32. Kapitel: "Ich würd' so gern für immer bleiben."

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

„Dag!", rief ich. „Dag, jetzt warte doch mal!" Ich war unendlich dankbar, dass ich mich vorhin, als ich mich auf den Weg zum Studio gemacht hatte, gegen Absatzschuhe und für bequeme Sneakers entschieden hatte. Er blieb stehen, drehte sich zu mir um und sah mich gleichzeitig so auffordernd und kühl an, dass ich meinen zügigen Gang abbremste. Ich schluckte, als ich vor ihm zum Stehen kam. „Wieso haben du und Vincent gestritten?", fragte ich ihn. Dabei klang ich wie ein piepsendes Mäuschen. Ich rieb über meine Unterarme, als seine Miene eingefroren blieb.

„Was mischst du dich da ein?", sagte er schließlich. Seine Stimme triefte vor Verachtung und ich krümmte unwillkürlich den Rücken, machte mich noch kleiner.
„Na ja, mein Name ist gefallen."
„Er flirtet dich an." Dag beugte sich zu mir runter, als wäre ich eine etwas zurückgebliebene Zweitklässlerin, der er nochmal den Unterschied zwischen Multiplikation und Division erklären musste. „Mich nervt das, er weiß es und trotzdem macht er weiter. Das ist typisch Vincent, aber bilde dir nichts ein: Du bist nicht der Grund dafür, warum ich mich über ihn ärgere."

„Er ist dein bester Freund", argumentierte ich schwach. Dag lachte trocken.
„Sag mal, was machst du hier eigentlich? Bist du mir gefolgt, um Streitschlichterin zu spielen? Wenn ja, danke, aber nicht notwendig." Er zündete sich eine Zigarette an. „Soll ich dich nach Hause bringen?", fragte er, klang jedoch nicht sonderlich begeistert von seinem eigenen Vorschlag.

„Danke, ich schaff's schon", erwiderte ich verstört, schlang beide Arme um meinen Körper, wandte mich von ihm ab und marschierte in entgegengesetzter Richtung davon. Egal, wie eindeutig es für Dag bei dieser Auseinandersetzung mit Vincent nicht um mich ging, das gab ihm noch lange nicht das Recht, seinen Frust so an mir auszulassen. Ich ignorierte sein Hey aus der Ferne. Aber er ignorierte, dass ich ihn ignorierte. Seine Hand landete auf meiner Schulter, doch ich wich zur Seite aus. „Haben wir uns noch irgendwas zu sagen?", fragte ich ihn nüchtern. Meiner Enttäuschung über seinen Ausraster verlieh ich nur mit meinen Augen Ausdruck. Er las es in meinem Blick und sein Gesichtsausdruck wechselte innerhalb weniger Sekunden von angepisst zu schuldbewusst.

„Tut mir leid", entschuldigte er sich. Ich schüttelte den Kopf. „Pari, es tut mir leid." Wieder legte er mir seine Hand auf die Schulter. Ich warf die Arme hoch und fegte sie runter.
„Was soll ich mir davon kaufen, Dag? Vielleicht ein bisschen Selbstbewusstsein? Du hast mir gerade verklickert, dass ich mich nicht so wichtig nehmen soll. Schon okay! Ich hab's kapiert. Aber dann lass mich jetzt auch in Ruhe."
„Du drehst mir die Worte im Mund um", beschwerte er sich. Ich ballte die Fäuste.

„Verdammt, ich würde doch nie was mit Vincent anfangen!", platzte es aus mir heraus. „Das ist doch dein Problem, oder?", hakte ich nach. „Ihm vertraust du, du weißt, er würde nie leichtfertig eure Freundschaft aufs Spiel setzen – Aber mir vertraust du nicht. Warum, Dag? Weil ich erst gezögert habe, als du mich um Exklusivität gebeten hast?"
„Du hast nicht gezögert, du hast nein gesagt", korrigierte er kalt.
„Toll, deswegen traust du mir zu, dass ich hinter deinem Rücken an deinem besten Freund rumbaggere?", fragte ich und applaudierte ihm sarkastisch. „Super. Schöne Basis für die gesunde Affäre, auf die wir uns geeinigt hatten."

Dag seufzte schwer und vergrub das Gesicht einen Moment in seinen Händen.
„Manchmal frage ich mich, warum ich mir das mit dir überhaupt noch antue."
„Das weiß ich doch nicht", gab ich verletzt zurück. „Vielleicht ist es, weil wir geilen Sex haben; vielleicht reicht dir das."
„Sprich von dir", mahnte er mich finster.

Ich presste fest die Lippen aufeinander, kämpfte mühsam die Tränen nieder und bestätigte: „Weißt du was? Ja, mir reicht Sex. Ich stehe dazu, auch wenn es wehtut, wie die Gesellschaft mich dafür verurteilt. Das ist der Punkt, Dag. Wie das ausgeht ist völlig Banane, am Ende bin ich die Schlampe, weil ich die Frau bin. Du kannst weitermachen wie vorher, wenn das mit uns vorbei ist, aber ich bin gebrandmarkt, sobald ich mich wieder auf eine Beziehung einlasse. Ein Mann, der außerhalb von Beziehungen Sex hat, ist ein Mann mit Erfahrung; eine Frau, die sich nach einem anderen Prinzip als der klassischen Beziehung auf einen Mann einlässt, ist eine Hure."
„Scheiße, in welchem Jahrhundert lebst du?"

