49 - Zwischen Daunen und Entscheidungen

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„Chris?", flüstere ich.

Ich liege neben ihm in seinem Bett. Nach dem Versöhnungssex in der Dusche hatten wir alles auch noch ins Schlafzimmer verlegt und unsere Wut, Frust und den Schmerz, den wir uns gegenseitig angefügt hatten, an unseren Körpern ausgelassen.

Noch nie war ich gleichzeitig so wütend und so erregt gewesen, wie letzte Nacht. Aber jetzt schmerzt mein ganzer Körper. Und meine Seele, denn ich habe ein schrecklich schlechtes Gewissen. Es war nicht meine Absicht gewesen, Chris zu verletzen und ich bin mir schmerzlich bewusst, dass ich ebendies getan habe. Indem ich ihm nicht vertraut habe, seiner Ex eher geglaubt habe als ihm und indem ich mich einfach – um Chris' Worte in den Mund zu nehmen – auf den Nächstbesten gestürzt habe.

Das war so dumm von mir!

Chris' Körper liegt neben mir. Sein starker Rücken ist mir zugewandt. Ich fahre mit meinen Fingerspitzen über seine Haut und sehe, wie es ihm die Härchen aufstellt. Er dreht sich zu mir um und öffnet die Augen, die von dunklen Ringen umrandet sind. Er sieht mitgenommen aus. Alles nur meinetwegen.

„Hm?", murmelt er schlaftrunken.

Ich rolle mich zusammen und krieche näher zu ihm heran. Mein Gesicht drücke ich an seine Brust. Der Geruch seiner Haut schleicht sich in meine Nase. Ab seiner Bewegung merke ich, wie er verwundert zu mir runterblicken muss.

„Was ist denn?", fragt er weiter. Er räuspert sich, denn seine Stimme ist vom Schlaf belegt.

Aber da kommt der Schluchzer schon aus meiner Kehle und ich heule ihm seine nackte Brust voll. Er will sich von mir lösen, um mir in die Augen zu blicken, aber ich kann es nicht zulassen. Ich will mich einfach nur an ihn krallen und ihn nie wieder loslassen.

„Hey", sagt er sanfter und schlingt die Arme um mich. „Was ist denn los?"

Erst schaffe ich es nicht, etwas zu sagen, aber dann löst sich der Druck in meinem Hals und die Worte formen sich wie von selbst.

„Es tut mir so leid", wimmere ich.

Mein Körper wird durchgeschüttelt, aber Chris fängt es mit seinen starken Armen ab. Der ganze Druck und Schmerz der letzten Tage löst sich genau in diesem Moment, wie eine riesige Kaskade an Gefühlen, die allesamt gleichzeitig aus meinem Herzen strömen wollen.

„Was tut dir leid?", fragt er leise, nachdem mich nur noch wenige Schluchzer packen und ich meine Stimme wieder finde.

Ich drücke mein Gesicht fester in seine Brust.

„Was ich getan habe. Was ich gesagt habe. Das mit Patrick. Dass ich dir nicht geglaubt habe ... einfach alles!"

Ein lautes, frustriertes Stöhnen entkommt mir, denn es ist mir so unendlich peinlich, wie naiv und einfältig ich mich verhalten habe. Jede erwachsene Frau wäre unter diesen Umständen wahrscheinlich vernünftig geblieben. Nur ich liess es zu, dass Julia mir den Verstand vergiftete, sodass ich die Wahrheit nicht mehr sah.

„Hey", flüstert er und küsst mich auf den Hinterkopf. „Es war ein Missverständnis. Das ist doch in Ordnung."

„Nein, ist es nicht. Wenn ich gewusst hätte, dass das alles falsch ist. Ich hätte nie ..."

Chris drückt mich fester an sich. Es fühlt sich so gut an, von ihm gehalten zu werden. Zu wissen, dass er da ist.

„Das weiss ich doch, Emma."

Ich löse mich von seiner Umarmung und blicke ihm in die Augen.

„Es war dumm von mir! Ich hätte Julia nicht so an mich ranlassen dürfen. Eigentlich wusste ich's doch, dass es nicht stimmen kann. Aber sie ... sie ..."

Mir fehlen die Worte, um die Methoden dieser manipulativen Schlange überhaupt zu beschreiben. Chris nickt sanft und streicht mir mit den Fingerspitzen eine Strähne hinters Ohr.

„Julia hat ein ernstes, psychisches Problem", beendet er meinen in der Luft hängenden Satz. „Sie erfindet die schlimmsten Lügengeschichten und weiss, wie sie Leute beeinflussen kann. Welche Knöpfe sie drücken muss, um den Menschen weh zu tun."

Ich schlucke leer. Ja, diese Frau ist ein Profi und ich bin ihr voll ins Netz gegangen.

„Sie ist wirklich ein Monster", murmle ich und vergrabe mein Gesicht in seiner Halsbeuge, denn hier riecht es am intensivsten nach ihm und wenn es nach mir ginge, könnte ich von seinem Geruch high werden.

„Wie konntest du nur so einen Menschen heiraten?", rutscht es mir raus.

Augenblicklich beisse ich mir auf die Unterlippe, denn ich weiss nicht, ob das eine gescheite Frage in diesem Moment ist. Allerdings geistert die schon so lange in meinem Kopf herum. Seit dem Tag, als ich realisierte, dass Chris Satan höchst persönlich geheiratet hatte.

Ein langer Seufzer kommt von seiner Brust.

„Die Frage habe ich mir die letzten zwei Jahre oft gestellt. Jedoch muss ich zu ihrer Verteidigung sagen, dass sie früher nicht so war – damals, als ich sie kennengelernt habe. Sie war ein liebevoller Mensch, unglaublich aufopferungsvoll und immer um die Bedürfnisse anderer bemüht. Als Emil kam, ist sie als Mutter richtig aufgeblüht. Sie hat das wunderbar gemeistert."

Was er mir da verrät, kann ich mir kaum vorstellen. Julia ein netter Mensch? Nie im Leben!

„Und was ist passiert, dass sie sich in den Drachen verwandelt hat, der sie jetzt ist?", will ich weiter wissen.

Chris bewegt sich, sodass ich meinen Kopf aus seiner Halsbeuge nehmen muss. Er mustert mich, fährt mit seinen wunderschönen Augen meinen Gesichtskonturen nach, während seine Finger mit meinen Strähnen spielen.

„Ich weiss es auch nicht genau. Kann nur Vermutungen aufstellen. Einerseits wurde die Karriere für sie immer wichtiger. Sie musste im Büro viel kämpfen, um als Mutter von einem Kleinkind als Führungsperson unter Männern ernst genommen zu werden. Ihr alter Job setzte sie ständig unter Druck. Sie war immer gestresst und auch zwischen uns lief es nicht mehr so gut. Wahrscheinlich, weil ich die gegenteilige Entscheidung traf als sie. Anstatt Karriere machen zu wollen, ging ich meiner Leidenschaft nach. Das hat sie sehr getroffen, denn sie dachte immer, wir seien beide Karrieremenschen. Als sie dann realisierte, dass ich nicht so bin, hat sie mich betrogen. Die Scheidung hat ihr dann noch schwerer zugesetzt. Sie war zutiefst in ihrem Stolz verletzt, selbst wenn es im Grunde ihr Fehler war."

„Wir alle machen Fehler", flüstere ich und merke selbst, dass es fast so klingt, als würde ich ihre Seite einnehmen.

„Julia hat diesen Fehler über einen Zeitraum von einem halben Jahr vier Mal begangen, ehe ich es gemerkt habe. Da kann man nicht mehr von einem Ausrutscher sprechen", meint Chris und ich bereue augenblicklich, was ich gesagt habe.

„Das tut mir so leid ...", versuche ich die Situation zu retten.

„Das muss es dir nicht. So sehr ich Julia dafür verabscheue, was sie mir angetan hat und zu wem sie geworden ist. Sie ist am Ende noch immer die Frau, die mir Emil geschenkt hat. Mein Sohn ist das Beste, was mir jemals passiert ist."

Ich nicke stumm und schenke ihm ein vorsichtiges Lächeln. Das verstehe ich, auch wenn es mir ein kleines bisschen weh tut, zu wissen, dass ihn etwas so Wertvolles mit dieser Frau bis an sein Lebensende verbinden wird. Sie ist ein wichtiger Teil seiner Vergangenheit und das werde ich nicht ändern können. Das soll ich auch nicht ändern wollen. Julia mag zwar ein Biest sein, aber schliesslich hat sie dazu beigetragen, dass Chris zu dem Menschen geworden ist, der er jetzt ist.

Mit den Fingerspitzen streiche ich ihm über seine Brust. Es wird still zwischen uns. Wir versinken beide in unsere Gedanken.

„Chris ...?", hauche ich nach einer Weile und hebe den Kopf.

Ich muss schrecklich aussehen, denke ich mir. Frühmorgens sieht jeder Mensch einfach nur schlimm aus. Aufgedunsenes Gesicht, Sand in den Augen, fettige Haare, Mundgeruch. Eine Gorgone frisch aus der griechischen Mythologie entsprungen. Chris' braune Augen finden meine. Er blickt mich fragend an. Ein Wunder, dass er bei meinem Anblick nicht gleich zu Stein erstarrt.

„Hm?"

„Ich glaube, ich mag dich zu sehr."

Das ist wahrscheinlich die unromantischste Liebeserklärung, die ich je einem Mann gegeben habe, aber mein Herz spricht. Dieser Kerl ist mein Lebenselixier. Diese Arme, die sich enger um mich schmiegen, nachdem ich ihm diese Worte offenbart habe, schenken mir die Geborgenheit, die ich suche. Dieses Gesicht die Sicherheit in unsicheren Zeiten.

Schon wieder wollen sich Tränen in meinen Augen bilden, aber dieses Mal nicht aus Leid, sondern aus Glück.

Er schweigt, während er mich mit seinen warmen Kaffeeaugen mustert. Seine Gesichtszüge sind entspannt. Selbst so verschlafen sieht er unglaublich attraktiv aus. Dieses Gesicht möchte ich jeden Morgen nach dem Aufwachen sehen. Am liebsten für immer.

„Ich glaube, ich dich auch", ahmt er mich nach und kommt mit seinem Gesicht näher.

Er nimmt meinen Kopf in seine Hände und küsst meine Lider. Seine Lippen besänftigen meine geschwollenen Augen und saugen die Tränen weg, die sich auf meinen Wangen verfangen haben.

„Hör auf ...", murmle ich verlegen und versuche, sein Gesicht von meinem wegzuschieben, denn ich denke nicht, dass ich seine Küsse verdient habe.

Aber er küsst weiter an mir rum wie der Saugnapf eines Oktopus.

„Ich höre erst auf, wenn da keine Träne mehr ist."

Meine bedrückte Laune verwandelt sich in ein Lachen. Ich kann nicht anders, als zu kichern, während Chris mein Gesicht mit seinen Lippen kitzelt.

„So, jetzt ist besser", sagt er dann und löst seinen Schlabbermund von mir. Er mustert mein müdes Gesicht.

Ich erwidere seinen Blick stumm. Chris ist glücklich, merke ich. Er ist glücklich, hier mit mir an seiner Seite im Bett zu liegen. Man sieht es ihm an und ich weiss nicht, was das in mir auslöst, aber es kribbelt überall, als ich das realisiere.

Gott, ich liebe diesen Mann.

Dieser Kerl hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt, aber auf eine gute Art. Ich will nicht mehr zurück ins alte, triste Leben. Nein. Ich will mit Chris noch tausend Abenteuer erleben.

Allerdings denke ich nicht, dass das möglich ist, solange ich seiner Exfrau, der blonden Tyrannin, direkt unterworfen bin. Das würde einfach nicht gehen.

Julia hat es bewiesen, dass es für mich nicht möglich ist, dort noch länger zu verweilen, wenn mir etwas an Chris und unserer Beziehung liegt. Ich muss da weg und einen möglichst grossen Abstand zu ihr gewinnen.

„Weisst du was?", flüstere ich. „Ich gehe am Montag zurück ins Büro und spreche mit Julia. Ich will diese Sache mit ihr klären."

Für einen kurzen Augenblick bin ich selbst über meine Worte überrascht. Chris' Augenbrauen ziehen sich über seiner Nase fest zusammen. Er mag den Inhalt meiner Aussage offenbar überhaupt nicht.

„Das solltest du nicht. Nicht bevor ich mit ihr gesprochen habe. Sie ist zu weit gegangen und das muss ich ein für allemal klarstellen. Die kann meine Freundin nicht einfach so–", will er schon argumentieren, aber da unterbreche ich ihn.

„Nein, ich muss das tun. Ich will das tun", sage ich und sehe die Sorge in seinen Augen, weshalb ich eine Hand an seine Wange lege, um ihn zu beschwichtigen. „Ausserdem ist sie meine Vorgesetzte. Sie ist die Person, der ich meine Kündigung in die Hand drücken muss."

Chris' Augen werden gross, als ich das ausspreche, was ich schon längst tief in meinem Inneren gespürt habe. Ich kann es selbst nicht fassen, was ich da gerade gesagt habe. Jedoch fühlt sich jedes Wort davon wie eine Erleichterung an.

Genau das ist es. Ich werde kündigen!

„Bist du dir sicher?", hakt Chris nach, um sicherzugehen, dass er richtig gehört hat.

Ich nicke, um mich selbst von meiner Aussage zu überzeugen.

„Ich will dort nicht mehr arbeiten. Ich kann es nicht. Die Auszeit im Vertrieb war ein wahrer Urlaub im Vergleich und die alleinige Vorstellung, das Headset montieren zu müssen und den ganzen Tag nur am Telefon zu sitzen, macht mich krank. Du meintest doch, ich solle kündigen. Das mache ich am Montag. Ich habe keinen Bock mehr auf diesen Job. Und ich habe keine Lust, die Zielscheibe von Julia zu werden, wenn sie sich plötzlich wieder lustig fühlt. Wirklich nicht."

Chris blickt mich lange an. Ich weiss nicht, was in seinem Kopf vorgeht, aber da passiert so einiges. Sein Ausdruck ist ernst.

„Es tut mir leid, dass deine Arbeit wegen unserer Beziehung noch unerträglicher geworden ist. Ich wünschte, es wäre nicht so ... so ausgeartet."

Ich lache auf.

„Warum bitte entschuldigst du dich? Du kannst doch nichts dafür. Selbst wenn wir uns zwei nicht gekannt hätten, hätte mich Julia früher oder später rausgemobbt. Bei ihr hätte ich es nicht lange ausgehalten. Das hier", sage ich und zeige auf uns beide. „Das hier hat mir jetzt bloss den Ansporn gegeben, den Sprung von der Klippe zu wagen. Okay?"

Chris schmunzelt ab meiner flammenden Rede.

„Okay", meint er dann. „Ich denke auch, dass es die richtige Entscheidung ist."

Dass ich auf seine Unterstützung zählen kann, wusste ich bereits. Es aber nochmals zu hören, ist dennoch schön. Ich beisse mir verschmitzt grinsend auf die Unterlippe und drehe mich auf den Rücken, sodass ich ihm nicht mehr direkt ins Gesicht blicke. Meine Augen starren an die Decke seines Schlafzimmers.

„Der freie Fall ist für mich allerdings höchst beunruhigend. Ich weiss noch nicht, was ich danach tun werde. Ich habe nämlich keinen blassen Schimmer, was ich mit meinem Leben anstellen möchte."

Absichtlich lasse ich das wie eine Drohung klingen. Chris zuckt mit den Schultern.

„Na und? Das kannst du ja herausfinden. Habe ich dir schon einmal gesagt."

Er hat noch nicht verstanden, worauf ich hinaus will.

„Ja, aber ich meine halt, dass ich eine Zeit lang zu einem emotionalen Wrack mit enormen Zukunftsängsten mutieren und deine mentale Unterstützung in Anspruch nehmen werde. Jeden Tag wahrscheinlich."

Jetzt hat er es verstanden. Ich schiele zu ihm rüber. Er grinst breit und zieht mich an seine Brust, sodass wir wie zwei Löffelchen aneinander geschmiegt daliegen. Seinen Kopf vergräbt er in meinen Nacken und ich höre, wie er laut meinen Duft durch die Nase einzieht.

„Das kann ich dir liebend gerne geben. Die Form dieser Unterstützung ist jedoch verhandelbar, nicht wahr?", murmelt er in meine Haare.

Ich drehe den Kopf leicht in seine Richtung, kann aber seine Augen nicht sehen.

