25. Kapitel- In dem zwei dubiose Retter auftauchen

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„Tell me that you are not a thief
Oh but I am
Bad company
It's the way I play
Dirty for dirty
Oh somebody double-crossed me"
(„Bad Company", Bad Company)

Ungeduldig tigere ich vor dem Eingang des Bunkers auf und ab.

„Wo bleibt Crowley? Er müsste längst hier sein", bete ich, wie ein Mantra, immer wieder leise herunter. Sam seufzt nur noch genervt, wohl wissend, dass ich keine ernsthafte Antwort auf mein Selbstgespräch erwarte.
„Wenn Crowley dieses Artefakt nicht pünktlich vorbeibringt, trete ich ihm persönlich so lange in der Arsch bis er Magaritas kotzt. Was denkt sich dieser aufgeblasene, egozentrische Mistkerl dabei? Der sitzt doch garantiert bei einer Tüte Popcorn auf seinem Thron und freut sich einen Kullerkeks-"
„Dean, es ist erst sieben Uhr und siebenundfünfzig Minuten", unterbricht mich Sammy nun doch mit sichtlich genervtem Blick. Er schüttelt den Kopf und kann ein Augenrollen nicht zurückhalten. „Wehe, du fängst damit in den nächsten drei Minuten wieder an", fügt er hinzu und vergräbt die Hände in den Taschen seiner braunen Jacke.
Einige Sekunden, die sich wie Jahre dehnen, vergehen. Ich stehe einfach nur schweigend da, doch in meinem inneren tobt ein Sturm aus Verzweiflung, Wut und Angst. Stetig balle ich meine Hände zu Fäusten und öffne sie wieder. Ich muss irgendetwas schlagen, meine Gefühle irgendwie katalysieren, sonst werde ich wahnsinnig.

„Entspann dich, Crowley wird pünktlich sein." Sam zwingt sich ein aufmunterndes Lächeln ab, was alles nur noch schlimmer macht.
„Ich soll mich entspannen?", setze ich entrüstet an, woraufhin er einige Schritte zurücktritt und die Augen gen Himmel richtet, à la: ‚Gott, hilf mir.'
Ungerührt dessen, fahre ich fort: „Ich soll mich zurücklehnen und es locker angehen lassen, während Cas gerade als lebender Sandsack missbraucht wird? Sorry, aber wie stellst du dir das bitte vor? Hast du eine Ahnung, was er gerade in dieser Sekunde durchmacht? All das Blut, die Schnitte", ich muss in meiner wutentbrannten Rede innehalten und spüre, dass sich mein Frühstück meldet, „Es ist einfach nur unbeschreiblich grauenvoll. Also, entschuldige bitte, dass ich dezent sauer bin, dass Crowley seinen königlichen Arsch nicht schneller hierher-"

Ein lautes Räuspern hinter mir unterbricht meine leidenschaftliche Predigt.

Sofort wenden Sam und ich die Aufmerksamkeit auf die dritte Person, die soeben eingetroffen ist.
„Hab dich auch lieb, Backenhörnchen", grüßt mich ein sichtlich selbstzufriedener Crowley mit einem kleinen Winken.
„Wo ist das Artefakt?", knurre ich, ohne auf sein Spielchen einzugehen.
„Wollt ihr mich nicht wenigstens erst zu einem morgendlichen Tee einladen?", erkundigt er sich mit improvisiert gekränkter Stimme und räkelt sich, als wäre er gerade erst aufgestanden.
Ehe ich ihn am Kragen packen und durchschütteln kann, ist er mir ausgewichen und neben Sammy aufgetaucht. „Elchie, pfeif doch mal bitte deinen tollwütigen Köter zurück."
Sam mustert mich mit einem eindringlichen Blick, den ich mit zusammengekniffenen Augen erwidere. „Wir werden hier kein Teekränzchen abhalten. Wir brauchen das Artefakt so schnell, wie möglich", stellt er klar und nickt mir leicht zu.

