Roter Schnee

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Bielefeld – Elsas Haus
06. Februar 2016

Ich lag noch etwa eine Stunde lang wach auf Elsas Couch, die von Minute zu Minute ungemütlicher wurde, dann hielt ich es nicht mehr aus. Ich schnappte mir das Päckchen Zigaretten, das Tim auf dem Couchtisch liegen gelassen hatte, zog mir meine Winterstiefel und den Mantel an, öffnete leise das Wohnzimmerfenster und kletterte hinaus. Obwohl ich eigentlich nicht mehr rauchte, merkte ich schon nach wenigen Zügen die beruhigende Wirkung. Meine Versuche, Tims Verhalten zu verstehen, hatten sich in der letzten Stunde in Wut umgewandelt. Wir waren uns in Berlin näher gekommen, ich erlaubte ihm seinen Sohn zu sehen und auch heute, beim Erinnerungsabend für seinen Großvater, hatten wir echt viel Spaß und gute Gespräche gehabt. Es könnte so einfach sein, aber so war Tim nicht und so würde er wahrscheinlich auch nie werden.
Während ich mit meinem Stiefel den Schnee auf dem vereisten Boden von einer Seite auf die andere schob, fragte ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, nach unserem gemeinsamen Spaziergang einfach nach Hause zu fahren. Dann hätte es diesen Streit, oder was immer das jetzt war, nie gegeben. In ein paar Tagen hätten wir uns dann nochmal treffen und weiter an unserem wieder aufblühenden Verhältnis arbeiten können. Stattdessen war ich jetzt mitten in der Nacht mit Elias bei Elsa alleine und Tim war einfach abgehauen.
Was hatte er denn erwartet? Natürlich konnte ich ihm nach so kurzer Zeit nicht wie aus der Pistole geschossen sagen, dass ich ihm in Bezug auf Elias wieder voll vertraute, denn das tat ich eben noch nicht. Er hätte seinen Sohn letzten Sommer fast auf dem Gewissen gehabt und erst seit kurzem durfte er ihn wieder sehen.
Wie konnte ich mir da sicher sein, dass sowas nie wieder passierte?
Ich drückte die Zigarette im Schnee aus und zündete mir noch eine zweite an. Durch das Fenster konnte ich Elias sehen, der friedlich in Elsas behaglichen Wohnzimmer schlummerte.
Nie wieder würde ich zulassen, dass ihm irgendwas passiert, egal was ich dafür tun musste. Ich seufzte tief und ließ mich mit dem Rücken gegen die kalte Hauswand sinken.
Übermorgen würde Valentin wieder von seiner Tagung zurück sein. Es war gar nicht lange her, dass ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, aber durch all das, was in den letzten Tagen passiert war, kam es mir vor wie eine Ewigkeit. Es hatte sich alles wieder angefühlt wie früher. Als wäre ich einfach in mein altes Leben zurückgekehrt und all die Dramen der letzten Monate hätten nie existiert.
Doch so war es natürlich nicht. Ich hatte noch immer keine Ahnung, wie ich Valentin loswerden sollte. Die Gespräche mit den anderen hatten mir die Augen geöffnet. Ich konnte mich nicht mein ganzes restliches Leben erpressen lassen und mit ihm leben, nur weil er das so wollte.
Ich lief über den knirschenden Schnee ein kleines Stück am Haus entlang, nachdem ich mich versichert hatte, dass Elias drinnen noch schlief.
Was war Valentin nur für ein kranker Mensch?
Er musste doch mittlerweile auch gemerkt haben, dass das zwischen uns keine echte Liebe war.
Warum konnte er sich nicht einfach eine Frau suchen, die ihn wirklich wollte?
Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie es sein musste, wenn man mit jemandem zusammen war und derjenige nur wegen einer Erpressung blieb.
Sehnte er sich denn nicht nach einer Beziehung, in der er das zurückbekam, was er gab?
Mir wurde kalt und ich zog den Mantel enger um mich. Neuer Schnee begann zu fallen. Plötzlich kam mir ein Gedanke. Ich hatte die Fotos, mit denen er mich erpresste, noch nie selbst zu Gesicht bekommen. Vielleicht steckte hinter seiner Drohung gar keine echte Gefahr. Ich wusste nicht einmal sicher, ob er die Bilder tatsächlich hatte und tat aus Angst trotzdem alles, was er wollte. Ich müsste nur irgendwie an sein Handy und an seinen Laptop kommen.
Ich fing ein paar Schneeflocken mit der Hand auf und beobachtete, wie sie langsam schmolzen. Er könnte die Fotos auf einem Stick haben, auf einer CD oder online in einer Cloud. Verfluchte Technik.
Wieder einmal dachte ich an das Angebot von Benni. Er hatte mir versichert, dass das alles ein Ende haben würde, wenn ich ihn anrufe. Doch die Tatsache, dass er mir einfach nicht sagen wollte, was mit Valentin passieren würde, hielt mich noch immer davon ab. Ich steckte so tief im Schlamassel.
In zwei Tagen würde ich das Spiel wieder mitspielen müssen aus dem es keinen Ausweg gab und was mit Tim jetzt war, wusste ich auch nicht. Es war mittlerweile schon echt lange her, dass er Elsas Haus wütend verlassen hatte und ich glaubte so langsam nicht mehr daran, dass er heute Nacht noch einmal zurück kommen würde.
Ich beschloss, wieder ins Haus zu gehen. Dort würde ich versuchen, noch ein bisschen zu schlafen und morgen früh würde ich mich dann mit Elias auf den Weg zu meiner Wohnung machen. Nach Tim zu sehen machte jetzt keinen Sinn, ich wusste ja nicht einmal, wo er überhaupt war. Außerdem sah ich bei mir keinerlei Schuld dafür, dass er jetzt so wütend war, also sollte er sich beruhigen und auf mich zukommen, wenn er sich wieder im Griff hatte.

Ich war gerade dabei, den Weg Richtung Wohnzimmerfenster einzuschlagen, als ich hinter mir ein Geräusch wahrnahm. Ich drehte mich um, doch es war niemand zu sehen. Ich blieb stehen und lauschte in die winterliche Stille hinein. Wahrscheinlich war es nur ein Eiszapfen, der sich vom Dach gelöst hatte. Nach drei weiteren Schritten hörte ich hinter mir jedoch tatsächlich knirschende Schritte im tiefen Schnee.
„Tim?"
Bis auf das schummerige kleine Licht, das aus dem Fenster des Wohnzimmers fiel, gab es keine andere Lichtquelle, weswegen ich weiter hinten, von wo die Schritte kamen, nichts sehen konnte.
„Tim?", fragte ich jetzt wieder etwas lauter. „Ich weiß, dass du das bist."
Keine Antwort. So langsam nervte es mich. Wenn er schon nicht mit mir reden wollte, warum schlich er dann um Elsas Haus herum?
Ich warf meine fertig gerauchte Zigarette in den Schnee und wollte gerade nach dem Fenster greifen, um wieder hinein zu gehen, als schnelle Schritte von hinten kamen und ehe ich mich versah, griffen zwei Arme um meinen Oberkörper und zogen mich grob vom Haus weg.
„Tim verdammt, was soll das?", fragte ich verzweifelt und fing an zu zappeln. Eine Hand legte sich auf meinen Mund und ich wurde vom Haus weggeschleift. So sehr ich auch versuchte mich zu wehren, ich schaffte es einfach nicht. Erst als wir hinter Elsas Gartenhäuschen waren, wurde ich losgelassen. Ich drehte mich um und blickte nicht in Tims Gesicht.
„Was machst du hier?", fragte ich mit zittriger Stimme und einem Herz, das so schnell raste, dass ich das Gefühl hatte, mein ganzer Oberkörper würde jeden Moment explodieren.
„Diese Frage sollte wohl eher ich dir stellen, meinst du nicht?", antwortete Valentin kalt. In seinen Augen loderte es, auch wenn er ganz ruhig sprach. Ich sah rüber in die Richtung von Elsas Haus. Es kam mir so unglaublich weit weg vor. Ich konnte jetzt nicht einfach losrennen und ins Fenster springen. Elias und Elsa würden sicherlich wach werden und ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen.
„Ich dachte, du wärst auf einer Tagung?"
Valentin lachte verächtlich. „Auf einer Tagung. Am Wochenende."
„Du hast gesagt, dass du erst am Montag wieder zurück kommst."
Valentin schubste mich heftig gegen die harte Außenwand des Gartenhauses. „Und das ist ein Grund für dich, direkt zu deinem Junkie-Ex zu fahren? Ich wollte mal schauen, was du so treibst, wenn du denkst, dass ich nicht in der Stadt bin. Und natürlich nutzt du kleine Hure die erstbeste Gelegenheit und fährst hier raus! Ich kann dein Handy orten."
„Valentin bitte, lass es mich erklären!"
