Berlin, Charlottenburg - Bennis Wohnung
30. Januar 2016
Weit nach Mitternacht saßen wir alle zusammen in Bennis Wohnzimmer und ließen uns von diesem immer neue, spektakulär klingende Drinks mixen. Bereits am Vormittag des vergangenen Tages hatte ich ja schon mit Zara im Bad auf die Zukunft angestoßen. Nachdem sie einen kleinen Schluck aus der Vodkaflasche genommen hatte, hatte ich den Rest geext, was zur Folge hatte, dass ich schon den ganzen Tag lang ziemlich dicht war und auch jetzt am Abend nicht die geringste Chance hatte, etwas nüchterner zu werden. Doch wozu auch? Jetzt war mein Kopf viel leichter und die Gedanken wegen Maya verbargen sich unter einer weichen Watteschicht, die meinen Schädel bis zum letzten Zentimeter auszufüllen schien.
Trotzdem war mir natürlich bewusst, dass ich mich jetzt nicht einfach wochenlang betrinken konnte. Der kommende Monat würde zwar schwer werden, aber Ende Februar ging ja dann auch schon meine Solotour los. Ich wünschte, es wäre schon so weit. Zwischen Vorbereitungen, Soundchecks, Konzerten, Fankontakten und Presseterminen würde ich nämlich kaum Zeit dazu haben, um ich selbst zu sein und mich mit meinen Problemen zu beschäftigen.
„Ab Morgen schlafe ich aber in einem Hotel", sagte ich zu Ina, die neben mir saß. „Das ist ja nett von euch gemeint und alles, aber ich muss echt nicht den ganzen Tag lang bespaßt werden. Ich will mal ein paar Tage Ruhe haben und dann die letzten paar Dinge für die Tour klären."
„Wie du willst, Schätzchen", antwortete sie und drückte mir das nächste Glas, welches Benni ihr für mich gereicht hatte, in die Hand.
Während ich seufzend an meinem Glas nippte, beobachtete ich Timi und Zara, die nebeneinander auf der gegenüberliegenden Couch saßen. Er hatte seinen Arm hinter ihrem Rücken auf die Lehne gelegt und zwischen die beiden passte kein Blatt Papier mehr. Auch, wenn ich momentan einen ziemlichen Brechreiz bei allem bekam, was mit der Liebe zusammenhing, sorgte dieser Anblick dafür, dass immerhin mein rechter Mundwinkel für eine Sekunde nach oben zuckte.
Ich fragte mich, ob die beiden wohl nochmal zueinanderfinden würden. Irgendwie sprachen genau so viele Dinge dafür, wie dagegen. Wo war die Grenze im Bezug auf das, was man einem anderen Menschen verzeihen konnte?
Das, was mit ihrem Sohn passiert war, war nicht aus Absicht und Boshaftigkeit geschehen. Eher war es eine Verkettung ungünstiger Umstände gewesen, die zur Katastrophe führten.
Was, wenn Maya auch nicht wirklich etwas für das konnte, was sie mit mir gemacht hatte? Vielleicht war sie ja einfach krank und wusste nicht, was sie da tat. Ich konnte es immer noch nicht so wirklich glauben, was da auf diesem vor Wahnsinn triefenden Zettel gestanden hatte, den ich bei unserem Wochenendausflug in den Spreewald in ihrer Tasche gefunden hatte. Sie hatte mich zwar auch in der Vergangenheit nicht wirklich gut behandelt, aber irgendwie wollte das Finale der ganzen Sache nicht so richtig zu der Frau passen, die ich zu kennen glaubte.
Es war zwar schon sehr lange her, aber damals, als sie noch in Bremerhaven im Theater gearbeitet hatte, war sie wie eine Schwester für mich gewesen und ich konnte zu hundert Prozent behaupten, dass sie da immer gut zu mir war. Sonst hätte ich mich ja wohl auch gar nicht erst in sie verliebt. Diese ganzen Spielchen kamen erst später, als ich schon in Berlin gewohnt hatte. Es musste doch einfach einen Grund dafür geben, warum so ein ursprünglich lieber Mensch so etwas tat.