„Blah Artefakt hier, blah Artefakt da. Meinetwegen, aber erstmal: Der Vertrag."
Er holt eine zusammengerollte Schriftrolle aus der Innentasche seines Mantels hervor. Ehe er sie uns präsentieren kann, unterbricht ihn Sammy; „Schön und gut, aber woher sollen wir wissen, dass du das Artefakt auch wirklich hast? Vielleicht ist es ja eine Falle."
Der Dämon rollt genervt mit den Augen. „Wirklich? Nicht ein Fünkchen Vertrauen, nach all den Jahren?"
„Niemals", entgegne ich mit fester Stimme.
„Schön." Er klemmt sich die Schriftrolle unter den Arm und klatscht zweimal in die Hände. Bevor ich die rätselhafte Geste hinterfragen kann, erscheint ein Päckchen aus dem schieren Nichts in seinen Händen. „Angeber", murmle ich mit abwertendem Unterton, gleichzeitig interessiert das Päckchen fixierend.

Auf den ersten Blick erscheint es unscheinbar, fast schon zu ordinär; Ein länglicher, in braunes Papier geschlagener, Quader. Er ist ungefähr so lang wie ein Arm, nicht einmal halb so breit und auch nicht sonderlich tief. Schwer scheint er auch nicht zu sein, zumindest lässt Crowley sich nichts anmerken.
„Nett, aber das beweist immer noch nicht, dass es das Artefakt ist", kommentiere ich.
„Tja, so ist das mit einem erstklassigen Deal. Es bleibt eben immer ein kleiner Überraschungseffekt." Der Dämon verengt seine Augen und imitiert meinen misstrauischen Gesichtsausdruck.

Sammy und ich tauschen einen besorgten Blick. „Wenn du es wagst uns zu hintergehen-"
„Toter, als tot. Schon kapiert."
Er stellt das Paket vor seinen Füßen ab und breitet mit ausladender Geste die Schriftrolle aus.
Sie ist so lang, dass sie einen Meter weit reicht und direkt an unseren Füßen endet. Die Worte sind zudem äußerst klein geschrieben, in ordentlichen, roten Buchstaben. Vermutlich Blut eines armen Idioten, der zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen ist.

„Keine Angst, Jungs. Keine versteckten Nebenkosten."

Ich lache trocken auf. „Ja klar, alles ganz simpel und übersichtlich gehalten."
Er wirft uns einen Kugelschreiber rüber, den Sam mit Leichtigkeit auffängt. Ein Kugelschreiber mit einem kleinen grinsenden Teufelchen am Schaft.
„Okay, uns läuft die Zeit davon. Wir haben keine Zeit die Paragraphen alle durchzugehen", murmle ich an Sammy gewandt, sodass Crowley es hoffentlich nicht hört.
„Ich weiß. Und ich hab ein ziemlich beschissenes Gefühl bei der Sache", raunt mein Bruder mir zu. Dennoch bückt er sich und setzte seine Unterschrift.
Auch ich tue es ihm kurz darauf gleich. Es fühlt sich merkwürdig an, in jeder erdenklichen Hinsicht falsch.
Noch ehe ich das geschwungene ‚er' zu Ende schreiben kann, fährt Crowley dazwischen;
„Oh, eine Bitte hätte ich doch noch."

Abrupt halte ich inne und mein Kopf schnellt ruckartig hoch. Wusste ich's doch.
„Sollte euch der Weg in himmlische Gefilde führen; schaut doch bitte bei Bobby vorbei und gebt ihm ein Küsschen von mir."

Ich hebe zweifelnd die Augenbrauen und Sammy neben mir schnaubt geräuschvoll. „Ernsthaft? Du weißt, dass er dich sofort umbringen würde, wenn er die Chance dazu hätte."
Ein dramatischer Seufzer seitens Crowley. „Was soll ich sagen? Wir sind wie Romeo und Julia."
„Wohl eher Cal und Rose", erwidere ich und ernte dafür sowohl einen irritierten Blick von Sam, als auch vom König der Hölle.
„Ja, vielleicht habe ich mit Cas Titanic gesehen. Und vielleicht hat er geweint und vielleicht war es absolut niedlich, okay?", verteidige ich mich, so gut es geht.
„Wirklich ein Klassiker", bestätigt mir auch der Dämon.

