26. Kapitel- In dem sich die Schlinge der Schuld enger zieht

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„Hush little baby, don't say a word
And never mind that noise you heard
It's just the beasts under your bed
In your closet, in your head"
(„Enter Sandman", Metallica)

。。。
Deans POV
。。。

„Lange nicht gesehen, Großer."

Erschrocken fahren Sammy und ich gleichzeitig herum.

Uns gegenüber steht ein kleiner Mann mit äußerst breitem Grinsen im Gesicht. Er trägt ein fast schon zu unauffälliges Outfit: eine schwarze Jacke, schwarzes Shirt und gewöhnliche Jeans.
„Gabe?"
Verwirrt blicke ich zwischen meinem Bruder und dem vermeintlichen Engel hin und her. „Ihr kennt euch?"

Anstatt mich aufzuklären, schiebt sich der Fremde seelenruhig einen Lutscher in den Mund. Mit seinen Fingern knüllt er das Papier betont langsam zusammen.
„Was machst du hier?", fragt Sam und geht dabei einen Schritt auf den Mann zu. Ich versuche einzuschätzen, was mein Bruder gerade fühlen könnte. Er wirkt nicht ängstlich oder wütend, im Gegenteil: ein schwaches Lächeln liegt auf seinen Lippen und verrät freudige Überraschung. Das irritiert mich nur noch stärker.

„Du hast mich doch gerufen, Babe. Das nächste Mal reicht auch einfach eine SMS." Er zwinkert Sam verheißungsvoll zu, woraufhin ich eine angeekelte Grimasse ziehe.
„Und wer ist der da?", wendet sich der Dunkelblonde nun an mich. Sein herablassender Blick, veranlasst mich dazu, meine Hände zu Fäusten zu ballen.
„Das ist Dean, mein großer Bruder", entgegnet Sam seelenruhig, ehe ich überhaupt Worte finden kann. „Dean, das ist Gabe", erklärt er mir anschließend.

„Okay, okay, jetzt mal langsam. Woher kennst du bitte einen Engel?" Meine Stimme ist um einiges lauter, als beabsichtigt. Dieser Kerl wirkt mit seinen mittellangen, zurückgegeelten Haaren und den Koteletten auf mich ziemlich schmierig und äußerst unsympathisch. Da hilft auch sein breites Dauergrinsen nicht. Trotzdem scheint mein Bruder vom genauen Gegenteil überzeugt und schaut ihn, wie aus treuherzigen Welpenaugen an. Mittlerweile verstehe ich überhaupt nichts mehr, aber das scheint weder den Engel, noch meinen eigenen Bruder zu kümmern.

„Ich wusste nicht, dass er-", beginnt Sammy, doch dieser merkwürdige Gabe schneidet ihm das Wort ab; „Sammy und ich haben uns in einer Bar kennengelernt. Ziemlich witzige Geschichte. Er war ziemlich deprimiert und angetrunken und ich habe mich in der Nacht zufällig von meinem Job als Pizzabote abgeseilt. Als ich ihn so zufällig da sitzen gesehen habe, hatte ich irgendwie Mitleid und habe ihm Gesellschaft geleistet."

Perplex schaue ich in die bernsteinfarbenen Augen des Mannes und versuche zu ergründen, wieviel von dieser Geschichte gelogen ist, während bereits eine schnippische Antwort auf meiner Zunge liegt.
„Okay, erstmal: niemand nennt meinen Bruder ‚Sammy' außer mir, kapiert? Und zweitens-", nun fixiere ich Sammy, der den Kopf gesenkt hält und sich nervös durch die Haare fährt, „Wieso warst ausgerechnet du deprimiert in einer Bar? Das ist doch sonst immer meine Masche."

