6: Eins, zwei, drei, hopp!

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„Da geht es ja total tief hinunter!", stellte ich fest, als wir endlich nach einem langen Fußmarsch am Ende der Plattform angekommen waren. „Du hast es erfasst", sagte Charlie schnippisch.

Ich war mir relativ sicher, dass er sauer auf mich war, weil ich ihn auf dem Weg bis hier her ganz schön zugetextet hatte - während er nur immer wieder ein „Aha" oder ein „Mhm" von sich gab.

Die Nervosität und meine Angst verwandelten mich in eine anstrengende Plaudertasche und im Nachhinein betrachtet, konnte ich verstehen, weshalb er so genervt von mir war und den Eindruck machte, dass er mich erwürgen wollte.

„Siehst du die andere Plattform schon? Sie ist ein wenig vom Nebel bedeckt, aber wenn du genau hinsiehst, siehst du es lila schimmern", meinte er und ich sah konzentriert in die Ferne. Er hatte recht. Tatsächlich konnte ich etwas erkennen. Doch es schien mir so weit weg, dass es mir unmöglich vorkam da - so wie Charlie die ganze Zeit nannte - hinüberzuspringen.

„Jetzt sind deine sportlichen Fähigkeiten gefragt, sagte er, beinahe so, als hätte er meine Gedanken gelesen. Blöd nur, dass ich nie so richtig sportlich gewesen bin. Ich saß lieber zu Hause vor dem Fernseher und wenn der aus war, laß ich ein Buch. Ab und zu spielte ich mit meinem Cousin Romeo Fußball, wenn meine Tante ihn wieder mal vor die Tür gesetzt hatte, weil er ihr zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbrachte.

Weil wir nicht weit voneinander entfernt wohnten, kam er meistens bei mir vorbei und wir kickten dann wenig in unserem Garten, bis er das Gefühl bekam, dass er genug draußen gewesen war und der Meinung war, er sollte sein Handy wieder bekommen.

„Das werden wir unmöglich schaffen! Kein Mensch kann so weit springen!", behauptete ich und Charlie schmunzelte. „In deiner Welt vielleicht!"

Er macht ein paar Schritte zurück und rannte auf den Abgrund zu. „Bist du verrückt?", brüllte ich erschrocken und sah ihn in meinen Gedanken schon in die Tiefe stürzen. Er sprang ab und im nächsten Moment landete er unelegant auf der gegenüberliegenden Plattform. Der Nebel war und nun lichter und ich konnte ihn nicht nur lachen hören, sondern auch sehen.

„HAHAHA! Siehst du?", rief er mir zu und wegen seiner aufgebrachten Stimme nahm mich an, dass er voll mit Adrenalin gepumpt war, auch wenn er versuchte so zu wirken, als würde er da jeden Tag hin und her hüpfen. „Komm! Du bist dran!", er winkte mir zu und ich biss meine Zähne zusammen. Ich sah hinunter zu meinen Füßen vor welchen sich der Abgrund befand. Es fühlte sich so an, als würde ich auf einer Klippe stehen.

Würde ich es wirklich schaffen? Mein Herz begann zu rasen und ich versuchte den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, hinunterzuschlucken. „Ich kann das nicht!", jammerte ich.

„Doch, komm du schaffst es! Nimm Anlauf und spring!", ermutigte mich Charlie und ich blickte angsterfüllt hinunter in den Abgrund. Ich hatte keine andere Wahl. Ich konnte nicht hierbleiben. Ich musste springen. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und machte ein paar Schritte zurück.

Reflexartig hielt ich den Atem an und sprintete los. Kurz vor dem Ende der Plattform sprang ich und hatte dabei mein Ziel genau vor Augen. Meine Hände hatte ich ebenfalls in dessen Richtung gerichtet und als ich in der Luft war, merkte ich, dass ich immer tiefer fiel. Mein Herzschlag setzte für eine Sekunde aus und ich sah schon mein ganzes Leben an mir vorbeiziehen. Es war doch von Anfang an klar, dass ich es nicht schaffen würde!

Schnell warf ich einen Arm in die Höhe und griff nach der Plattform. Ich hatte sie gerade noch erreichen können. Panisch begann ich zu schreien, während ich das erste Mal einen Blick unter eine sogenannte „Plattform" werfen konnte. Es wirkte so, als wäre es eine Art Ebene, so, wie ich sie aus dem Matheunterricht kannte - nur waren sie nicht unendlich.

So wie es aussah, war sie nirgendwo befestigt und schwebte in der Luft.

Tränen schossen in meine Augen und ich blickte wieder in den Abgrund. Auf einmal spürte ich eine Hand an meinem Arm die mich langsam versuchte, mich nach oben zu ziehen. Ich verstummte und nahm Charlies Stimme wahr.

„Ich hab dich!", schrie er. „Hab keine Angst!" Obwohl er sich selbst geschockt anhörte, beruhigte es mich etwas, zu wissen, dass er mich nicht mehr loslassen würde. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich hatte weiterhin Todesangst, doch langsam breitete sich das Gefühl der Hoffnung in mir aus.