Anschließend sieht er mich abwartend an und gibt sich erst zufrieden, nachdem ich einwillige;
„Wir sagen, dass du grüßen lässt."
„Er ist immer gerne auf eine Flasche echten Whisky eingeladen." Das Wort ‚echt' betont Crowley dabei besonders, um hervorzuheben, wie sehr er Bobbys Hang zu billigem Fusel stets verachtet hat.

Ich will gar nicht erst über ein Verhältnis zwischen den beiden nachdenken. Bobby war immer so etwas, wie unser Vater und die Vorstellung, dass er und der König der Hölle- nein, vollkommen ausgeschlossen. Crowley genießt es doch bloß, uns in unangenehme Situationen zu rudern. Leider hat er dabei auch viel zu oft Erfolg.

Ich beende nun endlich die Unterschrift, sodass der Dämon die Schriftrolle wieder zusammenrollen lässt. „Und denkt daran; nachdem ihr Federchen gerettet habt, werdet ihr diese verfluchte Hexe finden. Ich erwarte, dass ihr die Hure an meiner Türschwelle abliefert und zwar zügig."
„Spar dir die Anweisungen. Du bist nicht unser Boss", erwidere ich und werfe ihm einen wütenden Blick zu.
„Jetzt schon", er grinst hämisch und das ungute Gefühl bezüglich des Vertrages bestätigt sich, „Wie dem auch sei; genug der Flirtereien. Wichtige, königliche Geschäfte warten auf mich." Crowley steckt sichtlich zufrieden die Schriftrolle in seinen Mantel, ehe er zum Abschied abermals winkt. „Wir sehen uns, Jungs."

Mit diesen Worten lässt er uns mit dem Päckchen vor dem Bunker zurück.

Sofort gehe ich in die Hocke und mache ich mich daran, das braune Papier loszuwerden. Es kommt eine schwarz glänzende Schatulle zum Vorschein. Der Deckel ist zusätzlich mit goldenen Ranken verziert, die eine mysteriöse Sigille formen. Diese sieht aus wie ein leicht verschnörkeltes ‚V' mit einer aufgehenden Sonne darüber. Die Inschrift unter der Sigille besteht aus ähnlich mysteriösen Schriftzeichen, wie Castiels Botschaft.
„Hoffentlich setzen wir damit keinen Fluch frei", wirft Sam ein.
Seine Stimme klingt, aufgrund der Stille um uns herum, unnatürlich laut. Wie zur Antwort lässt eine Windböe die Blätter an den Bäumen rascheln. 
Der vergoldete Verschluss ist bereits geöffnet, was ein ungutes Gefühl in mir erweckt. „Wenn Crowley uns hintergeht", murmle ich vor mich hin, während ich angespannt den Deckel aufklappe.

Reflexartig stolpere ich einige Schritte zurück, bis ich mit dem Rücken gegen Sammys Beine knalle. Meine Hand halte ich schützend vor meinem Gesicht und kneife die Augen zusammen. Das gleißend goldene Licht scheint dennoch förmlich meine Haut zu durchdringen. Selbst unter geschlossenen Augenlidern umgibt mich schmerzendes Weiß.

Für unbestimmte Zeit verharren mein Bruder und ich unbeweglich vor der Schatulle, bevor das Licht so abrupt nachlässt, wie es erschienen ist. Trotzdem warte ich einige Herzschläge ab, ehe ich es wage die Hand herunterzunehmen und meine Augen aufzuschlagen.
„Oh", entfährt es Sam, der noch vor mir einen Blick auf das Artefakt wirft.
Auch ich begreife schnell, was es mit dieser Anmerkung auf sich hat.