Gabe räuspert sich, doch das blende ich völlig aus.
„Dean, wir haben jetzt wirklich Wichtigeres zutun", versucht mein Bruder ungeschickt das Thema zu wechseln.
„Okay, du willst es mir nicht sagen? Schön. Dann eben zu dir", erneut wende ich mich an Gabe, der unterdessen mit der Folie des Lutschers spielt.
„Du willst ein Engel sein? Ich meine, wo sind die Flügel? Der Heiligenschein?"
„Als nächstes fragst du mich noch nach meiner Harfe", murmelt der Dunkelblonde abwertend. Es folgt ein genervter Seufzer, ehe er sich erklärt; „Unsere wahre Gestalt ist für euch Yahoos zu überwältigend. Deshalb suchen wir uns menschliche Hüllen, die uns ihr Einverständnis geben. Und was Flügel und Heiligenschein angeht..."

Er holt tief Luft und schließt die Augen. Ein schriller, hoher Ton erklingt in meinem Ohr und ein flüchtiger Blick zeigt mir, dass auch Sammy die Augen zusammenkneift und versucht seine Gehörgänge mit den Händen zu blockieren.
Meine Augen fixieren wieder Gabe und überrascht klappt mir die Kinnlade herunter.

Hinter ihm breiten sich zwei riesige, dunkle Schatten aus. Die Silhouetten seiner Flügel, welche die Umrisse einzelner Federn zeigen. Perfekt nebeneinander gereiht zeugen die wenigen, erkennbaren Details von majestätischer Vollkommenheit. Ein helles Leuchten über seinem Kopf deutet den Heiligenschein an, welcher so eine unglaubliche Kraft ausstrahlt, dass ich nicht fähig bin, ihn genauer zu betrachten und meinen Blick tiefer wandern lasse. Denn auch seine Augen haben sich verändert; die Bernsteine sind zwei gleißend blauen Pupillen gewichen, wortwörtliche Tore zum Himmel.

Der Moment ist viel zu schnell vorbei. Schon steht die gerade noch entfaltete Kreatur wieder als ein dahergelaufener Mann unseren Alters vor uns. Für einige Sekunden herrscht Sprachlosigkeit, was der Engel sichtlich genießt.
Aus dem Augenwinkel erhasche ich Sammys faszinierten Blick.
So habe ich ihn das letzte Mal gesehen, als ich ihn zu einem Weihnachtsmarkt mitgenommen habe. Damals war er gerade mal sechs Jahre alt und Dad hat den Tag einen Jägerkollegen außerhalb der Stadt besucht.
So schnell, wie sie gekommen ist, schwindet die flüchtige Erinnerung.

„Autogramme kosten aber extra", kommentiert Gabe, während mein Bruder schon droht einen Kniefall zu machen.
„Wir haben dich nicht aus Spaß hergerufen", schneide ich mit gespieltem Selbstbewusstsein das eigentliche Thema an.
„Ich- wir- also, es ist uns eine große Ehre, Sir", stottert mein Bruder neben mir her, woraufhin ich ihm einen wütenden Blick zu werfe. Er darf sich von diesem Kerl bloß nicht einschüchtern lassen. Das hier ist eine einmalige Chance und sie zu vermasseln, würde mich auf ewig unglücklich machen.

Gabe rollt genervt mit den Augen; „Beruhig dich, Großer. Nenn mich Gabe, kauf mir Süßkram und alles wird gut." Erneut mustert er meinen Bruder, als wäre dieser ein saftiges Stück Kuchen. Schützend stelle ich mich vor ihn, gleichzeitig versuchend damit endlich die ungeteilte Aufmerksamkeit des Engels zu erlangen.

„Wenn du ein Engel bist, dann kannst du sicherlich auch das hier lesen", mit diesen Worten hole ich den Notizzettel hervor und reiche ihn dem Blonden.
Dieser betrachtet das Geschriebene stirnrunzelnd. „Und ich dachte immer, ich hätte eine Sauklaue", murmelt er vor sich hin, während seine Augen Zeile für Zeile überfliegen. Eine halbe Ewigkeit schweigt er und fixiert einfach nur das Papier. Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe herum, bis ich die Spannung irgendwann nicht mehr aushalte;
„Und?", fragen Sammy und ich gleichzeitig.

