Und wieder geht ein schöner Tag zu Ende

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Bielefeld – Elsas Haus
06. Februar 2016

Das waren diese Momente, die es mir so unglaublich schwer machten. Die Erinnerung an die paar Tage in Schweden, in denen so viel passiert war, riss die bisher nur provisorisch verheilten Wunden wieder auf und ich vermisste Tim an meiner Seite so sehr, wie in den ganzen letzten Wochen nicht. Ich hatte mich dazu entschieden, nicht mehr mit ihm zusammen sein zu wollen, doch wieder einmal fragte ich mich, ob ich auch dabei bleiben konnte.
Es war nicht immer leicht, mit ihm zusammen zu leben und ich würde lügen wenn ich behaupte, dass es in dieser Zeit mehr gute als schlechte Zeiten gab. Tim zu lieben war kräftezehrend, schmerzhaft und furchtbar anstrengend... und doch war er es wert. Warum dies so war, habe ich bis heute nie verstanden, doch es ist nun einmal so, dass der Kopf nicht alles verstehen kann, was das Herz fühlt.
Während wir uns durch die dicke Schneeschicht, die auf dem Feld lag, zurück zu Elsas Haus kämpften, sah ich Tim mehrmals an und er hatte durchgehend ein Grinsen im Gesicht. Er strahlte förmlich, seitdem wir uns die Geschichte aus unserem Sommer in Schweden wieder in Erinnerung gerufen hatten und mir ging es nicht anders. Ich wusste, dass ich ihn nicht zu nah an mich heranlassen sollte, doch in Anbetracht dessen, wie oft wir uns in den letzten Tagen gesehen und dass wir in Berlin sogar miteinander geschlafen hatten, war es vermutlich auch schon längst zu spät dafür.
Breit grinsend und vollkommen durchgefroren kamen wir wieder bei Elsa an und ich zog direkt den dicken Pullover, den wir bei Tim für mich geholt hatten, an und legte mich auf Elsas großes, gemütliches Sofa. In unserer Abwesenheit hatte sie bereits das kleine Reisebett, welches sie immer für Elias auf dem Speicher aufbewahrte (für den Fall, dass sie mal über Nacht auf ihn aufpasste) raus geholt und im Wohnzimmer aufgebaut.
Während Tim und ich uns durch den immer höher werdenden Schnee zurückgekämpft hatten, hatten wir uns die ganze Zeit über gegenseitig alle Details, die uns von unserem Erlebnis am See damals in Schweden noch eingefallen sind, wieder in Erinnerung gerufen. Mir waren die Geschehnisse jetzt wieder so präsent, dass es mir vorkam als wäre es erst gestern gewesen und ich wünschte mir, dass es tatsächlich auch so wäre. Dass alles, was danach gewesen ist, nie passiert wäre und dass wir die Chance dazu hätten, alles nochmal anders zu machen.
Ich deckte mich bis zur Nase mit der dicken, flauschigen Decke zu und beobachtete Tim, der am offenen Fenster noch eine Zigarette rauchte, während er auf das schneebedeckte Feld blickte.
Immer wieder fragte er mich, ob es nicht zu kalt für Elias sei, wenn er das Fenster so lange offen ließ und immer wieder antwortete ich ihm, dass das schon okay sei, da sein Bett nah genug am Ofen stand und er nichts von der Kälte abbekäme. Trotzdem hatte Tim dann für einen kurzen Moment seine Zigarette aufs Fensterbrett gelegt und hatte sich testweise neben Elias auf den Boden gelegt um sich selbst davon zu überzeugen, dass die Temperatur dort wo er lag in Ordnung war.
In diesem Moment war ich sehr nah dran zu glauben, dass es mit uns tatsächlich nochmal was werden könnte. Viel näher, als das gesamte letzte halbe Jahr über.
Er schien sich wirklich geändert zu haben und kam mir sehr viel verantwortungsbewusster vor, als vor dem Unfall. Davor hatte er unseren Sohn zwar auch über alles geliebt, er war aber oft nicht so ganz bei der Sache gewesen, war ziemlich überfordert, wenn er mit ihm alleine war, und überließ mir am liebsten die meiste Arbeit.
