Kapitel 6: Dorf des Handels

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Als der Morgen graute, zogen wir weiter. Wir wanderten einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang durch das Tal, bis wir auf Denva, das kleine Fischerdorf mit den vielen Steinbauten, stießen. Die begehrtesten Handelswege ganz Sellatas' zogen sich durch das gut besuchte Dörfchen. Zahlreiche Künstler und Pioniere reisten täglich hier ein, um mit dem Adel Geschäfte zu machen. Entsprechend begehrt war das Dorf, in dem sämtliche Händler ihre Waren für unrealistisch hohe Summen anpreisten, in der Hoffnung auf einen finanziellen Aufstieg. Darum waren die Standplätze - insbesondere solche, die sich nahe des Schlosses befanden - unfassbar teuer, so manch einer hatte dafür sogar schon sein halbes Erspartes verprasst. Der Wunsch nach Freiheit und Wohlstand war es, der die Menschen zu derartigem verleitete, das nicht selten in deren Ruin endete. Denva war also ein zweiseitiges Schwert - entweder es schenkte einem Reichtum oder es nahm ihm das ohnehin schon knappe Geld. Umso absurder erschien es, dass ausgerechnet Mutter, die genauso gut wusste wie ich, dass wir kaum etwas zu bieten hatten, hier täglich ihr Glück versuchte. Es war schon schwer genug, inmitten der Berge an Waren überhaupt irgendwie aufzufallen – da hatten Leute wie wir erst recht keine Chance.

Ich verzog den Mund. Aber Nania hatte mir ja nie zuhören wollen, da sie immer alles besser wusste, dachte ich verbittert, eigentlich ist sie diejenige die hier stehen und sehen sollte, wozu das alles führt.

Mit einem tiefen Seufzer schüttelte ich all die Wut und den Frust, die sich in mir aufgestaut hatten, ab. Warum regte ich mich eigentlich darüber auf? Was geschehen ist, ist geschehen, sagte ich mir, ich habe nicht die Zeit, mich im Selbstmitleid zu suhlen. Wenn ich mich nicht rechtzeitig auf das Duell vorbereite, dann wird es um mich sicherlich nicht besser stehen. Ich schluckte schwer, als mir bewusste wurde, dass dasselbe für Majvi galt. Falls ich verlor, würde sie darunter genauso sehr leiden, wie ich.

Fest umfasste ich ihre Hand. Ich hielt sie eng an meiner Seite, als ich mich an einigen Kaufmannsleuten und beladenen Händlern vorbeiquetschte, an kreischenden Schulkindern, die mir wie Ameisen um die Beine wuselten und alten Ehepaaren, die müde inmitten der Gassen standen und wohl nicht so recht wussten, wo sie eigentlich hinwollten. Wie immer roch die Luft streng – es war eine unangenehme Mischung aus Fisch-, Schweiß- und Metallgeruch.

Die Leute hier jedoch schien das wenig zu stören. Sie schlenderten gemütlich die Handelswege entlang, während ich nur schnellstmöglich von hier fort wollte. Anscheinend hatten sich einige hier schon an die müffelnde, viel zu stickige Luft gewöhnt.

Bei einem messingfarbenen Wasserspeier blieb ich stehen und machte eine kurze Rast. Ich hätte zwar noch ein gutes Stück weiterlaufen können, aber Majvi sah ziemlich kaputt aus und hatte zu jammern begonnen. Ihr war anzusehen, dass sie Hunger hatte. Es schien fast schon so, als würde sich das Schicksal über uns lustig machen, wenn man bedachte, dass uns das Angebot an verschiedensten Lebensmitteln nahezu überflutete, es in jeder Ecke penetrant nach Fisch und sonstigen Meeresbewohnern roch und wir trotz allem nichts zu essen hatten.

