Prolog

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Die Augen des Sehers glichen großen, weißen Perlen, leicht eingesunken in seinen Augenhöhlen.

Der milchige Schleier über den Iriden hatte ihm bereits in jungen Jahren die Sehkraft genommen. Seine Haut war hell und knittrig wie Pergament und sein Haar, weißgrau mit einzelnen dunkelroten Strähnen, reichte ihm feinsäuberlich geschnitten bis zum Kinn.

Schon lange waren seine Beine zu schwer geworden um zu laufen. Er saß nun in einem geschnitzten Schaukelstuhl, auf dem Schoß eine Wolldecke mit Schottenmuster und ein aufgeschlagenes Buch in den Händen. Seine alten Finger strichen über die Seiten, ertasteten die Worte, nahmen die Sätze in sich auf und malten die Geschichte in Bildern.

Der Seher hörte das Feuer hinter sich im Kamin knistern und die leise Stimme seiner Enkelin, welche vor sich hin sang, während sie mit ihren Porzellanpuppen auf dem Boden spielte.

Er hatte nie wirklich in ihr Gesicht sehen können. Hatte nie die Röte ihrer Wangen oder das Goldblond ihrer Locken erblicken können. Aber dennoch wusste er, wie sie aussah. Er wusste vieles, nahezu alles.

Seine Hände wanderten über die Buchseiten, ertasteten weitere Worte. Aber seine Aufmerksamkeit schwand augenblicklich dahin, als er die Kälte bemerkte, welche sich um seinen Körper wand.

Das Kaminfeuer knisterte immer noch, seine Enkelin sang. Er jedoch versteifte sich kaum merklich, richtete sich in seinem Stuhl auf und schloss die Augen. So, wie er es schon dutzende Male getan hatte.

Er erwartete augenblickliche Explosionen von Bildern und Farben, von Stimmen und Bewegungen hinter seinen Lidern zu sehen, aber dergleichen geschah nicht. Der Seher verharrte, wartete ab, aber da war nichts. Nur der Nebel der Zukunft, der Unwissenheit.

Vielleicht hatte er sich getäuscht?

Er war bereits alt, das wusste er und er wusste auch, dass seine Kräfte langsam nachließen. Dass jeder Tag der Tag sein konnte, an dem er seine letzte Vision empfing.

Vielleicht war dies gar keine Vision! Kein Einblick in die Zukunft sondern bloß der Wahnsinn, welcher jeden Seher irgendwann übermannte.

Die Temperatur im Raum sank merklich weiter und nun verstummte auch der Gesang des kleinen Mädchens.

"Grandpa?" Ihre Stimme war hell und klar, gleich Silberglöckchen. "Grandpa, ist alles in Ordnung?"

Er wollte antworten, aber seine Stimme blieb ihm im Hals stecken. Er hörte Schritte. Die Schritte seines Sohnes, wie er den Raum betrat und auf das kleine Mädchen zukam. Er nahm sie behutsam an die Hand und wollte sie zur Tür hinaus führen: "Grandpa hat nur eine Vision. Wir sollten ihn alleine lassen."

Der Seher hörte die Sorge in der Stimme seines Sohnes. Dieser wusste, dass die Kräfte seines Vaters zu versiegen begannen und mit ihnen auch dessen Leben.

"Nein, Dad!", protestierte das Mädchen und befreite sich aus den Händen ihres Vaters. "Ich will bei Grandpa bleiben!"

"Grandpa braucht jetzt seine Ruhe", erwiderte ihr Vater. "Du kannst später wieder zu ihm."

"Nein!" Das Mädchen stampfte mit den Fuß auf. "Ich will-"

Den Rest hörte der Seher nicht mehr.

Die Stimme seiner Enkelin wurde von dem Nebel der Zukunft verschluckt, welcher auf ihn zu kroch und ihn umschlang.

Er hörte eine Stimme.

Eine einzige, weibliche Stimme.

Leise und schwach, wie die einer Sterbenden.

"Die Erste wird die Seele sein. Sie wird erschaffen und das Werk beginnen.

Die Zweite wird die Hoffnung sein. Die Liebe, welche so schnell zum Hass werden kann.

Die Dritte wird das Blut sein. Rubinrot und schmerzlich süß.

Und die Vierte wird die Dunkelheit sein, welche jeden Menschen überkommt. Sie wird die sein, mit der alles endet und gleichzeitig alles beginnt."

Die Stimme verstummte in einem leisen Echo und der Nebel ließ seinen Körper frei, zog sich wieder zurück.

Aber ehe er endgültig verschwand, wisperte die Stimme ein letztes Mal kaum verständlich: "Erlöse mich."

Dann war sie fort und mit ihr die Vision und der Seher öffnete wieder die Augen.

Seine Enkelin stand neben ihm, auf die Zehnspitzen gestellt und sich an der Armlehne des Schaukelstuhls festhaltend. Er spürte ihre Neugierde.

"Grandpa?" Ihre Stimme klang so lieb und freundlich, sodass die Kälte augenblicklich von seiner Haut wich.

"Was hast du gesehen, Grandpa?", drängelte sie.

Der Seher hob den Kopf, sah zuerst zu ihr und ließ dann seinen blinden Augen in Richtung Tür wandern.

Dort stand sein Sohn. Die Arme vor der Brust verschränkt und die Lippen aufeinander gepresst. Nervosität ging von ihm aus.

Der Seher sah wieder seine Enkeltochter an und stellte sich ihre Augen vor, gleich den Edelsteinen, nach denen sie benannt worden war.

Dann sagte er: "Nichts. Ich habe Nichts gesehen. Ich habe bloß Worte der Göttin gehört, Sapphire."

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