„‚Oh' trifft es gut."

Vor meinen Augen offenbart sich das mysteriöse Artefakt für das wir uns zu Crowleys Handlangern gemacht haben. Eine goldene Trompete mit äußerst langem und dünnem Mundrohr.
„Ein Horn", merkt Sam an, als hätte er meinen fehlerhaften Gedanken erraten.
„Das sehe ich", entgegne ich trocken und knete nachdenklich mein Kinn. „Also auf mich wirkt die Angelegenheit ziemlich simpel; Einer bläst uns den Engel herbei."

Sam mustert mich mit zweifelhaftem Blick und beugt sich anschließend vorsichtig zu mir herunter. Sein Ausdruck zeugt von Ehrfurcht, als er das Objekt begutachtet und vorsichtig seine Hand ausstreckt, ohne es dabei zu berühren.
„Man spürt förmlich die geballte Kraft in dem Artefakt", spricht er aus, was auch mir nicht entgangen ist.

„Schere, Stein, Papier?", frage ich, während wir beide noch fasziniert das Horn anstarren.
„Nicht nötig. Ich mach's", antwortet Sammy prompt und nimmt auch schon das Horn aus der Schatulle heraus.
„Bist du dir sicher?", hake ich nach. Normalerweise würde ich nicht zulassen, dass er sich wegen mir in unnötige Gefahr begibt. Allerdings sieht er das Instrument dermaßen verlangend an, dass es wirkt, als sei er bereits davon hypnotisiert und nicht mehr von seinem Vorhaben abzubringen.

Behutsam setzt er das Mundstück an, woraufhin ich mich erhebe und vorsichtshalber einige Schritte Abstand nehme. Außerdem lege ich die Hände an meine Ohren.
Sicher ist sicher.
Wenn Engel Augen ausbrennen können, werden sie wohl auch vor Ohren keinen Halt machen.

Zu meiner Überraschung passiert rein gar nichts. Nicht einmal der leiseste Ton ist zu hören.
Nervös zähle ich die vergehenden Herzschläge;
Einer,
Zwei,
Drei.

Bis zum zehnten Schlag verharre ich in der angespannten Pose, ehe ich meine Hände vorsichtig herunternehme.

„Hat es funktioniert?", frage ich in die Stille hinein. Mein Bruder sieht mich ratlos an, das Horn gegen seine Brust gedrückt.
„Vielleicht?", entgegnet er verunsichert nach einigen Minuten weiterer Stille.
„Hast du auch wirklich fest geblasen?" Ich kann mir trotz- oder vielleicht auch aufgrund- meiner Anspannung ein Grinsen nicht verkneifen.
Sammy dagegen rollt nur mit den Augen.

Meine amüsierte Stimmung ist nur von äußerst kurzer Dauer, schon gewinnt der Ärger die Oberhand.
„Dieser verfluchte Dämon", blaffe ich und muss an mich halten, nicht gegen die Schatulle zu treten. „Vielleicht haben wir irgendetwas falsch gemacht", überlegt Sammy und blickt zwischen der Schatulle und dem Horn hin und her. „Wirklich? Ich meine, was soll man denn sonst mit dem Horn machen?" Panik steigt wie saure Galle in mir auf. Uns läuft die Zeit davon. Jede einzelne Sekunde ist kostbar und doch sind wir verschwenderisch. Verdammt, ich muss Cas doch helfen. Ich muss ihn da rausholen.

„Vielleicht gibt es eine spezielle Technik. Oder es muss eine bestimmte Tonlänge sein, bis irgendetwas zu hören ist, irgendein Rhythmus", grübelt mein Bruder vor sich hin, noch immer das Instrument fixierend.
„Na toll." Ich nehme die Schatulle und drehe sie in meinen Händen; suche nach einem Geheimfach, einem doppelten Boden. Irgendetwas, das uns weiterhilft.
Meine Finger zittern, während sie die kalte, glatte Oberfläche entlang tasten. Schwitzige Abdrücke verbleiben für einige Sekunden auf dem Schwarz, ehe sie wieder verblassen.
So gründlich ich auch vorgehe: Nichts zu finden.
Mit einem Seufzer lasse ich den Deckel zuklappen, woraufhin ich überrascht die Augen aufreiße.

