Hätte, würde, sollte

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Ich trank draußen noch ein paar Schlucke von dem Wein, den ich mir gerade im Supermarkt zugelegt hatte, und starrte gedankenverloren auf die Tür, durch die Lena gerade verschwunden war. Der Alkohol, der durch meine Blutbahn rauschte, nahm mir für einen Moment ein Stück weit den Druck auf meiner Brust weg und ich hatte den Eindruck, dass es mir doch gar nicht mal so schlecht ging.
Ich hatte eine Familie und eine Menge Freunde, die mich liebten. Ich wohnte in der Stadt, in der ich immer schon wohnen wollte. Ich verdiente mein Geld mit dem, was mir am meisten lag, was mich vollends ausfüllte und wobei ich so frei sein konnte, wie in wohl keinem anderen Beruf. Zudem war ich jung, fit und vollkommen gesund.
Warum also hatte ich eigentlich mein ganzes Lebensglück an Maya hängen wollen? Wäre es denn wirklich so schlimm, wenn erst einmal alles so blieb, wie es war? Mein Job, der ohnehin den Großteil meines Lebens beanspruchte, ein Haufen Partys und hin und wieder eine unverbindliche Liebschaft - das war doch nicht unbedingt das schlechteste, was einem Mann von Mitte zwanzig passieren konnte.

Doch auch, wenn ich mir das jeden Tag den ganzen Tag lang sagen würde, würde ich mir das nie selbst glauben. Weil es eben nicht das war, was ich wollte. Jedenfalls nicht nur das.
Ich könnte noch eine Million an Dingen suchen, die ich hatte und die mich glücklich machen sollten. Und doch wäre da immer noch dieser Teil auf der anderen Seite der Waage, der so viel schwerer wog und den ich noch so viel mehr brauchte.

Ich stellte die mittlerweile leere Flasche vor mir auf dem Boden ab und genoss den leichten Schwindel, den der Wein in meinem Kopf verursachte.
Wahrscheinlich, so wie die meisten Verhaltens- und Denkweisen, die man sich so angeeignet hatte, hatte mein großes Liebesbedürfnis seinen Ursprung in meiner Verwandtschaft.

In meiner Familie wurde, wie es früher bei den meisten normal war, immer sehr früh geheiratet. Wer mit fünfundzwanzig immer noch nicht unter der Haube war und mindestens ein Kind hatte, warf Rätsel auf. Man fragte sich früher oder später, was denn bloß mit diesem Sonderling nicht stimmte. In dem kleinen Ort, in dem meine Familie auch heute noch lebte, waren diese lange überholten Ansichten keinesfalls aus dem Alltag der Bewohner verbannt.

Meine Eltern gaben mir jedoch nie das Gefühl, dass ich irgendwie spät dran sei.
Wir waren sowieso schon immer die besondere Künstlerfamilie am Ende der Straße gewesen. Meine Mutter - Tänzerin, bunt, laut, sehr eigen.
Mein Vater - Schauspieler, exzentrisch, lebensfroh, unkonventionell.
Ich konnte bei meinen Eltern so sein, wie ich wollte. Ich konnte mich ganz nach meinen Vorstellungen ausleben, und nur das tun und lassen, was mir gerade passte. Die einzige Regel, die meine Eltern für mich aufstellten, war die, dass ich dabei darauf achten sollte, dass ich mir und niemandem sonst irgendwie Schaden dabei zufügte.
Doch obwohl die Nachbarn wussten, dass bei uns alles ein bisschen anders war, als bei anderen Familien, wurde meine Mutter bis zum heutigen Tag an regelmäßig in der Dorfbäckerei gefragt, wann ich sie denn endlich mal zur Großmutter machen würde und ob ich denn nicht endlich mal mit einer Frau an meiner Seite zu Besuch käme.

Die Menschen, die mir wichtig waren, erwarteten zwar nicht von mir, bald sesshaft zu werden. Aber dennoch lebten sie mir das vor.
Meine im vergangenen Jahr verstorbenen Großeltern zum Beispiel hatten geheiratet, als sie beide gerade einmal sechzehn Jahre alt waren. Vom Tag ihrer Hochzeit an, verbrachten sie nicht einen einzigen Tag mehr ohne den anderen, bis sie gemeinsam auf dem Sterbebett lagen. Mein Großvater war der erste, der auf die andere Seite ging und nur vier Minuten später folgte meine Großmutter ihm, nachdem sie ihm im Sterben mit ihrer letzten Kraft die Hand gehalten hatte. Nach vierundsiebzig zusammen verbrachten Lebensjahren waren diese vier Minuten das einzige Mal, dass die beiden voneinander getrennt waren, bevor sie sich in der Ewigkeit wiedersahen.
Und auch meine Eltern kannte ich nur im Doppelpack. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass es jemals ernsthaft Streit gab. Es war nicht immer harmonisch, aber Unstimmigkeiten und Diskussionen brachten sie einander eher näher, als sie auseinander zu treiben und man ging aus jedem Sturm gestärkter hervor.
Wen wunderte es da noch, dass ich das auch unbedingt wollte?