„Mein letzter Ex-Freund hat versucht, sich rauszureden, als ich endlich mit ihm Schluss machen wollte", redete ich unbeirrt weiter. „Weißt du, was er gesagt hat?", fragte ich Dag und konnte nun doch nicht verhindern, dass mir heiße Tränen über die geröteten Wangen rollten. „Er sagte Männer dürfen ihre Frauen betrügen, bloß Frauen ihre Männer nicht. So war's doch schon immer, hat er gesagt. Er war mit mir zusammen und mit einer anderen verlobt. Und als ich davon erfahren habe, war mein erster Gedanke nicht: Was für ein Wichser! Nein. Ich dachte: Im Iran darf ein Mann bis zu vier Frauen heiraten. Aber wir haben uns nicht in Shiraz getroffen, wir saßen in einem popeligen Café in Berlin-Kreuzberg. Das ist ein Jahr her und ich bin zwar über ihn hinweg ... Aber nicht über das, was er da zu mir gesagt hat."

Dag sah mich schweigend an, ging auf mich zu und ich ergriff nicht die Flucht, obwohl mein Atem sich beschleunigte. Bebend stand ich vor ihm. Mein Brustkorb hob und senkte sich schneller mit jedem Zentimeter, den er überbrückte. Bitte keine Panikattacke jetzt. Seine Lippen fanden meine und während wir auf der Straße standen und uns küssten, wurde ich ruhiger. „Betrogen zu werden ist beschissen", redete ich einfach weiter. „Sie hat die Verlobung dann aufgelöst, weil ich ihr von unserer Beziehung erzählt habe. Zwei Monate später hat er trotzdem geheiratet und gleichzeitig eine Affäre mit seiner Ex-Verlobten unterhalten, bis sie endgültig gecheckt hat, dass er den gleichen Müll nochmal mit ihr abzieht. Er ist damit durchgekommen. Seine Frau hat sich nicht von ihm getrennt, nicht mal nachdem sie herausgefunden hatte, dass er sie betrogen hat. Wenigstens tue ich niemandem weh, wenn du und ich was miteinander haben. Zumindest hoffe ich, dass ich niemandem damit wehtue. Vor allem dir nicht."

Dag sah mir ernst in die Augen.
„Keine Sorge, ich weiß, was du dazu denkst und ich denke mir selbst meinen Teil. Aber um nochmal auf diesen Typen zurückzukommen: Nimm dir nicht zu Herzen, was er gesagt hat. Das stimmt einfach nicht. Treue ist einer der wichtigsten Grundpfeiler in einer Beziehung zweier Menschen, wenn nicht der Wichtigste."
„Ich bin dir treu, okay?" Die Hände an seinen Kieferknochen gelegt, zog ich ihn zu mir heran. „Ich bin nicht deine Freundin, aber ich kann dir sehr wohl treu sein. Auch weil ich weiß, wie es ist, wenn man betrogen wird, und dabei in Wirklichkeit selbst die andere ist."

Ein glasiger Schleier legte sich über Dags Augen.
„Ich bin nicht Linus' Vater, aber ich wär's gern", brach es aus ihm hervor.
„Du und deine Themenwechsel", murmelte ich und umarmte ihn. Dag hielt mich nah bei sich, so nah, dass ich dachte, er würde mich jeden Moment zerquetschen.