„Wie meinst du das?"

„Die Unterstützung muss nicht nur psychischer Natur sein, oder?" Er drückt mich fester in seine Arme und da spüre ich es: Seine Erektion an meinem Hintern.

„Du Schlingel willst mir nur zwischen die Beine?"

„Heute schon. Ja", raunt er und presst seine Finger in meine Hüfte, nur um sich noch näher an mich zu drücken. „Und jeden Tag danach auch. Ich bin auf argem Entzug."

Seine Härte an meinem Po lässt sich nicht länger ignorieren. Mir wird allmählich warm.

„Sex kann anscheinend eine seelenheilende Wirkung haben, nebst dass es das Immunsystem stärkt – habe ich gelesen", sage ich ganz wissenschaftlich. „Also ja, können wir gerne als eine Form der mentalen Unterstützung durchgehen lassen."

Er lacht und mir schlägt dabei das Herz vor Entzückung schneller in der Brust. Wie ich dieses Geräusch liebe, es hört sich wirklich wie Musik in meinen Ohren an.

„Gut", meint er dann und zieht seine Hand, die zuvor noch an meiner Hüfte lag zu meinem Bauchnabel, nur um dann unter meinen Slip zu schlüpfen.

Die Wärme seiner Finger breitet sich in meinem Unterleib aus. Ich kann mich nicht aus Chris' Armen winden, denn er hält mich fest.

Was hat der Kerl frühmorgens mit dieser Hand nur vor?

„Was treib–", will ich meckern, aber da fährt er mit seinen Fingern über meine Mitte und haucht mir einen Kuss in meine Halsbeuge.

„Wir beginnen gleich heute mit dieser Form der Unterstützung", raunt er in mein Ohr und schon jagt mir dieser angenehme Schauer durch den ganzen Körper.

Wie auf Kommando schmilzt mein Körper zwischen seinen Händen dahin. Ich drücke mein Becken nach hinten, während sich seine Hand in meiner Pyjamahose verselbstständigt und sich mein Atmen in ein Keuchen verwandelt.

Es ist Montag. Jedoch nicht irgendein Montag.

Dieser hier ist besonders, denn in meinen schwitzigen Fingern halte ich meine Kündigung, schön säuberlich festgehalten, mit eigenhändiger Unterschrift.

Der Aufzug geht auf und ich marschiere zielstrebig zu Julia Gerbers Büro, wohlwissend, dass die nächsten drei Monate meiner Kündigungsfrist zur Hölle werden könnten, wenn sie das hier in den falschen Hals bekommt.

Chris' Pep Talk frühmorgens bei Pancakes und Orangensaft hat mir geholfen, mich mental auf diesen Moment vorzubereiten. Ich werde Julia auf Augenhöhe begegnen und ihr die Kündigung reichen. Nebst den arbeitsbezogenen Dingen, die ich ihr geigen möchte, gibt es da noch ein paar persönliche Sachen, die ich ihr sagen will.

Und die Kuh wird zuhören müssen.

„Frau Schmidt, was–?", sagt sie perplex, als ich die Tür zu ihrem Büro aufreisse.

Sie ist Gott sei Dank nicht in einem Meeting und sitzt auf ihrem ledernen Thron. Hinter mir stolpert der blonde Assistenzengel auf Stöckelschuhen mit in den Raum. Sie wollte mich aufhalten, aber ihre dünnen Handgelenke konnten meinen robusten Körper nicht zurückhalten. Ich bin nicht mehr zu stoppen.

„Ich muss mit Ihnen reden", sage ich ausser Atem. Mein Herz klopft mir so stark gegen den Brustkorb, dass ich befürchte, man könnte die Vibration von aussen sehen.

Julia verzieht ihr Gesicht zu einer wütenden Fratze, die mich an jedem anderen Tag schleunigst wieder aus dem Zimmer gejagt hätte. Nicht aber heute.

„Ich habe keine Zeit", faucht sie, steht von ihrem Sessel auf und läuft auf mich zu. In ihren Augen spiegelt sich die stumme Drohung. Was willst du Flittchen in meinem Büro?

„Die werden Sie sich nehmen."

Breitbeinig baue ich mich vor ihr auf, lasse mich nicht einschüchtern.

