Es tut wieder weh

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Bielefeld
05. Februar 2016

Ich sah Zara dann doch schneller wieder, als erwartet. Nämlich bereits einen Tag, nachdem ich mehr oder weniger freiwillig ein Teil ihres Mädelsabends geworden war. Die Erinnerung daran, mit den Mädels Germanys Next Topmodel geschaut zu haben während ich mich mit pinken Cupcakes vollgestopft hatte, ließ ein dämliches Grinsen über mein Gesicht huschen.

Wie konnten zwei Menschen nur so unterschiedlich sein und trotzdem zusammenpassen, als wären sie genau für den anderen gemacht worden? Zara war die Ordnung, ich war das Chaos. Sie war Weiß, ich war Schwarz. Sie war Alles und ich war...

Ich schüttelte kaum merklich den Kopf, um den Fluss an düsteren Gedanken, der gerade im Begriff war aufzukommen, zu stoppen und konzentrierte mich stattdessen auf das Hier und Jetzt.
Anlässlich des zehnten Todestages meines Großvaters hatte ich ursprünglich auch den Tag mit Elsa verbringen wollen. Diese eröffnete mir jedoch, dass sie am Nachmittag einen Arzttermin hätte und wir verabredeten uns erst für den Abend, um unser jährliches Erinnerungsritual zu zelebrieren.

Zara war auf meine Bitte hin mit Elias zu mir gefahren und nun liefen wir zusammen durch den Wald in der Nähe meines Hauses, genauso, wie es früher oft gewesen war. Mit dem einzigen Unterschied, dass unser Sohn jetzt nicht in einem Kinderwagen saß, sondern alleine vor uns herumstolperte.

Es war frischer Schnee gefallen und der Wald bestand fast nur aus Weiß. Kein Stückchen Boden schaute unter der dicken Schneedecke heraus und auch die Bäume waren vollständig von Schnee bedeckt.
Die Luft war schneidend kalt und brannte in der Lunge, aber trotzdem wollte ich in diesem Moment nirgendwo anders sein.

„Gott Schatz, mach langsam", gluckste Zara, als Elias zum geschätzt zwanzigsten Mal in den Schnee fiel. Elias rappelte sich auf, drehte sich kurz zu uns um, lachte, und rannte dann einfach weiter. Egal wie hart er heute fiel, er heulte kein einziges Mal. Entweder lachte er darüber, oder er tat einfach so, als wäre nichts gewesen.
„Der Kleine ist echt tapfer", meinte ich und sah ihm dabei zu, wie er sich schon wieder hinlegte.
Zara nickte. „Er ist schon richtig robust. Aber wehe, er sieht einen winzigen Tropfen Blut. Dann ist alles vorbei. Dann rastet er richtig aus."

Wir waren schon eine ganze Weile unterwegs und kamen auf dem Rückweg so langsam an den Rand des Waldes, wo das Feld vor meinem Haus begann. Zu unserer linken Seite schlängelte sich ein zugefrorener Bach. Der Bach, den wir beide so gut es ging ignorierten. Genau dort hatte sich vor über einem halben Jahr das ereignet, was unser gemeinsames Leben mit einem Schlag in Millionen Scherben zerschmettert hatte.

Schon alleine der bloße Anblick von diesem augenscheinlich harmlosen, flachen Gewässer sorgte dafür, dass mein Herz raste. Alleine ging ich normalerweise nie in diese Richtung, weil ich nicht an die Katastrophe erinnert werden wollte, aber heute hatten wir den Weg ganz automatisch eingeschlagen, weil wir früher immer zusammen hier lang gegangen waren. Ganz ohne darüber nachzudenken. Weil es eben immer so gewesen ist. Weil es für immer hatte so sein sollen.

Auch, wenn der Bach bestimmt bis auf den Grund zugefroren war, wurde mir richtig schlecht, wenn Elias auch nur in diese Richtung schaute.
Vor meinem inneren Auge liefen die damaligen Geschehnisse wie ein Film ab. Ich sah ihn blass und zerbrechlich auf der Wiese liegen. Ich sah den Notarzt, der sich mit undefinierbarem Gesichtsausdruck über ihn beugte. Ich sah die ganzen Menschen über die Wiese rennen. Ich sah die Blaulichter, hörte das viele Stimmengewirr und Zaras Weinen. Ich sah mich, wie ich auf Drogen im Gras lag und unfähig war, auch nur irgendetwas zu tun.

Die ganze Zeit über hatten wir geredet, doch solange wir an diesem Bach entlang gingen, sagte niemand von uns beiden ein Wort. Und es war kein angenehmes Schweigen. Die Erinnerungen hingen schwer in der Luft, raubten uns beiden die Luft zum Atmen und die Worte, die das beschreiben würden, für das es am Ende doch keine Worte zu geben schien.

Erst, als wir aus dem Wald raus waren und über das freie Feld gingen, schaute Zara mich wieder an. Man merkte nichts mehr von der bedrückenden Stimmung, die in den letzten Minuten geherrscht hatte. Es war, als hätten wir ein unsichtbares Tor durchquert und all das Grausame dahinter dort gelassen, was für einen kurzen verrückten Moment so präsent gewesen war, als wäre kein Tag seitdem vergangen.