Unser letztes Geld war mit dem Wald in Flammen aufgegangen. Wir hatten nichts mehr – gar nichts mehr. Zumindest für's Erste. Vielleicht würde sich das ändern, falls ich bei dem bevorstehenden Duell gewann - was jedoch unwahrscheinlich war, da ich absolut nicht im Kämpfen geübt war. Viel eher würde ich damit mein eigenes Todesurteil unterschreiben, was sich unfassbar naiv und dumm anfühlte. Ich verzog das Gesicht. Nur leider lässt mir das Schicksal wieder keine Wahl.

Wir wurden während unserer kurzen Pause von einigen betrunkenen Händlern angequatscht, die uns irgendwelche »magischen« Cremes oder Tränke verkaufen wollten, die angeblich die Lösungen aller Probleme sein sollten - was sich bei den vielen abergläubischen Menschen, die sich hier tummelten, augenscheinlich auch gut verkaufen ließ. Irgendwann wurde es mir zu viel und wir gingen wieder weiter. Denva war zwar wunderschön, hatte aber auch einige Ecken, an denen dunkle Geschäfte geführt wurden. Ich wollte mich lieber gar nicht erst darin verirren.

Wer dieses Dorf nicht kannte, dem wurde zu allererst gesagt, dass er sich lieber dort aufhalten sollte, wo viel los war. Denn Betrug, Manipulation zum Kauf und gefälschte Ware waren hier Alltag – vor allem seit letzter Zeit, woran im Nachhinein betrachtet offenbar Riamos Volk am meisten Schuld war. Ich hatte in den vergangenen Wochen von all den politischen Konflikten nur wenig mitbekommen, da ich selten in überhaupt einem Dorf war und zudem eigene Sorgen hatte. Lediglich von dem Duell zwischen der Prinzessin und irgendeinem jungen Kerl hatte ich gehört, und davon, wie die Menschen auf einmal wie verrückt versuchten, an Geld zu kommen. Wahrscheinlich hatten sie Angst vor einem Krieg, und davor, fliehen zu müssen. Es war eine Flut an Angeboten auf den Markt gebracht worden, die es noch nie zuvor gegeben hatte.

Als die Sonne langsam den Himmel emporkroch und das gleißende Rot verschwunden war, hatten wir uns weitestgehend durch die Handelswege gekämpft, was ein ziemlicher Akt gewesen war. Man kam hier an einigen Stellen kaum einen Meter voran und ich hatte auch schon Erzählungen von Leuten gehört, die einen ganzen Tag gebraucht hatten, um ihren Wocheneinkauf zu erledigen.

Vielleicht war es, was das anging gut, dass dieses Duell stattfand. Je eher die Spannungen ein Ende finden, desto mehr kriegen sich die Leute wieder ein.

Als ich die letzten Häuserreihen Denvas erreichte, atmete ich einmal tief durch. Die Luft war nun frischer und klarer geworden. Nun roch es ein wenig nach Salz und Meer. Aus der Ferne konnte ich sogar schon das leise Rauschen der Brandung hören, das mit jedem Schritt deutlicher zu werden schien und mehr und mehr das Geschnatter hinter mir übertönte.

Vor mir konnte ich nun die spitzen Türme des Palastes sehen, die nach den Wolken zu greifen schienen. Im Sonnenlicht hatten sie einen perlmuttfarbenen Glanz, der daran erinnerte, dass sie aus den kostbarsten Steinen Sellatas' erbaut waren. Zwischen Denva und dem Schloss erstreckte sich eine weitläufige Steppe, in deren Mitte sich eine lange Allee entlangzog, die direkt zum Palast führte.

Ich hatte das Schloss nur selten von nahem gesehen, da ich mich nie weit von unserem Zuhause hatte entfernen dürfen. Lediglich bei der Jagd hatte ich hin und wieder mal einen Blick auf die Palasttürme erhaschen können. Nania hatte mir immer verboten, nach Denva zu gehen. Sie hatte uns immer Vorträge davon gehalten, wie viele Betrüger und Entführer es hier gäbe. Sie hatte sich schon immer viel zu viele Sorgen gemacht, egal um was es ging.

