190.Wie ist das...wenn der Bruder Suizid begeht?

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Okay, dann stell dich doch mal vor:
-Hallo erstmal! Ich bin Nynke, 16 Jahre alt und bin hier als nikosfortuna unterwegs. Mittlerweile bin ich inaktiv und schreibe nicht mehr, aber ich lese noch Bücher hier.
Vor zwei Jahren hat mein Bruder Suizid begangen und ich möchte davon erzählen.

War dein Bruder schon älter?
-Mein Bruder wäre einen Tag später 19 geworden! Aber er hat noch zuhause gelebt und sogar eine Ausbildung gemacht.
Also er war viereinhalb Jahre älter als ich.

Ging es ihm psychisch schlecht?
-Also, er wurde früher gemobbt und hatte auch ziemliche Probleme damit, dass er irgendwann angefangen hat, die Schule zu schwänzen.
Dann hat er auch angefangen, immer mehr zu zocken und sich immer mehr zurückgezogen, er ist oft tagelang nicht aus dem Zimmer gekommen. Also, dass er Probleme hatte, hat man schon bemerkt.
Aber besonders im letzten halben Jahr wurde es eigentlich besser, deswegen haben wir das zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht erwartet.
Auch wenn da immer so ein "Gefühl" war, dass man nicht einordnen konnte. Er hat halt nicht viel über seine Probleme geredet.
Es war schwer, das dann wirklich zu merken, aber dass etwas nicht richtig war, war schon offensichtlich.

Hättest du mit dem Suizid gerechnet?
-Ganz ehrlich, nein. Jedenfalls habe ich mir nie so bewusst gedacht, dass er es tatsächlich machen würde. Aber so im Nachhinein ergibt es schon Sinn, wenn man das so sagen kann.
Da war immer schon irgendwie trotzdem eine unterbewusste Befürchtung da.
Im ersten Moment war es komplett überraschend, aber je mehr Zeit vergeht, desto mehr Hinweise sieht man, die man damals eben nicht erkannt hat.

Wann habt ihr seinen Versuch bemerkt?
-Leider war das erst drei Tage später, da er weit weggefahren ist und es dort gemacht hatte.
Deshalb ist die Polizei zu meinen Eltern nach Hause gekommen (ich war wegen einer OP im Krankenhaus) und hat es ihnen erzählt, danach habe ich es erfahren.

Wie habt ihr reagiert?
-Die erste Reaktion meiner Eltern habe ich nicht mitbekommen, aber als sie zu mir ins Krankenhaus gekommen sind und mein Vater es mir gesagt hat, dachte ich erstmal, dass es ein schlechter Witz von meinem Vater wäre.
Dann habe ich aber ihre Gesichter gesehen und wusste, dass sie es ernst meinten. Dataufhin hatte ich einen totalen Heulkrampf, während ich mich anziehen musste.
Auf der Autofahrt nach Hause habe ich auch die durchgeheult, aber als wir zu Hause waren, wurde alles irgendwie so anders.
Ich hatte gar keine Emotionen mehr und habe den restlichen Tag auf unserem Sofa gelegen und an die Decke gestarrt.
Jegliches Gefühl war einfach aus meinem Körper verschwunden und danach habe ich nur noch zweimal geheult:
Als wie ihn das letzte Mal gesehen haben und auf der Beerdigung. Meiner Mutter ging es ähnlich, aber mein Vater hat fast durchgehend zwei Wochen lang durchgeweint.
Er hat sich auch ein bisschen die Schuld gegeben, da mein Bruder ein paar Tage davor mit ihn reden wollte, er aber keine Zeit hatte.
Er denkt, dass mein Bruder sich ihm anvertrauen wollte und er den Tod verhindern hätte können.

