit und Unterordnung. Ich tue gern so, als wäre ich die pure Unschuld, nur nicht in Shiraz. Da diskutiere ich mit meiner Oma unerbittlich über die Idee, die hinter Feminismus steckt und protestiere lautstark, während ich mir ein Kopftuch umbinde, sobald ich muss, weil ich abends rausgehe, um mich mit meinen Freunden zu treffen."

Er lächelte andeutungsweise.
„Wie ist es so im Iran?"
„2006 wurde ein sechzehnjähriges Mädchen exekutiert, weil sie vorehelichen Sex hatte. Ich denke, das sagt alles. Meine Eltern und meine Oma Soraya behaupten, vor der Revolution war es ein gutes Land, in dem man seine Kinder großziehen konnte. Aber ich habe keinen Bezug dazu und Laya erst recht nicht. Wir kennen es nicht anders. Von der goldenen Vergangenheit hören wir nur Geschichten, die genauso gut erfunden sein könnten, denn es ist schwer zu glauben, dass aus dem Iran von dem unsere Eltern uns erzählt haben, das wurde, was er heute ist: Ein Ort, an dem man die Menschenrechte mit Füßen tritt, die an derselben Stelle in Persien das erste Mal von Kyros niedergeschrieben wurden; wo Gerechtigkeit von der Regierung erstickt wird und Sänger, die das Regime kritisieren hingerichtet werden, weil sie angeblich ein politisches Verbrechen begehen. Nicht einmal die Kunst bietet den Menschen mehr Schutz, selbst das Tanzen ist illegal."

Dag sah mich einen Moment schweigend an.
„Ich weiß wirklich gar nichts darüber."
„Wie solltest du auch? Die Medien zeigen dir höchstens die Spitze des Eisbergs und berichten über die Atomwaffen, das war's", resignierte ich. „Tut mir leid, ich wollte nicht, dass das Gespräch so ernst wird."
„Keine Sorge, ich habe viel dazugelernt gerade", wischte er die Entschuldigung beiseite. „Wieso bist du nicht gläubig wie deine Familie?"
„Ich habe schon einen Glauben, ich glaube eben nur nicht an Gott. Dieses Prinzip trifft es für mich nicht. Auf dieser Welt gibt es tatsächlich Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben, aber sie sind so vielfältig, dass Allah allein nicht ausreicht, um sie zu beschreiben", erklärte ich. „Glaubst du an Gott?", gab ich die Frage zurück.
„Nein. Ich halte Glauben aber für etwas sehr Mächtiges und für etwas, das uns Frieden schenkt, wenn wir zu schwach sind, ihn in uns selbst zu finden."

„Dann ist Religion für dich etwas, das es zu überwinden gilt?", hakte ich irritiert nach. „Glaube ist nur etwas für die Schwachen?"
„Das habe ich nicht gesagt. Wichtig ist es nicht, seinen Glauben zu überwinden, sondern ihn unentwegt zu hinterfragen", korrigierte er. Ich sah ihn still an, dann bestätigte ich ihm: „Das sehe ich genauso." Dag nahm meine Hand.
„Lust, was Essen zu gehen?"

„Du bist echt der Meister der Überleitungen", lachte ich. „Hm, für was Vegetarisches wäre ich zu haben", überlegte ich. „Ein Vietnamese, bei dem Mika, Iara und ich mal essen waren ist zum Beispiel in der Nähe", schlug ich vor.
„Los, ich sterbe vor Hunger", jammerte er melodramatisch und half mir auf.
„Erst zeigst du mir den Salto. Ich glaube dir nie, dass du sowas kannst. Du bist aufgewärmt, sollte also kein Problem für dich sein, sofern du kein mieser Hochstapler bist." Dag grinste und führte mich zu einer rechteckigen Säule.
„Geh zur Seite." Ich tat wie mir geheißen und traute meinen Augen kaum, als er Anlauf nahm und tatsächlich knapp einen Meter die Wand hochlief, bevor er sich abdrückte, einen einwandfreien Rückwärtssalto hinlegte und stabil auf seinen Füßen wieder landete.
„Wow", machte ich sprachlos.
„Lass uns was essen gehen", überging er meinen Applaus, legte einen Arm um meine Schultern und wir stolperten zu seinem Fahrrad.

Ich war sowas von bereit für eine kalte Dusche, als ich in Dags Wohnung trat, feuerte meine Sneakers etwas unwirsch in eine Ecke und öffnete meine schweißfeuchten Haare.
„Wollen wir -" Doch weiter kam ich gar nicht, denn Dag presste seine Lippen entschieden auf meine und ich lächelte in den Kuss hinein, biss sanft in seine Unterlippe und versank in diesem Moment.