Am Ende des kleinen Fischerdörfchens war leise Musik zu vernehmen, die aus irgendeinem der vielen Gärten kommen musste. Eigentlich war ich viel zu erschöpft um mich von so etwas aufhalten zu lassen, aber diese Musik hatte etwas an sich, das mich sofort in ihren Bann zog.

Etwas verwundert über mich selbst, blieb ich stehen und lauschte. Sie war hoch und doch so sanft und klar wie fließendes Wasser, fast schon befreiend. Ich bekam eine Gänsehaut. Sanft liebkosten diese wunderbaren Töne meine Seele und breiteten in meinem Innersten eine solche Wärme aus, dass ich gleichermaßen lächeln wie erschaudern musste.

Eigentlich war ich kein Mensch für Musik, doch dieses Lied hatte es in sich.

Von einer Sekunde auf die nächste vergaß ich alles. Da war nur noch diese betörende Musik, die das beklemmende Gefühl in mir wie nichts davonspülte. Es fühlte sich so an, als würden meine Sorgen und meine Unruhe in der Wärme, die nun in mir lag, schmelzen und regelrecht davonschweben.

Ich fühlte Ruhe und zugleich Euphorie in mir - Widersprüche die mir ebenso schön wie unmöglich vorkamen.

Ich bemerkte kaum, wie ich mich in Bewegung setzte. Leichtfüßig ging ich auf das Geräusch zu, immer weiter und weiter. Irgendwann schien es so, als sei diese Musik, dieses Glück, überall. Es erfüllte mich von Kopf bis Fuß, drang selbst bis zu der letzten Faser meines Körpers vor.

In dem Moment, als die Musik verklang, kehrte wieder Normalität ein. Ich musste ein paar Mal blinzeln, um wieder klar sehen zu können. Mein Herz sprang für einen Moment noch, ehe es sich wieder langsam in seinen üblichen Rhythmus einpendelte.

Verwirrt rieb ich mir die Augen. Was war das denn gewesen? Was war mit mir geschehen? Hatte ich mir hier unten, inmitten der Menschenmenge irgendetwas geholt? Oder hatte man mir Drogen eingeflößt?

Ich schüttelte mich und verscheuchte die unsinnigen Befürchtungen. Wie soll man mir bitte Drogen irgendwo untermischen, wenn ich nicht einmal was gegessen habe? Warum sollte man das überhaupt tun wollen?

Dass ich mich innerhalb von Minuten mit etwas infiziert und direkt die Symptome gespürt hatte, war auch eher unwahrscheinlich.

Wahrscheinlich ist es einfach der Stress und der fehlende Schlaf, sagte ich mir daher.

Ich schüttelte meine Verwirrung ab und sah mich um. Ich war in einem hübschen Steingarten gelandet, in dem allerlei Büsche, Kakteen und Blumen wuchsen. In einigen Ecken kauerten Eidechsen und hin und wieder konnte ich Spatzen erkennen, die es sich in einem der vielen metallenen Vogelbädern gutgehen ließen. Als ich mich nach links drehte, stellte ich überrascht fest, dass ich nicht alleine war.

Auf einer schmalen Bank saß ein Mann, der um die dreißig zu sein schien. Er war groß und hatte sonnengefärbte Haut, was nicht selten für eine Person aus der ärmeren Schicht war. Seine Haare jedoch waren weiß wie Schnee, was ganz und gar nicht zu seinem restlichen Erscheinungsbild zu passen schien.