Wenige Sekunden später kniete ich auf der violetten Plattform und keuchte erschöpft. Charlie hatte meine Hand wieder losgelassen und ich stütze mich auf dem Boden ab. Auch er war in die Knie gegangen und musterte mich mit einem besorgten Blick.

„Geht es dir gut?"

„ICH BIN GERADE FAST GESTORBEN!!!" fuhr ich ihn an. Nebenbei bemerkt war ich immer noch am Heulen und meine Tränen flossen mir über die Wangen. 

„Wie glaubst du, wie es mir geht!?" Es war ein irrsinniger Schock gewesen, fast zu sterben. Normalerweise mochte ich dieses Gefühl, wenn ich dachte gleich zu sterben, bloß war das immer im Freizeitpark, wenn ich mit Achterbahn gefahren war. Danach hatte ich mich bisher jedes Mal großartig gefühlt vielleicht aber auch einfach nur, weil ich tief im Inneren wusste, dass ich heil wieder unten ankommen würde.

Und gerade, als ich versuchte mich zu beruhigen folgte auf einen Schock der nächste. Denn als ich zu Charlie hinaufblickte, konnte ich nicht anders, als erneut einen Schrei auszustoßen. „Whaa!", machte ich. Sein Gesicht hatte sich komplett verändert.

„Wie siehst du denn aus?", rief ich entsetzt. „Scheint so, als wäre ich diesen bescheuerten Filter endlich los", stellte er fest und fuhr sich mit seinen Fingern über seine Wangen und anschließend durch seine dunklen Haare.

Ich hatte mich bereits so an sein stupides Aussehen gewöhnt, dass ich nicht damit klarkam, dass plötzlich ein recht hübscher, junger Mann vor mir stand, während ich immer noch zusammengesackt auf dem Boden saß.

„Ach komm, tu doch nicht so. So hässlich ist mein echtes Gesicht aber wirklich nicht", witzelte er und streckte mir seine Hand entgegen. „Komm, wir müssen weiter. Steh auf." Er zog mich hoch und ich stand wieder auf meinen Beinen, die nebenbei bemerkt immer noch zitterten wie Wackelpudding.

Erst jetzt realisierte ich, dass Charlie mir das Leben gerettet hatte, auch wenn er ebenfalls derjenige war, der mich auch ermutigte, überhaupt zu springen.

„Wohin gehen wir eigentlich?", wollte ich wissen, immer noch außer Atem. „Einmal quer durch Instagram. Achte darauf, dass wir nicht auffallen. Die Sicherheitssysteme hier sind besser ausgebaut und ich kenne mich hier nicht so gut aus", informierte er mich und ich nickte.

Auch wenn er sagte, dass er sich nicht so gut auskannte, schien er genau zu wissen, wo wir entlang mussten. „Wir sollten am besten mit der Verantwortlichen hier sprechen, denke ich. Als ich früher noch mit meinen Eltern hier gelebt habe, hat sie uns geholfen auszuwandern, beziehungsweise, hat mit Snapchat geklärt, dass wir umziehen können. Ich bin mir deswegen sicher, dass sie dir helfen kann, nach Tiktok zu gehen. Der Übergang dorthin ist nämlich deutlich schwerer als von Snapchat zu Instagram, musst du wissen. Ich hoffe sie ist immernoch so kooperativ wie damals."

Noch schwerer? Ich wäre fast gestorben, als wir hier her „gesprungen" sind.

Ich fragte mich, warum er mir erst jetzt davon erzählte und ich wollte zu gerne wissen, warum seine Familie Instagram verlassen hat, doch ich beschloss nicht weiter nachzufragen.

„Instagram ist ein viel abgedrehter Ort als Snapchat, also wenn du schon dort überfordert warst..." Er sollte Recht behalten, denn schon einige Minuten wären wir bereits mitten in der App. Alles erschien mir viel größer und glamouröser als Snapchat – wobei man erwähnen muss, dass es hier viel chaotischer zuging. Überall waren Menschen außerhalb der Häuser unterwegs und liefen teilweise gestresst hin und her. Nicht so wie in der Stadt Snapchat, die man schnell mit einer Geisterstadt verwechseln konnte, wenn man nicht wusste, dass dort alle einfach die meiste Zeit drinnen verbrachten.

Wir sind im Filterbereich", klärte mich Charlie auf. ,,Und das an meinem freien Tag. Yippie."

Ich sah mich erneut um und realisierte erst jetzt, als ich einen genaueren Blick auf die Gesichter warf, wie unrealistisch „schön" sie aussahen.

„Warum gibt es eigentlich Filter?" schoss es mir plötzlich durch den Kopf und ich musste die Frage laut ausgesprochen haben, denn Charlie antwortete mir prompt: „Weil sich die meisten Menschen hässlich fühlen und genauso toll aussehen wollen wie zum Beispiel die Popstars, die sie dauerhaft auf Apps – wie Instagram – zu Gesicht bekommen. Das Paradoxe daran ist allerdings, dass die meisten Stars auch Filter benutzen oder Bearbeitungsprogramme."

„Aber das nicht total traurig? Einen Filter zu brauchen, um sich schön zu fühlen? Charlie verdrehte die Augen und zog mich an meinem Arm näher zu sich. „Natürlich, aber so etwas dürfen wir an Ort wie diesen nicht sagen", zischte er mir ins Ohr.

„Wieso nicht? Es ist doch die Wahrheit", meinte ich und versuchte seinen Griff abzuschütteln, was mir aber nicht gelang. „Verstehst du das nicht? All das hier muss immer positiv gesehen werden, egal, was deine eigene Meinung ist, hier zählt nur das, was die Gründer der jeweiligen Plattformen uns von klein auf eintrichtern und jetzt psst!"

Er ließ mich los und legte seine Zeigefinger auf die Lippen, was hatte das denn zu bedeuten? Es schien so, als gebe es hier ein paar Tabuthemen, über welche man nicht sprechen durfte. Ich beschloss nicht weiter nachzufragen und auf Charlie zu hören. Schließlich wollte ich wieder ihn noch mich selbst in Schwierigkeiten bringen.

Charlie und ich liefen schweigend weiter und gerade als ich etwas sagen wollte, spürte ich wie mir etwas in die Schulter pikste.

„Whuuaa", schrie ich wie am Spieß und sprang zur Seite, wodurch ich mit voller Wucht gegen Charlie knallte, der sein Gleichgewicht verlor und ins Wanken geriet. Weniger Sekunden später kippte er nach hinten und wir fielen gemeinsam auf dem Boden.

„Was hast du denn jetzt schon wieder, du Irre?", zischte er mir empört zu und ich streckte meinen Finger in Richtung der gruselig aussehenden Frau, die plötzlich vor uns stand und auf meine Schulter getippt hatte. Charlie sah auf und musterte sie für einen Moment. Doch als er seinen Mund öffnete, um etwas zu sagen, kam ihm die Frau zuvor.

,,Du! Wer bist du?"

Ich bin Charlie-", begann e,r doch sie schnitt ihm das Wort ab.

„Nicht du! Du interessierst mich nicht! Sie! Wer ist sie?"

Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht vergreifen, als ich Charlies entsetzten Gesichtsausdruck sah, als die Frau meinte, er interessiere sie nicht.

„Mein Name ist Didi und ich-."

„...und sie ist nicht mehr lange hier!", unterbrach mich Charlie und gerade, als ich für mich fragte, was genau er damit meinte, packte er mich am Handgelenk und rannte los. „Lauf!", befahl er mir und ich versuchte, mit ihm Schritt zu halten.

„Ergreift die Flüchtigen!", brüllte die Frau hinter uns und auf einmal wandten sich alle in unsere Richtung. Meiner Auffassung nach war es mit Abstand die dümmste Entscheidung gewesen, wegzulaufen. Schließlich hatten wir so nur noch mehr Aufmerksamkeit auf uns gezogen und uns verdächtig gemacht. Außerdem war es ausgeschlossen, dass wir es wirklich schaffen würden zu flüchten. Panik machte sich in mir breit und ich fragte mich, was diese ängstigenden Menschen mit uns machen würden, wenn sie uns erst einmal gefasst hatten.

„Verdammte Scheiße!", fluchte Charlie und presste seine Zähne so fest zusammen, dass ich sie knirschen hören konnte.

„War eben total dämlich wegzulaufen!", zischte ich ihm zu und der runzelte die Stirn. „Das weiß ich jetzt auch!", fuhr er mich an, während er hektisch umherblickte, um einen Ausweg zu suchen. „Da!", rief ich und zog ihn mit mir in eine kleine Seitengasse zwischen den Häusern. Ich hatte das Gefühl, dass es immer dunkler wurde, je weiter wir liefen, obwohl zwischen den Dächern immer noch sehr viel Licht hindurchschien.

Hinter einer relativ großen Ziegelsteinmauer, die sehr zerfallen war und die man nicht sofort entdeckte, wenn man in die Seitenstraße einbog, sah ich unsere Chance uns vor unseren Verfolgern zu verstecken. Charlie folgte mir und wir legten uns dahinter dicht aneinander gedrängt auf den Boden. Seine Hände lagen auf meinem Rücken und er drückt mich so fest an sich, dass ich sogar seinen schnellen Herzschlag spüren konnte.

„Sie werden uns nicht entdecken", versuchte er sich vermutlich aus Angst einzureden. Ich nahm an, dass er genauso aus der Puste war wie ich. Doch im Gegensatz zu mir, die röchelte wie ein Walross, spürte ich bloß seine schnellen, aber sanften Atemzüge auf meinem Nacken.

Wenige Sekunden später nahm ich dumpfe Schritte und durcheinanderredende Stimmen wahr, welche in unsere Richtung kamen. Charlies Finger krallen sich angespannt in meinen Rücken und ich biss meine Zähne zusammen. Ich sah zu ihm hinauf und beobachtete, wie seine Augen schloss. In diesem Moment konnte man genau sehen, dass er eigentlich doch nicht so cool war, so wie er immer tat.

Die Schritte kamen immer näher und mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich das Gefühl hatte, dass einer unserer Verfolger direkt vor uns stand.

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