Und wenn der Grund eine Krankheit war, dann konnte die doch auch behandelt werden. Und wenn sie dann behandelt war, könnten wir vielleicht...
„Fuck!", rief ich plötzlich, knallte mein Glas vor mir auf den Tisch und erntete erschrockene Blicke von allen Anwesenden.
„Alter!", stieß Timi aus und verschüttete vor Schreck sein halbes Glas über Zaras Oberschenkel.
Ich warf einen entschuldigenden Blick in die Runde. „Sorry..."
„Was ist denn los?", fragte Ina und legte mir einen Arm über die Schultern.
„Was muss denn noch passieren, damit ich es endlich raffe?", fragte ich verzweifelt und bemerkte, wie mir die Tränen hochkamen. Da die Hemmschwelle durch den vielen Alkohol ganz wo anders lag, als sonst, war es mir allerdings im Moment vollkommen egal, dass so viele Leute um mich herum saßen und ich ließ es einfach zu.
„Ich sitze hier, vollkommen am Arsch. Ich wurde vergiftet, sie wollte durch ein Kind, was sie mir unterschieben wollte, an mein Geld kommen. Sie wollte, dass ich sie heirate und danach hätte sie mich wahrscheinlich einfach umgebracht, um an mein Vermögen zu kommen... und trotzdem hat mein Kopf nichts anderes zu tun, als nach Gründen zu suchen, die das ganze verharmlosen. Ich denke gerade ernsthaft darüber nach, was passieren müsste, damit ich nochmal eine Chance mit ihr habe. Das ist doch nicht normal!"
Schluchzend blickte ich in die Gesichter meiner Freunde, unter denen sich im ersten Moment Sprachlosigkeit breit machte. Ich konnte es ihnen aber nicht übel nehmen. Das, was ich ihnen da gerade gebeichtet hatte, war ja auch total unverständlich und ich wüsste als Außenstehender wahrscheinlich selbst nicht, was ich da antworten würde.
„Ach Lukas", sagte Ina dann irgendwann. „Erstens ist das überhaupt nicht schlimm, weil die Bombe gerade erst geplatzt ist. Das muss man auch erst einmal verarbeiten und ich glaube, du hast noch gar nicht so wirklich realisiert, was da genau passiert ist. Aber zweitens, und das muss ich dir jetzt einfach mal sagen, machst du dich selbst, wegen diesem ganzen Hochzeitskram und Kinderkriegen, total verrückt. Du bist ja wirklich der Meinung, dass du niemals wieder eine andere Frau finden wirst. Das ist aber absoluter Quatsch! Du hast dich da so verrannt, dass du jetzt auf dem Stand bist, dass Maya die einzige Möglichkeit ist, die dir diesen Wunsch erfüllen kann. Du denkst: lieber so eine, als gar keine. Aber das ist totaler Unsinn."
„Aber, eine..."
„Nichts aber, Lukas. Jetzt komm mir nicht wieder mit deinem Job. Es gibt auch noch andere Berufe, wo man das halbe Jahr lang unterwegs ist. Und diese Leute sind auch nicht alle alleine. Ja, du stehst in der Öffentlichkeit, aber dein Privatleben wird da nahezu komplett außen vor gelassen. Eine Famebitch passt sowieso nicht zu dir, daher würde es dieser Frau dann auch gar nichts ausmachen, wenn du sie nicht öffentlich vorführst."
Ich verdrehte leicht genervt die Augen und trank nochmal ein Schluck von dem Rest, der gerade nicht auf den Tisch geschwappt war. „So einfach ist das jetzt auch wieder nicht!"
Ina schlug mir kräftig und schmerzhaft auf den Oberschenkel. „Aber so schwer, wie du es darstellst, ist es auch nicht!"
„Boah Ina, du bist so..."
„Lukas, komm schon. Bevor dir wieder tausend schöne Lügen zum Selbstbetrug einfallen, sag ich es dir eben so."
Auch, wenn ich im Moment ein wenig eingeschnappt war und Ina am liebsten eine abgeräumt hätte, wusste ich doch irgendwo, dass sie recht hatte. Ihre Ansagen waren zwar meistens ganz schön hart, aber im Endeffekt brachte es doch mehr, wenn man mir die schmerzhafte Wahrheit vor die Füße knallte, als mir mit sanftem Gesäusel noch in meinen Spinnereien recht zu geben, um mich nicht noch weiter zu verletzen.
„Ach Ina, wenn ich dich nicht hätte...", murmelte ich und sah etwas beleidigt zu ihr rüber.
„Du darfst ja weinen, so viel du willst. Von mir aus kannst du auch einen Monat lang deinen Frust über Maya herausschreien und dabei alles kaputt schlagen... aber dass du ihr nochmal eine Chance gibst und nochmal versuchst, ihr Verhalten irgendwie schön zu reden, das kannst du vergessen. Da werden wir alle, wie wir hier sitzen, dagegen halten."
Ich seufzte tief und legte meinen Kopf auf ihre Schulter. „Ich weiß das doch, Ina. Ich hab ja nur mal kurz mit betrunkenem Kopf darüber nachgedacht."
„Ach Luki", sagte Ina lächelnd und fuhr mir durch die Haare. „Es ist immerhin ein Fortschritt, dass du gleich darüber redest, was in deinem Kopf vorgeht. In früheren Zeiten hättest du jetzt so lange nach Entschuldigungen für Maya gesucht, dass du am Schluss sogar welche gefunden hättest, die für dich plausibel wären. Und dann hättest du dich wieder heimlich mit ihr getroffen und wärst Tage später heulend heim gekommen. Wenigstens lässt du einem jetzt vorher schon die Chance, dir das rechtzeitig auszureden. Das ist schon ganz schön viel und mehr kannst du doch auch jetzt nicht von dir verlangen. Es ist ja ganz klar, dass du sie morgen noch nicht vergessen hast, um übermorgen mit einer anderen Hochzeit zu feiern."
„Vielleicht sollte ich einfach noch mehr arbeiten und diese ganze Beziehungssache vergessen. Wenn ich Körperkontakt brauche, gibt's halt wieder One Night Stands oder ich gehe in den Massagesalon um die Ecke", überlegte ich.
„Ich hoffe, das war ein Witz! Jetzt mal im Ernst, triff dich halt wieder mit ein paar Mädchen und sei mal locker. Vielleicht ergibt sich da ja was. Und jetzt komm mir nicht wieder damit, dass die dich alle kennen. Es hören ja wohl nicht alle Mädels in deinem Alter deutschen Rap. Natürlich solltest du ihr dann ziemlich schnell sagen, wie bekannt du bist. Wenn sie dann direkt abhaut, oder aber plötzlich total bemüht wird, hat sich die Sache erledigt. Wenn sie es cool findet, aber nicht gleich total deswegen ausrastet, bleibst du an der Sache dran. Ist doch ganz einfach!"
„So einfach jetzt auch wieder nicht", meckerte ich erneut, grinste aber dabei ein bisschen.
Ina grinste zurück. „Aber auch nicht unmöglich. Wann hast du denn überhaupt den letzten Sex gehabt, mein Schatz?"
Ich hob den Blick und sah in die Gesichter von Timi, Zara, Tania und Benni, die schweigend und interessiert unser gesamtes Gespräch beobachteten. „Boah, im Herbst oder so."
„Dann wird's doch langsam mal wieder Zeit, damit da unten alles schön geschmeidig bleibt", sagte Ina lachend und tippte mir mit ihrem Zeigefinger im Schritt herum.
Ich schlug albern kichernd ihre Hand auf die Seite. „Ina!"
Benni grinste und stand auf. „Ich mixe jetzt nochmal die letzte Runde des Abends, beziehungsweise der Nacht. Wenn ich zurück komme, erzählst du uns mal, wie deine Zukünftige so sein sollte. Vielleicht kennt ja jemand jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt... wie das halt so ist. Wäre doch ein Witz, wenn wir dich nicht noch unter die Haube kriegen."