„A merifri brint telocvovim
Solamian salbrox tia as torzvl enai malprg nidali teloch od chila
Aboapri, Isaac."

Sam erwidert meinen ratlosen Blick, dem ich ihm zuwerfe, bevor ich mich an Gabe wende. „Und jetzt nochmal auf Englisch", bitte ich mit vor Aufregung trockenem Hals. Er genießt es wirklich uns baumeln zu lassen. „Klingt ja echt poetisch, wahrscheinlich eine ganz offizielle Botschaft an alle Engel", redet er daher, eher zu sich selbst, als zu uns. Fasziniert murmelt er die Worte vor sich hin, solange, bis ich mit den Händen wedle; „Hey, bitte auch mal auf Englisch."
Ein breites Grinsen zeichnet sein Gesicht. „Es würde euch nicht schaden, mal die eine oder andere Sprache zu lernen."
„Wir haben jetzt wirklich keine Zeit für einen Grundkurs Henochisch", kontere ich, „bitte", ergänzt Sammy und setzt seinen flehenden Blick auf.
„Na schön", seufzt Gabe, ehe er die Stimme hebt.

„Der Engel ist gefallen.
Lang lebe unser Anführer, der Gott erwecke durch die Klänge von Krieg, Blut und Tod.
Lasse dir dienen, Isaac."

Für einige Sekunden ist es totenstill.
„Das klingt nicht gerade-", setzt Sam an, doch scheint kein passendes Adjektiv zu finden.
„Friedlich? Darf ich vorstellen; meine Familie." Gabe bemüht sich wieder um ein Lächeln, doch der Versuch wirkt einfach nur traurig.
„Wer ist dieser Isaac?", werfe ich ein und versuche mir einen Reim auf die Worte zu machen.

Der gefallene Engel, von dem die Rede ist. Könnte damit wirklich Cas gemeint sein?

Ich muss unwillkürlich an Crowleys Worte denken, dass Cas ein ehemaliger Engel sei.
Er ist gefallen, gefallen auf die Erde.
Mein Herz versucht zu protestieren, versucht meinem Verstand einzureden, dass es eine Lüge sein muss. Dass Cas unmöglich irgendetwas anderes, als ein Mensch sein kann.
Vielleicht liegt eine Verwechslung vor.

Vielleicht.

Ich seufze schwer. Nein, ich muss die Fakten akzeptieren; Cas ist ein gefallener Engel. Ein Engel, der sich nun in den Händen eines gefährlichen, mächtigen Psychopathen befindet. Ein Psychopath, der anscheinend vor Krieg, Blut und Tod nicht zurückschrecken wird.

„Isaac. Hm, warte da klingelt was." Gabe hält inne und überlegt für einige Sekunden. „Ein ehemaliger Anhänger Raphaels, wenn ich mich nicht irre. Wollte unbedingt helfen, die Apokalypse in Gang setzen, sodass alles hier zu Asche zerfällt."
„Also ein Arschloch?", unterbreche ich und meine Phantasie zeichnet ein riesiges geflügeltes Wesen mit Hörnern und spitzen Zähnen, die mich mit Leichtigkeit zermalmen könnten. Wobei sich mein Gehirn noch nicht ganz entscheiden kann, ob das nun Isaac oder dieser Raphael sein soll.
„Hey, ich verstehe Raph. Einerseits natürlich jemand mit Stock im Hintern, aber andererseits wollen viele von uns doch nur noch, dass es vorbei ist."
„Du auch?", hakt Sam nach und klingt dabei äußerst bestürzt. Das der Kerl hier auch nicht gerade der Definition eines Engels entspricht, sollte ihn doch wirklich nicht überraschen.

„Sagen wir, ich kann es verstehen. Diese ständigen Streitigkeiten seit Millionen von Jahren. Dieses ewige hin und her, wer die Macht hat, wer die Führung übernimmt. Und doch weiß keiner, wozu wir überhaupt noch existieren. Um die Menschen zu beschützen? Sie anzuleiten? Ich bitte euch. Die Menschen gehen uns am Allerwertesten vorbei. Warum also nicht ein letzter großer Knall und diese misslungene Party hier beenden? Wen würde es kümmern?"

