63. Kapitel

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In Träumen kann man sich nie daran erinnern, wie man an den Ort gekommen ist, an dem man gerade steht. Je mehr man sich darauf konzentriert, desto weniger weiß man. So wie jetzt. Ich weiß nicht mehr, wann wir angekommen sind und wie man mich hier auf das Podest gezerrt hat, aber ich knie hier. Es gibt nur einen Unterschied. Das hier ist kein Traum. Vor m. Stehen Menschen. Über hundert Menschen. Ich kenne die wenigsten. Irgendwo weiter hinten in der Menge erkenne ich Jo und Luisa. Elias hat sein Wort also gehalten. Sie beobachten mich mit traurigen Augen und Lui muss sich auf Jos Arm stützen, vermutlich um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ihre Augen sind rot geweint und sie ist so blass, als hätte sie eben eine Grippe überstanden und wäre nur gerade so fähig, das Bett zu verlassen. Am liebsten würde ich zu ihr gehen und sie in den. Arm nehmen. Was sie in den letzten Tagen durchgemacht hat, muss schrecklich für sie gewesen sein. Schmerzlich wird mir bewusst, wie schnell alles gegangen ist. Innerhalb von achtzehn Tagen hat sich mein komplettes Leben auf den Kopf gestellt. Die Veränderung durch die Jäger zähle ich dabei allerdings nicht mit. Vorher habe ich mich auf mein Kind gefreut, auf ein Leben in Familie und ich hatte Hoffnung auf ein Wunder. Ein Wunder, das die Menschen von der Tyrannei des Königs befreit. Jetzt bin ich zum Tode verurteil und ich habe gesehen, wie kompliziert die Lage eigentlich ist. Es geht nicht darum den König zu töten, den alle für ein Monster halten. Der Schreiber zieht die Fäden, aber niemand richtet ihn. Das Offensichtliche ist einfacher und das Einfachere ist besser. Selbst in der Natur nimmt alles den Weg mit dem geringsten Widerstand. Strom würde niemals über Umwege fließen, Wasser rinnt lieber durch Löcher in einem Damm als außen herum zu treiben. Auch Menschen machen es sich nicht komplizierter als es ist. Der König hat die Macht und deshalb trägt er die ganze Schuld. Auch ich habe so gedacht. Oberflächlich. Jetzt weiß ich es besser und doch hilft es keinem. Mein Blick sucht ihn. Ich weiß, dass er da ist, aber ich kann ihn nirgends entdecken. Wenn er versteckt unter den Maßen steht, dann wäre es mir auch nicht möglich ihn zu erkennen. Ich habe gesehen, wie normal er wirken kann. Man kann nicht Gleiches von Gleichem unterscheiden. Er ist schlau genug seine auffälligen Augen zu verstecken. Somit gibt es keine Möglichkeit, ihn ausfindig zu machen. Ich atme aus. Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf eine andere Gruppe. Lijah und Hannah. Sie stehen etwas abseits von Luisa und Jo. Vermutlich gab es den Auftrag, sich zu verteilen, um sich nicht schnappen zu lassen. Hannah starrt mich einfach an. In ihren Augen schimmert einfach nur Leere. Kein Hass, keine Angst, kein Vorwurf. Sie scheint noch begreifen zu müssen, was passiert. Warum hat er ihr erlaubt, mitzukommen? Sie ist ein Kind. Eine Hinrichtung sollte sie sich noch nicht ansehen. Allerdings stelle ich es mir noch schwerer vor, sie zum Bleiben zu bewegen. Wenn sie sich in den Kopf gesetzt hat, dabei zu sein, dann war es ohnehin unmöglich sie im Lager zu lassen. Man hätte sie schon fesseln und in eine Zelle sperren müssen, um sie abzuhalten. Ihr Blick lässt mich nicht los, allerdings weiß ich nicht, ob sie bemerkt, dass ich sie ansehe. Sie scheint geistig überhaupt nicht hier zu sein. Die Gefühllosigkeit in ihren Augen lässt sich für mich nicht anders erklären. Lijahs hingegen leuchten vor Wut. Man könnte meinen, die Flammen lodern zu sehen. Knisternd und strahlend wie ein Lagerfeuer an einem gemütlichen Abend am See. Absurd wirkt dieses Bild. Surreal, als hätten solche Zeiten niemals existiert. Fremd und weit entfernt. Ein Märchen überliefert aus vergangener Zeit. Nichts passt in diese Situation. Je länger ich darüber nachdenke, desto unnatürlicher erscheint alles. Die Sekunden verstreichen dreimal so langsam wie sonst. Die Menschen bewegen sich in Zeitlupe. Jeder meiner Atemzüge rauscht in meinen Ohren. Das Meer. Ich vermisse es. Alles um mich herum wird schärfer. Ich sehe mehr Details. Schweiß glitzert in winzigen Perlen auf der Stirn des Mannes, der am dichtesten an der Bühne steht. In seinem Bart klebt noch etwas Brot. Vermutlich hat er es heute zum Frühstück gegessen. Neben ihm steht seine Frau. Er hält ihre Hand. In ihren Augen glitzern Tränen. Ganz langsam rollt eine ihre Wange hinunter. Sie bahnt sich ihren Weg. Können Tränen einander erzählen, was sie erlebt haben? Wenn sie auf den Boden auftrifft, was geschieht dann mit ihr. Sie