„Hast du auch daran gedacht?", fragte Zara mich nach einer ganzen Weile und atmete geräuschvoll aus.
„Natürlich", antwortete ich nur. Sie nickte, griff zögerlich nach meiner Hand und verschränkte vorsichtig ihre Finger mit meinen.

Elias drehte sich zu uns um und kam dann langsam auf uns zu gestapft. „Will nicht mehr", meckerte er und streckte seine Arme nach Zara aus.
„Ach komm, es ist nicht mehr lange", antwortete sie ihm und zeigte auf mein Haus, das schon weit entfernt in Sichtweite war. „Da vorne ist doch schon unser... Papas Haus."
„Nein, tragen", motzte unser Sohn nun ein bisschen lauter und ließ sich einfach auf den Hintern fallen. Dann griff er nach einem Stock und schmiss ihn Zara mit wütendem Blick entgegen.
„So schon mal gar nicht", antwortete sie und lief an ihm vorbei.

Eigentlich hatte ich jetzt schon mit einem riesigen Aufstand gerechnet, doch zu meiner Überraschung stand er nun einfach auf und lief weiter. Nach wenigen Metern rannte er sogar schon wieder und von seiner angeblichen Erschöpfung war nichts mehr zu sehen.

„Was war das denn?", fragte ich Zara amüsiert.
Sie seufzte und sah unserem Sohn nach. „Gott, er ist momentan so extrem zickig und testet total aus. Es ist total anstrengend."
„Wie lange denn schon? Als er die paar Tage hier war, war gar nichts."
„Erst seit zwei Wochen. Ich bin jetzt schon manchmal kurz vorm Nervenzusammenbruch, wie soll es nur in der Pubertät werden?"
Ich konnte mir ein Grinsen nicht unterdrücken. „Na, das sind ja noch ein paar Jahre."
„Ich bin so gespannt, wie er sich entwickelt. Ich kann mir noch so gar nicht vorstellen, was er mal wird. Wird er ein braver Streber und studiert mal Medizin, oder wird er ein totaler Rebell und macht gar nichts? Heiratet er eine Frau und kriegt einen Stall voll Kinder, oder wird er vielleicht schwul und schafft sich sechs Perserkatzen an?"
„Oh, da bin ich auch mal gespannt", antwortete ich.

Zara seufzte. „Auf jeden Fall darf er sein, was auch immer er später sein will."
„Keine Castings für Klopapierwerbung?"
Ich kassierte einen leichten Tritt ans Bein. „Du Idiot. Als ob ich in einer Klopapierwerbung gewesen wäre."
„Was war denn das peinlichste?"
„Ein Mittel gegen Durchfall für Kinder. Und jetzt sei leise!"
„Was war der Werbespruch?", fragte ich und musste mich dabei stark beherrschen, um nicht loszuschreien.
„Es gab keinen!"
„Glaub ich nicht."

Zara stellte sich vor mich und legte mir beide Hände auf die Schultern. „Okay, ich musste in der Werbung einen Schulflur entlang gehen. Dann haben die halt so extrem laute Darmgeräusche eingespielt, ich hab eine Packung von dem Zeug aus der Schultasche gezogen und in die Kamera gehalten. Dabei musste ich in einer total piepsigen Stimme sagen: Eine von denen hier, und der Tag gehört dir. Und dann bin ich halt an der Toilettentür vorbeigelaufen, hab total dämlich grinsend drauf geschaut, den Kopf geschüttelt und in der nächsten Szene sah man mich dann unbeschwert auf dem Schulhof herum rennen. Total unspektakulär! Wehe du lachst mich jetzt aus."

Sie sah mich noch einen kurzen Moment an, während ich mit aller Kraft versuchte, nicht loszulachen. Dann ließ sie von meinen Schultern ab und zog mich stattdessen weiter den Weg entlang.
„Du hast... du warst...", presste ich nach einer Weile gequält hervor.
„Meine Mutter hatte ein Kind, das im Fernsehen zu sehen war. Das war alles, was damals zählte", sagte sie mit einem bitteren Unterton in der Stimme.
Dass Zaras Klassenkameraden das eher peinlich als cool gefunden hatten, lag auf der Hand und es kostete mich nicht viel Mühe, mir vorzustellen, was für Kommentare sie damals wohl über sich hatte ergehen lassen müssen.
Trotzdem war das Bedürfnis, mich jetzt hysterisch lachend durch den Schnee zu rollen, extrem stark und ich konnte mich kaum beherrschen.

Wir kamen langsam aber sicher in die Nähe meines Hauses und weit entfernt sah ich Elsas Auto, wie es an ihrem Haus anhielt und kurz darauf stieg sie aus. Sie sah uns sofort und winkte uns zu sich rüber.
„Willst du... also willst du vielleicht kurz mal...?", fragte ich und wischte mir die Tränen meines unterdrückten Lachanfalls aus den Augen.
„Ja will ich", sagte Zara grinsend und schlug die Richtung zu Elsas Haus ein. „Und jetzt lach endlich."

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro