Am Morgen danach geht's mir immer furchtbar schlecht

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Berlin, Charlottenburg – Bennis Wohnung
29. Januar 2016

Nach unserer sehr ausgelassenen, feucht-fröhlichen Partynacht wurde ich irgendwann von einem Würgen wach, das ich aufgrund des gequälten Stöhnens zwischendurch Lukas Mitbewohnerin Ina zuordnete. Ich versuchte, nicht hinzuhören, denn davon wurde mir direkt selbst schlecht. Mein Hals brannte höllisch, meine Zunge klebte mir förmlich am Gaumen fest, meine Haare rochen nach Pfefferminzschnaps und ich fühlte mich im Allgemeinen, als hätte mich ein Bus überfahren. Und ein LKW, der dahinter fuhr.

Ich drehte meinen Kopf zur Seite und das ganze Zimmer, in dem ich mich befand, drehte sich noch ein wenig weiter. Außerdem fühlte ich mich total schwer, so als ob mich irgendein Gewicht in die Matratze hineinpressen würde. Erst, als ich mich umdrehen wollte, erkannte ich auch den Grund dafür. Timi lag einfach seelenruhig vor sich hin schlummernd mitten auf mir drauf!
Ich strengte meinen schmerzenden Kopf ganz fest an und versuchte mich zu erinnern, warum ich bei ihm hier im Gästezimmer war und nicht mehr bei den anderen auf der Couch lag.
Bruchstückhaft fielen mir ein paar Dinge ein, die wir geredet hatten, bevor ich eingeschlafen war. Aber wirklich viel konnte ich damit nicht anfangen. Wie ich hier gelandet war, wollte mir auch nach minutenlangem Grübeln noch nicht einfallen. Vorsichtig und langsam, um ihn nicht zu wecken, tastete ich Tims Rücken ab und streifte dann auch mal kurz seinen Hintern, um erleichtert festzustellen, dass er ein Shirt und Boxershorts trug. Wäre in der Nacht was gelaufen, dann hätte er jetzt am Morgen auch nichts an. Er war nämlich eigentlich viel zu faul dazu, um sich danach nochmal anzuziehen. Ich fühlte dann bei mir selbst auch mal, ob ich was anhatte. Viel war es nicht, aber immerhin Unterwäsche.

So langsam konnte ich Inas Kotzerei nicht mehr ignorieren und mir wurde immer schlechter.
„Timi", jammerte ich und zog an seinem Shirt herum. Statt irgendwie von mir runterzugehen oder überhaupt mal wach zu werden, gab er einfach nur ein kurzes Seufzen von sich.
„Ich kotz dich gleich voll, wenn du nicht von mir runter gehst", sagte ich und schüttelte ihn an den Schultern. „Na ja, eigentlich kotze ich mich selbst dann voll. Aber das wäre trotzdem eklig für dich. Ich rate dir jetzt wirklich dazu, wach zu werden. Timi. Ich meins ernst!"
„Pssst", flüsterte er, seufzte und schnarchte in der nächsten Sekunde schon wieder leise.
Ich zog erst leicht an seinen Haaren und als das nichts brachte, ein bisschen fester. „Tim! Verdammt!"
„Aua. Was ist denn?", murmelte er.
„Ich muss kotzen", jammerte ich verzweifelt.
Er hob seinen Kopf etwas und sah mich an. „Dann geh doch."
So schön der Mann auch war... aber so früh am Morgen und bei ungeputzten Zähnen waren hier nur meine Haare pfefferminzfrisch.
„Runter! Sofort!", sagte ich und zappelte unter ihm herum. Jetzt schien ihm der Ernst der Lage endlich bewusst zu werden und er beeilte sich damit, sich von mir runter zu rollen. Sofort sprang ich aus dem Bett raus und legte mich aufgrund fehlender Koordination erst einmal auf dem Holzboden ab. Ich krabbelte ein paar Meter auf den Knien in Richtung Tür, bis ich dann Timi hinter mir merkte, der mich nach oben zog.
„Da hast du es dir ja heute Nacht richtig gegeben", sagte er mit einer vom Schlaf total heiseren Stimme und schob mich Richtung Bad, aus dem Ina gerade leichenblass herauskam.
„Morgen. Bad ist frei", krächzte sie und schwankte an uns vorbei.

Timi setzte mich vor der Toilette ab und klappte den Deckel auf, dann kniete er sich hinter mich und hielt meine Haare, während ich schon zu brechen begann.
„Warum denkt man nie an den nächsten Morgen?", fragte ich ihn während einer kleinen Pause.
„Gute Frage", sagte er und lachte.
„Boah nicht so laut", meckerte ich und schlug ihm auf den Oberschenkel. Ich hatte mich gerade etwas beruhigt, da kam auch schon die nächste Welle und ich krallte mich an der Toilette fest.
Wie schon einige Male zuvor, in vergangenen Zeiten, war Timi einfach da, hielt meine Haare und streichelte meinen Rücken ein wenig. Wenn ich gerade mal nicht kotzte, lehnte ich mich an ihn und er wischte mir mit einem kalten Waschlappen das Gesicht ab.
„Ich weiß gar nicht mehr, wann es mir das letzte mal so erbärmlich ging", murmelte ich und hielt mich schwach an ihm fest.
„Als du letztens betrunken bei mir aufgekreuzt bist, vielleicht?", fragte er und ich konnte hören, dass er gerade am Grinsen war.
„Nein, das war nicht so schlimm, wie heute."
„Das wundert mich aber, weil... da warst du viel zerstörter, als heute Nacht."
Ich ließ mich nach hinten sinken und setzte mich auf den Boden, da ich glaubte, kurz Ruhe zu haben.
„Ich glaub, das letzte mal war es so schlimm, als wir bei Elsa waren. So kurz bevor ich schwanger wurde. Sie hatte diesen selbst gebrannten Schnaps, den sie noch von deinem Großvater hatte, aus dem Keller geholt. Und ich dachte die ganze Zeit, ihr beide trinkt auch. Dabei hattet ihr nur mir jedes mal Schnaps gegeben und habt selbst Wasser in euren Gläsern gehabt! Weißt du das noch?"
„Ich erinnere mich", sagte Timi und kicherte albern.
„Warum habt ihr das überhaupt gemacht?"
„Weil wir das extremst lustig fanden! Und weil Elsa ein bisschen pissig wegen dir war."
„Echt? Das hast du mir nie erzählt. Was war denn?"
„Na du warst schon eine Weile vor mir dort und schon ein ganz kleines bisschen angetrunken, weil ihr Sektfrühstück gemacht habt. Ich kam später und hab Elsa noch eine Tupperdose zurückgegeben, weil sie mir den Tag davor Suppe gebracht hatte. Du warst da auf nem Tagesausflug mit dem Heim gewesen und ich bin ja, wie wir alle wissen, nicht fähig dazu, mir selbst was zu kochen. Jedenfalls meintest du dann zu Elsa, sie wäre so eine nette, alte Frau, weil sie immer noch so nach mir guckt und mir Essen bringt. Sie war aber damals ja noch nicht einmal sechzig!"
„Ups!"
„Ja, das mit der alten Frau hat sie dir schon etwas übel genommen. Außerdem wollte dich ein paar Tage vorher ein Junge im Heim irgendwie wegen Taschengeld verarschen und du meintest so groß und breit, du lässt dich nicht mehr verarschen, das würde heute überhaupt nicht mehr funktionieren, weil du alle Tricks kennen würdest. So angetrunken, wie du warst, sprach da ein wenig der Größenwahn aus dir, so wie bei Benni, wenn er nur ein bisschen kokst. Und dann hat sich die Sache mit dem Schnaps eben so ergeben!"
„Das ist voll unlustig", grummelte ich.
„Elsa und ich lachen manchmal heute noch darüber. Eigentlich jedes mal, wenn ich bei ihr esse, weil wir uns danach immer einen Schnaps rein kippen. Also so ein- bis zweimal pro Woche."
„Wird das nicht langweilig?"
„Nein", sagte Timi und lachte sich kaputt.
„Wie schön für euch", sagte ich und ließ mich von seinem Lachen anstecken. „Ich glaub, ich bin über den Berg."
Er stand auf und zog mich zu sich nach oben. „Gut. Es ist erst sieben. Willst du wach bleiben, oder noch ein bisschen schlafen?"
Da musste ich nicht zweimal überlegen. „Oh Gott, schlafen natürlich!"