wird vergessen. Alles an ihr wird vergessen. Irgendwann erinnerten man sich nicht einmal mehr daran, warum oder dass man sie vergossen hat. Sie hat existiert und ist wieder verschwunden, aber niemand hat sie wirklich bemerkt. Ihr Leben war einsam. In Form eines Tropfens fällt sie hinab und mit dem Aufschlag auf den Steinen zerfällt sie in so kleine Teilchen, dass ich sie nicht mehr erkennen kann. Verschwunden. Weitere werden ihr folgen. Die Frau trauert. Ich kenne sie nicht. Niemanden aus den ersten Reihen kenne ich. Alle sind sie Fremde und trotzdem sind sie hier. Sie kennen mich. Ich bin das Mädchen, das ohne Grund getötet wird. Bin ich wirklich unschuldig? Ich habe das Quartier der Stadtwache in Brand gesteckt. Das war eine Straftat. Vielleicht keine, die des Todes würdig wäre, aber ich bin nicht vollkommen unschuldig. Ich bin keine Heldin. Bin es nie gewesen. Trotzdem stellt man mich so dar. Die Menschen brauchen einen Grund, aus dem sie kämpfen, aber warum muss ich das sein? Ich wollte noch nie im Mittelpunkt stehen, doch jetzt schauen mich so viele Menschen an und alles dreht sich um mich. Mein Rolle in diesem Theater ist stumm. Einen Text hätte ich mir auch nicht merken können. Beim Anblick von dieser Zahl an Gesichtern hätte ich alles wieder vergessen. Ein Schauspiel ohne Text, ohne Maske, ohne Verkleidung. Ein Schauspiel mit bekanntem Ausgang und doch schaut man es sich an. Ich spüre die Kälte des Gewehrlaufes im Nacken. Das Metall drückt in meine Haut. Gänsehaut läuft über meinen Körper. Noch langsamer vergeht die Zeit. Eine Sekunde fühlt sich an wie eine Stunde. Ich atme. Vor mir sehe ich das Meer. Schäumend schlagen die Wellen gegen meine Beine. Ich bin wieder ein Kind. Das Kind mit Locken. Kühl umspült das salzige Wasser meine Knöchel. Langsam vergraben sich meine kleinen Füße im Sand. Leicht fühlt er sich an. Leicht und ganz weich. Das Meer rauscht. Windböen ziehen an meinen Haaren und ich schließe die Augen, ergebe mich den Mächten der unbezwingbaren Natur. Die Kraft spürt man schon in den winzigen Wellen, die kleine Steine und Muscheln mit sich in die großen Weiten des Wassers zieht. Wie groß ist die Welt? Ich gehe Schritt für Schritt tiefer in das blaue Meer. Meine Hüften umspült es schon. Immer weiter gehe ich, bis mein Kopf unter der Oberfläche verschwindet. Das Leben oberhalb der Oberfläche verschwindet und ich schwebe in einer neuen, geheimnisvolleren Welt. Bunte Fische schwimmen um mich herum, wollen mir ihr Zuhause zeigen. Kleine Wesen klettern in Richtung des mystischen Lichts der Sonne. Keine Helligkeit bringen die Strahlen mit sich, dafür eine ganz andere Atmosphäre. Freiheit und Schwerelosigkeit. Alles scheint schwerelos. Glitzernde Luftbläschen tanzen nach oben. Sie schimmern und funkeln. Die Strähnen meiner Haare schweben um meinen Kopf. Jede Bewegung im Wasser ist elegant. Alles ist magisch. Ich habe geträumt vom Tanzen. Jetzt kann ich sogar fliegen. Unter meinen Füßen ist kein Boden und ich muss mich nirgendwo festhalten. Mein Körper ist frei; frei in tausenden Litern salzigem Wasser. Kein Anfang und kein Ende. Unendlichkeit. Ewigkeit. Kein Geräusch stört den Frieden. Alles, was am Strand passiert, spielt hier keine Rolle mehr. Namen, Taten nicht hat mehr wert. Hier unten ist man, wer man ist. Man wird nicht verurteilt und nicht bestraft. Jede Sekunde gehört einem selbst. Verrat, Intrigen und Mord gibt es hier unten nicht. Stille und Frieden. Freiheit und Geborgenheit. Hier entscheidet nur einer darüber, was mit dir passiert, und das bist du selbst. Nie wieder will ich auftauchen, aber meine Luft reicht nicht für die Ewigkeit. Mit leichten, zaghaften Paddelschlägen nähere ich mich der Wasseroberfläche. Ich kann die Sonne wieder sehen, ihre blassen Strahlen, die versuchen, die Erde zu wärmen. Mein Kopf durchbricht die Schicht aus Wasser und der Lärm setzt sofort wieder ein. Menschen schießen aufeinander. Menschen sterben. Menschen lachen. Alles geschieht in einem Strudel der Zeit und nur einen Sekundenbruchteil herrscht Frieden. So lang existiert unser Planet und in vergleichsweise so erschreckend kurzer Zeit hat der Mensch zerstört, was ein Wunder ihm einst geschenkt hat. Leben. Wäre die Geschichte der Erde eine Stunde, den Menschen gäbe es kaum eine Sekunde und dennoch ist vieles von dem vernichtet, was über all die anderen Minuten entstand. Jahrmillionen zerstört in wenigen Jahrhunderten. Menschen mögen vergessen, aber Leben nicht. Was gestorben ist, das ist tot und keine gute Hoffnung kann es zurück holen aus einer Welt, von der wir noch weniger wissen als von unserer eigenen.
