Schnaps und der Teufel sind Eins

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Berlin, Charlottenburg - Bennis Appartement
31. Dezember 2015

Zehn Minuten nach der Ankunft von Lukas und dieser Maya hatten sich so viele Gäste, wie darauf Platz fanden, auf Bennis übertrieben großer Dachterrasse versammelt und warteten gespannt darauf, dass das neue Jahr begann.

Die Stimmung war bombastisch, alle Leute waren super drauf und der Alkohol floss in Strömen. Nicht gerade mit wenig Stolz sah ich mir die ganzen Betrunkenen und anderweitig berauschten Menschen an, die sich teilweise einfach unmöglich benahmen und freute mich ein wenig über meinen noch so nüchternen Zustand. Ich hatte bisher tatsächlich sämtliche Drogen, die mir angeboten worden waren, dankend abgelehnt und getrunken hatte ich auch kaum was, da ich das sowieso nicht so gerne mache. Wenn ich mal etwas trinke, dann eigentlich nur, um die Wirkung von anderen Substanzen zu verstärken, da mich der Alkohol alleine nur nachdenklich und traurig macht, wenn der erste Rausch wieder abklingt.
Ana stand mit dem Rücken zu mir an das Geländer vor uns gelehnt, ich hatte beide Arme um sie gelegt und mein Kopf ruhte auf ihrer Schulter, während wir uns die ersten Feuerwerke ansahen, die die Ungeduldigen, wie jedes Jahr, schon ein paar Minuten vor Zwölf zündeten.
Ich drückte mich noch ein bisschen enger an die wunderbare Person vor mir heran und bemerkte, wie meine Stimmung langsam aber sicher immer mehr am kippen war, je näher das Ende des Jahres auf uns zu kam.
Silvester habe ich noch nie so wirklich gemocht. Ich muss an diesem Tag immer ganz automatisch daran denken, was ich in dem vergangenen Jahr alles nicht geschafft habe, welche Chancen ich verpasst habe, welche Menschen ich wie verletzt habe und was ich hätte besser oder anders machen können. Außerdem fallen mir dann auch immer wieder diese ganzen guten Vorsätze, vor allem in Bezug auf meinen Drogenkonsum ein, die ich mir jedes Jahr wieder aufs Neue gemacht und rasend schnell wieder gebrochen habe. Vorsätze, die ich mir mittlerweile schon gar nicht mehr mache. Besonders das aktuell vergangene Jahr war ziemlich schlimm für mich gewesen und all die dunklen Momente liefen gerade im Zeitraffer vor meinem inneren Auge ab. Die Aussicht darauf, dass das nächste Jahr mit großer Wahrscheinlichkeit nicht viel besser werden würde, zog mich nur noch mehr runter. Wäre alles glatt gelaufen, wäre ich heute wahrscheinlich verheiratet und... ach dieses „hätte, würde, sollte" bringt ja jetzt auch nichts.
Ich schloss die Augen und atmete einige Male tief durch. Die letzten Tage waren doch so schön und positiv gewesen, das durfte jetzt noch nicht vorbei sein. Mit aller Macht versuchte ich, die dunklen Wolken, die sich in meinem Inneren bildeten, wieder weg zu schieben.
„Alles gut mit dir?", fragte Ana und drehte ihren Kopf nach hinten in meine Richtung.
„Ja, alles gut", antwortete ich und gab ihr einen kurzen Kuss auf die Haare.
„Denkst du an Zara?", fragte sie leise und nahm meine Hände in ihre.
„Ja, auch."
„Ach Tim, Silvester ist doch einfach scheiße."


