Berlin, Charlottenburg - Bennis Wohnung
29. Januar 2016
Die Aussicht darauf, Benni anrufen zu können, falls ich das mit Valentin nicht alleine klären konnte, beruhigte mich ein kleines bisschen. Auf der anderen Seite jedoch machte ich mir auch ernsthaft Gedanken darüber, was mit Valentin passieren könnte, sollte ich Benni tatsächlich anrufen.
Er hatte mir zwar versichert, dass er nicht sterben würde, aber trotzdem schloss das dann noch lange nicht richtig schlimme Dinge aus. Wollte ich zum Beispiel dafür verantwortlich sein, wenn er einen Unfall haben würde und sein restliches Leben im Rollstuhl verbrachte? Vielleicht war das auch viel zu weit gedacht, aber Benni wollte mir ja überhaupt nicht verraten, wer diese Leute waren, die er kannte und was die im Stande waren, zu tun. Das musste ich mir auf jeden Fall nochmal genauer durch den Kopf gehen lassen, bevor ich mich dafür oder dagegen entschied.
Ich ging durch den Flur Richtung Wohnzimmer, von wo ich die vergnügten Stimmen der anderen hörte. Bevor ich meine Jacke wieder anzog, um auf die Terrasse hinaus zu gehen, guckte ich nochmal auf mein Handy. Noch immer keine Nachrichten oder verpassten Anrufe. Valentin hatte gesagt, ich solle ihn zwei Mal am Tag anrufen. Das erste Mal vorhin war gerade mal rund drei Stunden her, da reichte es doch bestimmt, wenn ich ihn das nächste Mal heute Abend irgendwann anrief. Ich durfte es nur auf keinen Fall vergessen.
„Zara! Da bist du ja wieder", rief Ina mir aus dem Whirlpool entgegen. „Jetzt mach dich endlich nackig!"
Ich grinste und schüttelte leicht den Kopf. „Ähm... nein."
„Ich verstehe das nicht", sagte Ina lachend und schmiss elegant eines ihrer langen, gebräunten Beine über den Rand des Whirlpools. „Da sieht sie aus wie Pornobarbie persönlich und benimmt sich dabei aber wie die Unschuld vom Lande."
Timi kicherte albern vor sich hin. „Pornobarbie? Alter, hast du gerade Pornobarbie zu ihr gesagt?"
Ina spritzte Timi eine ganz gewaltige Ladung Wasser ins Gesicht. „Alter, hast du gerade Alter zu mir gesagt?"
„Du redest halt oft so derb, wie ein Bauarbeiter", lachte Timi und hielt sich schützend beide Hände vors Gesicht.
Ich grinste und ging wieder rein. Lukas war nicht mehr im Pool, vielleicht konnte ich mich ja mit ihm ein wenig über normale Dinge unterhalten. Vorher musste ich jedoch mal aufs Klo, denn Bennis eigenartiges Wasserbett hatte mit dem Herumgeschwappe ganz schön meine Blase angeregt.
Während ich ins Bad lief, guckte ich mich mal ein wenig genauer in Bennis Wohnung um. Für eine einzige Person war sie wirklich sehr groß. So gut wie jedes Möbelstück und jeder Dekorationsgegenstand schrie laut heraus, dass hier ein sehr, sehr reicher Mensch lebte. Das Wohnzimmer war nicht einfach nur ein gewöhnliches Wohnzimmer. Das war eher eine gigantische Luxuswohnlandschaft, die mit allem technischen Schnickschnack ausgestattet war, den man sich vorstellen konnte.
Überall standen Dinge herum, die man sich kaum wagte, anzufassen. Unter anderem konnte ich ein paar von diesen Skulpturen erkennen, die Ina und Tania machten. Was die genau darstellen sollten, konnte ich echt nicht sagen.
Außerdem hingen mehrere Bilder von Ina an den Wänden. Neben abstrakten Motiven waren dort auch viele Bilder von Landschaften zu sehen. Manche sahen aus wie Fotos, manche waren eher surreal. Aber alle miteinander waren einfach atemberaubend schön.
Bevor ich Berlin wieder verlassen würde, musste ich sie unbedingt nach so einem Bild fragen, obwohl ich mir das dann wahrscheinlich gar nicht leisten könnte. Wenn die nichts wert wären, würde Benni bestimmt nicht den Platz an seinen Wänden damit verschwenden.