Ich höre die Stimme meines Vaters in meinem Kopf. Laufen sollte ich. Ich spüre seine warmen Hände noch auf dem Rücken. Aus dem Haus hat er mich gestoßen und mir immer lauter hinterher geschrien, dass ich laufen soll. Bomben zerreißen Häuser in kleiner Splitter. Überall sehe ich Kinder, die fliehen. Wir laufen gemeinsam durch die Straßen. Ein letztes Mal sehe ich mich um. Gerade, als eine Explosion das Haus, das ich eben noch mein Zuhause nennen konnte, in sich zusammenfallen lässt. Die Wände klappen ein wie die eines Kartenhauses und das Dach begräbt alles unter sich wie eine Lawine. Eine Druckwelle reißt mich von den Füßen, aber ich wende den Blick nicht ab. Mein Gehirn begreift nicht, was es gesehen hat. Es will nicht begreifen. Noch Tage habe ich in den Trümmern gesucht. Nicht einmal ein Stück Stoff habe ich gefunden, das mich an meine Eltern erinnern könnte. Es war einfach alles zerstört. Nichts sah mehr so aus, wie es vorher ausgesehen hätte. Ich wäre nicht einmal in der Lage gewesen, zu sagen, ob dieses Haus überhaupt das Gebäude war, in dem ich mein ganzes Leben verbracht hätte, wäre da nicht die kleine blaue Schaukel gewesen. Wie durch ein Wunder war sie vollkommen unversehrt. Nur etwas Staub hatte sich auf das Metall gesetzt. Sie quietschte bei jedem Windhauch, so alt war sie. Seit ich denken konnte, stand sie in unserem Garten und jetzt war sie als einzige Erinnerung übrig geblieben. Ich weiß nicht mehr, wie ich es damals in die Stadt geschafft habe, bevor man die Toren aus Angst vor Seuchen schloss, aber irgendwann habe ich mich an die Wand einer Gasse gelehnt wiedergefunden, hungrig und fast am Verdursten. Irgendwie ging es dann weiter. Ich habe mein Leben gelebt, versucht nicht zu sterben. Lange hat es gebraucht, bis ich mir wieder erlaubt habe zu lachen oder an etwas anderes zu denken, als an meine Eltern. Wie gerne würde ich erzählen, dass ihr Tod friedlich war, aber ich werde niemals lügen, wenn ich von ihnen berichte. Das habe ich mir geschworen. Ich würde gern wissen, was sie im allerletzten Moment gedacht haben, aber vermutlich werde ich es niemals erfahren. Der Tod ist endgültig und wenn man Glück hat und es ein Leben nach dem Ende gibt, dann vergisst man, wie und dass man gestorben ist. Das würde ich mir wünschen.
Ich öffne meine Augen. Kaum eine Sekunde ist vergangen und doch habe ich alles vor mir, was mein Leben gewesen ist. Gutes und Schlechtes. Jetzt höre ich das Klicken. Die Waffe wird entsichert. Das Geräusch zieht sich in der kriechenden Zeit und ich hebe den Kopf. Meine Augen suchen die von Lijah. Ich finde und halte seinen verzweifelten Blick. Einen Moment sehe ich ihn nur an. Dann lächle ich einfach. Es tut gut. Es befreit. Alle Last fällt von mir ab. Ich höre die Menschen nicht, die schreien und ich verstehe nicht, was Hannah zu Lijah sagt. Nur mein Atem dringt an meine Ohren. Dann spüre ich die Bewegung, die durch die Waffe geht, als der Abzug gedrückt wird. Den Schuss höre ich nicht mehr.

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