7: Filter und 'Selbstoptimierung'

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„Wo sind sie?", hörte ich jemanden rufen. „Sie sind verschwunden!", ich erkannte die Stimme der Frau, die mich zuvor angetupft hatte, wieder. „Ich wusste, dass dieses Mädchen nicht gewöhnlich ist, aber dass sie Magie anwenden kann? Wir müssen sie finden, bevor sie hier Schaden anrichten kann!"

Was? Hielten mich diese komischen Gestalten etwa für eine Bedrohung? Ich wollte doch nur von hier weg! Dabei wollte ich hier absolut nichts absichtlich verändern.

Langsam entfernten sich die Schritte, doch Charlie und ich trauten sich noch für eine ganze Weile nicht, uns zu bewegen.

„Ich glaube, sie hat erkannt, dass du von einer anderen Dimension kommst, aber wie?", brach Charlie schließlich die bedrückende Stille und löste sich von mir. Wir richteten uns auf und ich zuckte mit den Schultern „Keine Ahnung. Vielleicht sehe ich ein wenig anders aus", flüsterte ich und er musterte mich einen Moment lang. „Also ich finde, du siehst vollkommen normal aus."

Ob ich das nun als Kompliment oder doch als keines aufnehmen sollte, darüber war ich mir nicht ganz sicher, doch ich beschloss nicht weiter darüber nachzudenken.

„Wir sitzen in der Scheiße, Didi. Echt. Wie sollen wir denn nun weitergehen? Alle hier sind davon besessen uns zu finden!"

Er meinte wohl: „Alle hier sind davon besessen, dich zu finden." Allerdings verkniff ich es mir, ihn darauf hinzuweisen.

„Fürchtet euch nicht!", hörte ich plötzlich jemanden sagen und ich drehte mich panisch umher. Was zur Hölle? Das alles hier war doch ein einziger Fiebertraum! In einer Welt wie dieser hatten Zitate aus der Bibel nun wirklich nichts zu suchen!

„Ach du Scheiße! Da!" Charlie hatte das Flüstern wohl auch gehört und zeigte mit seinem Finger an das Ende der Mauer. Tatsächlich. Dort lugte jemand, oder wohl eher etwas um die Ecke. Schnell griff ich nach Charlies Arm und krallte mich daran fest. Anschließend ging ich hinter ihm in Deckung. Es kam mir so vor, als wäre ich in einem Horrorfilm und das Monster säße direkt vor meiner Nase.

Eine menschenartige Gestalt trat aus dem Dunklen hervor und ihr bloßer Anblick ließ mich erschaudern.

„Ernsthaft? Du verwendest mich als dein menschlicher Schutzschild?", quiekte Charlie. „Jetzt tu nicht so! Du hättest genau dasselbe getan! Ich war einfach nur schneller!", gab ich ihm zur Antwort und vernahm anschließend ein Grummeln seinerseits.

„Habt keine Angst! Bitte! Ich möchte euch helfen!" Wie konnte etwas so Furchterregendes, Hässliches sich nur so freundlich anhören?

Vielleicht war das ganze aber auch nur eine Masche und in Wirklichkeit wollte uns diese Gestalt töten!

„Helfen?", fragte Charlie. „Aber du weißt doch gar nicht, warum wir hier sind." Er schien genauso misstrauisch zu sein wie ich.

„Ich kann euch zeigen, wo ihr euch verstecken könnt. Und jetzt kommt, bevor sie zurückkommen!", zischte uns die Gestalt zu. Charlie und ich sahen uns an. Ich beschloss, ihm die Entscheidung zu überlassen.

„Na gut", sagte er schließlich vorsichtig und er näherte sich der Gestalt. Ich tat es ihm gleich und schon wenig später ergab sich vor uns das Bild eines menschlichen Wesens, dessen Gesicht mit Narben übersät war. Ich brauchte einen Moment, bis ich trotz ihres entstellten Körpers realisierte, dass eine alte Frau vor uns stand.

Sie trug zerfetzte Kleidung, und es sah beinahe so aus, als hätte sie sich bloß ein Leintuch mit einem Loch über den Kopf gestülpt. An ihrer Taille konnte ich unzählige Dellen erkennen und als mein Blick auf ihre Beine fiel, bemerkte ich, dass es so aussah, als würden ihre Knochen gleich unter ihrer dünnen Haut hervorspringen. Ihr Gesicht schien vollkommen zerstört; Ihre Nase war kaum noch vorhanden, was mich ein wenig an Voldemort aus Harry Potter erinnerte. Zusätzlich waren ihre Lippen aufgeblasen wie ein Schlauchboot und Risse zogen sich über die gerötete Haut.

