38. Kapitel: "Lass uns kurz für immer bleiben."

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Grashalme kitzeln mich am Arm, die Sonne scheint mir auf den Bauch und ein sanfter Wind streift über meinen Körper. Die Stille schmückt sich mit dem hellen Summen der Bienen und dem tieferen Brummen der Hummeln. Vogelgezwitscher dringt aus dem Geäst der Bäume heraus, schallt bis ins Tal. Das Seewasser plätschert, als die Enten am Ufer unter leisem, unzufriedenen Geschnatter ihr Gefieder putzen. Ich höre Pari neben mir lachen und öffne die Augen, um in Erfahrung zu bringen, was sie so amüsiert. Ein Zitronenfalter sitzt auf ihrem Knie, aber sie denkt offenbar noch nicht einmal daran, ihn zu verscheuchen. Das Funkeln in ihren Augen verrät mir, dass sie glücklich ist und ich spüre in genau diesem Augenblick, wie zufrieden ich bin; wie unfassbar wertvoll die Zeit mit ihr an diesem Ort ist, der vor Schönheit strotzt. Ein Rundblick genügt: Die Alpengipfel erstrecken sich vor uns am Horizont. Durch die dicht begrünten Kronen der Laubbäume fällt das Sonnenlicht, unten im Tal spiegelt die glitzernde Seeoberfläche das blaue Himmelszelt über unseren Köpfen, und edle weiße Wolkenpferde traben darüber.

Aus dem Zopf meiner Freundin haben sich einzelne Strähnen gelöst. Eine davon zeichnet die gerade Linie ihrer Wirbelsäule nach. Ich greife in Paris Nacken, wickle die Haarsträhne um meinen Zeigefinger und ziehe leicht daran. Sie gibt ein niedliches Quietschen von sich, zuckt mit dem Knie und der Schmetterling, der auf ihrem Bein gelandet ist, flattert davon.
„Nein, komm zurück", ruft sie ihm hinterher, doch er ist fort. Pari zieht einen süßen Schmollmund und legt sich im nächsten Augenblick halb auf mich, zupft an einer meiner Locken, dass es ziept, dann küsst sie mich, knabbert kurz an meiner Unterlippe, und ich muss grinsen. Sie lässt von mir ab, schenkt mir ein Lächeln, ehe sie das Kinn hebt und zur Seite schaut, wo sich kilometerweit nichts als die grüne Flur erstreckt. „Hier ist es unglaublich idyllisch", flüstert sie und lächelt mich schon wieder an. „Wenn mein Vater in eine Villa mit Acht-Hektar-Grundstück drumherum gezogen wäre, würde ich die Fahrt in die Schweiz jederzeit liebend gern auf mich nehmen."
„Du musst es mir nur sagen, wenn wir ihn und Corinna öfter besuchen sollen", sage ich.
„Weißt du, was ich richtig toll finde?", fragt sie. Ich schüttle den Kopf, ziehe das Haargummi aus ihrem Pferdeschwanz und schiebe es bis zum Handgelenk hoch, trage es selbst am Arm, während ich den Rosenduft ihrer Naturwellen einatme. „Ich finde es groß von deinem Paps, dass er nicht allein mit Corinna in diesem riesigen Haus lebt."
„Papa war schon immer Kunstliebhaber. Er hat gern Leute um sich, mit denen er Musik machen, oder über Kultur fabulieren kann", erwidere ich.
„Klingt ein bisschen nach dir", meint sie und drückt mir einen Kuss auf, bevor sie sich von mir runterrollt. Im nächsten Moment landen meine Klamotten auf mir.
„Willst du schon zurück?", frage ich sie ungläubig.
„Ja", antwortet Pari und wirft mir einen auffordernden Blick über die Schulter zu. „Ich möchte die Zitronen-Tarte fertighaben, bis dein Vater und Corinna aus der Stadt zurück sind. Außerdem ist die Küche in einer WG nie lange frei." Ich seufze lautlos und ziehe mich an. Pari hat sich innerhalb weniger Sekunden ihr farbenfrohes Mini-Dress übergeworfen und befestigt ihre kleinen goldenen Kreolen an den Ohren. „Wie sehen meine Haare aus?", will sie wissen und ich muss unwillkürlich schmunzeln. Natürlich sieht man ihr unser Schäferstündchen an, das tut ihrer Schönheit aber keinen Abbruch.
„Danke, gleichfalls", murmelt sie und holt sich ihr Haargummi zurück, das ich ihr geklaut habe. Sie frisiert sich fix und springt auf, dreht dabei die schlichten, goldenen Ringe an ihren Fingern. Bei dem Anblick stellt sich ein Kribbeln in mir ein. Ich falte die Decke zusammen.
„Vergiss deine Schuhe nicht", scherze ich und lache über ihren erschrockenen Gesichtsausdruck. Sie realisiert aber bald, dass sie gar keine Schuhe dabeihatte und verdreht die Augen. Ich klemme mir die Decke unter den Arm, greife nach ihrer Hand, doch Pari entzieht sich mir. Mit vor der Brust verschränkten Armen stapft sie den Hang hoch. Auf halber Strecke stoppe ich sie und ziehe sie entschieden zu mir ran. Pari streckt mir die Zunge raus, windet sich aus meinem Griff, weil ich aber nicht aufgebe, hole ich sie zurück. Diesmal ergibt sie sich: Sie geht auf die Zehenspitzen und küsst mich, nur kurz und federleicht.
„Was war das denn?", lache ich.
„Ich habe keine Zeit für eine wilde Knutscherei mit dir, ich muss mich um die Tarte kümmern."
„Wie viel Eindruck willst du schinden?", quengle ich und umarme sie noch ein wenig fester.
„Ja", entgegnet sie trocken und stemmt ihre Hände entschieden gegen meine Brust.
„Solange die Tarte im Ofen ist, können wir rummachen so viel du möchtest."
„Das bezweifle ich", wende ich ein. Pari zuckt die Schultern.
„Üb dich in Selbstbeherrschung, oder werde genügsamer."
„Du hast ein Herz aus Eis", murre ich beleidigt.
„Ich brauche eine Pause", sagt sie in ernstem Tonfall, schenkt mir dann aber ein Lächeln. „Zumindest bis die Tarte im Ofen ist."

Als wir heute Morgen hier in der Schweiz angekommen sind, war es halb sechs. Normalerweise hätte ich Pari nie gedrängt, so früh mit mir zu fahren, aber ich habe eine Schwäche für die Sonnenaufgänge entwickelt, die man vom Haus meines Vaters aus beobachten kann. Wir haben uns also gestern schon um acht hingelegt. Pari ist zum Glück wie geplant eingeschlafen. Nach einem XXL-Kaffee mit doppeltem Espresso-Shot am Bahnhof, war sie ausreichend wach, um sich hinters Steuer zu klemmen und wir konnten die Fahrt durch die Berge mit dem kleinen Mietwagen antreten. Corinna und mein Vater stehen beide jeden Tag um fünf Uhr auf. Sie kümmert sich um den Garten, Papa treibt Sport. Danach frühstücken sie gemeinsam. Ich erinnere mich noch gut daran, wie spießig ich das unmittelbar nach der Trennung meiner Eltern alles fand, und ich könnte mich auch immer noch nicht an diese dröge Alltagsroutine gewöhnen – oder daran, jeden Tag um fünf aufzustehen ... Trotzdem verstehe ich inzwischen etwas besser, was den Reiz für die beiden daran ausmacht.
Wir wurden mit einer frisch aufgebrühten Kanne Kaffee in Empfang genommen. In das freundliche Gesicht meines Vaters und meiner Stiefmutter zu schauen, war wohltuend. Obwohl ich zu Beginn unserer erzwungenen Familienbeziehung Probleme mit Corinna hatte, muss ich gestehen, dass sie und mein Vater eine Art von Frieden ausstrahlen, die Mama und Papa so nie zusammen an den Tag gelegt haben. Nach der Begrüßung sind die beiden losgefahren, mein Vater zur Uni und Corinna zu ihrem exklusiven Schmuckladen in der Innenstadt. Ich habe Pari das Anwesen von innen gezeigt, möglichst leise, um die WG-Bewohner nicht zu stören. Der lohnende Abschluss unserer langen Reisezeit war der Sonnenaufgang. Vom Balkon des Gästezimmers hat man freie Sicht auf das Tal, den See und die Berge dahinter.

Pari stupst mich leicht an.
„Wovon träumst du?"
„Von heute Morgen."
„Das war wirklich schön", lächelt sie. „Aber die Mütze voll Schlaf danach habe ich genauso dringend gebraucht wie du. Wie ist es für dich, deinen Vater zu sehen?", stellt sie mir eine tiefergehende Frage und streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
„Wir haben uns ja kaum gesehen vorhin, fünf Minuten vielleicht."
„Wie ist es allgemein für dich, meine ich? Wie fühlst du dich?"
„Komisch. Das letzte Mal, dass ich hier war, liegt ewig zurück und um ehrlich zu sein habe ich da eher die Natur genossen, als dass ich viel Zeit mit meinem Papa verbracht hätte."
„Sein Leben wirkt ziemlich cool. Er wohnt immerhin mit seiner Freundin und einem Haufen freischaffender Künstler in einem abgeschiedenen luxuriösen Chateau in den Bergen." Sie hat einen Punkt.

Die Küche beansprucht außer uns gerade niemand für sich, deshalb ist Pari innerhalb kürzester Zeit in ihrem Element und ich in meinem. Mein Vater hat mir seine Gitarre rausgestellt. Praktischerweise sind wir beide Linkshänder, ich muss deswegen nie mein Equipment mitschleppen, wenn ich mal zu ihm fahre. Ich spiele Pari einige der neuen Sachen vor, an denen Vincent und ich die Woche im Studio gearbeitet haben und hole mir ihr Feedback ab ...
„Komm her", bittet sie mich. „Ich glaube, meine Geschmacksnerven sind gerade überlastet, du musst für mich probieren."
Ich platziere mich hinter ihr und lege meine Hände vorn auf ihrer Hüfte ab. Sie reicht mir einen Löffel mit der Zitronenmischung. Die Füllung für die Tarte schmeckt spritzig frisch.
„Nicht zu sauer, nicht zu süß", befinde ich. Sie seufzt.
„Nun gut, ich vertraue deinem Urteil." Sie kippt die klebrige Masse auf den Teig und schubst mich mit dem Hintern weg von sich. Schwungvoll klappt sie die Ofentür auf und schiebt den flachen Kuchen in die Röhre. Ich lehne mich gegen die Anrichte auf der gegenüberliegenden Seite der Kochinsel, vor der sie steht.
„Vierzig Minuten?", frage ich sie und Pari lacht, trocknet ihre Hände an einem Küchenhandtuch ab und macht ein paar Schritte auf mich zu. Kaum ist sie in meiner Reichweite, ziehe ich sie zu mir ran.
„Den Leuten gegenüber ist das unfair. Du weißt schon ... Denen in den Zimmern nebenan", blockt sie ab.
„Sei einfach leise", schlage ich vor. „Abwechslung schadet nie."
„Aha, jetzt, wo du mit mir zusammen bist, willst du langweiligen Sex, ich verstehe", ärgert sie mich.
„Lass uns im See baden", schlage ich also stattdessen vor.
„Ich habe keinen Bikini mitgenommen", wendet Pari ein. Ich kratze mich demonstrativ am Kinn.
„Hm, ich auch nicht." Pari schiebt die Unterlippe ein Stück vor.
„Schade, ich hätte dich gern im Bikini gesehen."
Ich küsse sie, lächle in den Kuss hinein und höre dabei, wie mein Herz vor sich hin hüpft. Das tut es immer in ihrer Nähe.

Der Badeausflug ist bloß kurz, doch als wir wiederkommen, duftet die Tarte bereits lecker und es haben sich mehrere Menschen in der Küche eingefunden. Unter anderem Papa und Corinna.
„Na, habt ihr euch ausgeruht und konntet den Vormittag genießen?", fragt er mich und sieht auch zu Pari, die ihn im Vorbeigehen anlächelt, aber schnell zum Ofen huscht. Sie holt die Tarte raus, und stellt sie auf ein Gitter zum Auskühlen.
„Hast du die etwa gebacken?", deutet Corinna auf den Kuchen und Pari nickt eifrig.
„Die Zutaten haben wir in Berlin besorgt, ich wollte unbedingt ein kleines Dankeschön auftischen. Wir freuen uns, dass wir hier sein dürfen", spricht sie für uns beide. Mein Vater lacht.
„Wenn du vorhast, uns dann jedes Mal so königlich zu verköstigen, kommt gern öfter zu uns."
„Werden wir", schalte ich mich ein, lege einen Arm um die Taille meiner Freundin und küsse sie auf die Schläfe.
„Die Gegend ist wunderschön", betont Pari und Corinna, die sich an ihrer Teetasse festhält, lächelt.
„Ja, das stimmt."

„Du bist glücklich mit ihr, ist hübsch mit anzusehen", urteilt mein Vater, als wir uns am späten Nachmittag gemeinsam auf die Veranda verzogen haben, um zu rauchen. Ich stippe die Asche in den dafür vorgesehenen Behälter.
„Ich muss sie nur angucken und stelle mir vor, wie wir vor dem Altar stehen", überspitze ich meine Verliebtheit augenzwinkernd.
„Du magst sie deutlich lieber als deine letzte Freundin." Ich betrachte das Zippo, dass ich Pari nach dem Debakel rund um Mikas Shirt zugesteckt habe. Sie hat es nicht weggeschmissen, sondern aufgehoben.
„Soll ich dir was Lustiges sagen? Ich war die ganzen letzten Jahre nicht über Alexa hinweg, bis ich Pari kennengelernt habe."
„Alexa?", hakt er verblüfft nach. „Die Alexa?"
„Ist 'ne lange Geschichte", erwidere ich.
„Erzähl sie mir", fordert er mich unerwartet auf und ich lege skeptisch die Stirn in Falten. „Los, das interessiert mich", drängt er mich. Und ich erzähle ihm alles, von vorne bis hinten. Als ich bei Paris misslungenem Friendzone-Versuch angelangt bin, schiebt Corinna die Glastür auf und Pari kommt mit zwei Decken raus.
„Ist dir nicht kalt?", fragt sie und haucht mir einen Kuss auf die Wange, bevor sie mir eine Decke in den Schoß wirft. „Ihr sitzt schon eine Ewigkeit draußen, ist alles in Ordnung?" Statt einer Antwort, ziehe ich an meinem Muskel-Shirt, von dem sie behauptet hat, sie hätte es nach unserer ersten gemeinsamen Nacht verlegt. Hatte sie nie. Sie trägt ein weißes Bustier darunter und bequeme Yoga-Leggings. Pari sinkt auf meinen Schoß. Ich glaube, wenn wir ein halbes Jahr früher zusammengekommen wären, würde sie jetzt so fein zurechtgemacht wie ein Porzellanpüppchen auf meinem Schoß sitzen. Aber in bequemen Klamotten ist sie genauso wunderschön und ich bin froh, dass sie das selbst inzwischen auch so sieht.
„Entschuldigt", meldet mein Vater sich zu Wort. „Wir haben uns lange nicht mehr vernünftig unterhalten, es gilt viel nachzuholen." Er nimmt die Decke entgegen, die Pari ihm reicht.
„Wir wollen einen Spaziergang machen", informiert Corinna uns. „Würdet ihr das Abendessen vorbereiten?", wendet sie sich an Papa.
„Kein Problem", beteuert der und sieht zu mir. „Wir waren bei dem Korb, den Pari dir gegeben hat." Pari friert ein, Corinna zieht eine Augenbraue hoch.
„Äh", macht meine Freundin und schaut vorsichtig in Richtung ihrer Stiefschwiegermutter in spe. „Es gibt ein Happy End."
„Komm mal mit", grinst Corinna. „Du hast bestimmt eine spannende Geschichte auf Lager." Pari atmet schnaubend aus und gibt mir noch einen Kuss, bevor sie Corinna folgt. Auf dem Weg zum Garderobenständer, hören wir sie quatschen. Erst als ihre Stimmen verklungen sind, fahre ich fort. Papa lauscht meinen Ausführungen aufmerksam.

„Puh", stößt er am Ende einen Laut aus, der seine Erleichterung ausdrückt. „Gerade was du über Alexa gesagt hast, hat mich stark an deine Mutter und mich erinnert."
„Inwiefern?", will ich wissen und schneide die Tomaten in Scheiben. Wir widmen uns seit ein paar Minuten dem Essen. Mein Vater wirft mir einen neugierigen Blick zu.
„Dachtest du, ich wollte mich von ihr trennen damals? Ich habe mir meine Gefühle für Corinna lange Zeit nicht eingestanden, weil ich deine Mutter früher so sehr geliebt habe. Vor allem habe ich mich deinetwegen gewehrt, und die Zähne zusammengebissen. Wenn auch nur die geringste Chance bestanden hätte, dass zwischen mir und Nora wieder die Liebe floriert, die uns zuvor mal verbunden hat – Ich hätte mich wahrscheinlich nie von ihr gelöst, hätte mich nie auf Corinna eingelassen; und wir beide stünden nicht, wo wir in diesem Augenblick stehen. Manchmal nimmt das Leben eine unerwartete Wendung. Ich kam anfangs nur schlecht damit zurecht, deiner Mutter ging es genauso."
„Ich kam auch schlecht damit zurecht", nuschle ich.
„Das hat man dir gar nicht angemerkt", kommentiert mein Vater ironisch. „Danke, dass du mir das alles erzählt hast."
„Ich probier zurzeit was Neues", sage ich. „Mehr Offenheit; mehr Leuten vertrauen als nur Vincent, Mama und Pari."
„Du machst das super", versichert er mir und klopft mir auf die Schulter. Es fühlt sich an wie die erste echte Interaktion zwischen Vater und Sohn seit über einer Dekade.

Kurz für immer bleiben

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