34 - Hoffnung in der Dunkelheit

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Es ist halb sieben am Abend, als sich die Haustür öffnet. Entgegen meinen Erwartungen betreten nicht meine Väter wenige Sekunden später das Wohnzimmer, sondern meine Großmutter kommt zum Vorschein.

Vermutlich haben Cyrus und ich das Klingeln nicht gehört, denn normalerweise benutzt unsere Großmutter den Ersatzhaustürschlüssel, den wir in einem Blumentopf versteckt haben, nur im Notfall.

„Na, ihr zwei?", begrüßt sie uns mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. „Sehe ich da etwa Cookie-Eis zum Abendessen?" Sie schmunzelt. „Gut, dass eure Väter davon nichts mitbekommen."

Tatsächlich haben Cyrus und ich den restlichen Nachmittag damit verbracht, Filme zu schauen und Eis zu essen. Auch wenn ich zwischenzeitlich immer noch an Liana und Duke denken musste, hat mir die Ablenkung gutgetan.

Mein Herz besteht jetzt nicht mehr aus Stahl, sondern aus Stein.

„Hi Omi!" Cyrus springt übermütig vom Sofa auf, rennt zu unserer Großmutter und umarmt sie. „Hast du uns Essen aus dem Heaven mitgebracht?"

Erst jetzt fällt mir wieder ein, dass unsere Väter heute ihren 29. Jahrestag haben und diesen mit einem Dinner in einem schicken Restaurant feiern. Da sie meinen Kochkünsten nicht vertrauen, wollten sie unsere Großeltern als Retter herschicken.

Warum unsere Großmutter unseren Großvater nicht mitgebracht hat? Vermutlich, weil er wieder zum Karten spielen bei Franz eingeladen ist.

„Geh schon mal in die Küche und deck den Tisch, Cyrus!", fordert Großmutter meinen Bruder auf. „Eventuell habe ich deinen Lieblingsburger und Pommes dabei."

Schnell wie der Wind saust Cyrus aus dem Wohnzimmer und verschwindet wenig später in der Küche. Noch bevor ich irgendetwas sagen oder anderweitig reagieren kann, ertönt das Geklapper von Geschir.

Oh je ... Hoffentlich lässt er nichts fallen.

Kopfschüttelnd schalte ich den Fernseher aus, ehe auch ich mich vom Sofa aufrappele und meine Großmutter mit einer Umarmung begrüße.

Nach diesem turbulenten Tag tut es gut, ihre Nähe zu spüren und ihren vertrauten Duft nach Blumen einzuatmen.

Am liebsten würde ich den Tränen freien Lauf lassen, aber weil ich noch nicht dazu bereit bin, meiner Großmutter von dem Vorfall mit Liana zu erzählen, schlucke ich meine negativen Gefühle hinunter.

„Was machst du nur immer für Sachen, mein liebes Kind?", fragt mich meine Großmutter seufzend, während sie mir über den Kopf tätschelt. In ihrer Stimme schwingen Mitleid und ein Funken Bedauern mit.

„Wie meinst du das?"

„Liana ist vor ein paar Stunden im Heaven aufgetaucht und hat Duke vor allen Gästen eine Szene gemacht. So wütend und verletzt habe ich sie noch nie gesehen."

Direkt gewinnt mein schlechtes Gewissen an Größe. Mein Herz wird schwer wie Blei und mein Magen zieht sich unangenehm zusammen.

Ich weiß, dass Liana nur meinetwegen bestialische Schmerzen erleidet. Wenn ich könnte, würde ich die Vergangenheit ungeschehen machen und Liana nicht in den Rücken fallen. Es hätte bestimmt auch andere Wege gegeben, um Duke nahezukommen und sein Herz zu erobern.

„Ich muss zugeben, dass ich deinen Duke falsch eingeschätzt habe", fährt meine Großmutter leise fort. Da mich ihre Worte überraschen, löse ich mich aus ihren Armen und schaue sie stattdessen aufmerksam an. „Duke ist kein Herzensbrecher oder Frauenheld. Dieser Mann liebt dich wirklich, Harlow! Er hat Liana erklärt, dass er sich in dich verliebt hat und sich ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen kann. Obwohl er einer anderen Frau wehtun musste, hat er bewiesen, dass er zu dir steht und sich nicht für seine Gefühle schämt."

Ein schwaches Lächeln, das von Tränen begleitet wird, stiehlt sich auf meine Lippen.