Auch, wenn mich der Alkohol nicht frieren ließ, beschloss ich, jetzt doch langsam mal rein zu gehen. Anhand der vielen Schneekristalle an den Fenstern und der dicken Wolke, die bei jedem Atemzug meine Lunge verließ, schätzte ich, dass sich die Temperaturen weit unter null Grad befinden mussten.
Ich erhob mich von der Mauer und stieß dabei an die leere Weinflasche, die vor mir gestanden hatte. Nachdem ich ihr hinterher geschwankt war, nahm ich sie hoch und torkelte damit zum nächsten Altglascontainer.
Die Menschen, denen ich unterwegs begegnete, wichen mir zwar aus, aber diese mitleidigen oder angeekelten Blicke, die ein Betrunkener mitten auf der Straße in kleineren Orten zugeworfen bekommt, blieben aus. Sowas wunderte in Berlin nun wirklich niemanden.
Ich hoffte nur, dass Lena nicht gerade aus ihrem Fenster sah. Wenn sie mich so verzottelt und völlig besoffen hier sehen würde, könnte ich eventuelle Annäherungsversuche wohl direkt vergessen.

Eventuell würde ich ihr tatsächlich mal schreiben. Aber sicher war ich mir dabei noch nicht. Vielleicht sollte ich auch lieber warten, bis ich Maya ein bisschen besser verkraftet hatte. Ich kannte Lena zwar nicht und hatte nur ein paar wenige Worte mit ihr gewechselt, aber dennoch wusste ich, dass es nicht passen würde, wenn ich nur eine Bettgeschichte aus ihr machte. Ihr kurviger Körper alleine brachte mich gewaltig in Wallung, aber in ihren Bewegungen und in ihrer Art, wie sie sprach, glaubte ich erkannt zu haben, dass sie mehr war, als nur ein schöner Körper, mit dem man ein bisschen Spaß haben konnte.
In meiner aktuellen Lage wäre aber Spaß vielleicht eher angebracht. Ob ich wirklich schon zu etwas ernstem bereit war, wusste ich nicht. Auch, wenn ich mich so sehr danach sehnte.

Ich war fast an meinem Wohnhaus angekommen, als mir eine Sache auffiel, die mich ganz schön zum Lachen brachte. Die ganze Zeit über dachte ich darüber nach, ob ich Lena schreiben sollte, ob ich sie anlabern sollte und was ich zu ihr sagen sollte. Was war, wenn sie überhaupt nichts mehr von mir hören wollte? Vielleicht hatte sie mich ja schon längst wieder vergessen. Auch, wenn ich mir was festes vorstellen könnte, hieß das ja noch lange nicht, dass es bei ihr genau so war. Wer weiß, vielleicht war sie ja auch verheiratet und lag jetzt in diesem Moment in einem kuscheligen Bett, in den Armen ihres Mannes, während ich mir hier unten auf der kalten grauen Straße Gedanken darüber machte, ob ich sie wollte.
Auf der anderen Seite hatte sie mir ja ihre Nummer gegeben und eindeutig mit mir geflirtet. Das hätte sie ja wohl eher nicht getan, wenn sie vergeben wäre. Das blieb zumindest zu hoffen.

Seufzend kramte ich umständlich meinen Haustürschlüssel aus der Jacke. Ich machte mir einfach mal wieder viel zu viele Gedanken um Alles. Für meinen Job war das der Himmel, ständig neue Gedanken zu bekommen und in kürzester Zeit um tausend verschiedene Ecken denken zu können. Doch im Privatleben war es die Hölle, alles zerdenken und planen zu müssen und nicht einfach mal dabei zuschauen zu können, wie die Dinge ihren Lauf von alleine nahmen.

Oben angekommen, legte ich mich komplett angezogen in mein Bett und freute mich jetzt schon darauf, morgen wieder von meinen Freunden abgelenkt zu werden.

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