Als wir am Wohnzimmer vorbeikamen, warf ich einen Blick hinein und stellte fest, dass auf einer Couch ein sehr großer Platz mit Kissen und Decke frei war, weil sich die anderen irgendwie enger zusammengequetscht hatten.
„Also, dann leg ich mich mal wieder da hin", sagte ich mit einem schiefen Lächeln. „Danke für gerade."
Timi guckte zuerst etwas irritiert, dann grinste er mich aber verstehend an und verschwand im Gästezimmer. Klar, hätte ich mich gerne wieder zu ihm gelegt, aber die Situation gerade war so extrem vertraut gewesen und ich fühlte mich total zu ihm hingezogen, sodass ich garantiert die ein oder andere Hemmung verloren hätte. Aber ich war nun mal noch mit Valentin liiert und auch, wenn ich das nicht mehr wollte, war es noch so und ich musste das erst beenden, bevor ich was mit einem anderen haben würde.
Der Gedanke an Valentin brachte mich direkt wieder in total miese Stimmung. Seufzend krallte ich mir die freie Decke und eine Zigarette aus einem der vielen Päckchen auf dem Tisch und verzog mich auf die Terrasse. Es kam mir so ausweglos vor, aber ich musste diesen Typen endlich wieder loswerden. Ich schaute auf das von grauem Nebel bedeckte Berlin herunter und überlegte mir ganz viele Möglichkeiten, aber egal, was ich mir in meinem Kopf ausmalte... jedes einzelne mal kam ich zu dem Schluss, dass ich bei ihm bleiben musste. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel.

Ich war gerade dabei, draußen auf einem bequemen Stuhl wegzudämmern, als mich die Stimme von Ina, die vollkommen leise und unbemerkt raus gekommen war, hochschrecken ließ.
„Na, na. So schreckhaft?", krächzte sie heiser und nahm gegenüber von mir Platz. „Es wäre vielleicht eine schlechte Idee gewesen, nur in Unterwäsche mitten im Winter draußen zu schlafen", sagte sie grinsend und warf einen Blick in mein Dekolletee. Im Affekt zog ich sofort ruckartig die Decke hoch und fühlte mich dann ein wenig bescheuert deswegen.
„Keine Panik, ich bin zwar lesbisch, aber ich werde dich schon nicht vergewaltigen", meinte Ina und zwinkerte mir zu.
„Ähm... so war das nicht gemeint! Das ging ganz automatisch!", versuchte ich mich hektisch herauszureden.
„Schon gut", sagte Ina und lachte. Ich beobachtete sie, wie sie sich mit geschlossenen Augen und dem Gesicht zur schwachen, winterlichen Morgensonne gewandt einen Joint ansteckte. Sie lehnte sich zurück und schwang völlig unbeeindruckt von der Kälte ihre nackten Beine über das metallene Geländer. Mit ihrer hellen Haut, die in der Sonne leicht schimmerte, den goldblonden Haaren und ihrem sehr speziellen, katzenartigen Gesicht sah sie schon fast nicht mehr wie ein Mensch aus, eher so, wie eine schöne Statur, die jemand auf Bennis Terrasse abgestellt hatte.
Ich drehte mich um und warf einen Blick ins Wohnzimmer und betrachtete die schlafende Tania, die in meinen Augen ähnlich perfekt wie Ina war. Bei den beiden konnte man ja nur Komplexe bekommen und ich konnte Timi echt gut verstehen, warum er beim Gedanken daran, dass sie beiden ein Paar waren, durchdrehte. Mir wurde ja schon ganz warm, obwohl ich eigentlich nichts für Frauen übrig hatte.