Den Stoff meines luftigen Sport-T-Shirts hatte ich ohnehin kaum gespürt, weshalb es mir auch völlig egal war, als der Fetzen auf dem Boden landete. Ich schlang meine Hände um seinen Hals und schmiegte mich eng an ihn. Dag fuhr von hinten in die Leggings, die ich trug und massierte meine Rückseite. Ich seufzte leise zwischen zwei Küssen. Meine Finger begannen all seine Muskeln zu erkunden, an den Schultern, den Armen, der Brust. Nur mit meinen frisch lackierten Nägeln fuhr ich über seinen Bauch auf direktem Weg hinab zum Bund seiner Jogginghose. Doch statt sie grob runterzuziehen, schob ich meine Hand darunter. Er stöhnte, als ich über die Beule strich. Grinsend packte ich zu, doch mir verging das Lachen schon bald. Dag umfasste mein Handgelenk und drückte meine Finger auf mein Allerheiligstes. Während er Küsse an meinem Hals und auf meinen Brüsten verteilte, begann ich wie von allein, mich selbst zu verwöhnen. Süßer Schwindel überfiel mich, aber ich konnte es zulassen, weil ich bei ihm sicher war. Ich bemerkte, wie Dag mich auf die Flurkommode hob, mir die Hose von den Beinen streifte und sanft über meine Joni leckte. Stöhnend lehnte ich mich an die Wand mit dem Spiegel und krallte mich in sein Haar.

Ich sah alles glasklar. Für einen Augenblick wusste ich, wer ich war, wohin ich gehörte - Zu wem. Alles war so leicht, dann stürzte eine Welle der Reizüberflutung über mir zusammen. Farben und Formen verschwammen, der Autolärm auf der Straße unter seinen Fenstern und jede meiner Bewegungen wurde taub, wurde dumpf. Eine Explosion unter Wasser. Als ich die Augen aufschlug, sah ich in seine und glaubte, jemand hätte ich mich ein zweites Mal untergetaucht. So blau.

Seine Lippen fanden wieder meine, er trug mich durch die Einraumwohnung, ließ mich auf sein Bett fallen. Ich machte mich an seiner Hose zu schaffen und küsste seine nackte Haut? am Bund entlang, ehe ich ihm selbst die Boxershorts von den Hüften zerrte und sein bestes Stück in den Mund nahm. Ich sah, wie er die Augen schloss, ein und wieder ausatmete. Er fuhr mit der Hand durch mein Haar, zerzauste es vollständig, doch es war mir egal; ausnahmsweise war es mir egal, wie ich aussah. Alles, was zählte, war Dag. Ich schmeckte die Lusttropfen und er gab mich frei. Seine Fingerspitzen fuhren über den Ansatz meiner Wirbelsäule, dann auf meine Schulter, wo er zupackte und mich fortschob. Ich wand mich unter ihm, blieb stumm, aber zitternd, liegen, als er in einer feinen Linie meinen Bauch hinabküsste, bis er zwei Finger in mich schob und ich ein Seufzen nicht unterdrücken konnte. Ich räkelte mich auf der dünnen Decke, während mein Atem immer schneller ging und immer heißer wurde. Fast hätte ich den Verstand verloren, da drehte er mich um. Ich reckte mich ihm willig entgegen und krallte mich ins Kissen, als er in mich eindrang ...

Mir hing mein gestriges Gespräch mit Mika nach. Draußen war es inzwischen dunkel und ich hatte die Lava-Lampe auf Dags Nachttisch angeknipst.
Im Bad ging die Dusche aus und ich blickte an mir herunter. Ich trug ein T-Shirt und eine Boxershorts von ihm. Beides duftete frisch und ich fühlte mich leicht. Nichts belastete mich – außer, dass mich nichts so richtig belastete. Eine der vielen Stimmen in meinem Kopf wies mich freundlich darauf hin, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.

Die Fernbedienung landete neben mir.
„Such einen Film aus, aber keine Schnulze diesmal", befahl Dag und hing sein benutztes Handtuch zu meinem über die Sofalehne.
„Tarantino?", fragte ich wortkarg.
„Kannst du das bitte noch einen Tacken gelangweilter vorschlagen?"
„Tut mir leid." Ich wollte die Decke über mich ziehen, doch Dag umfasste meine Hand.
„Nein. Wenn dir kalt ist, komm her", sagte er. Ich zögerte. Besorgt musterte er mich. „Alles in Ordnung?" Langsam kroch Panik in mir hoch und ich versuchte einzuatmen, aber es klappte nicht richtig. „Pari?" Ich riss mich im letzten Moment zusammen und drängte mich an ihn, vergrub das Gesicht an seiner Brust und nahm es dankbar an, dass er mich bei sich hielt. Dunkelheit umfing mich. „Alles okay?", wiederholte er.

Ich möchte einfach nicht kuscheln, Kuscheln ist kein Bestandteil einer Affäre.

„Ich möchte einfach keinen Film gucken", antwortete ich.

Illegale Hobbys

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