„Ähm, ich glaube, es hat doch funktioniert." Bei diesen Worten lasse ich die Schatulle los, als sei sie plötzlich kochend heiß geworden. Mit einem lauten Scheppern schlägt sie auf einzelne Kiesel.
Kommentarlos zeige ich auf den Deckel.
„Was zum-" Sammy bleibt die Frage im Hals stecken, als auch er das rote Glühen der Sigille bemerkt.

„Er ist hier."

Meine eigene Stimme klingt merkwürdig fremd und nach außen hin erstaunlich emotionslos.
Im meinem Inneren dagegen liefern sich nun Nervosität und Angst einen erbitterten Kampf.
Wir haben einen Engel heraufbeschworen.
Ein unbeschreiblich mächtiges Wesen, über das wir so gut wie gar nichts wissen. Außer, dass es uns mit Leichtigkeit töten kann.

„G.G.G: Gut geblasen, Großer."

。。。
Castiels POV
。。。

Verzweifelt strampelnd versuche ich mich bei Bewusstsein zu halten, wie ein Ertrinkender, der von der Strömung übermannt wird.

Mein Blick huscht unruhig hin und her, versucht sich an irgendetwas zu klammern, aber alles um mich herum verschwimmt zu einer undefinierbaren, weißen Masse.
Gelegentlich ziehe ich an den Fesseln, doch meine kläglichen Befreiungsversuche bewirken lediglich, dass das Metall noch stärker an meinen Handgelenken schnürt.
Das vertraute Klicken erregt meine Aufmerksamkeit. Irgendwo geht eine Tür auf.
Er ist wieder hier.

Er.

Ich habe aufgegeben in meinem Gedächtnis nach seinem Namen zu suchen. Inzwischen bin ich mir nicht einmal mehr sicher, ob ich ihn je gekannt habe.

Poch. Poch.

Schritte auf beschichtetem Boden dröhnen in meinem Schädel. Das Echo hallt unangenehm nach, verschwimmt und verzerrt sich. Bis die Schritte von überall zu kommen scheinen.

Poch. Poch.

Sieben Schläge. Sieben Schläge und es wird Schmerz folgen.
Das ist alles, was ich noch aus der Erinnerung abrufen kann.

Poch. Poch.

Das Geräusch schwillt an; wird lauter und lauter, bis ich glaube, dass mein Trommelfell jede Sekunde platzen muss. Meine Beine zittern gefährlich, drohen jeden Moment nachzugeben. Angestrengt presse ich die Kiefer zusammen, versuche mich, um jeden Preis nicht fallen zu lassen.
Aus Erfahrung kann ich sagen; die Schmerzen an meinen Handgelenken wären unerträglich.

Poch.

Ich kann mich nicht dazu bringen meinen Blick zu heben.
Die Augen, die zurückstarren sind schlimmer, als die darauffolgende Klinge in meinem Herzen. Angespannt fixiere ich die Brust vor mir; das grün-schwarz karierte Hemd, die Kette mit dem kleinen, goldenen Anhänger. Irgendwo habe ich diesen Anhänger schonmal gesehen. Er wirkt vertraut, löst etwas Unbeschreibliches in mir aus. Ich blinzle mehrere male, doch die goldene Form wirkt weiterhin verzerrt. Nein, rede ich mir innerlich zu, es ist einfach nur die Kette meines Peinigers.
Die Kette, die er jedesmal um den Hals trägt, wenn er sein Werk vollbringt.

„Tu es", presse ich hervor, da er ungewöhnlich lange zögert.
Keine Bewegung.
„Jetzt mach schon." Blut fließt bei den Worten meine Mundwinkel herunter. 

Statt mir die Klinge in meine Brust zu rammen, ertönt erneut das Klicken.

Poch. Poch.

Eine weitere Person betritt den Raum.
„Du könntest die Situation ändern, weißt du?"

Diese Stimme. Ich kenne sie.

Ich versuche den Mann, der hinter meinem Peiniger steht, zu erkennen, doch meine Sicht ist größtenteils durch meinen Folterer blockiert und ohnehin schwammig.
„Es muss nicht ewig so weitergehen, Bruderherz."
Bruderherz? Redet er wirklich mit mir?

Vielleicht blinzle ich für einen Moment zu lang. Nur einen winzigen Moment, indem meine Augenlieder sich schließen und mich die beruhigende Schwärze umgibt.
Ein kaum zählbarer Augenblick.
Und doch; als ich die Augen aufschlage, ist mein Peiniger verschwunden. Als habe er sich binnen einer halben Millisekunde in Luft aufgelöst.

Nun erblicke ich die andere Person: Ein silberhaariger, junger Mann in weißem Mantel.

Poch. Poch.

Er kommt näher.
Seine Haltung wirkt anders, als die meines Peinigers; selbstbewusst ja, aber nicht aggressiv. Er wird mir nicht wehtun. Das ist alles, was ich weiß.
Er wird mir nicht wehtun.
Poch.

Nur eine kleine Gewissheit, doch sie bedeutet mir in diesem Moment alles.

Poch.

Er ist nicht hier, um mich zu töten. Er wird mir nichts antun.

Poch.

Nun steht er direkt vor mir. Irritiert versuche ich mich zunächst auf seine Augen zu konzentrieren. Endlich wird meine Sicht klarer; blau-grau mit einem markanten weißen Ring um die Pupillen. Seine Augen erwecken das Bild eines stürmischen Regentages im Winter, wenn das kalte Wasser zu Eis erstarrt, sobald es den frostigen Boden berührt.
Da liegt so vieles in dem Blick, mit dem er mich ansieht.
So vieles, was ich nicht deuten kann. Nicht mehr deuten kann, aber wohl einst konnte.

„Fast schon bemitleidenswert."

Bei seinen Worten wandern meine Augen tiefer, zu seinen geschwungenen, blassen Lippen, die sich sanft auf und ab bewegen. Mein Verstand wird zunehmend diffuser, jegliche Gedanken entwischen mir, rinnen wie Eiswasser durch meine Finger. Irgendetwas passiert in meinem Inneren: Etwas verschiebt sich und verzerrt sich solange, bis aus den Irrungen und Wirrungen ein völlig neues Bild entsteht.
Ein Bild, das so unerwartet klar, so voller Sinn ist. Als sei ich endlich aus dem dunklen Wasser aufgetaucht, hinauf an die helle Oberfläche. Frische Luft strömt in meine Lungen und ich nehme einen ersten, bewussten Atemzug nach undefinierbar langer Zeit.

Endlich habe ich wieder Kontrolle über meinen Kopf. Endlich wieder Kontrolle über mich selbst.

„Du", hauche ich vorsichtig und zwinge mir ein schwaches Lächeln ab.
„Sieh dich nur an. Wir haben wirklich ganze Arbeit geleistet. Schon bald wird der große Castiel einer von uns sein." Eine eisige Hand streicht meine Wange entlang. Die Kälte ist beruhigend, betäubt meine aufgerissenen Wunden.
Ich höre ein Klicken über mir, gefolgt von einem Weiteren.
Die Handschellen sind geöffnet.

„Genieße es", raunt er mit seinen Lippen an meinem Ohr. „Eine kleine Belohnung, weil du so ein braves Engelchen warst."
„Danke", erwidere ich mit schwacher Stimme, ehe meine Beine nachgeben und ich vor ihm niedersinke.
Zögerlich wage ich es, zu ihm aufzublicken. Er wirkt mit der Situation äußerst zufrieden. „Hier. Ein kleiner Bonus, nur für dich." Er bückt sich zu mir herunter und nimmt meine Hand. Es brennt, als er mein aufgeriebenes Handgelenk berührt, doch schnell betäubt auch hier seine grenzenlose Kälte, meine Schmerzen.

Er legt eine silberne Klinge in meine Hand und führt meine Finger so, dass ich sie umschließe und festhalte. „So ist es gut." Noch immer liegen meine Augen auf seinen Lippen. Ein verführerisches Säuseln klingt in seiner Stimme. Der wahre Zauber liegt jedoch in den galanten Bewegungen seines Mundes. In diesem Augenblick ist mein sehnlichster Wunsch, dass er meine Hand nie wieder loslässt. Dass seine Kälte bis in die letzte Faser meines Körpers dringt und alle Wunden vergessen lässt. Ich frage mich unwillkürlich, ob seine Lippen wohl auch so angenehm kalt sind. Ob sie schmecken, wie der erste Schnee an einem friedlichen Wintertag.

„Wie heißt du?" Im Gegensatz zu seiner angenehmen Melodie, klingt meine Stimme furchtbar dissonant.
Er lacht auf. Selbst das ist reine Harmonie, wie eine einzigartige Komposition.
„Du wurdest tatsächlich auf Null zurückgesetzt. Unglaublich." Er lässt meine Finger los, woraufhin ich reflexartig die Klinge hebe und an seinen Hals setze.
Ich weiß nicht einmal warum ich es tue, aber es fühlt sich richtig an.

„Ich will nicht, dass du gehst", raune ich, während ich mit dem Druck an seiner Haut experimentiere.
Übermütig erhöhe ich ihn, bis mir ein schwacher, blauer Schimmer entgegenleuchtet, gefolgt von einer dünnen Blutspur, die seinen Hals herunterrinnt.

„Willst du mich töten?" Er klingt nicht ängstlich, sondern scheint das Spiel sogar äußerst zu genießen. Ich schüttle den Kopf und spüre dabei beinahe so etwas, wie Schuld in mir aufsteigen.
Die Antwort scheint ihn zufrieden zu stellen. „Dann sei ein guter Junge und lass die Klinge sinken."
„Ich will nicht, dass du gehst", wiederhole ich und blicke ihn herausfordernd an. Keine Reaktion seinerseits, nur die weißen Ringe in seinen Augen blitzen mir entgegen.

Nach einigen Sekunden der Stille gebe ich nach und nehme das Metall von seiner Haut.
„Wenn du weiterhin schön brav bist, komme ich schnell wieder zurück", verspricht er mit honigsüßer Stimme und erhebt sich.
„Nein", schreie ich trotzig und springe, von mir selbst überrascht, auf. Meine Beine sind von der plötzlichen Bewegung überfordert, aber mit all meiner verbliebenen Kraft gelingt es mir, mich aufrecht zu halten.
„Bleib hier", flehe ich, unsicher die silberne Klinge wedelnd.
Sein Blick verhärtet sich; die Lippen pressen sich zusammen und eine Falte zeichnet sich auf seiner Stirn ab.
„Böser Junge", rügt er und wendet sich von mir ab.

Warmes Blut läuft wie Tränen mein Gesicht hinab, wäscht die kalte Betäubung fort und erhitzt meine Wangen, bis sie brennen. Hilflos sehe ich ihm nach, wie er davonschreitet.
Mit einem Klicken fällt die Tür zu und ich bleibe allein in dem Raum zurück.

Verloren drehe ich mich um die eigene Achse. Die weißen Wände kerkern mich ein.
Ich will hier weg, einfach nur weg. Mein Gefühl sagt mir, dass ich davonfliegen kann.
Weit, weit fort. Binnen einer einzigen Sekunde, kann ich meine Flügel ausbreiten und fliehen.
Angestrengt versuche ich es, wieder und wieder.
Ohne Erfolg.
Die Wände halten mich unbarmherzig fest, lassen meine Flügel nicht gewähren. Etwas bindet mich an diesen Ort.

Ich schaue an mir herab, blicke auf die blutenden Schnitte an meinem Oberkörper. Unsicher lege ich meine Hand über die Stelle, wo sich mein Herz befindet. Es entstehen zunächst brennende Schmerzen, doch nach einigen Augenblicken wandeln diese sich in eine angenehme Energiewelle, die meinen Körper durchdringt. Die Heilung kostet mich viel Kraft, aber nach und nach verschließen sich die Schnitte.

Bis nur noch die seelischen Narben zurückbleiben.
Aber diese lassen sich auch mit meinen Kräften nicht heilen, das ist mir deutlich bewusst.

Nachdem sich auch die letzte Wunde verschlossen hat, höre ich das Klicken.
Die Tür öffnet sich. Ist es der Mann mit den silbernen Haaren?
Ist er zurückgekommen, weil ich brav war?
Meine aufkeimende Hoffnung erstirbt, als ich statt meinem Retter, das Monster mit dem kurzen braunen Haar erblicke. Unabsichtlich schaue ich in die blitzend grünen Augen. All die Wut. All der Hass.
Es raubt mir für einen Moment den Atem.

Mein Peiniger, er ist zurück.

Der Griff um das kühle Metall in meiner Hand wird stärker. Er mag zurück sein, aber jetzt bin ich nicht länger angekettet. Ich bin nicht länger machtlos. Jetzt kann ich mich verteidigen.
Meine Augen suchen nach einer Klinge in seinen Händen, während er langsam näher kommt.
Er wirkt unbewaffnet.
Nur eine Falle, sagt mir mein Verstand, der geschärfter denn je ist.

Nur eine Falle. Darauf werde ich nicht mehr anspringen.
Ich werde mich ihm nie wieder schutzlos ausliefern.

Wütend stürme ich voran. Wider Erwarten bleibt er nicht stehen. Keine Regung in seinem Gesicht, die verrät, dass er überrascht ist. Er läuft mir einfach nur stur entgegen.

Nur noch ein einzelner Schritt trennt uns.

Plötzlich bemerke ich es doch; die überraschte Gemütsbewegung, die Angst in seinen Augen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann ist es vorbei. Mit einem wohligen Gefühl in der Brust, lasse ich die Klinge durch sein Herz fahren. So, wie er es all die Male getan hat.

Es fühlt sich gut an. Richtig.

Mit einem Lächeln auf den Lippen beobachte ich, wie er vor mir zusammensackt. Auf einmal wirkt er so schwach, so klein. Einfach nur erbärmlich.

„Cas."

Irritiert halte ich inne. Er hat gesprochen. Seine Lippen haben sich bewegt, zweifelsohne.
Er hat nie zuvor gesprochen.
Nie zuvor. Und doch; ich kenne diese Stimme.

Verunsichert weiche ich zurück, mein Herz pocht unkontrolliert in meiner Brust.
Nein, das ist vollkommen unmöglich. Er ist doch mein Peiniger, ein Monster. Er hat mir nur Schmerzen zugefügt. Immer und immer wieder.
Ich habe doch nur Rache genommen.
Für einen Moment schließe ich die Augen und atme tief durch, kläre meine verworrenen Gedanken.

Es ist rechtens. Er hat es verdient.

Ich öffne meine Augen und sauge den Anblick auf; wie er auf dem Boden liegt, seine blutende Brust haltend. Seine Augen sind geschlossen und ohne es prüfen zu müssen, weiß ich, dass er nicht mehr atmet.
Ich starre ihn einige Zeit lang einfach nur an. Die Verunsicherung ist inzwischen verflogen. Allerdings auch ein kleiner Teil meiner Genugtuung.

Leise höre ich die süßliche Stimme des silberhaarigen Mannes in mein Ohr wispern:

„Er ist tot, weil er es nicht anders verdient hat. Gut gemacht, mein Engelchen."

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