Wie seid ihr mit dem Tod umgegangen?
-Am Anfang war es natürlich sehr schwer, aber wir hatten viel Unterstützung von unserer Familie und unseren Freunden.
Besonders bei mir waren meine besten Freunde immer für mich da, wenn ich sie brauchte.
In der Nachbarschaft hat sich das auch schnell rumgesprochen (leider lebt einer aus meiner Klasse in meiner Nähe und der hat es der restlichen Klasse erzählt, deswegen weiß es fast jeder).
Ich glaube, dass es meinen Vater, auch wegen den Schuldgefühlen, bis heute am meisten belastet, weil er noch immer nicht gut über den Vorfall reden kann.
Ich rede mehr mit meiner Mutter oder Freunden darüber. Meine Mutter ist in eine Trauergruppe füe Eltern von verstorbenen Kindern und das hat ihr sehr geholfen.
Zuerst wollte meine Mutter, dass ich zu einem Psychologen oder auch so einer Gruppe gehe, aber das wollte ich eben nicht.
Mein Bruder und ich hatten immer sehr viel gemeinsam und das hat mich auch voll fertig gemacht, weshalb ich im ersten Jahr danach auch Selbstmordgedanken hatte.
Ich wollte aber einfach für meine Eltern weitermachen und ich dachte auch, dass ich es ihm ein wenig schulde, indem ich den Kampf gewinne, den er verloren hat.
Ich habe keine Probleme, darüber zu reden nur war es lange sehr schwer für mich, einfach das Wort "tot" in dem Zusammenhang zu verwenden.
Ich habe es immer umschrieben. Außerdem habe ich schon früh wieder Witze über ihn gemacht, das ist so meine Art, mit solchen Sachen umzugehen.
Allgemein versuche ich eigentlich, nicht zu sehr an den Erinnerungen hängen, sondern nach vorne zu schauen.
Obwohl es mich am Anfang schon überwältigt hat, und das tut es manchmal noch immer, dass ich
jetzt um die 70 Jahre ohne ihn leben werde.
Es fühlt sich bei uns oft auch noch total leer an, es fehlt immer etwas. Aber insgesamt als Familie sind wir mehr zusammengewachsen, würde ich sagen.
Wir verstehen uns besser und versuchen, so wenig wie möglich zu streiten und die Zeit zusammen zu genießen, da wir jetzt wissen,
dass man nie weiß, wann es vorbei sein könnte.
Ich aber hasse es, zum Friedhof zu gehen, während meine Mutter das total gerne macht. Mein Vater ist nicht gerne im Zimmer meines Bruders, ich bin aber wirklich oft da.
Jeder geht da anders mit um, aber wir machen es trotzdem als Familie.

Hat sich etwas geändert?
-Ja, unsere Familie ist halt, wie gesagt, enger zusammengewachsen, wir haben jetzt auch wieder mehr Kontakt zu alten Familienfreunden, die meinen Bruder auch aufwachsen gesehen haben.
Aber es ist immer etwas seltsam, dann mit den Leuten darüber zu reden, wenn nur wir drei unter uns reden, ist das kein Problem.
Sonst ist die Stimmung immer seltsam, wenn jemand etwas über meinen Bruder sagt, wenn andere Verwandte oder Freunde da sind.
Es ist halt einfach komisch für die, über jemanden zu reden, der tot ist, da haben wir ja ein komplett anderes Verhältnis dazu.
Wie meine Eltern mit mir umgehen, hat sich auch geändert.
Sie sind halt bei Regeln und so viel lockerer geworden, weil sie, denke ich, Angst haben, dass so viele Verbote dann wie bei meinem Bruder enden, der echt kein gutes Verhältnis zu meinen Eltern hatte.
Irgendwie gehen sie jetzt auch viel vorsichtiger mit mir um, aber das machen auch andere Leute. Das nervt schon manchmal, aber ich kann es schon verstehen.
Man kriegt halt dadurch Angst, dass man jetzt die andere Person auch noch verliert. Ich selbst habe halt so ein bisschen meinen Ansprechspartner verloren.
Ich wurde auch gemobbt und habe ähnliche Sachen mitgemacht, weshalb wir uns sehr gut verstanden haben. Er war einfach immer für mich da und ich war auch total wichtig für ihn.
Er konnte nie gut Gefühle ausdrücken, nur mir hat er gesagt, dass er mich lieb hat, also ich war schon so die wichtigste Person für ihn, was das Ganze noch schwieriger macht.
Da ist jetzt einfach so ein Loch, das man nicht flicken kann und es wird für immer bleiben.