Sammy schluckt geräuschvoll und auch in mir kocht die Wut hoch.
„Wie kannst du so etwas sagen, Gott-" Die Stimme meines Bruders klingt zittrig, fast schon weinerlich.
„Gott? Gott? Sehr witzig. Den kümmert es am allerwenigsten. Der ist abgehauen. Einfach verschwunden. Ohne ein einziges Wort an seine Kinder. Ohne eine einzige Botschaft, wie es weitergehen soll. Was auch immer wir tun, es ist ihm egal. Verstehst du? Es kümmert ihn einen Scheiß", Gabriels Stimme wird lauter und lauter, bis er den letzten Satz herausschreit. Ich zucke zusammen, doch Sammy hält seinem lodernden Blick kühn stand.

„Selbst wenn. Das gibt den Engeln nicht das Recht die Menschheit ins Verderben zu reißen."

Das Lachen des Engels hinterlässt einen säuerlich-bitteren Nachgeschmack.
„Die Menschheit reißt sich doch so oder so von ganz allein ins Verderben. Ihr seid es doch, die Gottes Schöpfung Stück für Stück zerstören. Die Apokalypse würde nur einen kleinen Stups geben, den Prozess ein wenig ankurbeln. Wahrscheinlich tun wir euch damit noch einen Gefallen: Ihr müsst nicht elendig langsam dahinsiechen. Es könnte für euch alles ganz schnell gehen."

Bevor Sam dagegenhalten- und sich dadurch in Rage reden kann, trete ich dazwischen. So sehr ich den Engel auch für seine Einstellung verachte, ich muss mir eingestehen, dass er vielleicht nicht ganz unrecht hat. Auch wenn ich dadurch nicht gewillt bin, aufzugeben.
„Okay, konzentriert euch bitte: Isaac."

„Isaac hat sich, wie alle Anhänger Raphaels, nach dessen Verschwinden höchstwahrscheinlich verdünnisiert. Irgendwo bei dem nächsten Machthaber eingereiht und war mucksmäuschenstill. Bis jetzt, wie es aussieht."
„Ach, Raphael ist auch abgehauen?" Ich kann nicht umhin, mit einem höhnischen Unterton zu sprechen.
Gabe rollt nur mit den Augen. „Ja, er und Michael haben anscheinend die Nase voll und glauben nicht mehr an die Apokalypse. Ich meine Lucy, ist hinter Gittern und wird da so schnell auch nicht rauskommen. Und Mick und Raph hassen sich nicht genug, um sich auf Leben und Tod zu bekriegen. Die Apokalypse war nunmal schon immer der Krieg zwischen Mick und Lucy. Minus Lucy macht es wenig Sinn. Anfangs hat Raph noch versucht Lucy freizusetzen, aber niemand geringeres, als Dad hat ihn weggeschlossen. Ergo, keine Chance für uns Engel. Mick dagegen hätte einen Versuch niemals gewagt, war schon immer ein zu großer Arschkriecher." Er räuspert sich, um den Fokus zurückzuerlangen. „Jedenfalls sind beide irgendwo im nirgendwo und die restlichen Engel sind nur noch kleinere, zerstrittenere Grüppchen, als vorher."

Ich versuche mich in diese verrückten Familienverhältnisse reinzudenken, aber für mich klingt das alles, nach einer schlechten Folge von „Die Simpsons" oder einer bescheuerten Sitcom im Nachmittagsfernsehen.
„Okay, wir werden jedenfalls nicht Familientherapeuten spielen. Wir wollen nur den Entführten zurück", stelle ich mit fester Stimme klar. Gabe mustert mich mit einer Mischung aus verhaltenem Interesse und nur schwer unterdrücktem Trotz, fast schon wie ein kleines Kind. „Du musst mich zu dem gefallenen Engel bringen", fahre ich fort. Mein kleiner Rest an echtem Selbstbewusstsein schmilzt allerdings unter dem Blick aus funkelnd goldenen Augen dahin.
„Mein Name ist Gabriel. Ich bin ein Erzengel und muss rein gar nichts. Erst recht nicht, wenn die Anweisung von jemandem, wie dir kommt."
Seine Stimme wirkt plötzlich stechend kalt und ich kann nicht umhin zu schlucken und meinen Blick zu senken.