„Kommt", sagte sie erneut und wir folgten ihr in eine Art Gang, welcher Charlie und mir zuvor gar nicht aufgefallen war. Anschließend presste sie ihre Hand gegen einen Ziegelstein, der ein wenig aus einer Hausmauer herausragte, und prompt öffnete sich ein kleiner Schlitz. Wir gingen hinein und es wurde immer dunkler, je weiter wir liefen, bis wir irgendwann in einem Raum angekommen waren, der relativ schmal war.

„Wir müssen sehr leise sein", warnte sie uns, als wir stehen geblieben waren. „Wo sind wir hier?", flüsterte Charlie.

„In meinem alten Haus. Ich habe eine zweite Wand innerhalb eines meiner Zimmer eingerichtet, von dem niemand etwas weiß. Ich habe mich hier versteckt, als sie begonnen haben, nach mir zu fahnden. Zum Glück habe ich vorausgedacht und es schon eingerichtet, bevor ich gesucht wurde. Hinter dieser Wand wohnt eine Familie, die hier nach meiner Flucht eingezogen ist. Sie wissen weder von meiner Existenz noch von-."

„So genau wollte ich es nicht wissen, das reicht schon", unterbrach Charlie sie. Diese Frau hatte wohl schon ewig mit niemandem mehr gesprochen und die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. Sie musterte Charlie ein wenig verdutzt, schüttelte dann aber den Kopf und begann dann, fröhlich weiter zu plaudern. „Ich kann euch leider nur ein Glas Wasser anbieten. Etwas anderes habe ich hier nicht. Früher habe ich es geliebt, Gastgeber zu sein und..."

„Also nicht so wie du", flüsterte ich Charlie unauffällig zu, während sie weitersprach. Er runzelte die Stirn und wandte sich dann wieder der Frau zu.

„Oh verzeiht! Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt! Mein Name ist Bella!", stellte sie sich vor und streckte Charlie ihre Hand entgegen. Doch anstatt diese freundlich zu schütteln, verzog er ein wenig das Gesicht, als würde er sich vor ihr ekeln.

Statt ihm ergriff also ich ihre Hand und schüttelte sie kräftig. „Freut mich! Ich bin Elodie, kurz Didi", ich schenkte ihr ein freundliches Lächeln und fügte dann hinzu: „...und dass hier neben mir ist Charlie, das arrogante Schwein!" Ich boxte ihm unsanft in die Schulter.

Ehrlich gesagt wunderte es mich, dass er sich so herablassend gegenüber Bella verhielt, schließlich stammte er selbst aus ärmlichen Verhältnissen und sollte eigentlich wissen, wie es sich anfühlt aufgrund dessen von anderen diskriminiert zu werden.

„Aua!", beschwerte sich Charlie und rieb sich mit seiner Hand über seine Schulter. „Was soll das?!"

„Wie kannst du nur so undankbar sein? Bella ist so freundlich und nimmt uns bei sich auf! Und du willst ihr nicht einmal die Hand geben!", wies ich ihn zurecht.

„Schon gut, Didi. Ich würde mir auch nicht die Hand geben wollen. Ich weiß, wie ich aussehe", meinte sie und Charlie wandte sich erneut an mich: „Siehst du? Er verschränkte die Arme vor der Brust und ich sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Idiot", dachte ich mir.

„Ich finde, dass du auf deine Weise hübsch bist, Bella", meinte ich, doch sie schüttelte den Kopf. „Du solltest nicht lügen, Mädchen. Ich habe es noch nie geglaubt, wenn mir andere das gesagt haben. Auch, wie ich noch nicht so ausgesehen habe wie jetzt. Es ist nicht mehr schlimm für mich, hässlich zu sein. Ich habe mich damit abgefunden. Es ist allerdings immer ein wenig traurig für mich, wenn man mir aus Mitleid Komplimente machst."

Ich war es mittlerweile gewohnt, automatisch zu sagen „Du bist doch wunderschön" wenn jemand mir gegenüber äußerte, dass er sich hässlich fühlte. Egal um wen es sich handelte. Aber besonders Andrea hatte genau das schon öfter gesagt.

Ehrlich gesagt war ich inzwischen genervt davon, ihr ständig Betätigung geben zu müssen. Vielleicht sollte ich ihr auch einfach mal antworten: „Ja, du hast recht, du bist wirklich hässlich" oder gar nichts, nur um ihre Reaktion zu sehen.

Bella hatte recht: Es war nicht in Ordnung von mir gewesen, sie anzulügen. Doch manchmal gab es eben auch einfach Dinge, die so hässlich waren, dass man nicht nichts dazu sagen konnte. Und sie war wirklich, wirklich hässlich. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, nur weil ich über diese freundliche Frau so dachte.