Die Worte meiner Großmutter bedeuten mir unheimlich viel. Sie zeigen mir, dass sich der Kampf um Dukes Liebe gelohnt hat - auch, wenn er einige Opfer gefordert hat.

„Ich denke, dass Duke ganz genau weiß, dass du der schönste Diamant von allen bist!" Meine Großmutter streicht mir vorsichtig die Tränen von den Wangen. „Du solltest mit ihm reden. Er steht vor der Haustür und wartet auf dich."

„Was?!", entfährt es mir perplex. Ich habe Angst, dass mir meine Ohren bloß einen Streich gespielt haben.

„Du hast mich schon verstanden, meine liebste Harlow", erwidert meine Großmutter grinsend. „Worauf wartest du denn noch? Geh endlich zu ihm! Ich werde so lange darauf achten, dass euch Cyrus nicht stört."

Da ich mich keinen Millimeter vom Fleck rühre, muss mir meine Großmutter einen sanften Schubser verpassen. Erst dann setze ich einen Fuß vor den anderen und steuere die Haustür an.

Mein Herz fährt Achterbahn, meine Gedanken überschlagen sich und mir wird speiübel. Ich habe das Gefühl, als würden sich Ketten aus Stahl um meinen Hals schlingen und mir die Luft zum Atmen abschnüren.

Obwohl ich weiß, dass mich Duke liebt, habe ich Angst davor, ihn wiederzusehen.

Was, wenn das Gespräch mit Liana etwas zwischen uns beiden verändert hat? Vielleicht braucht Duke erstmal Abstand, um nochmal alles zu überdenken - ob das mit uns wirklich richtig ist und eine Zukunft hat ...

Am liebsten würde ich zurück ins Wohnzimmer sprinten und riesige Eisberge in mich hineinschaufeln, aber stattdessen öffne ich mit zittrigen Fingern die Haustür.

Wie meine Großmutter gesagt hat, wartet Duke bereits auf mich.

In dem Moment, in dem er den Kopf hebt und sich seine stahlgrauen Sturmaugen in meine Pupillen bohren, bleibt mein Herz stehen.

Duke sieht schlimm aus.

An seinem linken Mundwinkel klebt verkrustetes Blut, sein rechtes Auge ist violett angeschwollen und auf seiner Wange zeichnet sich ganz leicht ein Handabdruck ab.

„Oh mein Gott!", entflieht es mir schockiert. Mit Wackelpuddingbeinen gehe ich auf Duke zu und lege vorsichtig meine Hand auf seine Brust. „Was ist passiert?"

Es kostet mich all meine Kraft, keine Tränen zu vergießen. Auch wenn Dukes Anblick grausam ist, muss ich jetzt stark sein und ihm eine Schulter zum Anlehnen anbieten.

Duke soll merken, dass er sich bei mir fallen lassen kann - immer!

„H-Hey", lächelt mich mein Gegenüber nach einigen Sekunden gezwungen an. Dass Duke Schmerzen hat, verrät mir das Zucken seiner Iriden. „Bekomme ich denn gar keinen Begrüßungskuss?", versucht er meiner Frage aus dem Weg zu gehen.

Ich muss schwer schlucken.

Wie zum Teufel kann er gerade an einen Kuss denken, wenn er offensichtlich verprügelt wurde?

„Lass uns reingehen, okay?" Ohne auf eine Antwort zu warten, schnappe ich mir Dukes Handgelenk und ziehe ihn in das Innere des Hauses. Da er vermutlich schon genug leidet, knie ich mich auf den Boden und helfe ihm dabei, seine Schuhe auszuziehen. Danach erklimmen wir die vielen Treppenstufen, bis wir wenig später den Dachboden erreicht haben.

Wieder mal wird mir bewusst, dass ich endlich mein Zimmer aufräumen muss, denn auf Dauer ist der Dachboden keine Lösung für unsere Treffen.

„Setz dich, Duke." Gemeinsam lassen wir uns auf dem Sofa nieder und schweigen für ein paar Minuten.

Während ich darauf warte, dass mir Duke endlich erzählt, was passiert ist, scheinen ihm aktuell die Worte zu fehlen.

Erst nachdem ich ihn ein weiteres Mal frage, wer ihm das blaue Auge zugefügt hat, räuspert er sich.