„Da gibt es nichts zu erklären. Du kommst jetzt mit mir mit", sagte er, griff in meine Haare und zog mich brutal mit sich. Es tat unfassbar weh, aber ich traute mich nicht zu schreien. Ich wollte nicht, dass irgendjemand mitbekam, dass er da war. Das war eine Sache zwischen mir und ihm. Ich wollte weder Tim noch Elsa da mit rein ziehen und meinen Sohn schon gar nicht. Bestimmt würde ich die Situation noch irgendwie entschärfen können.
„Bitte lass mich los", bat ich ihn leise. Doch er kannte kein Erbarmen. Er riss mich bloß noch brutaler an den Haaren und seine Schritte wurden immer schneller. Er öffnete die Tür seines Autos, das versteckt hinter ein paar dichten Hecken stand und schubste mich auf den Beifahrersitz.
„Valentin was soll das?", schrie ich nun. „Elias ist noch da drin!"
„Dann erfriert er ja wenigstens nicht", sagte er nur kühl und setzte sich auf den Fahrersitz. Der Motor startete und ich riss verzweifelt am Griff der Autotür, doch natürlich war sie verriegelt.
„Valentin bitte! Ich war nur mit Elias bei Elsa zu Besuch. Ich kenne sie doch schon so lange! Das hat nichts mit Tim zu tun. Sie ist wie eine Oma für Elias. Wir sind nur hier geblieben wegen dem Wetter und wollten morgen früh fahren. Bitte! Tim war nicht mal da!"
Valentin gab Gas und das Auto kam gefährlich ins schlittern. „Das kannst du sonst wem erzählen. Deinem Ex konntest du die Storys vielleicht auftischen, weil er durch die ganzen Drogen sowieso kaum ein Hirn hat, aber nicht mir. Ich bin Arzt, ich hab eine Firma, ich bin ein verdammter Gott!"
Ich hatte keine Ahnung was ich tun sollte. Ich überlegte kurz, ob ich einfach ins Lenkrad greifen oder die Handbremse ziehen sollte, doch was würde das bringen? Am Ende überschlugen wir uns noch und durch die Verriegelung kam ich sowieso nicht aus dem Auto.
„Wir fahren jetzt nach Hause, Zara", sagte Valentin. Seine Stimme zitterte vor Wut, aber dennoch bemühte er sich darum, leise zu sprechen.
„Warum?"
„Damit wir endlich anfangen können, diese Beziehung richtig zu führen. Deinen kleinen Bastard lassen wir einfach bei dieser Elsa und du fängst endlich dein Leben mit mir an. Nur mit mir."
Ich fing an zu heulen. „Merkst du denn nicht, wie krank das alles ist?"
Valentin grinste. „Zara. Ich habe dich mir ausgesucht. Ich bin Dr. Valentin von Rosenholz. Was ich will, bekomme ich. Das war schon immer so und das wird auch immer so bleiben."
„Valentin, was ist das für eine Beziehung? Du bist so brutal zu mir, du erpresst mich. Das ist doch keine Liebe!"
Wir fuhren um eine Kurve und wieder kam der Wagen ins schlingern. „Manchmal müssen Frauen eben erst erzogen werden. Ich kriege das schon hin, dass du so wirst, wie ich dich haben will. Und wenn es soweit ist, wirst du schon merken, dass es auch das beste für dich ist."
Wütend schlug ich aufs Armaturenbrett. „Lass mich doch einfach raus! Du findest bestimmt eine Frau, die dich wirklich liebt und die du nicht erst so verbiegen musst, damit sie zu dir passt. Ich will das alles nicht mehr. Du kannst mich nicht erpressen, du kannst mich nicht kontrollieren und vor allem kannst du mir nicht einfach meinen Sohn wegnehmen! Wie stellst du dir das vor? Wir lassen ihn einfach für immer hier und verschwinden zu zweit oder was? Das ist doch total verrückt!"
Valentin fing an zu lachen. Was war so witzig daran?
„Ich habe diese Fotos von dir, Zara. Ich mache keinen Spaß. Ich schick die ans Jugendamt und an deine Arbeit. Du verlierst deinen Sohn so oder so. Nachdem der Wichser so drauf war, dass der kleine Scheißer fast ersofffen ist, lassen sie den doch nicht bei dir, wenn die wissen, dass du auch Drogen nimmst."
„Ich nehme keine Drogen!", schrie ich verzweifelt. „Das war dieses eine Mal. Das mache ich nie wieder und das weißt du ganz genau!"