„Genau, Benni", sagte Tania. „Geh du die Sache mal an, du heimlicher Krieger der Romantik!"
Benni warf Tania einen extremst tödlichen Blick zu, dann verschwand er im Flur, wo man ihn leise lachen hörte.
Ein paar Minuten später kam er dann mit einem frischen Tablett voller bis zum Rand gefüllter Gläser wieder.
„Leg los", sagte er und drückte mir ein neues Glas in die Hand.
„So eine Frau gibt's eh nicht", antwortete ich und trank einen Schluck, obwohl mir mittlerweile schon so schwindelig war, dass ich es lieber lassen sollte. „Außerdem wäre das nur besoffenes Gelaber und würde vielleicht gar nicht meine nüchterne Meinung wiedergeben."
„Komm, laber nicht. Klar wird es nicht das hundertprozentige Abbild deiner Träume geben, Abstriche musst du machen. Aber immerhin was ähnliches wird es wohl geben."
„Gut, wenn du so darauf bestehst..."
„Boah, Sommer. Lass dir doch mal helfen, vielleicht kennt ja wirklich jemand eine", sagte Benni ungeduldig.
Ich stellte es mir in diesem Moment als ziemlich witzig vor, wenn er tatsächlich ein Blinddate oder sowas in der Art für mich organisieren würde, sollte eine Bekannte von ihm meinen Vorstellungen entsprechen. Eigentlich hätte ich nie gedacht, dass sich Benni so sehr für das Liebesleben seiner Mitmenschen interessiert, wo er doch im Bezug auf sich momentan ziemlich uninteressiert zu sein schien, was das anging.
Ich setzte mich in den Schneidersitz und nahm mir ein Kissen auf den Schoß, an dem ich herum fummelte.
„Also, sie sollte auf jeden Fall nicht älter sein, als ich. Sie müsste einiges im Kopf haben, damit man sich auch ordentlich mit ihr unterhalten kann. Dann sollte sie halt auch damit klarkommen können, wenn ich mal wochenlang nicht da bin und nicht von mir verlangen, dass ich das Verpasste dann alles aufholen kann, sobald ich wieder zuhause bin."
Ich trank den letzten Schluck aus meinem Glas und stellte es vor mir ab.
„Ach, ich finde, das ist total schwer zu beschreiben. Einfach ein ganz normales Mädchen, was auf dem Boden geblieben ist, meinen Humor versteht und keinen Hang zum ständigen Drama hat. Es wäre schön, wenn sie sich auch für Musik und Schauspielerei interessiert, das muss aber nicht unbedingt sein. Aber dann sollte sie stattdessen irgendeine andere Leidenschaft haben und nicht nur arbeiten gehen und danach vorm TV abhängen."
„Klingt auf jeden Fall mal nicht total außerirdisch. Wird es doch wohl geben. Und optisch?", fragte Benni und hielt mir das nächste Getränk entgegen, welches ich aber ablehnte.
„Was ich nicht so gern mag, sind so platinblonde Mädchen, die immer top gestylt jedem Trend nachjagen und so aussehen, als ob sie morgens drei Stunden im Bad verbracht haben."
Timi grinste und stieß Zara in die Seite, wofür er einen Schlag aufs Bein erntete.
Ich lächelte Zara entschuldigend an. „Eigentlich ist meine Traumfrau optisch das Gegenteil von Zara. Ich hoffe, du fasst das jetzt nicht total falsch auf."
„Kein Ding", antwortete sie lachend.
„Also halt dunkelhaarig und ein bisschen was auf den Rippen. Jetzt keine unnatürlichen Ausmaße, aber alles halt ein bisschen üppiger. Und sie sollte deswegen keine Komplexe haben, sondern sich selbst mögen und es mir auch glauben können, wenn ich ihr sage, wie geil ich das finde."
„Wie süß", sagte Timi und grinste breit.
„Wird schon", meinte Benni.
Ich hatte jetzt schon die leise Vorahnung, dass ein paar ziemlich interessante Erlebnisse vor mir liegen könnten.
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