„Na ja", murmelt er verlegen. „Liana sieht vielleicht wie ein Engelchen aus, das keiner Fliege etwas zuleide tun könnte, aber sie hat einen sehr präzisen und vor allem starken rechten Haken. Man darf sie nicht unterschätzen."

Schockiert ziehe ich die Luft ein.

Liana hat ihm also das Veilchen und die blutige Lippe verpasst?

Um ehrlich zu sein hätte ich auf ihren Bruder oder Dukes beste Freunde getippt.

„Es tut mir so leid, Duke", sage ich verzweifelt. „Wirklich!"

Begleitet von einem schwachen Lächeln zieht mich Duke in seine Arme. Er streichelt mir zärtlich über den Kopf, als er behauptet: „Das ist nicht deine Schuld, Harlow. Natürlich ist das alles nicht optimal gelaufen, aber wenigstens müssen wir jetzt nicht mehr bis zu der Hochzeit warten und uns nicht länger verstecken."

Damit hat Duke zwar Recht, aber diese Tatsache lindert meinen Schmerz nicht mal annähernd.

Ich habe meine beste Freundin hintergangen und sie so sehr verletzt, dass sie mir vermutlich niemals vergeben wird - was ich ihr auch nicht verübeln kann.

„Weißt du, wer das Foto von uns gemacht hat?", frage ich Duke.

Eigentlich dachte ich die ganze Zeit, dass wir vorsichtig gewesen wären, aber scheinbar waren wir das nicht.

„Ja." Duke nickt. „Dein liebreizender Ex Freund wollte sich wohl nochmal mit Beweisfotos bei Liana versichern, ob ich wirklich mit dir und nicht mit ihr zusammen bin. Angeblich hat Lia nur das Bild verlangt, ihm aber keine Antwort gegeben."

Dukes Worte treffen mich wie ein Schlag ins Gesicht.

Valentin hat mir in den letzten Wochen oft genug zu verstehen gegeben, dass er meine Beziehung zu Duke anzweifelt, aber dass er so weit gehen würde und heimlich Fotos von uns macht, hätte ich nicht erwartet.

Mittlerweile stelle ich mir immer öfter die Frage, wie ich damals mit Valentin zusammen sein konnte.

Obwohl unsere Trennung schon mehrere Monate in der Vergangenheit liegt, scheint er mich nicht loslassen zu können. Dass er einen völlig falschen Weg einschlägt, um mich zurückzugewinnen, ist ihm offensichtlich nicht bewusst.

Ich kann nur beten, dass bald eine andere Frau in sein Leben treten und er mich endlich in Ruhe lassen wird. Sollte er mich weiterhin bedrängen, werde ich nicht mehr zögern und die Polizei einschalten.

Genug ist genug!

„Woran denkst du gerade, Harlow?", reißt mich Duke irgendwann in die Realität zurück. Über seinen stahlgrauen Augen liegt ein Schleier der Unsicherheit.

„Ich wollte nicht, dass du meinetwegen verletzt wirst!" Meine Stimme bebt. Nur wenige Sekunden später kann ich meine Gefühle nicht mehr hinter Gitterstäben einsperren und muss den Tränen Zugang an die Freiheit gewähren.

Ich schluchze und zittere unkontrolliert. Wie eine Ertrinkende kralle ich mich an Dukes Oberteil fest und suche nach Halt bei ihm.

Warum ist das Leben manchmal so scheiße? Ich habe das Gefühl, als würden all die Puzzleteile, die mein Leben repräsentieren, in schwarze Farbe getaucht werden und sich voneinander lösen. Alles wäre so viel einfacher gewesen, wenn sich Liana und Duke niemals über Tinder kennengelernt hätten!

„Hey ... Es ist alles gut, Harlow", flüstert mir Duke liebevoll in mein Ohr. Während er mit seinen Fingerspitzen die Glasperlen von meinen Wangen auffängt, küsst er sich mit seinen Lippen einen Weg über meinen Scheitel.

Sofort machen sich die Schmetterlinge in meinem Bauch bemerkbar, weshalb ein schwaches Lächeln an meinen Mundwinkeln zupft.

Duke schafft es immer wieder, mir ein positives Gefühl zu vermitteln.

„Ich sehe jetzt vielleicht noch für ein paar Wochen wie ein k.o.-geschlagener Boxer aus, aber ansonsten ist ja nichts passiert", versucht er mich zu besänftigen. „Viel wichtiger ist, wie es dir geht. Liana ist deine beste Freundin. Ich kann also gut verstehen, wenn dich die Situation gerade extrem belastet."