„Ich weiß das, aber ob die vom Jugendamt das genau so sehen? Willst du es herausfinden?"
Wir befanden uns jetzt mitten im Wald. Es wurde dunkler und dunkler.
„Nein", wimmerte ich.
„Und wenn die Bilder, auf denen du aussiehst wie ein billige perverse Straßennutte, auf deiner Arbeit die Runde machen? Dann kannst du deinen Job vergessen. Außerdem spricht sich sowas gerne schnell rum. Du könntest nicht mal in der Stadt bleiben, weil du das Gespött der Leute wärst. Niemand würde irgendwas mit dir zu tun haben wollen. Dann müsstest du weit weg ziehen. Ohne deinen Sohn und ohne jeden, den du kennst. Willst du das? Willst du das, hm? Deswegen lass dich einfach von mir lieben, gottverdammte Scheiße! Dann wird doch alles gut! So schwer ist das doch wohl nicht."
Ich konnte kaum fassen, was gerade passierte. Ich musste direkt an Lukas und Maya denken. Wie konnte es nur sein, dass gleich zwei Leute aus unserem Bekanntenkreis an jemand so verrücktes gerieten?
Die Erpressung mit den Fotos war schon nicht normal gewesen, aber ich dachte, das wäre einfach nur der verzweifelte Versuch, mich bei sich zu behalten. Aber wenn ich so an die letzte Zeit zurück dachte, waren die Drohungen immer stärker geworden und er hatte mich immer mehr manipuliert und kontrolliert.
Mein Herz tat schon weh, so schnell raste es. Die Stiche in meiner Brust waren kaum auszuhalten und ich bekam kaum noch Luft.
„Ich... ich hab mit Tim geschlafen!", platzte es aus mir heraus. Valentin machte sofort eine Vollbremsung. Das Auto rutschte noch meterweit, ehe es zum stehen kam. Er packte mich sofort am Hinterkopf und rammte meinen Kopf hart gegen das Armaturenbrett. Augenblicklich schoss das Blut in Strömen aus meiner Nase.
„Du hast was?", schrie er schrill. „Oh mein Gott! Er hat dich beschmutzt!"
Valentin stieg aus und knallte mit voller Wucht die Fahrertür zu. Dann kam er um das Auto herum, öffnete die Tür auf meiner Seite und zerrte mich aus dem Auto heraus. Es war so glatt, dass ich direkt ausrutschte und auf den Boden fiel.
Valentin begann zu schreien und Tränen der Wut liefen ihm über die Wangen. „Du gehörst mir! Mir! Verstehst du das?"
Ich war so verzweifelt und hatte so große Angst, dass ich ihm alles sagen würde, was er hören wollte. Doch dazu kam ich nicht. Wie von Sinnen begann er, plötzlich auf mich einzutreten. Ich konnte absolut nichts dagegen tun. Immer wieder trafen mich seine Tritte in die Rippen. Die Angst und die Schmerzen, die ich dabei fühlte, sind nicht zu beschreiben. Ich schrie, ich versuchte aufzustehen, ich versuchte ihn abzuwehren, aber er war einfach viel größer und stärker als ich. Ich merkte schnell, dass meine Versuche, mich zu wehren nichts brachten. Je mehr ich es versuchte, desto brutaler wurde er. Also ließ ich es einfach nur noch geschehen und bewegte mich nicht mehr.
Irgendwann hörte er auf einmal auf und ließ sich in den Schnee fallen. Er fing an, laut zu weinen. „Du machst mich verrückt", wimmerte er. „Aber es ist deine eigene Schuld."
Stechende, pulsierende Schmerzen jagten durch meinen kompletten Körper.
„Es tut mir leid, Zara. Alles was ich wollte, bist du."
Ich konnte nichts sagen. Jeder Atemzug tat weh. Valentin stand auf und ging Richtung Wagen. „Wir werden diese Beziehung führen, so wie ich das will. Du hast keine Wahl", sagte er leise.
„Ich gebe dir bis morgen Abend Zeit. Wenn du bis achtzehn Uhr nicht bei mir bist, wirst du es bereuen. Sieh das hier als Strafe für deinen kleinen Ausrutscher. So etwas wird nie wieder passieren. Wir sehen uns morgen. Denk gut darüber nach, was du getan hast."
Mit diesen Worten startete er den Motor und ließ mich einfach mitten im Wald bei Minusgraden und einem Körper, der nur noch aus Schmerzen bestand, im Schnee liegen, der sich vor meinen Augen rot färbte.

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