Deine Schmerzen sind auch meine, Jahr für Jahr

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Bielefeld, Elsas Haus
05. Februar 2016

„Na, worüber amüsiert ihr beiden euch denn so?", fragte Elsa mich und Zara, während sie gerade dabei war, einen riesigen Karton aus dem Auto zu manövrieren. Dem Aufdruck nach vermutete ich, dass es sich dabei um die Schwarzwälder Kirschtorte – die Lieblingstorte meines Großvaters – handelte, die wir jedes Jahr an seinem Todestag kauften.
„Zara hat mir gerade was total witziges erzählt. Sie war als Kind mal in einer Werbung für Durch..." Zara gab mir einen leichten Tritt ans Schienbein. Nicht wirklich schmerzhaft, aber dennoch fest genug, um mich zum schweigen zu bringen. „Timi!"
„Was denn? Ist doch lustig. Vielleicht hat Elsa dich ja sogar gesehen und erinnert sich an die Werbung."

Elsa sah uns abwechselnd mit einem breiten Grinsen an, dann ging sie Richtung Haustür. „Na kommt rein in die gute Stube Kinder, wir wollen jetzt nicht im Schnee festfrieren. Drinnen im Warmen kann mir Zara ja immer noch erzählen, in welcher Werbung sie mal war." Dann drehte Elsa sich zu mir und hob ermahnend den Zeigefinger in die Luft. „Wenn sie das denn möchte!"
„Schon gut, Elsa", sagte Zara und nahm ihr den großen Tortenkarton ab. „Ich erzähls dir gleich."

Wenige Minuten später drang Elsas dunkles, warmes Lachen durch das ganze Haus, ich wischte mir die Lachtränen aus dem Gesicht und Zara saß mit hochrotem Kopf, aber dennoch grinsend, neben mir auf der weichen Eckbank in Elsas Küche. Sogar Elias, der auf dem dunklen Holzboden mit ein paar Legosteinen spielte, konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen, obwohl er nicht mal verstand, weshalb er überhaupt lachte.
Kaffeegeruch durchströmte die Küche und in der Ecke hatte Elsa den kleinen Feuerofen angezündet, der sofort für eine warme, heimische Atmosphäre sorgte. Auf dem Herd köchelten bereits die ersten Zutaten für die Gulaschsuppe nach Opas Rezept, die wir später am Abend noch essen würden.
Elsas Blick wanderte an der Wand mit den vielen Fotos entlang, dann blieb sie bei einem Bild, das mich und die Band zeigte, hängen.

„Wie geht's eigentlich dem lieben Lukas? Hat er jetzt endlich mal eine Freundin gefunden?", wollte Elsa wissen, als sie mit der Kaffeekanne zu uns an den Tisch kam.
„Nein", sagte ich. „Das ist eine ziemlich lange Geschichte."
Elsa sah mich an und ich sah in ihren Augen, dass ich mich nicht vorm Erzählen drücken konnte. Eigentlich wollte ich Zara das Reden überlassen und einfach nur in Ruhe ein paar Stückchen Torte verdrücken, doch wenn Elsa etwas wissen wollte, dann kam man nicht drumherum.

Da ich mir nicht sicher war, was Elsa schon wusste und was nicht, begann ich einfach ganz von vorne. Ich erzählte Elsa von der ganzen Maya-Geschichte, wie sie Lukas jahrelang hingehalten und verarscht hatte und berichtete dann auch von dem Ausflug von Lukas und Maya in den Spreewald, wo er durch einen Zufall einen von ihr handgeschriebenen Zettel in ihrer Tasche fand, der sie als völlig wahnsinnig outete.
„Sie hat ihn sogar vergiftet?", fragte Elsa völlig empört, als ich ihr von den Tagen erzählte, in denen Lukas unerklärlicherweise immer kränker wurde, obwohl Maya ihn gepflegt hatte.
„Ja, irgendwas hat sie ihm in den Tee gekippt, damit er schön krank bleibt und sie sich um ihn kümmern kann. Er sollte am Ende das Gefühl haben, dass er nicht mehr ohne sie leben kann oder so. Weil sich niemand so gut um ihn kümmert wie sie es tut."
„Ich bin echauffiert", nuschelte Elsa in ihre Kaffeetasse. „Und was ist jetzt mit ihr?"
„Sitzt in Untersuchungshaft. Das letzte was er von ihr gehört hat war ein Brief, in dem sie ihm sagt, das sei alles nur ein Missverständnis gewesen. Sie hätte diesen Zettel mit einer Freundin geschrieben nachdem sie einen Film gesehen haben, wo es um eine Stalkerin geht. Sie wollten einfach nur mal gucken, wie sowas im echten Leben funktionieren könnte. Jaja, wer's glaubt... naja und sie hat noch geschrieben, dass sie ihn liebt und dass sie Kinder mit ihm haben will und den ganzen Kram. Der arme Lukas ey, der wünscht sich das alles ja so sehr und ich hatte echt befürchtet, dass er sich wieder von ihr einwickeln lässt."