Jetzt schien er sich viel mehr Mühe zu geben und bei dem Gedanken, dass er mit Elias auch mal ganz alleine sein würde, ohne Lukas oder sonst irgendwen, der ihn unterstützte, hatte ich kein mulmiges Gefühl mehr. Kurz kam mir der Gedanke, dass er jetzt vielleicht auch ein bisschen übertrieb, weil er mir unbedingt etwas beweisen wollte, doch ich schob das schnell wieder von mir weg. Wahrscheinlich würde er sich genau so um Elias sorgen, wenn er mit ihm alleine wäre. Obwohl Tim oft sehr unvorsichtig und leichtsinnig war, glaubte ich nicht, dass so etwas schreckliches wie letzten Sommer noch einmal passieren würde.
Er drückte seine fertig gerauchte Zigarette auf dem Fensterbrett aus, dann schaute er kurz auf die Uhr und zündete sich direkt die nächste an.
„Die letzte für heute, dann muss ich nachher nicht nochmal", erklärte er, während er sich auf die Fensterbank setzte, Rücken an die Wand, ein Bein angewinkelt und das andere nach unten hängend.
„Schon gut", sagte ich und kuschelte mich tiefer in das himmlisch weiche und warme Sofa hinein.
„Oder ist es dir zu kalt?", fragte er und und schaute auf seine gerade erst angezündete Kippe.
„Nein. Wie gesagt, uns geht's gut vorm Kamin."
„Zieht Rauch rein?"
„Nein, Tim."
Tim fuhr sich einmal durch die Haare, dann entspannte er sich ein wenig. „Okay. Okay."
Während ich ihn ansah, wie er da saß, schwach beleuchtet vom Mondlicht, fragte ich mich, wie sich das alles wohl für ihn anfühlen musste und zum ersten Mal fiel mir dabei auf, wie viel Angst er vor mir hatte. Vielleicht nicht direkt vor mir selbst, aber ganz bestimmt vor meinem Urteil.
Wäre ich an seiner Stelle, würde ich mich permanent von mir beobachtet fühlen und hätte ständig Angst vor einer negativen Bewertung. Er war tierisch nervös und ich fragte mich, ob das die ganze Zeit über schon so gewesen war und warum mir das bisher gar nicht so wirklich aufgefallen ist.
Ich stand auf und nahm mir eine flauschige Decke, in die ich mich wickelte. Dann ging ich zu Tim ans Fenster. Mit jedem Schritt, den ich auf ihn zuging, merkte ich wie die Temperatur abnahm und als ich bei ihm ankam, war mir so kalt, dass meine Zähne aufeinander klapperten.
Tim drehte sich zu mir und öffnete seine Beine ein wenig, sodass ich zwischen diesen stehen konnte.
„Was ist los mit dir?", fragte ich ihn.
„Was meinst du?", fragte er, nachdem er einen tiefen Zug genommen hatte.
„Du bist nervös."
Tim lachte kurz auf, dann fuhr er sich erneut durch die Haare. „Ich dachte, du merkst es nicht."
„Warum ist das so?"
Tim seufzte lange, dann drehte er sich etwas von mir weg und schaute aus dem Fenster. „Na was denkst du wohl..."
„Ich finde, du machst das alles echt gut."
„Wirklich?", fragte er noch immer ohne mich anzusehen.
„Ja."
„Ich weiß nicht." Er drehte sich wieder zu mir hin und ich legte zaghaft meine Hände auf seine Knie. „Vertraust du mir, was Elias angeht?", fragte er dann.
Zuerst wollte ich Ja sagen, doch dann rasten im Schnelldurchlauf eine Menge Bilder durch meinen Kopf. Bilder von Tim, der tagelang das Bett nicht verließ, Bilder von verdreckten Zimmern, von Partys und Drogenexzessen. Ich sah ihn an und wusste nicht, was ich ihm antworten sollte und gleichzeitig verfluchte ich mich auch dafür, dieses Gespräch überhaupt angefangen zu haben, da ich absolut nicht wusste, wo das hinführen sollte und was ich damit bezwecken wollte.
„Das sagt ja alles", meinte er nur und drehte sich wieder von mir weg, nachdem er mir entweder mit voller Absicht oder ohne darüber nachzudenken eine volle Ladung Zigarettenrauch ins Gesicht geatmet hatte und ich husten musste. Da er keine Anstalten machte sich dafür zu entschuldigen, befürchtete ich, dass es so von ihm gewollt war.
Ich nahm meine Hände wieder von Tims Knien weg und als ich mich wieder von ihm entfernte um Richtung Couch zu gehen, tat er absolut nichts dafür, dass ich bei ihm blieb. Eigentlich hatte ich gehofft, dass wir dort weitermachen könnten, wo wir vorhin in seinem Haus aufgehört hatten. Bevor Lukas angerufen hatte, hatten wir uns geküsst und auch wenn ich nicht wusste, ob das überhaupt richtig oder gut war, hätte ich absolut nichts dagegen gehabt, wenn das gerade noch einmal passiert wäre. Doch jetzt war die ganze schöne Stimmung, die die ganze Zeit zwischen uns geherrscht hatte wie weggeblasen und ich wünschte mich einfach nur noch nach Hause.
Andererseits wollte ich Elias absolut nicht aufwecken. Seit Wochen litten wir beide unter seinen Schlafproblemen und wenn er einmal so ruhig schlief wie an diesem Abend, dann weckte ich ihn sicherlich nicht freiwillig.
Ich legte mich auf das Sofa und wickelte mich wieder in die Decke ein, während Tim seine halb gerauchte Zigarette in den Schnee schnipste, dann das Fenster lauter schloss als notwendig und aus dem Raum verschwand.

An Schlaf war bei mir nun natürlich absolut nicht mehr zu denken. Ich rollte mich von einer auf die andere Seite und hatte dabei irgendwann überhaupt kein Gefühl mehr für die Zeit. Je länger ich über das, was geschehen war nachdachte, desto wütender wurde ich. Eigentlich war der Tag total schön gewesen. Ich hatte endlich mal wieder die Gelegenheit gehabt, mich richtig lange mit Elsa zu unterhalten, ich war mit Tim und Elias im Wald gewesen, Tim hatte mich geküsst und wir haben sehr viele schöne Erinnerungen wieder aufleben lassen.
Und jetzt musste er so überreagieren und alles kaputt machen, nur weil ich ihm nicht schnell genug eine Antwort gegeben hatte.
Ich hasste mich dafür, dass ich ihm die Macht gab, so über meine Gefühle bestimmen zu können. Und doch konnte ich absolut nichts dagegen tun. Ich rollte mich auf der Couch herum, deckte mich auf und dann wieder zu. Das Kissen war viel zu weich, ich konnte keine bequeme Position mehr finden. Alles hier fühlte sich so falsch an und ich wusste gar nicht mehr, wieso ich nicht einfach heim gefahren war.
Ich hatte keine Ahnung, wo Tim hingegangen war. Vermutlich saß er jetzt schon drüben in seinem eigenen Haus und kiffte, oder er warf sich vielleicht sogar irgendetwas ein. Gewundert hätte es mich in diesem Moment jedenfalls nicht.
Ich stand wieder auf und ging zum Fenster, wo ich meine Stirn gegen die eiskalte Scheibe presste. Von hier konnte ich keine anderen Lichter sehen, ich wusste jedoch auch nicht genau, ob man es aus dieser Entfernung überhaupt sehen könnte, wenn in seinem Haus Lichter brennen würden.
Ich hatte nicht wirklich Ruhe um mich wieder hinzulegen, doch um Elias oder Elsa nicht aufzuwecken, tat ich es letztendlich doch.
Ich fragte mich, wie der Abend wohl weitergegangen wäre, wenn ich ihn überhaupt nicht auf seine Nervosität angesprochen hätte. Vielleicht würde er jetzt bei mir liegen und wir würden uns eng aneinander gekuschelt noch mehr schöne Geschichten von früher erzählen.
Nicht zu wissen, was er jetzt tat und wo er war, machte mich fast verrückt und ich versuchte mich dazu zu zwingen, an andere Dinge zu denken. Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren, was nach meinem Urlaub in der Arbeit auf mich zukam, dann schrieb ich in Gedanken schon einmal die Einkaufsliste für Morgen und dachte darüber nach was ich Leuten, die bald Geburtstag hatten schenken wollte. Doch es half alles nichts. Sobald ein Gedanke zu Ende gedacht war, kam ich automatisch wieder zu Tim zurück.

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