Sie kommt vor mir zum Stehen. Mit ihren hohen Hacken ist die fast einen Kopf grösser als ich. Mein Kopf ist allerdings stolz in die Höhe gereckt, mein Blick siegessicher. Sie starrt mich nieder, ich zucke jedoch mit keiner Wimper. Diesen Augen werde ich standhalten können!

Als Julia merkt, dass ich nicht klein beigebe, lässt sie einen Seufzer hören, der wie das Maulen einer wütenden Katze klingt. Sie vergrössert den Abstand zwischen uns und winkt ihre Assistenz aus dem Raum, damit wir unter uns sein können.

Der Stein wird vor die Höhle gerollt. Jetzt sind wir allein und ich dieser Bestie ausgeliefert. Dieses Mal habe ich allerdings meinen symbolischen Speer dabei. Sie wird mir nichts antun können.

Julia verschränkt die Arme vor sich.

„Sie haben fünf Minuten. Kommen Sie also auf den P–"

„Ich kündige", unterbreche ich sie.

Das Selbstvertrauen, welches in meiner Stimme mitschwingt, überrascht mich selbst ein bisschen. Es fühlt sich unglaublich befreiend an, diese Worte laut auszusprechen. Diese Worte an meine furchtbare Chefin zu richten.

In Julias Gesicht passiert genau das, was ich vermutet habe: Sie lächelt, als hätte sie den Kampf gewonnen. Als wäre all das immer ihr Ziel gewesen: Mich loszuwerden.

„Oh, Frau Schmidt. Sie kündigen? Das ist aber schade", lügt sie mich an und streckt ihre Hand hin, um den offiziellen Zettel entgegenzunehmen.

Das Kündigungsschreiben lege ich ihr feierlich in die Finger. Nun lächeln wir beide und ich sehe, dass es sie verwirrt. Sie hat wohl damit gerechnet, dass ich wie ein räudiges Hündchen herangekrochen komme. Die weisse Fahne schwingend, um Erbarmen flehend.

Da hat sie sich aber gehörig in mir getäuscht.

„Das ist es tatsächlich", sage ich und lege den Kopf schief, um ihr herausfordernd in die Augen zu blicken, denn ihre Reaktion auf das, was gleich folgen wird, möchte ich mir nicht entgehen lassen.

„Chris hat mir jedoch wärmstens empfohlen, es durchzuziehen."

Meine Mundwinkel zucken, doch ich presse die Lippen fest aufeinander. Ein böses Grinsen wäre nicht angebracht, ich muss schliesslich so respektvoll und professionell wie möglich wirken, selbst wenn ich dieser Teufelin gerne die Hölle kalt machen wollen würde.

Julias Blick durchbohrt mich. Ihre Körperhaltung wirkt jäh verkrampft. Die Hand, welche meine Kündigung zwischen den makellos lackierten Fingern hält, bebt. Das Zittern überträgt sich auf das Papier.

Oh, das hat sie getroffen. Mein erster Speerstoss hat gesessen.

„Wie ... Chris?", krächzt sie und räuspert sich sofort, als sie merkt, dass ihre Stimme kurz Pause gemacht hat. Mich stimmt ihre Unsicherheit noch angriffslustiger.

„Du hast schon richtig gehört. Chris und ich sind wieder zusammen. Er hat mir alles erzählt."

Der zweite Schlag ist ausgeteilt. Julia schwankt leicht rückwärts.

Keine Ahnung, ob es die Tatsache ist, dass ich sie frech duze oder ob es der Inhalt meiner Worte ist, der sie erstarren lässt. Julias Gesichtsmuskeln zucken, trotz des lähmenden Botox, das darin stecken muss. Sie versucht, die Fassung nicht zu verlieren.

Aber wie es scheint, habe ich sie wirklich auf dem falschen Fuss erwischt. Sie ist entwaffnet, also lege ich noch einen drauf. Das Biest ist dem Untergang geweiht!

„Wir haben uns ausgesprochen und ich weiss jetzt, dass du gelogen hast, Julia. Diese Audionachricht war eine Täuschung. Ihr habt euch nicht "wieder vereint". Ihr habt euch für den Sorgerechtsstreit getroffen. Alles andere hast du frei erfunden, nur um Chris und mich auseinanderzureissen."

Als wäre sie aus ihrer Starrheit erwacht, knallt Julia meine Kündigung auf ihren Tisch.

„Diese Unterstellung ist eine Unverschämtheit!", donnert es mir entgegen, aber ich lasse mich von ihr nicht mehr beeindrucken.

Ihre Wut ist für mich nur noch ein heisses Lüftchen, kein Feuertornado.

„Wir wissen beide, dass ich die Wahrheit spreche. Du wolltest das alleinige Sorgerecht. Das hast du mir sogar noch selbst gesagt. Erinnerst du dich? Als du es nicht bekommen hast, wolltest du dich wohl an Chris rächen und ich war dafür das perfekte Opfer."

Ihre Augen funkeln bedrohlich. Wenn sie könnte, würde sie mir jetzt gerne an den Hals springen. Aber das kann sie nicht. Wir befinden uns hier schliesslich im Büro und tätlich werden wäre für die Karrierefrau sicherlich keine so gute Idee. Darum fühle ich mich in der Raubtierhöhle auch so sicher. Hier wird sie mir nichts antun dürfen.

Innerlich hoffe ich zwar, dass sie sich auf mich stürzt, denn allzu gerne hätte ich ihr einige ihrer blonden Strähnen rausgerissen. Das wird aber wohl immer ein Wunschtraum bleiben.

„Du hast dich nicht in unsere Ehe einzumischen. Es geht dich überhaupt nichts an, was zwischen uns ist!", herrscht sie mich an.

Ich schnaube laut durch die Nase ob der Absurdität ihrer Aussage.

„Ich wollte mich ja raushalten! Wir haben uns brav an deine beschissene Regel gehalten. Ich bin Emil nie vor die Augen getreten, obwohl dieser mich gerne wieder gesehen hätte. Am Ende hast du mich in eure Angelegenheiten reingezogen! Indem du dich in unsere Beziehung eingemischt hast. Ich konnte so nicht mehr neutral bleiben. Tut mir leid, aber da wehre ich mich. Das hast du dir alles selbst zu verdanken."

Julia schweigt. Ich sehe, wie sie versucht, Argumente zu suchen, die sie gegen mich aufbringen könnte, aber da gibt es nichts. Selbst wenn sie mir jetzt fristlos kündigen wollen würde, es würde mir nichts ausmachen. Und das muss sie spüren. Sie hat kein Druckmittel mehr gegen mich.

Da sich eine unangenehme Stille über uns legt, spreche ich weiter, denn da gibt es noch etwas, das ich ihr sagen möchte. Mein letzter Stoss mit dem Speer: „Du hast den besten Mann, den du hättest haben können, einfach hintergangen, Julia. Ich hoffe, du merkst es irgendwann, was für einen Menschen du da gehen lassen hast. Ich aber stehe hier und bin dir einfach nur dankbar dafür. Denn dank deinem Fuck-Up habe ich den wundervollsten Mann gefunden, den es gibt!"

Zähneknirschend sitzt sie da. Kein Wort mehr schafft es über ihre Lippen. Ich warte und gebe ihr Zeit, mir noch irgendetwas zu erwidern. Es kommt aber nichts mehr.

„Ich werde die nächsten drei Monate meine Arbeit korrekt und in der gewohnten Professionalität verrichten. Aus Grosszügigkeit unterlasse ich es, Sie wegen Schikane am Arbeitsplatz anzuzeigen. Sie können bis zum Schluss auf mich zählen", schliesse ich meine Ansage ab. Nun sind wir wieder in die Formalitäten zurückgerutscht.

Julia blickt ins Leere. Ihr Gesicht ist zu Stein geworden. Schulterzuckend drehe ich mich um und gehe zur Tür. Hätte ich ein Mikrofon gehabt, hätte ich es fallengelassen, um meinen Abgang dramatisch zu unterstreichen.

Erhobenen Hauptes stolziere ich aus ihrem Büro.


✵✵✵


Hallo ihr lieben Menschen

Endlich hat Emma den Schritt gewagt. So eine Kündigung kann sich unglaublich befreiend anfühlen!

Wünsche euch einen wunderbaren Samstagabend.

❤️

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