„Was ist los mit dir?", fragte Ina mich dann plötzlich. Ich schüttelte meine Gedanken von mir ab und sah sie irritiert an.
„Was soll los sein?", fragte ich und lächelte so unschuldig, wie möglich.
„Hab dich beobachtet. Hast ganz schön lange mit nem ziemlich traurigen Blick in die Stadt runter gestarrt."
„Es ist nichts. Ich habe nicht traurig geguckt. Hab mir einfach die Stadt angesehen und an nichts gedacht. Das ist mein neutraler Blick!", sagte ich und grinste.
„Nö. Glaub ich dir nicht", sagte sie. „Irgendwas hast du, ich merk so was. Willst du mal ziehen? Bringt dich auf andere Gedanken."
Sie hielt mir ihren Joint entgegen, ich schüttelte jedoch direkt mit dem Kopf. „Die Zeiten sind schon lange vorbei. Warum kifft ihr eigentlich alle? Ich glaub, ich kenn mehr Leute, die kiffen, als Leute, die nicht kiffen."
Ina zog an ihrem Joint, lachte und hustete anschließend. „Genau so hab ich ständig das Bedürfnis, die Leute zu fragen, warum sie es eben nicht tun!"
„So ähnlich sagt Timi das auch immer."
„Bist du wegen ihm so traurig?", fragte sie und lehnte sich ein bisschen nach vorne. „Ich glaube dir nicht, dass du nichts hast. Versuch nicht, dich raus zu reden."
Ich holte schon Luft, um abzustreiten, dass irgendetwas wäre, sagte dann aber doch nichts. Ich hatte es bisher noch niemandem erzählt und sie wirkte gerade so vertrauensvoll auf mich, dass ich ernsthaft überlegte, mit ihr darüber zu reden.
„Also... es ist schon etwas", stammelte ich und zog mir die Decke enger um den Körper.
„Aha! Wusste ich doch", sagte Ina triumphierend.
„Fuck. Nein. Ich kann dir das nicht sagen. Du bist doch mit Timi befreundet und... das darf er auf keinen Fall erfahren."
„Oh. So schlimm?"
Ich starrte auf den Boden und schob einen Aschenbecher mit meinem Fuß hin und her. „Ich denke schon, dass er es schlimm finden würde. Ich hätte nicht damit anfangen sollen, verdammt! Du kennst ihn viel besser, als mich und du wirst es ihm bestimmt sagen wollen. Wenn nicht ihm, dann Lukas. Er ist immerhin dein bester Freund. Und er wiederum ist Timis bester Freund. Er wird nicht dichthalten."
Warum nur war mein Mund oft so viel schneller, als mein Hirn?

Ina überlegte lange und seufzte dann. „Hast du jemanden umgebracht?"
Ich zog erschrocken die Luft ein und verschluckte mich an meiner eigenen Spucke. „Um Gottes Willen! Nein!"
„Hast du jemanden umbringen lassen?", überlegte Ina weiter.
„Auch nicht", sagte ich und schüttelte bestimmt den Kopf.
„Ist es etwas, was Timi schaden würde, wenn er es wüsste?", fragte sie und legte ihren Kopf schief.
„Ich weiß nicht. Vielleicht", sagte ich und zupfte an der Decke herum. „Keine Ahnung."
Ina riss erschrocken die Augen auf und legte ihre Hand auf ihr Herz. „Ist er nicht der Vater von deinem Kind?"
Bevor ich ihr antworten konnte, trat ein völlig verschlafener Lukas zu uns nach draußen.
„Morgen Ladys", gähnte er und streckte seinen blassen Körper der Sonne entgegen.


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