Der Fremde hantierte an einer Geige herum. Anscheinend war er also der Übeltäter gewesen, der mich mit seinem Gequietsche dermaßen verwirrt hatte. Als ich genauer hinsah bemerkte ich, dass er sein Instrument säuberte. Er sah nicht ein einziges Mal zu mir auf – vermutlich weil er mich noch nicht bemerkt hatte. Ich wusste auch gar nicht, ob ich das überhaupt wollte - schließlich hatte er mich nicht zu sich herbestellt. Vielleicht sollte ich mich einfach wieder davonschleichen.

Doch dann fiel mir auf der mir abgewandten Seite seines Gesichts der schwarze Stoff auf, der zur Hälfte von seinen weißblonden Haaren bedeckt war. Ich brauchte ein paar Sekunden um zu erkennen, dass es sich dabei um eine Augenklappe handelte.

Da fielen mir wieder Mevenas Worte ein. Sie hatte mich zu einem Mann mit weißem Haar, einem Steingarten und einer Augenklappe schicken wollen!

Verblüfft und misstrauisch zugleich blinzelte ich ihn an. Wie hatte ich ihn so schnell finden können? Ich hatte noch nicht einmal angefangen, nach ihm zu suchen. Dass er der erstbeste Mann war, in dessen Garten ich - weiß Novalie wie - gelandet war, konnte doch kein Zufall sein. Und wenn dann war es ein verdammt gruseliger!

Endlich wurde der Fremde auf mich aufmerksam. Er blickte von seiner mehr oder weniger unnötigen Arbeit auf und blinzelte zu mir hoch. Er wirkte nicht überrascht, als er mich sah, was mich noch mehr verwirrte.

Mit einem entspannten Lächeln rutschte er ein wenig auf der Bank herum, fast schon so als wolle er mir Platz machen. »Oh hallo. Schon da?«

Ich wusste kaum, was ich antworten sollte. Darum entgegnete ich, etwas spitzer als gewollt: »Wie schon da? Wir kennen uns nicht, mein Guter.«

Der Fremde lächelte über meine Reaktion und ignorierte den unhöflichen Teil meiner Erwiderung. »Ich habe dich bereits erwartet«, erklärte er schlicht, »Mevena hat einen Boten nach mir geschickt und...«

„ und dem sind Flügel gewachsen mit denen er dann zu dir geflogen ist, alles klar."

Höflichkeit war echt nicht so meins.

Der Fremde lachte über meine Antwort. »Das wäre auch eine lustige Erklärung. Die Wahrheit ist aber einfach nur, dass sich Leute wie er hier ziemlich gut auskennen - anscheinend auch besser als du"

Autsch. Ich zog eine Grimasse. Da war wohl was dran.

„Sie wissen wie man hier schnell zu seinem Ziel kommt, ohne sich durch lähmende Menschenmassen kämpfen zu müssen, deshalb sind sie auch Boten."

Um sich bei mir nicht noch unbeliebter zu machen, was ich ihm auch nicht empfehlen würde, wechselte er das Thema. Er nickte auf seine Geige und meinte mit einem Schmunzeln: »Ich hatte gehofft, ich könnte dich mit etwas Musik irgendwie auf mich aufmerksam machen. Ich konnte mir ja nicht sicher sein, dass du auch wirklich hier herfindest.«

»Hat anscheinend ganz gut geklappt.«

»Aber wie«, bestätigte er.

Irgendwie erinnerte mich der Kerl mit seiner lockeren, humorvollen Art ein wenig an Lanix, auch wenn er deutlich älter war als dieser und optisch auch nicht sonderlich viele Gemeinsamkeiten mit ihm hatte.

Er stellte sich mir direkt vor. »Ich bin Nevis«, sagte er und stand auf.

»Liva«, entgegnete ich meinerseits und nickte auf das Mädchen mit dem rostroten Lockenschopf, das sich stillschweigend neben mich gesetzt hatte und unsere neue Bekanntschaft böse anfunkelte. „Majvi." Beruhigend streichelte ich ihr den Rücken.