„Entschuldige, bitte. Er meint es nicht so. Er macht sich nur Sorgen, um seinen Freund und möchte, dass du uns hilft, ihn zu finden", lenkt Sammy ein. Ich will mir bei seinen Worten einreden, dass er nur eine Strategie verfolgt und nicht ernsthaft mit dieser geflügelten Kreatur, Kirschen essen will.
„Deinen Freund?", wendet sich der Engel an mich und beißt geräuschvoll in seinen Lutscher, sodass es knirscht und knackt.

„Ja, sein Name ist Castiel und er ist dieser gefallene Engel. Glauben wir zumindest", fährt Sam fort und schiebt mich dabei vorsichtig, aber bestimmt beiseite. Mein empörtes Schnaufen ignoriert er gekonnt, stattdessen fixiert er Gabe mit seinem typischen Hundeblick. Dem kann niemand widerstehen, anscheinend auch kein Erzengel.
„Castiel sagst du? Oh man, von der kleinen Bohne habe ich ja schon ewig nichts gehört." Er grinst und klatscht amüsiert in die Hände. Die Kälte in seinem Blick ist verfolgen, als wäre sie nie dort gewesen.

„Und das soll wirklich der Erzengel Gabriel sein?", murmle ich leise zu mir selbst, da ich mich noch nicht mit dem Fakt anfreunden will.
„Du kennst ihn persönlich?", hake ich anschließend laut nach und versuche zu erraten, in welcher Beziehung jemand wie Cas, zu jemandem wie Gabriel stehen könnte.
„Nun, kennen mag übertrieben sein. Bei so vielen Geschwistern fällt es schwer einen Überblick zu behalten, aber ich habe so einiges von ihm gehört. Der Rebell ist eine kleine Legende, so weit ich weiß."

„Geschwister?", schießt es aus mir heraus, „Rebell?", zeitgleich aus Sammy.

Gabriels Blick wandert zwischen meinem Bruder und mir hin und her, ehe er dramatisch mit den Augen rollt. „Ja, wir Engel sind im Entferntesten so etwas, wie Geschwister. Allesamt von dem großen G, ihr kenn ihn unter dem Namen ‚Gott', erschaffen. Sagt bloß, ihr habt nie die Bibel gelesen? Ist ein echter Bestseller von ihm." Er spukt geräuschvoll den Lutscherstiel auf den Boden, ehe er einen Bonbon aus seiner Jackentasche holt und diesen seelenruhig auspackt.

„Cassy soll den Himmel wohl ziemlich aufgemischt haben und dafür verstoßen worden sein." Genüsslich schiebt er sich den rot-weiß gestreiften Zuckerklumpen in den Mund.
„So, wie Luzifer?", legt Sam nach. Dafür erntet er von mir einen vollkommen entgeisterten Blick, doch ehe ich ansetzen kann, auf ihn einzureden, wie er es überhaupt wagen kann, meinen Freund mit Satan gleichzusetzen, unterbricht Gabriel; „Nicht ganz. Luzifer hat gegen Gott rebelliert und wurde dafür in die Hölle verbannt. Cassy dagegen hat die Anti-Apokalypsen Partei gegründet und sich gegen Raphael aufgelehnt. Bis er wohl irgendwann aus dem himmlischen Penthouse geworfen wurde."

Kurz halte ich inne und wäge seine Worte ab. „Das ergibt keinen Sinn; Warum haben sie ihn erst verbannt, um ihn dann zu entführen?"
Zu meiner Überraschung, seufzt Gabe, eher erschöpft, als genervt. „Das sind meine Geschwister. Kein Plan, was in deren Köpfen vorgeht. Wie gesagt, die haben vermutlich alle nur noch im Sinn, wie sie sich am besten gegenseitig fertig machen können."
„Deshalb lebst du hier? Auf der Erde?", mischt sich Sammy wieder in das Gespräch. Gabe wackelt belustigt mit den Augenbrauen. „Ganz richtig. Die Menschen aufzumischen macht ziemlich viel Spaß und glaub mir, mit den machthungrigen Pappnasen im Himmel wollt ihr nichts zutun haben."
Mein Blick verhärtet sich, als ich antworte; „Ich fürchte wir haben keine andere Wahl. Wir wollen Cas zurückholen."
Gabe tippt sich gegen sein Kinn und schiebt gut sichtbar den Bonbon in seinem Mund hin und her. „Du bist wirklich noch dümmer, als du aussiehst. Wenn die Engel auf Isaacs Befehl, Cassy entführt haben, ist er jetzt vermutlich tot. Oder schlimmeres."

Bei diesen Worten zieht sich meine Brust schmerzhaft zusammen. Nur äußerlich behalte ich noch meine Maske bei, während in mir, wie sooft in letzter Zeit, ein Sturm tobt. „Egal, ich muss wenigstens versuchen ihn zu finden. Selbst, wenn es mich mein Leben kostet." Sams Blick ruht schlagartig auf mir; „Sag sowas nicht", haucht er, aber das ignoriere ich. Stattdessen erwidere ich Gabriels Blick, ohne zu blinzeln.
„Er bedeutet dir wohl echt viel, was?"

Ich erkenne eine Spur von Mitleid in den bernsteinfarbenen Augen. Unsicher, ob ich wütend- oder erleichtert sein soll, entgegne ich mit belegter Stimme: „Er bedeutet mir alles."

Mit pochendem Herzen lasse ich die Worte in der Luft tanzen und schaue ihnen nachdenklich hinterher.
Habe ich das gerade wirklich gesagt?
Sammys Blick nach zu urteilen, habe ich es. Auch Gabriels Augen sind geweitet.

„Hattet ihr Sex?"

Mit dieser einen Frage, zerstört er den Moment der Magie schlagartig.
„Ich für meinen Teil glaube schon, aber er will es nicht zugeben", raunt Sam ihm von der Seite zu und beide mustern mich mit forschenden Blicken, sodass ich mich schlagartig unwohl fühle.
„Okay, können wir bitte beim eigentlichen Thema bleiben? Ich möchte einen Deal abschließen." Den rechtfertigenden Unterton kann ich nicht gänzlich zurückhalten, was sich äußerst kontraproduktiv auf mein Ablenkungsmanöver auswirkt.
„Einen Deal? Jetzt wird es spannend." Gabe blickt an mir herab und verschränkt die Arme. „Spoileralarm; für nichts auf dieser Welt gehe ich nochmals in den Himmel. Für nichts, hast du kapiert?"

Verzweifelt balle ich meine Hände zu Fäusten, in dem Wissen, dass ein Angriff auf einen Erzengel mit Sicherheit nicht gut für mich enden würde.
„Ich muss Cas zurückbekommen", beharre ich mit zittriger Stimme.
Gabe studiert währenddessen seine Fingernägel, ohne auch nur den Blick zu heben. Ehe ich doch Kamikaze begehe, fährt mein Bruder dazwischen. „Gibt es vielleicht noch eine andere Möglichkeit?"
Nun haben wir wieder Gabriels ungeteilte Aufmerksamkeit. Einige Sekunden wirkt sein Gesicht wie versteinert, ehe er sein breites Grinsen neuentdeckt.

„Es gibt da in der Tat noch etwas, aber es wäre für einen von euch reiner Selbstmord."
„Egal, ich mach's", entgegne ich, ohne noch einmal darüber nachzudenken. Sammy neben mir zieht scharf die Luft ein, doch bevor er Protest äußern kann, fährt Gabriel fort; „Du verstehst nicht, es wäre wortwörtlich Selbstmord. Für menschliche Körper ist der Himmel nicht passierbar, aber ich könnte eine Seele in den Himmel schicken."

„Und könntest du sie anschließend wieder ins Leben zurückholen?", stellt Sammy die entscheidende Frage.
Nachdenklich spielt Gabriel mit dem Bonbonpapier herum. „Das ist die unbestimmbare Variable. Immerhin habe ich weder das eine, noch das andere jemals gemacht."
Ergeben lässt Sam die Schultern sinken. „Dann ist es sinnlos."

„Ist es nicht", widerspreche ich und trete einen Schritt nach vorn. „Ich spiele Versuchskaninchen."
„Dean." Sam greift meinen Arm, doch ich schüttle ihn entschlossen ab.
Gabe beobachtet die Szenerie mit verhaltenem Interesse. „Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit, heiße Frauen und heiße Pizza warten auf mich, also hier ist mein Angebot: Ich yanke einen von euch Flannelhaufen nach oben und als Preis für meine Mühe darf ich mit dem anderen Flannelhaufen für 24 Stunden machen, was ich will."

Mein Bruder und ich schauen einander irritiert an, ehe unsere Blicke zeitgleich nach unten wandern. Fairer Punkt, wir tragen beide heute Flannelhemden.
„Dann ist es geklärt; Dean geht in den Himmel und ich spiele Strohpuppe für einen Erzengel", seufzt Sam und klingt über beide Fakten alles andere als erfreut.
„Moment, Moment. Gib uns drei Minuten Bedenkzeit", erbitte ich den Engel, da mir dieser Deal nun wie doppelter Selbstmord vorkommt. Ich kann ohne Probleme den Kopf hinhalten, aber Sammy hat es nun wirklich nicht nötig, sich aufzuopfern. Gabe rollt genervt mit den Augen, ehe er sich demonstrativ abwendet, um uns ein Vieraugengespräch zu ermöglichen.

Wir stecken die Köpfe zusammen und ich schieße, ohne abzuwarten, los;
„Erst ein Deal mit dem König der Hölle und jetzt auch noch mit einem Erzengel?"
„Das war doch deine Idee", raunt Sam und wirft mir einen anklagenden Blick zu. „Es ist übrigens ziemlich dumm, seine Seele so leichtfertig herzugeben", legt er nach.
„Es ist mindestens genauso dumm für 24 Stunden Sklave eines Erzengels zu sein", füge ich verärgert hinzu.
„Okay, Fakt ist: Wir haben nicht gerade einen Haufen Optionen hier", spricht mein Bruder das Offensichtliche aus. „Ich bin überhaupt nicht begeistert davon, dass du für bestimmte Zeit stirbst, du bist nicht begeistert davon, dass ich mich 24 Stunden versklaven lasse, aber es geht hier um Cas, deine große Liebe. Also ziehen wir das durch", ein schwaches Lächeln huscht über seine Lippen, „ich vertraue Gabe und irgendwie will ich nicht glauben, dass er die Apokalypse einfach so hinnehmen würde."

„Ach ja, wieso dieses Vertrauen eigentlich? Willst du mir nicht endlich sagen, woher ihr euch Bitteschön so gut kennt?", stelle ich die Frage, die mir die ganze Zeit schon im Kopf herumschwirrt.
„Jetzt ist nicht gerade der richtige Zeitpunkt, später vielleicht", versucht Sammy abzuwehren.
„Jetzt ist wahrscheinlich der letzte, mögliche Zeitpunkt", halte ich dagegen. Diesem Argument hat er nichts mehr entgegenzusetzen, weshalb er endlich nachgibt.
Nach einem kurzen Seufzer, beginnt er zu erzählen; „Vor einem Monat habe ich mich von Gabby getrennt."

Überrascht halte ich inne. „Und wann hattest du vor, mir davon zu erzählen?"
„Gleich nachdem ich meine Taschen gepackt- und durch die Tür gegangen bin. Nur, dass du am anderen Ende der Leitung besoffen warst."
Dunkel erinnere ich mich an meinen Absturz nach der Tankstellenaktion. Als ich im Motel aufgewacht- und mein Handy geklingelt hat. „Was trennst du dich auch so früh am Morgen?", versuche ich mich zu rechtfertigen, aber selbst ich merke, dass es jetzt besser ist, die Klappe zu halten.

„Ich war jedenfalls ziemlich fertig und habe mir eine Unterkunft im Nachbarort gesucht. Vermutlich hätte ich nach dir sehen sollen, aber ich bin ehrlich: Ich brauchte Zeit für mich und du bist im verkaterten Zustand auch nicht gerade der Erträglichste. Trotzdem hat mich der Anruf in gewisser Hinsicht inspiriert und ich bin abends in die nächstgelegenste Bar gegangen. Um es kurz zu fassen", er schielt an mir vorbei zu Gabe, der bereits auf eine nicht vorhandene Uhr an seinem Handgelenk tippt, „er kam in die Bar. Hat mich aufgeheitert, war für mich da. Wir haben uns regelmäßig getroffen und jedesmal, wenn ich versucht habe dich anzurufen, hast du mich ignoriert oder abgewimmelt. Da hast du's."
Er geht, ohne eine Antwort abzuwarten an mir vorbei, zu Gabriel. „Wir machen den Deal, keine Tricks, keine Spielereien."

Ich stehe noch immer wie versteinert auf dem selben Fleck und starre gen Boden.
Sams Versuche Kontakt aufzunehmen. Ihm ging es schlecht, er hatte Probleme und ich habe das einfach ignoriert. Ich habe in meiner kleinen perfekten Welt mit Cas gelebt und meinen eigenen Bruder vollkommen ausgeblendet.

Jegliche Worte, klägliche Entschuldigungsversuche, bleiben mir im Hals stecken, als ich mich umdrehe und den Rücken meines Bruders betrachte. Wie dicht er bei Gabe steht.
Er setzt all sein Vertrauen, seine Hoffnung, seine Loyalität in diesen dahergelaufenen Engel, der sogar die Apokalypse in Kauf nimmt. All das, weil ich ihn enttäuscht habe.
Weil ich nicht für ihn da war, als er mich gebraucht hat.
Weil ich als großer Bruder versagt habe.

Und trotzdem will er mir helfen, Cas zu finden.
Trotzdem kümmern ihn meine Probleme.

„Wie besiegeln wir den Deal?", fragt Sam den Engel geradeheraus. Seine Stimme klingt weit entfernt, als würden die beiden in unerreichbarer Distanz zu mir stehen.
„Ich mag es auf die altmodische Dämonenweise. Hat doch den perfekten, ironischen Touch für das Ganze hier", entgegnet Gabe und zeigt dabei seine weißen Zähne.
Fassungslos muss ich mit ansehen, wie mein Bruder sich ohne zu zögern zu ihm herunterbeugt.

Für eine Sekunde ist es vollkommen still, anschließend lösen sich die beiden voneinander. „Das war für uns beide, klar?", raunt mein Bruder, ehe er sich abwendet, ohne Gabes Antwort abzuwarten, und auf mich zukommt.
„Dean?"
Ich versuche zu antworten, doch es geht nicht. Kein Ton verlässt meinen Mund. Alles, um mich herum scheint sich zu drehen, das Gesicht meines Bruders verzerrt sich und verschwimmt vor meinen Augen.

„Dean?"

Das Rauschen, als Gabriel verschwindet höre ich kaum, es geht in dem Dröhnen meines Schädels unter. Die Realität gleitet durch meine Finger, so, wie die Menschen, die ich liebe. Die Menschen, die ich liebe und doch am meisten enttäuscht habe.
„Dean?" Sammy schüttelt mich behutsam, versucht mich aus meinem Schock zu befreien, doch die Schuld lähmt mich, paralysiert all meine Gliedmaßen.

„Ich habe versagt, Sammy", hauche ich schließlich, ehe meine Beine nachgeben und ich zu Boden sinke.

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