Hat sich für dich etwas im Umgang mit Menschen geändert?
-Ich denke, dass ich vorsichtiger geworden bin in dem, was ich zu Menschen sage und wie ich es ausdrücke.
Ich mache dieses spaßige Gemeinsein nur bei engen Freunden, bei denen ich weiß, dass sie das nicht ernstnehmen werden.
Ich hasse es auch, wenn man lästert oder so und sage Freunden, die damit anfangen auch immer, dass sie damit aufhören sollen.
Irgendwie gelangt es ja doch immer zu der Person, die dann echt total verletzt sein könnte.
Ich versuche auch, mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen, weil ich es einfach wertschätzen will,
dass ich so eine tolle Familie habe, die noch lebt.
So ein wenig habe ich auch einen Ich-muss-unbedingt-jedem-helfen-Komplex entwickelt, aber ich achte auch darauf, dass ich mich ebenso um mich selbst kümmere.
Das ist nämlich ein wichtiger Aspekt, den viele Menschen vergessen. Es ist okay, wenn du dich auch mal vorne anstellst, manchmal braucht man das einfach.
Ich war schon immer eine gute Beobachterin, aber mittlerweile kann ich es praktisch riechen, wenn es jemandem nicht gut geht und versuche dann, so gut es geht, demjenigen zu helfen.
Ich denke, dass mir diese ganze Erfahrung viel mehr Empathie gebracht hat.

Bist du über den Tod hinweg?
-Ich denke, dass ich nie ganz darüber hinweg sein werde, aber ich habe es schon so weit verarbeitet, dass ich normal weiterleben kann.
Mein Bruder word mir immer fehlen, aber ich denke, dass es auch nicht viel bringt, dem jetzt immer hinterherzuhängen.
Man ist quasi gezwungen, weiterzumachen, aber ich habe mittlerweile keine großen Probleme damit.
Dieses Loch, das geblieben ist, werde ich nie ganz flicken können, aber ich habe gelernt, damit zu leben.

Was würdest du anderen mit so einem Erlebnis raten?
-Ich würde sagen, dass sie sich so viel Zeit wie möglich nehmen sollen, um das zu verarbeiten und man sollte sich trauen, über seine Gefühle und Ängste zu sprechen.
Das Leben geht weiter und, auch wenn es sich im Moment noch nicht so anfühlt, der Schmerz wird irgendwann weniger.
Er wird nicht ganz weg sein, aber es wird besser. Lasst euch nicht unterkriegen und versucht lieber, euch an schöne Dinge zu erinnern, anstatt immer daran zu denken, dass die Person jetzt nicht mehr lebt.
Ihr werdet viel Kraft brauchen und wendet euch an jemanden, egal ob Familie, Freunde oder Psychologen. Bleibt stark und verliert nicht die Hoffnung!

Möchtest du sonst noch etwas sagen?
-Wenn irgendjemand von euch mit dem Gedanken spielt, sich das Leben zu nehmen, dann holt euch bitte Hilfe, egal wo.
Bei der Telefonseelsorge, bei einem Psychologen oder bei Freunden, denen man vertraut. Das Leben ist kein einziges Tief, es werden irgendwann gute Zeiten kommen.
Ihr dürft einfach nicht aufgeben. Dass euch niemand liebt, ist ein Trugschluss, mein Bruder war auch derselben Meinung.
Es waren über 50 Leute auf seiner Beerdigung, von denen einige seit Jahren nichts mehr mit ihm zu tun hatten. Ich weiß, dass das schwer zu glauben ist, aber es ist so.
Wie man bei mir gesehen hat, wird dieser Schmerz einfach nur auf den nächsten übertragen, er endet allerdings nicht.
Ich habe es aber geschafft und jetzt geht es mir blendend, also behaltet eure Kraft. Ihr wart bis jetzt so stark und ihr könnt das auch noch länger durchhalten.
Ihr seid so ziemlich die stärksten Menschen auf der Welt, dass ihr so etwas mitmacht und bitte gebt nicht auf mit Kämpfen.
Ich weiß, dass ihr das schaffen könnt, wenn ihr nur genug daran glaubt!

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