Nevis nickte und bewegte sich in Richtung Haustür. »Ich bereite euch mal was zum Essen vor – Cifan würde mir sicherlich den Kopf abreisen wenn ich seine kostbare Duellantin in meiner Stube verhungern lasse.«

Ich seufzte zufrieden. Essen! Endlich! Ich hatte ewig nichts mehr zu mir genommen und ich konnte mir im Moment kaum etwas Besseres vorstellen als einen gefüllten Teller.

Zu meiner Überraschung blieb Nevis noch an der Türschwelle stehen und meinte: »Du kannst solange ja mal an der Geige ein bisschen herumprobieren – die scheint dir ja ganz gut zu gefallen. Ich kann dir später auch mal was daran zeigen, wenn's dich interessiert.«

»Ähm okay, danke!«, antwortete ich gleichermaßen verblüfft wie erfreut. Mit so viel Offenheit und Herzlichkeit hatte ich nicht gerechnet. Generell war er das komplette Gegenteil von Mevena. Wie konnte er mit so einem Mädchen befreundet sein - wie funktionierte eine Freundschaft überhaupt bei einem derart großen Altersunterschied?

Nevis ließ nicht lange auf sich warten. In der Zeit, in der er weg war, zupfte ich ein wenig an den Saiten. Einige der Töne, die ich erzeugte waren klar, andere wiederum schräg. Dennoch faszinierte mich das Instrument. Wie hatte Nevis es geschafft, mich mit den wenigen Saiten derart in den Bann zu ziehen?

Als dieser mit einem vollen Tablett und einem großen Kelch voll Wein wieder draußen erschien, wäre ich ihm am liebsten vor Dankbarkeit um den Hals gefallen – wovor ich mich zum Glück noch bremsen konnte.

Auf dem Tablett lagen zwei große Suppenteller, außerdem Brot, Käse und frischer Salat.

»Ich wollte euch eigentlich was kochen«, entschuldigte er sich, »aber zum einen bin ich in diesem Gebiet nicht wirklich ein Meister und außerdem dachte ich, dass es schnell gehen soll.«

»Das reicht völlig!«, wiedersprach ich ihm mit Nachdruck in der Stimme, »vielen Dank!«

Mit einem Schmunzeln sah ich auf den Wein. »Ist das der verzweifelte Versuch, meine Angst vor dem Duell in Alkohol zu ertränken?«

Nevis grinste ein wenig und wusste offenbar nicht, was er darauf antworten sollte. Anscheinend hatte ich damit also genau ins Schwarze getroffen. Nun musste auch ich grinsen. »Du hast aber auch echt an alles gedacht.«

Insgeheim war ich ihm dankbar für den Wein. Im Moment konnte ich wirklich ein Beruhigungsmittel gebrauchen. Und wenn nicht jetzt, dann spätestens heute Nacht wenn ich nichts mehr hatte, was mich ablenken konnte.

Versuchshalber nippte ich ein wenig aus dem Kelch, doch schon nach wenigen Schlucken verging mir jegliche Lust an diesem Getränk. Hustend stellte ich den Kelch beiseite. Der Geschmack war so bitter, dass meine Augen tränten. Außerdem hatte er eine seltsam salzige Note – eine widerliche Mischung. Der Wein war seltsam zähflüssig und blieb mir an den Zähnen und Schleimhäuten hängen. Igitt!

Mir fiel auf, dass mich Nevis grüblerisch von der Seite aus anstarrte. »Trink weiter«, riet er mir, »ich weiß, es schmeckt nicht sonderlich gut, aber du wirst es brauchen. Glaub mir.«

Nicht sonderlich gut? Ich schnaubte. Es war für mich fast schon ein Wunder, dass das Getränk nicht geradewegs denselben Weg wieder aus mir herausfand, wie hinein! Und er betitelte es lediglich als nicht sonderlich gut?

Mit ein wenig Wasser versuchte ich den ekelhaften Nachgeschmack fortzuspülen. Er hatte recht, trinken musste ich das Zeug sowieso. Ohne den Alkohol würde ich heute Nacht kein Auge zubekommen und ohne ausreichenden Schlaf war ein Sieg für mich unmöglich – falls es das nicht sowieso schon war.

Schnell kippte ich den Rest auch noch hinunter und war erleichtert als der Kelch endlich leer war. Für einen Moment schossen mir erneut die Tränen in die Augen, die sich nun seltsamerweise so klebrig anfühlten wie das Getränk. Übelkeit kam in mir hoch und ich hustete mehrmals, meine Sicht verschwamm.

Nevis stützte mich behutsam von der Seite und tupfte mir die Tränen mit einem Tuch ab. Mehrmals rieb er über mein Augenlied, bis das klebrige Gefühl auf meiner Haut verschwand. »Was ist das?«, schnaubte ich. »Was zum Teufel?«

»Schsch«, beruhigte er mich und flöste mir noch ein wenig Wasser ein. »Du bist noch kein Alkohol gewöhnt, deshalb reagiert dein Körper so. Aber es wird dir gleich wieder besser gehen, versprochen.«

Ich brauchte einen Moment, bis ich wieder klar sehen konnte. Mein Hunger hatte sich größtenteils verflüchtigt als ich wieder auf das Essen sah. Aber Nevis hatte Recht, ich fühlte mich tatsächlich besser. Langsam aß ich die Suppe und das Brot auf, noch immer ein wenig benommen und verwirrt. Erst mit der Zeit kam der Hunger wieder und ich wurde immer gieriger. Auch Majvi schlug zu, wenn auch nur zögerlich. Sie war noch immer schwächlich und bei jedem Bissen, den sie tat, warf sie Nevis einen misstrauischen Blick zu. Als die Teller leer waren, halfen wir ihr ins Haus, das zu meiner Verwunderung ziemlich bescheiden war. Es hatte nur ein paar Schränke und nicht einmal ein Bett! Nevis musste meine Blicke bemerken, denn er räusperte sich und erklärte: »Ich weiß, wie es hier aussieht. Aber mach dir keine Sorgen, ich wohne hier nicht. Ich bin nur ein Reisender, der von Ort zu Ort zieht und höchstens ein paar Monate lang bleibt, wenn's mit den Geschäften gut läuft.«

Er seufzte und blieb stehen. »In den nächsten Tagen werde ich wohl weiterreisen müssen. Lieber jetzt als mitten im Krieg.«

»Du denkst, dass es einen Krieg geben wird?«, hakte ich beunruhigt nach.

Wieder ein Zucken seiner Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber abwarten will ich auch nicht. Das ist mir Denva wirklich nicht wert.«

Wir setzten Majvi auf einer schlichten, weißen Matratze ab und wickelten sie in eine kuschelige Felldecke ein, ehe wir wieder nach draußen gingen.

Nevis zeigte mir wie versprochen einige Griffe auf seiner Geige, die er mich jedes Mal geduldig ausprobieren ließ. Vielleicht versuchte er mich damit zu beruhigen und mich irgendwie von dem bevorstehenden Duell abzulenken. Jedenfalls half es mir und ich war ihm sehr dankbar für die Zeit, die er sich für mich nahm. Ich bemerkte kaum, wie die Stunden verstrichen, während ich mit ihm auf der kleinen Bank, neben einigen wilden Blumen und einem plätschernden Brunnen saß und übte. Die Musik verbreitete eine tiefe Ruhe, und das Gefühl von Frieden in mir. Auch Nevis' geduldige, offene Art besänftigte mich.

In den nächsten beiden Tagen, die ich bei ihm verbrachte, führten wir einige Gespräche. Wir waren viel draußen, spielten Geige, aßen oder beschäftigten Majvi. Einmal fingen wir ihr sogar Schmetterlinge. In diesen Tagen vergaß ich ganz, was mir bevorstand. Ich hatte nur den friedlichen kleinen Garten und Nevis im Kopf, der stets damit beschäftigt war, mich abzulenken. Dachte nur an unsere belanglosen Gespräche über Wälder und Dörfer, über die mir Nevis lange Geschichten erzählen konnte – schließlich war er weit gereist.