Im Flur setzte sich der Stil des Wohnzimmers fort. Helle Wände, viel Kunst und noch viel mehr Protz.
Ich fragte mich, wie viel Geld er wohl so mit dem Label verdiente. Anscheinend viel mehr, als ich jemals gedacht hätte.
Timi und ich hatten nie wirklich darüber gesprochen, wie viel er mittlerweile an der Sache verdiente. Wir hatten immer getrennte Konten gehabt und ich hatte niemals einen Kontoauszug von ihm zu Gesicht bekommen. Als Mitgründer von Plan B, so vermutete ich jedenfalls, konnte sein Einkommen doch eigentlich nicht sehr weit unter dem von Benni liegen. Und doch hatte sich Timi nie wirklich etwas aus Geld gemacht. Während Benni hier in dieser Luxusbude lebte, wohnte Timi noch immer in dem uralten Haus seines Großvaters und hatte kaum etwas daran verändert. Er war, bis vor Kurzem jedenfalls, noch immer den klapprigen Toyota Starlet gefahren, anstatt sich mal was schickes neues zu gönnen.
Seitdem ich bei ihm ausgezogen war, schickte er mir jeden Monat Schecks, die alle noch uneingelöst in meiner Schreibtischschublade lagen. Auch, wenn es ihm wahrscheinlich gar nicht auffallen würde, dass die Summe fehlte, wollte ich einfach nicht von ihm abhängig sein. Zum Glück hatte ich noch meine Eltern, bei denen ich gerade kostenlos im Untergeschoss wohnte. Ohne sie würde ich das mit meinem mickrigen Gehalt niemals schaffen. Valentin hatte mir zwar mehrmals angeboten, mich ebenfalls finanziell zu unterstützen, aber das wollte ich auf keinen Fall. Daher schmiss er mich stattdessen ständig mit irgendwelchen Luxusgegenständen wie Schmuck oder teuren Klamotten zu. Ich hatte schon mehrmals darüber nachgedacht, das Zeug einfach zu verkaufen, habe mich dann aber doch nicht getraut. Also lagen die Sachen einfach in den Schränken und wurden nur rausgeholt, wenn ich mich mit ihm traf.
Am Bad angekommen, öffnete ich die Tür und fand darin Lukas, der im Bademantel auf dem Wannenrand saß und sich selbst bewegungslos im Spiegel gegenüber anstarrte.
„Oh, sorry", murmelte ich und wollte die Tür gerade wieder schließen, als er mich mit vollkommen verzweifeltem Gesichtsausdruck ansah. Ich wusste nicht so recht, ob er jetzt wollte, dass ich ging, oder ob ich bleiben sollte. Darum blieb ich einfach mal im Türrahmen stehen und wartete ab, bis er sich regte.
„Mir geht's so unglaublich beschissen", seufzte er und rückte ein Stück rüber. Diese Geste verstand ich als Einladung, schloss die Tür und setzte mich neben Lukas auf den breiten Wannenrand.
„Weißt du, Zara... es ist ja total lieb von denen, dass sie sich um mich kümmern. Aber immer heißt es nur Ablenkung, Ablenkung, Ablenkung. Ich will mich aber gar nicht ablenken. Ich will einfach nur in meinem Bett liegen, heulen und mir ein paar Flaschen Wein reinziehen, bis es wieder besser wird. Warum darf ich denn nicht einfach in Ruhe traurig sein? Klar, Maya ist verrückt und wollte nie was von mir. Ist es deswegen nicht wichtig genug, dass ich Zeit dafür verschwenden darf, ihr nachzuweinen? Ich hab so den Eindruck, mich nimmt keiner so richtig ernst. Die wollen das irgendwie gar nicht hören, glaube ich. Dabei würde ich gerne mal so richtig mit jemandem darüber reden."
„Hast du ihnen das denn mal so gesagt, Lukas?"
Er sah mich schief an und blies geräuschvoll die Luft aus seinen Backen. „Nein, hab ich nicht. Weil... ich schäme mich einfach zu Tode wegen allem, was in den letzten Wochen so gelaufen ist. Ich weiß, dass sie es nicht verdient hat, dass ich wegen ihr jetzt noch mehr Zeit meines Lebens verschwende, um ihr nachzutrauern. Es ist mir so unglaublich peinlich, wie ich mich verhalten habe. Sie hat mich durch die Gegend gezogen, wie einen kleinen dummen Schoßhund. Ich habe mich mit meinen Freunden wegen ihr gestritten. Alle haben mir die ganze Zeit über versucht, die Augen zu öffnen. Ich hätte die Wahrheit doch selbst sehen müssen. Es war so offensichtlich, dass Maya nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Sie hat es nie ernst mit mir gemeint und ich hab es einfach nicht gesehen, obwohl es die ganze Zeit direkt vor meiner Nase war. Gott, wie ich allen Leuten die Ohren vollgeheult habe. Dafür kann man sich doch nur schämen."
Ich legte Lukas meine Arme um die Taille und zog ihn ein bisschen an mich. „Lukas, du warst verliebt. Da sieht man das Offensichtliche nicht. Du wolltest unbedingt, dass es mit ihr klappt und hast ausgeblendet, was nicht da reinpasst. Das ist ganz normal."
„Ich hab so viel Zeit wegen dieser Schlampe verloren. Weil ich frei für sie bleiben wollte. Ich hoffe wirklich, sie wird nie wieder glücklich und vergammelt irgendwo alleine. Ich könnte heute schon viel weiter sein. Und jetzt? Ich stehe vollkommen ohne irgendwas da. Ich könnte schon verheiratet sein und vier Kinder haben. Ich weiß, dass ich noch jung bin. Aber so langsam kriege ich Panik. Ich weiß auch nicht, warum. Aber ich muss doch jetzt erst mal wieder eine finden und ganz von vorne anfangen. Das geht ja auch nicht so von heute auf morgen. Wenn man einen normalen Beruf hat, ist es ja schon schwer genug. Aber welche Frau macht denn das bei meinem Job mit? Ich bin ja total oft weg."
„Lukas, ich wusste gar nicht, dass dir das so wichtig ist."
„Das wusste ich ja bis vor Kurzem auch nicht. Naja, eigentlich hab ich doch schon ziemlich früh gewusst, dass ich damit nicht lange warten will. Als ich dann so richtig durchgestartet bin, ist das jedoch eher in den Hintergrund gerückt. Aber jetzt, wo mir so langsam bewusst wird, wie viel Zeit und Chancen ich verloren habe, kommt das alles wieder aus der Versenkung hoch."
Natürlich hätte ich Lukas jetzt sagen können, dass es totaler Unsinn war, wenn ausgerechnet er dachte, er würde für den Rest seines Lebens alleine bleiben. Aber das würde er mir gerade wohl nicht glauben.
„Maya kannte mich schon lange, bevor ich berühmt wurde. Ich hatte deshalb die Hoffnung, sie will mich wirklich, weil ich es bin. Woher soll ich denn heute wissen, dass ein Mädchen es ernst mit mir meint? Ich schaff das nicht, mich nochmal auf jemanden einzulassen, nur um dann irgendwann herauszufinden, dass ich wieder verarscht wurde. Die ganzen Weiber, die mir jeden Tag schreiben... die würden mich doch mit dem Arsch nicht angucken, wenn ich einfach nur irgendwo in nem Büro arbeiten würde."
Lukas holte nochmal tief Luft und stand dann auf, um näher an den Spiegel heran zu gehen.
„Und ich bin so verfickt unzufrieden", sagte er und fuhr sich durch die Haare. „Die werden immer dünner. Scheiße ey, ich hab letztens ein Foto von mir gesehen, auf dem ich von hinten drauf bin. Ich hoffe, die waren nur komisch gekämmt, aber... ich hab meine Kopfhaut gesehen. Wie mies ist das denn? Und der Ansatz war irgendwie auch mal weiter vorne. Meine schiefen Zähne regen mich auch auf. Mein ganzer Körper, ey. Blass und schlacksig...irgendwie viel zu dünn, aber gleichzeitig auch zu schwabbelig an manchen Stellen."
„Lukas, du... du siehst wirklich gut aus. Jetzt hör aber auf", sagte ich leicht fassungslos. Was hatte diese Irre bloß mit diesem lieben Kerl angestellt, dass er sich jetzt so sah?
„Ach, ich weiß ja auch nicht, was mit mir los ist. Ich dreh so langsam echt durch. Ich wünschte, ich hätte diese Bitch nie getroffen. Wie auch immer, ich geh mich jetzt mal wieder... ablenken", sagte er und zeichnete beim letzten Wort mit genervtem Blick Anführungszeichen in die Luft.