„Tut mir leid", entschuldigte ich mich bei ihr. „Es fühlt sich einfach falsch an, jemandem zu sagen, dass er nicht schön oder sogar hässlich ist."

Sie nickte und schenkte mir ein Lächeln. „Du warst nicht schon immer so hässlich, richtig?", fragte Charlie, wie auch schon zuvor sehr unsensibel.

„Das ist richtig junger Mann. Schön, dass du danach fragst. Ich erzähle euch meine Geschichte liebend gern, aber nehmt doch erst einmal Platz", sie deutete auf einen Teppich am Boden, auf welchem einige Polster lagen.

Ich setzte mich und wenige Sekunden später ließ sich auch Charlie neben mir auf einen Polster fallen. Bella tat es uns gleich. „Tatsächlich machte ich meinem Namen einmal alle Ehre. Denn ich war schön, sehr sogar. Bloß habe ich das damals selber nicht sehen können. Ich arbeitete als Filtertesterin", begann sie zu erzählen.

„Also so wie Charlie", bemerkte ich und Bella sah ihn ein wenig mitleidig an.

„Dann wird dich meine Geschichte bestimmt sehr interessieren", meinte sie. Zugegebenermaßen wirkte er nicht gerade so, als würde er Interesse daran haben, mehr über ihr Leben zu erfahren.

„Ich arbeitete in der Beauty-Abteilung."

Ich könnte sehen, wie Charlie eine Augenbraue in die Höhe hob.

„Damals war es noch nicht so, dass man die hässlichsten Menschen auf der Plattform für diese Abteilung ausgewählt hat, sondern meistens sogar umgekehrt. Ständig mit den schönsten Menschen umgeben zu sein und einen Filter zu verwenden, hat mir nicht gutgetan. Es gab irgendwann keinen Tag mehr, an dem ich keinen Filter erhalten habe. Sogar auf freie Tage habe ich vollkommen verzichtet. Ich wurde immer unzufriedener mit mir und das nur, weil ich nicht wollte, dass alle meine Kollegen mein Gesicht ohne einen Filter sehen. Ich fand mich hässlich, wirklich potthässlich. Irgendwann wurde ich gekündigt. Ich war zu alt für diesen Job geworden. Filter richten sich an junge Generationen, haben sie gesagt. Es war der schlimmste Tag meines Lebens, als ich nach jahrelanger Arbeit in dieser Sektion keinen Filter mehr erhalten habe und von heute auf morgen hinausgeschmissen wurde." Sie seufzte.

„Aber die Kündigung hat sie bestimmt nicht so verunstaltet", vermutete Charlie und ich hatte das Gefühl, dass er langsam etwas ungeduldig wurde, weil Bella während des Redens immer wieder längere Pausen machte, wie es viele alte Leute taten. Mich beruhigte ihre ruhige Art. Sie erinnerte mich an meine Oma.

„Nein, ich selbst bin für meine Hässlichkeit verantwortlich. Es gibt nämlich eine Möglichkeit, das eigene Aussehen zu verändern durch Operationen."

Ich hatte schon oft von sogenannten „Schönheitsoperationen" gehört und fand es interessant, dass es sie in dieser Welt anscheinend auch gab.

Andrea sprach des Öfteren davon und war entschlossen, sich die Brüste und die Nase operieren zu lassen, sobald sie 18 war. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich sie nie so richtig ernst genommen, wenn sie davon sprach. Vielleicht hatte sie aber genauso einen Schönheitswahn wie ein Bella gehabt hatte.

„Ich habe mich mehreren Schönheitsoperationen unterzogen. Aus einer wurden zehn und es hörte nicht auf. Mir fiel immer wieder etwas anderes ein, dass mir nicht an meinem Körper gefiel und irgendwann bekam ich die ersten Komplikationen. Das hielt mich aber nicht auf und ich machte weiter, bis der Arzt irgendwann sagte keine, er würde mich nicht mehr operieren. Daraufhin terrorisierte ich ihn und als ich darauf bestand, stimmte er schließlich zu. Das erste Mal, als ich mich nach dieser OP in den Spiegel blickte, werde ich nie vergessen. Meine Nase war so dünn, kaum vorhanden; Meine Lippen waren mit einem dunklen blau durchgezogen und mein Gesicht war so angeschwollen wie noch nie nach einer OP. Mein Schönheitswahn hat mich hässlich gemacht. Ich zog mich zurück und ging jahrelang nicht aus dem Haus. Ich begann langsam zu begreifen, was alles mit mir geschehen war." Sie machte eine kurze Pause, sprach dann aber weiter:

„Irgendwann war ich so außer mir, dass ich begann, Flyer zu verteilen, auf denen ich versuchte, darüber aufzuklären, was Filter und Schönheitsoperationen mit einem machen konnten. Irgendwann drängte ich mich Filtertestern auf und versucht ihnen meine Geschichte zu erzählen und sie aufzuklären. Darüber, in welche Richtung Filter einen lenken können. Ich sagte ihnen, wie abgedreht das alles eigentlich ist. Ein großer Fehler, wie du wahrscheinlich schon weißt."