Überrascht schaue ich zu Duke auf. Um ehrlich zu sein habe ich nicht damit gerechnet, dass er so verständnisvoll und einfühlsam sein kann.

In diesem Moment zeigt er mir, dass ich genau am richtigen Ort bin: Nämlich in seinen Armen.

„Wir sollten Liana ein paar Tage in Ruhe lassen", fährt Duke fort, nachdem ich ihm nicht antworte. „Wenn du möchtest, versuchen wir dann nochmal mit ihr zu reden. Wir sind alle erwachsene Menschen. Irgendwie werden wir das ganze Drama bestimmt geklärt bekommen, ohne uns gegenseitig umzubringen."

Mehr als ein schwaches Nicken bringe ich daraufhin nicht zustande.

Ich wünschte, ich würde denselben Optimismus wie Duke verspüren, aber leider glaube ich nicht, dass mir Liana jemals verzeihen wird. Vielleicht ist sie nicht so nachtragend wie Marley, doch wer einmal bei ihr verloren hat, den straft Liana ein Leben lang mit Nichtachtung.

Ein trauriges Seufzen entflieht meinen Lippen.

Hat es sich wirklich gelohnt, Liana zu hintergehen?

Meine Augen wandern zu Duke. Er schaut mich so liebevoll an, dass mir schwindelig wird.

Obwohl ich seine Gefühle für mich nicht anzweifele, frage ich ihn nun ängstlich: „Wie geht es jetzt mit uns beiden weiter?"

Im ersten Moment wirkt Duke irritiert, doch schon nach wenigen Sekunden glätten sich die Falten auf seiner Stirn wieder. „Eigentlich dachte ich, dass wir ein Paar wären, schließlich haben wir uns unsere Liebe gestanden", murmelt Duke. „Es sei denn, du möchtest Veto einlegen ..."

Hastig schüttele ich den Kopf. „Auf keinen Fall!", füge ich hinzu. „Ich liebe dich und bin unfassbar froh, dich damals im Supermarkt mit einem Kuss überfallen zu haben. Auch wenn die Situation mit Liana gerade echt scheiße ist, macht es mich sehr glücklich, dich an meiner Seite zu haben."

Kaum ist mein letztes Wort verklungen, haucht mir Duke einen federleichten Kuss auf die Stirn.

„Also möchtest du ganz offiziell meine Freundin sein, Harls?"

Duke schaut mich abwartend aus seinen stahlgrauen Sturmaugen an. Obwohl er meine Antwort kennen sollte, flackern nervöse Blitze durch seine Pupillen.

„Harls?", frage ich ihn nur belustigt, statt Licht in die Dunkelheit seines Herzens zu bringen.

„Na ja", räuspert sich Duke verlegen. „Den Spitznamen, den dir dein Ex Freund gegeben hat, finde ich einfach nur schrecklich. Und Harly möchte ich dich auch nicht nennen, denn das wäre nichts Besonderes mehr. Also habe ich mich für Harls entschieden."

Es ist süß, wie sich Dukes Wangen dunkelrot färben. Auch, dass er sich so viele Gedanken gemacht hat, schmeichelt mir.

„Einverstanden", schmunzele ich nach wenigen Sekunden. „Ich bin deine Harls, wenn du mein Duki bist."

Automatisch heben sich Dukes Mundwinkel zu einem breiten Grinsen. Endlich ist sein Lächeln nicht mehr nur gekünstelt, sondern erreicht seine Augen und lässt sein Gesicht erstrahlen.

Ganz langsam legt Duke seine Hände an meine Wangen und malt kleine Kreise auf meine Haut. Während unsere Blicke wie zwei Magnete aneinanderkleben, nähert er sich in Zeitlupe meinen Lippen.

Als sich unsere Nasenspitzen berühren, hält Duke in der Bewegung inne. Sein Grinsen wird noch breiter, als er mich unschuldig fragt: „Bekomme ich jetzt endlich mal meinen Begrüßungskuss, Harls?"

Ich funkele ihn herausfordernd an.

„Hol ihn dir doch, Duki!"

Mit diesen Worten springe ich vom Sofa auf und lasse mich so lange von Duke über den Dachboden jagen, bis er mich in eine Ecke drängt und dann unsere Lippen zu einem Kuss der Ewigkeit verbindet.

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