Elsa seufzte tief. „Und mehr weiß man noch nicht? Also warum sie das überhaupt gemacht hat und was genau mit ihr los ist?"
„Nein, man weiß nichts. Vielleicht kommt ja noch was raus, vielleicht ist es aber auch besser, wenn wir die Sache vergessen und uns nicht mehr damit beschäftigen."

„Vielleicht. Und ist er mittlerweile drüber hinweg, oder hängt es ihm noch sehr nach?"
„Über Maya hat er jetzt eigentlich nicht mehr gesprochen. Ich hab gestern kurz mit ihm telefoniert. Leider hat er aber irgendwie immer noch Pech mit Frauen, auch wenns jetzt nicht mehr Maya ist."
Ich nahm eine Gabel von der Torte in den Mund und Elsa beobachtete mich mit schief gelegtem Kopf. Ich kaute und schluckte ein bisschen schneller, um gleich weitersprechen zu können. Elsa grinste zufrieden.

„Benni hat ihm dann ein Date mit so einer Frau organisiert, bei dem alles schief ging, was nur schief gehen konnte. Die war total gestört, die Alte. Und außerdem hat er vor Ewigkeiten... Gott das war noch bevor er mit Maya in den Spreewald gefahren ist... so eine Lena getroffen. Wie das genau war, krieg ich nicht mehr zusammen, jedenfalls hat sie ihm irgendwann ihre Nummer gegeben, dann haben sie geschrieben und sind sich ganz zufällig noch ein paar Mal über den Weg gelaufen. Aber Lukas, so dappisch wie er nun mal ist, hat sich irgendwie nicht so richtig getraut mal zu Potte zu kommen, und jetzt hat er seine SIM Karte verloren, wo ihre Nummer drauf abgespeichert ist. Jetzt jammert er rum und hängt den halben Tag am Fenster, wobei er hofft, dass sie unten auf der Straße entlang geht wo er sie einfach nur noch einfangen muss. Ist bisher aber noch nicht passiert. Sie wohnt wohl irgendwie in der Nachbarschaft, vielleicht aber auch nicht. Man weiß es nicht."

Elsa trank einen großen Schluck von ihrem Kaffee und schien zu überlegen, mit welchen Fragen sie mich noch löchern könnte. Ich lehnte mich leicht erschöpft vom Reden nach hinten, mit dem Kopf an die kühle Steinwand hinter mir.
„Und..."
„Elsa, bitte", stieß ich lachend hervor. „Mehr gibt's zum Thema Lukas nicht zu berichten. Ich schlage vor, ich lade ihn demnächst mal wieder hierher ein und dann stellst du ihm die Fragen einfach selbst. Ich bin mir sicher, er hat auch mehr Spaß dran, stundenlang über das ein und selbe zu reden, als ich."
Elsa packte mir noch ein riesiges Stück Torte auf den Teller und lächelte mich warm an. „Ach Timi..."

Wir aßen eine Weile schweigend, Elsa stand ab und an auf, um nach dem Gulasch zu sehen und Elias baute auf dem Boden Türmchen aus Legosteinen, die ihm immer wieder umfielen. Trotzdem frustrierte es ihn kein bisschen. Er sammelte die Steine immer wieder auf und fing von neuem an, ganz egal, wie oft sein kleines Gebilde in sich zusammenstürzte.
„Das hat er von dir", sagte Elsa und schüttete mir neuen Kaffee nach. Ich verstand nicht direkt, was sie meinte.
„Das Dranbleiben. Die auseinandergefallenen Teile immer wieder aufsammeln und wieder zusammenbauen... dich wieder zusammenbauen."
„Naja...", sagte ich und schaute auf die dunkelrote, weiche Tischdecke runter. „Im Gegensatz zu mir schafft er es aber alleine."
„Deine Steine sind auch ein bisschen schwerer, als so ein paar Legosteine."
Ich nahm grinsend einen Schluck von meinem Kaffee. „Okay, können wir die Metaphern mal hinter uns lassen?"

„Ich meine ja nur", sagte Elsa. „Trotz allem, was dir immer passiert ist. Vor allem auch das, was letztes Jahr alles war..."
Ich warf einen verstohlenen Seitenblick auf Zara.
„...trotz allem sitzt du hier und es scheint dir doch ganz gut zu gehen", führte Elsa ihren Satz zu Ende.
„Im Moment geht es mir auch wirklich gut. Aber das habe ich zum Großteil dir zu verdanken, oder Zara, oder all den anderen Menschen, die mir immer helfen... oder geholfen haben...", seufzte ich und sah das große Portrait meines Großvaters an, der vom Regal gegenüber aus einem goldenen Bilderrahmen gütig auf uns hinab schaute.

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