Sie wandte sich an Charlie und er nickte. „Dann wollten sie dich festnehmen", schlussfolgerte er.

„Ja, richtig. Aber wie gesagt, hatte ich dieses Versteck schon zuvor eingerichtet. Ich wusste, dass ich mit Konsequenzen rechnen musste, wenn ich anderen vor meinen Fehlern bewahren wollte. Die Menschen hier haben schließlich ein Recht darauf zu erfahren, was mit einem passieren kann, wenn man dauerhaft unzufrieden mit sich selbst ist und von allen Seiten mit wunderschönen Menschen konfrontiert wird."

„Und sie haben dich nie entdeckt?"

„Nein, etwa 12 Jahre später, siehe da, ich bin immer noch auf freiem Fuß."

Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was diese Frau durchmachte. Wenn ich sie gewesen wäre, hätte ich mich im Laufe der Zeit von selbst gestellt. Ein Leben wie dieses war aus meiner Sicht betrachtet alles andere als lebenswert. Jahrelang in einem Raum gefangen zu sein - machte es da überhaupt einen Unterschied, ob man in eine Zelle gesperrt wurde?

„Ich habe meine Geschichte noch nie jemandem erzählt. Ich merke, wie sehr mir der Austausch mit anderen Menschen in all den Jahren gefehlt hat", sie schenkte uns ein Lächeln und ich fragte mich, wie sie nach dieser langen Zeit immer noch nicht durchgedreht war.

„Vielen Dank, dass du uns deine Geschichte erzählt hast. Es tut mir leid, dass dein Leben hier so abgelaufen ist", meinte ich, während Charlie schwieg.

Es kam mir generell so vor, als wäre er absolut unbegabt im Umgang mit anderen Menschen. Ihre Geschichte brachte mich dazu, nachzudenken. Menschen wie sie, die einem Schönheitsideal, das sie täglich mehrmals sahen, egal ob auf Instagram oder in Werbungen, entsprechen wollten, gab es auch zahlreich in meiner Welt.

Selbst ich fühlte mich oft schlecht, wenn ich mich in den Spiegel sah. Zwar bemühte ich mich alle positiven Aspekte meines Körpers zu schätzen, doch es gab schon ein paar Dinge, die auch mich verunsicherten.

Ja, auch ich fühlte mich manchmal hässlich und würde mich gern tagelang unter meinem Bett verstecken. Es war nicht immer leicht, meine Pickel und Augenringe zu verstecken.

Dabei waren all diese Dinge doch natürlich. Jeder Mensch hat Poren und Hautunreinheiten. Ob meine zunehmenden Unsicherheiten vielleicht sogar davon beeinflusst wurden, dass ich in den letzten Wochen so viel Zeit auf Instagram verbracht hatte, wo mich perfekte Illusionen glauben haben lassen, ich sei nicht gut genug, so wie ich bin?


Selbst wenn Bella mittlerweile nicht mehr davon besessen war, sich selbst zu optimieren zu müssen und auch wusste, was für ein Einfluss Social Media auf uns haben kann, kam mir denn noch vor wie eine Art Influencer. Die Art, wie sie sprach und der Drang alles Mögliche aus ihrem Leben preis zu geben, wirkten sehr selbstzentriert.

„Aber jetzt sagt doch mal. Was führt euch denn eigentlich her, wenn er von Snapchat kommt und du...", wollte Bella plötzlich wissen und brach so die Stille, die für einen Moment zwischen uns geherrscht hatte.

„Ich komme aus einer anderen Dimension, Welt, such dir das Wort aus, was dir am besten gefällt. Und Charlie hilft mir wieder zurückzukommen", erklärte ich ihr.

Charlie stupste mich an. „Wir sollten vielleicht nicht gleich alle Karten offen auf den Tisch legen. Wir haben im Grunde keine Ahnung, wer sie genau ist", zischte er mir ins Ohr und ich sah ihn verdutzt an.

Diese Frau hatte uns gerade ihre Lebensgeschichte erzählt und er traute ihr trotzdem nicht? Ich runzelte die Stirn. „Sie will uns helfen!", meinte ich und er stöhnte genervt.

„Bist du immer so naiv?"

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