„Alexa war meine erste Freundin", berichtete er. „Der Kontakt zu ihr ging verloren, aber plötzlich ist sie schräg unter mir eingezogen und wir haben uns wieder angefreundet, sind miteinander ausgegangen ... Nach dem dritten Date hat sie mit mir geschlafen und ab da war es nichts Halbes, nichts Ganzes. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass sie öfter Besuch bekam. Immer derselbe Kerl, groß, dunkle Haare, helle Augen. Als ich sie danach gefragt habe, wer er ist, hat sie mich angeschaut und gesagt: ,Mein Freund'. Als wäre es das normalste auf der Welt. An dem Abend hat sie mir das Herz gebrochen, obwohl ich noch nichts von Linus' Existenz wusste. Ich wollte danach nur noch weg, also war ich in der Schweiz bei meinem Vater, als es passierte. Ihr Ex-Freund hat sie in ihrer Wohnung fast totgeprügelt. Das muss man sich mal vorstellen. Eine Schwangere, die sein Kind in sich trug. Es ist ein Wunder, dass Linus dabei nicht umgekommen ist. Der alte Mann, der ihr gegenüber wohnte, hat damals die Polizei gerufen. Mitten in der Nacht sind sie angerückt und haben Alexas Ex mitgenommen. Sie haben ihn zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt .... Als ich nach Hause kam von meiner Kurzreise, wollte ich das Gespräch mit ihr suchen, sie war aber nicht da. Der Alte hat mich dann informiert. Ich habe ihn gebeten, sie zu mir raufzuschicken, falls er sie sehen würde. Endlose Tage vergingen, in denen Vincent permanent auf mich einreden musste, dass es nicht meine Schuld war. Dass ich ihr nicht helfen konnte. Und er hatte mich fast überzeugt, bis sie eine Woche später auf meiner Fußmatte stand und sturmgeklingelt hat. Sie hatte überall blaue Flecken; hat mich gefragt, ob sie reinkommen darf und mir den Schwangerschaftstest gezeigt. Sie hat mir gesagt, dass es von ihm ist und ich bin innerlich gestorben. Wir saßen still am Tisch und sie meinte letztendlich zu mir, dass sie es nicht über sich bringt, das Baby abzutreiben. Alexa war nicht bereit für ein Kind, aber sie hat sich dazu gezwungen, eine gute Mutter zu werden. Ich bin seitdem mitverantwortlich für ihren Sohn, weil keiner sie so richtig unterstützen konnte, als Linus geboren wurde. Oft wünschte ich, das alles wäre nie geschehen. Ich war ja auch nie freiwillig der andere; sie hat mir eben nie etwas gesagt", beendete er seinen Monolog.

„Das tut mir leid", flüsterte ich. Die Geschichte, die Vincent mir erzählt hatte, aus seinem Mund und bis ins letzte Detail zu hören, war noch schmerzhafter als erwartet. Dag schluckte, dann räusperte er sich.
„Kommst du mit zu mir?"
„Nur, wenn du mir unterwegs was zu essen spendierst", stellte ich meine einzige Bedingung. „Das sind schwer verdauliche Neuigkeiten."

Zwei Asia-Nudelboxen und eine halbe Flasche Wein später lag ich an Dag gekuschelt auf seiner Couch. Im Fernsehen lief eine Folge Family Guy. Das bunte Flackern auf dem Bildschirm wurde untermalt von der leisen Jazz-Musik, der ein Nachbar nebenan bei offener Balkontür lauschte.
„Musst du morgen arbeiten?" Dags Stimme klang rau. Wir waren beide müde, aber der Weg ins Bett war zwei Meter zu weit. Ich gähnte etwas, das man als Zustimmung werten konnte.
„Vielleicht solltest du schlafen, damit der Rausch morgen abgeklungen ist, wenn du gehst."
„Vielleicht solltest du deine Klappe halten", sagte ich und küsste ihn am Hals. Er roch so gut, genau dort. Nach Karamell, aber nicht zu süß.

Ich leckte zaghaft über seine Haut. Dags warme Hände legten sich links und rechts auf meine Hüften. Er hob mich auf seinen Schoß und ich knabberte verspielt an seinem Ohr, kraulte währenddessen die feinen Härchen in seinem Nacken. Seine Hände wanderten über meinen Körper. Ich streifte mir mein Oberteil über den Kopf und ich küsste ihn gierig. Sein Tanktop landete neben meinem Rock auf dem Boden. Mein BH folgte. Ich fühlte mich leicht, als könnte ich schweben. Mit zittrigen Fingern strich ich über seine Brust. Mir kam alles so surreal vor. Die Farben des Cartoons tanzten auf ihm, die Jazz-Musik wurde aufgedreht und der Wind blies durch das geöffnete Fenster. Auf meinem Rücken bildete sich eine Gänsehaut. Dag wickelte eine meiner gedrehten Locken um seinen Finger. Ich küsste die Knöchel seiner Hand, ließ es zu, dass er mit dem Daumen über meine Unterlippe strich und bei unserem nächsten Kuss sanft hineinbiss. Er zog mir den schwarzen String aus und schob quälend langsam zwei Finger in mich. Mit durchgestreckter Wirbelsäule glitt mein Blick zur Zimmerdecke. Ich sah vor meinem geistigen Auge wie auf einer Leinwand, was wir hätten sein können. Wir taten nichts großartig anderes als die Dinge, die wir sowieso schon machten. In einer der Szene, die ich projizierte, kochten wir, in einer anderen ließen wir uns auf seinem Balkon die Sonne auf den Bauch scheinen ...

Ich sog den Duft seiner Haare ein, küsste ihn bei seinem Adamsapfel angefangen abwärts. Alles war im Fluss. Sex auf Drogentrips ist merkwürdig, schoss es mir in einem Augenblick seltener Klarheit durch den Kopf. Dag drückte mich auf die Sitzfläche des Sofas und ich nahm die Textur des weichen Leders wahr. Eine Milliarde Sinneseindrücke schienen sich zu überlagern. Zittrig atmete ich ein, sah die Luft, die aus meinem Mund herausströmte förmlich. Anfang oder Ende, Anfang oder Ende, Anfang oder Ende, Anfang, Ende – Anfang.

Kurz für immer bleiben

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro