Genug

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„Ich kann es immer noch nicht fassen", sage ich zu Lisette, als wir die letzten Kartons verstauen. „Ich habe immer geglaubt, ich hätte einfach Glück gehabt. Dass Katharina mit der FAKS und mit der Einrichtung gesprochen hat, damit ich trotz der Schwangerschaft bleiben kann, dass sie mir durch Bekannte die Wohnung vermittelt und die Hälfte der Miete übernommen hat, ohne es mich merken zu lassen, dass sie hinter der „Zwillingsmütterhilfe" steckt, die mir die Erstausstattung beschaffte und mich ein Jahr lang mit Windeln und Babynahrung versorgte, dass sie sogar interveniert hat, als ich mich beim Waldhort beworben habe – es ist unglaublich! Die ganze Zeit hat sie sozusagen ihre schützende Hand über mich gehalten!"

„Na, der Hort hat ja zurückgeschrieben, du seist ohnehin eine von zwei Kandidatinnen, die noch in der Wahl stünden. Das hast du also dir selbst zu verdanken", erinnert mich Lisette. „Aber ich bin auch beeindruckt. Ich habe Katharina immer für freundlich und gutherzig gehalten, aber nie gedacht, dass sie soviel Liebe in sich birgt. Sie zeigt es niemals."

„Naja, ich kann es verstehen, wenn sie sich da zurückhält", gebe ich zu. „Sie hat so viele Verluste erlitten. Mein Großvater ist ja auch ziemlich früh gestorben und wenn ich mir so ansehe, was wir alles einpacken mussten, bin ich sicher, dass sie ihn noch heute sehr vermisst. Und sie muss ihre Söhne zärtlich geliebt haben, den vielen Bildern nach, die sie von ihnen aufhebt. Bis sie sie verloren hat durch einen Idioten, der den beiden Hass auf sie eingeimpft hat."

„Stimmt, der ist vielleicht auch verantwortlich für die Unterschlagungen, die die beiden in der Gaitex begangen haben. Sie waren sicher der Meinung, das steht ihnen zu, weil sie ja Gainers sind. Aber zu wetten, über ihre Verhältnisse zu leben und mutwillig Schulden zu machen, in dem Gedanken, wir erben ja mal, dazu hat sie keiner gezwungen. Kein Wunder, dass sie beiden ein Vermögen überschrieben hat, von dem sie lediglich die Zinsen bekommen und sie dann mehr oder weniger fallen lassen hat. Laut Paul hat sie allerdings zumindest deinem Vater immer wieder kleinere Beträge zugesteckt, wenn er sich mal wieder übernommen hatte."

„Aber es sieht so aus, als ob sich Katharina dafür um so mehr um uns gekümmert hat. Pauls Studium hat sie auch voll finanziert – und Vater hat immer so getan, als knapse er sich das sozusagen vom Mund ab – oder wie immer man das sagt."

„Ihr entschädigt sie auch reichlich", meint Lisette. „Ihr haltet zu ihr und seid viel wertvollere Menschen als eure Eltern. Ich könnte direkt Angst bekommen, wenn ich nicht deine beiden Wunderkerlchen kennen würde."

„Hä?"

„Naja, Gottwin Gainer scheint ja ein aufrichter, wackerer Mann gewesen zu sein. Seine Söhne waren Arschlöcher. Katharina und ihre Brüder hingegen wieder sehr liebe Menschen. Katharinas Söhne hingegen ..." Lisette bricht ab, aber ich grinse nur. „Ja, genau. Das habe ich schon vor sehr langer Zeit einsehen müssen."

„Ja, aber trotzdem seid Paul und du wieder so wunderbare Personen. Ich habe mir so fest vorgenommen, mich niemals in einen Chef zu verlieben, aber bei deinem Bruder war ich chancenlos. Der Logik nach müssten Kirsten und Rasmus ja wieder gemein und egoistisch werden, sind die aber überhaupt nicht. Also brauche ich keine Angst zu haben, wenn Paul und ich uns auch eine Familie zulegen."

„Bestimmt nicht. Sag mal, Lisette – was war das eigentlich für ein Brief, den dir Paul zugesteckt hat? Du musst es nicht sagen, aber ich bin ein bisschen neugierig. Er hat so selig gelächelt darüber und du bist knallrot geworden – war's was Schlimmes für dich?"

„Ach wo. Kannste lesen. Er wollte es wohl nicht den Kindern zeigen, aber du hast ja sein volles Vertrauen." Sie greift in die Tasche. „Das ist ein Ausdruck, muss ihr meine Sekretärin gemacht haben, denn mir war das neu. Sonst mache ich ja sowas für sie."

Neugierig entfalte ich das Blatt. Als erstes sehe ich die beiden ausgedruckten Fotos. Sie sind etwas unscharf, aber was da geschieht, ist gut zu erkennen. Eindeutig stammen sie aus dem Archiv, das sich so gut zum Versteckspiel eignet und sind von der Galerie darüber aufgenommen worden. Lisette steht an einer Wand, Paul vor ihr, eine Hand neben an die Wand gestützt. Lisette umklammert mit beiden Armen einige Aktenordner, Paul blickt nachdenklich auf sie herunter. Auf dem zweiten Bild hat er sich vorgebeugt und küsst sie. Lisettes rechte Hand liegt in seinem Haar und die Ordner befinden sich auf halbem Weg Richtung Boden. Ich kichere. „Sind sie ihm auf die Füße gefallen?"

„Einer ja. Er meinte, die blaue Zehe wäre nun ein Ehrenzeichen."

„Typisch Paul", ich vertiefe mich die Zeilen unter den Bildern.

„Ach, Paul,

gerade bin ich durch die Galerie gegangen und habe dies miterlebt. Zum Glück sind die Bilder einigermaßen geworden; ich habe noch nie zuvor mit diesem Teil fotografiert und dafür sind sie doch nicht schlecht, oder? Ich musste diesen Augenblick einfach festhalten.

Du wirst dies wahrscheinlich erst entdecken, wenn ich tot bin. Darum will ich es dir jetzt sagen: Ich freue mich so sehr für dich!

Mir war es ja gleich klar damals. Du kamst in mein Büro, als ich Lisette gerade Anweisungen erteilte, frisch vom Flughafen und völlig erledigt vom Jetlag. Ich stellte dir unsere neue Assistentin vor und beobachtete dann deinen Blick, als du sie begrüßtest. Du hast ihr erst in die Augen gesehen und dann von oben bis unten gemustert, mit deinem gleichgültigen „Sie sieht ja toll aus, aber sie soll sich ja nicht einbilden, dass sie mich einfangen kann"-Blick. Sie hingegen konnte die Augen nicht mehr von dir abwenden und wirkte ziemlich enttäuscht, als du sie links liegen ließest und mit mir über die Verträge sprachst, die du mitgebracht hattest.

Auf meinen Wink blieb sie aber im Zimmer und als wir das Wichtigste besprochen hatten, gab ich ihr die Verträge ohne ein Wort. Sie nahm sie entgegen und meinte nur, sie würde die besprochenen Änderungen einfügen und uns gleich die neuen Analysen bringen, die sie gestern erstellt hatte. Völlig verblüfft über soviel Tüchtigkeit drehtest du dich um und sahst sie richtig an und sie lächelte dich strahlend an, vor Freude, dass sie für doch mehr ist als eine Maschine. Dann ging sie, du sahst ihr nach und – nun, ich muss sagen, Paul, du warst an dem Tag nicht mehr zu gebrauchen. Dass ich dich heimschickte zum Ausschlafen, lag aber nicht an deiner Müdigkeit, die schien mit einem Mal verflogen, sondern an deiner mangelnden Aufmerksamkeit. Dir war noch nichts aufgefallen, aber ich wusste Bescheid.

Und dann durfte ich zusehen, wie ihr beide umeinander herumschwänzeltet, ohne dass es jemals über das übliche Chef-Assistentin-Verhältnis hinausging. Mir ist ja klar, dass dir Ilkas Verrat noch nahegeht, aber ehrlich, Paul, ein Dreivierteljahr? So lange hast du gebraucht, um endlich zu begreifen, dass Lisette ein völlig anderer Mensch ist. Und jetzt endlich hast du wenigstens den Mut aufgebracht, sie zu küssen.

Ich schreibe es dir nochmal: ich freue mich für dich und für Lisette. Ihr beide passt so gut zusammen, ihr ergänzt euch in mancher Hinsicht und in anderer habt ihr vieles gemein. Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr beide so wunderbare Lebensgefährten werdet wie Paul und ich es waren und ich wünsche euch von ganzen Herzen, dass euch beiden mehr Zeit beschieden ist als uns."

Ich lasse den Brief sinken. „Das ist ja goldig. War das euer erster Kuss?"

Lisette nickt und schenkt mir ein Lächeln wie jenes, in das sich mein geliebter Bruder auf der Stelle verliebt hat. „Ich war erst verlegen, weil sie das mitbekommen hat. Jetzt finde ich es aber schön, dass es ein Foto von diesem Moment gibt."

„Und sie hat euch beiden sozusagen ihren Segen erteilt. Das ist so lieb von ihr."

Lisette nickt wieder, diesmal sehr nachdrücklich. „Katja, ich habe einen Entschluss gefasst."

„Hm?" Ob sie wohl das gleiche meint wie ich?

„Wir holen sie raus aus dieser Isolation, aus dieser Mauer, die sie um sich errichtet hat. Sie ist ein so warmherziger Mensch, ich kann gar nicht verstehen, wie sie sich so kühl geben konnte, aber sie brauchte das wohl, um nicht wieder verletzt zu werden. Aber wir werden das ja nicht tun. Ich weiß nicht, wie viel Zeit Katharina noch hat, aber sie soll jetzt so viel Liebe bekommen, wie wir aufbringen. Machst du mit?"

„Natürlich", sage ich. Wie schön, dass Lisette die gleiche Idee hatte.

„Mensch, pass auf den Sekretär auf", warnt Paul.

„Ist der Markus auch hier?" Klaus dreht sich suchend um, wobei er Paul beinahe eines der langen Beine des Möbelstücks auf seiner Schulter um die Ohren gehauen hätte. „Der ist doch viel zu schmächtig, um hier zu helfen!"

„Du Depp, ich mein das Ding, das du da trägst", kommt es vom Boden her. Klaus, einer der längsten Weber, welche die Gaitex aufzuweisen hat und nebenbei ein alter Freund von uns, blickt verdutzt nach unten. „Warum kniest du da unten?"

„Weil ich es nicht mag, antike Schreibtische an den Kopf zu bekommen", Paul richtet sich wieder auf. „Also nochmal ganz langsam: Das Teil ist ein Sekretär, respektive ein Schreibtisch und der gehört ins Arbeitszimmer und dient nicht dazu, Ölgemälde von der Wand zu fegen."

„Okay, alles klar, Boss! Und wo ist das Arbeitszimmer?"

Katharina, die sich nur mühsam das Lachen verbeißen kann, weist auf die entsprechende Tür und Klaus trabt los. „Autsch! Da machen die so ne feine betreute Wohnung mit Küche, Bad und drei Zimmern, aber für ordentliche Türen reichts nicht!"

„Die rechnen halt nicht mit solchen Lackeln wie dir", erkläre ich, während Kirsten kräht: „Die Wohnung wird doch nicht betreut, sondern Katharina!"

Katharina sinkt in den Ohrenbackensessel, den ihr Paul gerade hingestellt hat und wischt sich die Lachtränen aus den Augen. „Das ist ja besser als Laurel und Hardy!"

Lisette hat inzwischen die gefährdeten Bilder abgehängt und faucht ihren Chef und Neu-Verlobten an: „Das war ja wohl ne besonders gute Idee, erstmal die Bilder aufzuhängen! Das macht man, wenn die Möbel alle an Ort und Stelle sind."

Ich geselle mich zu Katharina. „Tut mir leid, wenn wir alle zugleich über dich herfallen. Aber Paul hatte die Idee, sich einen der Firmen-LKWs und einige Angestellte zu schnappen und Möbel, Bücher und Kartons zusammen herzufahren."

Katharinas lässiges Abwinken ist mir so vertraut, dass es mir das Herz zusammenzieht bei dem Gedanken, es irgendwann einmal nicht mehr zu sehen. „Das macht nichts. Ich habe gerne ein bisschen Trubel um mich herum. Glaubst du denn, mein Leben sei so ruhig verlaufen bisher?"

„Nein, das ist es ja nicht gerade", rutscht es mir heraus. Katharina blickt mich nachdenklich an. „Aha. Ihr habt die Truhe gefunden. Ich dachte es mir schon, als mir Kirsten vorhin erzählte, sie freue sich darauf, die Kochkiste auszuprobieren."

Ich nehme allen Mut zusammen, setze mich auf die Lehne zu ihr und lege ihr meinen Arm um die Schulter. Und sie lässt es sich ruhig gefallen.

„Ja, wir haben sie entdeckt. Dein Hitlerbild ist genial!"

„Danke", Katharinas Mundwinkel zucken. Meine wohl auch, denn Lisette sieht auf und lacht uns an. „Ihr grinst auf die gleiche Art, wisst ihr das eigentlich?"

„Wir sind ja auch verwandt ...", ich stocke verwirrt, denn Katharina hat gleichzeitig die gleichen Worte gesagt.

Sie lächelt. „Früher sagte man bei sowas, wir leben noch lange zusammen."

Hoffentlich, denke ich.

Katharina stemmt die Hände auf die Lehnen und bereitet sich vor, sich aus dem Sessel zu erheben. „Ich habe in der Küche einen Kasten Bier, Brot und im Kühlschrank sind Käse und Salami. Eine Brotzeit werden die Herren sicher nicht ablehnen."

Ich sehe, wie es ihr schwerfällt, sich zu erheben. Geistig ist Katharina nach wie vor sehr rege, sehen und hören kann sie noch gut und körperlich fit ist sie auch an den meisten Tagen. Nur ihre Knie machen manchmal Probleme und heute scheint ein solcher Tag zu sein.

„Bleib sitzen, ich mach das", sage ich daher und drücke sie in den Sessel zurück. „Ruh dich mal aus. Du hast genug getan."

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