Dann drehte er jedoch wieder um und setzte sich nochmal neben mich. „Sind deine Träume auch schon mal einfach so kaputt gegangen? Oder ist bei dir alles gelaufen, wie es sollte?"
Ich seufzte und schüttelte den Kopf. „Nein, also bei mir ist nicht wirklich alles gelaufen, wie es sollte."
„Erzähl mir ein bisschen davon", sagte Lukas und drehte sich ein wenig mehr zu mir hin.
„Naja... also... ohne jetzt angeben zu wollen, aber ich kann echt sehr gut zeichnen. Eigentlich wollte ich Tätowiererin werden, aber meine Eltern wollten das nicht. Mein Vater war früher Schuldirektor, heute arbeitet er an der Uni. Meine Mutter ist Richterin. Das hätte denen nicht ins Familienbild gepasst und ...naja, ich hab mich halt so sehr von ihnen unter Druck setzen lassen, dass ich mir einen anderen Beruf ausgesucht habe. Also, ich bin echt zufrieden mit dem, was ich heute mache und ich wusste auch irgendwie schon als Kind, dass ich mal Erzieherin oder sowas in der Art werde. Aber mein richtiger Traum war das nicht. Außerdem habe ich mir immer vorgestellt, dass ich mal ganz viel reise und am Ende meines Lebens in jedem Land auf der Welt mindestens einmal war... daraus wurde leider auch nichts. Jetzt bin ich Mutter und kann das nicht mehr. Und bevor Elias geboren wurde... da war ich eben mit Timi beschäftigt. So, wie du ihn jetzt kennst, war er ja nicht immer. Das hat er dir aber auch mal erzählt, da verrate ich dir ja kein Geheimnis. Es war halt sehr hart mit ihm, wenn es ihm so richtig beschissen ging. Und das kam echt oft vor. Ganz am Anfang hat das Geld auch hinten und vorne nicht gereicht, wir hatten nur mein Ausbildungsgehalt und sein Hartz IV. Wenn er die Termine auf dem Amt verpennt hat, ist das zeitweise auch gesperrt worden. Und auch, wenn ich dann mal Geld dafür hatte, habe ich mich nicht getraut wegzufahren, weil ich Angst hatte, dass er sich dann was tut, während ich weg bin. Ich wollte auch eigentlich nie in Bielefeld bleiben... aber das ist jetzt halt alles so."
„Ja, ich weiß. Das alles hat mir Timi schon einmal erzählt. Tut mir echt leid für dich, Zara. Bereust du es manchmal, dass du mit ihm zusammengekommen bist?"
„Nein, nicht eine Sekunde lang. Ich liebe ihn über alles und das wird sich auch nie ändern. Aber ob ich nochmal... ich weiß es nicht."
Lukas seufzte und lächelte mich dann total lieb an. „Ich hoffe echt, dass das mit euch nochmal was wird. Auch, wenn eure Beziehung öfter auf und ab geht, als eine Achterbahn... ihr wart dabei immer mein Vorbild. Egal was für eine Scheiße kam, irgendwie habt ihr es doch immer wieder hinbekommen und habt euch gegenseitig nicht aufgegeben. Das gibt es doch in unserem Alter kaum noch so. Sobald es mal kriselt, guckt man sich doch heutzutage anderweitig um und versucht erst gar nicht, etwas zu reparieren..."
„Lukas? Ich verspreche dir, du findest dein Mädchen. Auch, wenn es sich im Moment nicht so anfühlt, aber du bleibst ganz sicher nicht alleine, dafür bist du viel zu toll, ehrlich."
„Ich hoffe, du hast Recht. Eines Tages will ich dann mit euch drei, meiner Frau und meinen Kindern irgendwo ganz gechillt sitzen und dann lachen wir uns einfach über den heutigen Tag kaputt, an dem wir so verzweifelt und abgefuckt hier im Bad gesessen haben", sagte er und stieß mir leicht in die Seite. „Na dann schauen wir mal, was die Zukunft uns beiden noch so bringt", antwortete ich und schubste ihn zurück.
Lukas grinste, beugte sich runter und holte, von wo auch immer, eine halbleere Flasche Vodka hervor. Dann nahm er einen großen Schluck und hielt sie mir hin. „Auf geplatzte Träume und Neuanfänge."
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