Doch als diese Tage verstrichen waren, zerbrach die Ruhe auf einmal. Es lag nur noch ein einziger Abend vor dem Duell, den ich damit verbrachte, nervös auf und ab zu laufen. Ich wollte nicht mehr nach draußen gehen, hatte keinen Kopf mehr für Wälder oder Fingergriffe.

Eine tiefe Unruhe machte sich in mir breit. Hatte ich zu viel Zeit verschwendet? War es ein Fehler gewesen, nichts zu tun und einfach ohne jegliche Vorbereitung in den Kampf zu ziehen? Nevis hatte dafür gesorgt, dass ich mich erholte, aber auf das Duell gewappnet hatte er mich nicht. Vielleicht konnte er das auch gar nicht.

Mein neugewonnener Freund musste meinen Rückzug bemerkt haben, denn er klopfte noch an diesem Abend an der Tür zu meinem provisorischen Zimmer und trat mit besorgter Miene ein. Zuerst setzte er sich stillschweigend neben mich, dann meinte er mit ruhiger aber dennoch fester Stimme: »Keine Sorge, du packst das schon.«

Ich wusste nicht recht, ob ich ihm da glauben konnte. Seufzend ließ ich die Schultern sinken. »Wie soll ich kämpfen, wenn ich nicht weiß, wie?«

Nun drehte er sich zu mir um und musterte mich sorgfältig mit seinem beeindruckend blauen Auge. Schließlich meinte er ruhig: »Weißt du noch, was du mir erzählt hast?«

Etwas verwirrt zog ich eine Augenbraue in die Höhe. »Was meinst du?«

»Du hast mir davon erzählt wie du dich tagtäglich um deine Familie gekümmert hast. Du hast für euch all das Essen besorgt – und das Jahre lang.« Er schnaubte und schüttelte den Kopf über mich. »Glaub mir, du weißt wie man mit Messern umgeht. Wie man schnell und geschickt ist und ebenso gut weißt du, wie man Feinde überlistet.«

Er erhob sich nun und zog aus seiner Gürteltasche ein Schnitzmesser. »Aber ich kann dir ein paar Techniken zeigen, wenn du willst, damit du dich sicherer fühlst. Für das Duell musst du wissen, dass du dich ehrwürdig verhalten musst.«

Er hielt inne und bedachte mich mit einem strengen Blick. »Kein unnötiges Gemetzel, keine Regelbrüche, verstanden?«

Anscheinend wartete er auf eine Reaktion, denn er machte eine Pause. Darum nickte ich eilig.

»Vergiss nicht dass du für dein Volk kämpfst«, fuhr er ruhiger fort, »zu Ehren deines Volkes. Und das bedeutet unter anderem, dass du erst kämpfen darfst, sobald du dazu aufgefordert wirst und aufhören musst, wenn es die Regeln besagen.«

Er kratzte sich am Kopf. »Bei dem Fechtergruß, der vor dem Duell stattfindet, heben beide Duellanten ihr Schwert in die Höhe. Die Seite der Klinge, die der Fechter nach vorne hält, entscheidet, ob er bis zum Tod kämpfen will oder nicht. Entscheidet er sich gegen einen Kampf bis in den Tod, dann ist das Duell, vorbei sobald einer der beiden entwaffnet ist.«

Ein wenig erleichtert nickte ich. »Verstanden.« Vielleicht würde das Duell ja doch nicht so schlimm werden – wenn man nicht von vorne herein kämpfen musste, bis man starb.

Nevis blinzelte zufrieden und hielt mir das Messer hin. »Und jetzt zu dem praktischen Teil.«

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