Die ersten Sektkorken knallten und die Leute begannen, den Countdown ab den letzten dreißig Sekunden laut herunter zu zählen. Ich sah mich in der Menge um und bekam einen kleinen Stich, als ich Lukas mit seiner Tussi im Arm sah. Seit er hier war, beachtete er mich überhaupt nicht. Lediglich ein Nicken zur Begrüßung hatte er mir vorhin zukommen lassen. Klar, wir waren ja nicht zusammengewachsen und wir mussten natürlich nicht jede freie Sekunde miteinander verbringen, wenn wir uns mal in der gleichen Stadt aufhielten, aber das Maß an Nichtbeachtung, mit dem Lukas mich heute bedachte, fiel doch schon sehr aus der Reihe.
Je mehr ich diese Maya betrachtete, desto angepisster wurde ich. Wie er an ihr klebte, wie er sie ansah, wie er mit ihr sprach. Wie sie ihn hinter sich her zog, als sei er ihr Eigentum. Wie er sich das ohne Widerstand gefallen ließ...
Er schien rein gar nichts mehr um sich herum wahrzunehmen und war ausschließlich auf sie fokussiert. Ich hatte Lukas eigentlich nie so eingeschätzt, dass er jeden um sich herum ignoriert, sobald er mal eine Frau an seiner Seite haben würde. Es ist ja eigentlich völlig normal, dass alles Andere plötzlich unwichtig wird, wenn man frisch verliebt ist und vielleicht hätte es mich bei einer Anderen nicht mal großartig gestört, aber die Antipathie, die ich gegen Maya hegte, war schon ziemlich groß. Was ich von Ina und Tania bisher so gehört hatte war schon sehr krass und mein Unverständnis, warum er sich überhaupt mit ihr abgab, war riesig.

„...Drei...zwei...eins...frohes Neues!", wurde laut und fröhlich im Chor um mich herum gerufen und es wurde sich umarmt, geküsst und beglückwünscht, was das Zeug hielt.
„Denk dabei ruhig an sie", flüsterte Ana mir zu, legte mir eine Hand an die Wange und schon hatte ich ihre Lippen auf meinen.
„Danke, dass du mitgekommen bist", sagte ich und gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn, nachdem wir den vorherigen gelöst hatten.
Ich bekam mit der Zeit wieder einigermaßen gute Laune und die Melancholie, die mich gerade noch gefangen gehalten hatte, war so gut wie verblasst.



„...und dann hab ich den Typen einfach mit einer anderen Frau in dieser Bar gesehen, die sah fast genau so aus wie Zara", beendete ich gerade meinen Bericht um vier Uhr morgens, während Lukas sich an der Bar noch einen Drink einschenkte.
„Mh, ja krass", erwiderte er und sah sich suchend im Raum um. Es fiel ihm äußerst schwer, sein Glas zu treffen und es ging auch einiges daneben, denn er war vorhin schon ziemlich angetrunken auf die Party gekommen und schien mittlerweile extrem besoffen zu sein.
„Lukas, hast du mir überhaupt zugehört?"
„Ja Timi, hab ich", lallte er und sah mich wieder nicht an. So ging das eigentlich schon die ganze Zeit über. Er hatte zwar mehrmals das Gespräch mit mir gesucht, war aber immer nur für ein paar Minuten bei mir geblieben und ließ sich jedes Mal erneut von seiner Tussi ablenken oder entführen. Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, wurde Lukas auch schon wieder von Maya weg gezogen und er ließ es nur zu gerne mit sich machen, während er mich nur mit einem entschuldigenden Blick ansah, dem es gewaltig an Ernsthaftigkeit fehlte. Maya sah mich ebenfalls so an und ich schaute nur möglichst desinteressiert zurück, denn mir ging langsam echt das Messer im Sack auf.

Ana hatte sich schon vor etwa einer halben Stunde mit ihrer Freundin verabschiedet, nachdem wir noch die Uhrzeit für die Heimfahrt morgen ausgemacht hatten. Ich beschloss, Lukas jetzt einfach mal in Ruhe zu lassen, denn falls er es nicht schon wieder vergessen hatte, wäre ich ja sowieso noch den Rest der Nacht und den halben Tag morgen bei ihm zu Hause.
Obwohl nur noch etwa die Hälfte der Gäste da war, war Bennis Wohnzimmer noch immer übervoll. Ich sah mich einmal um und entschied mich dann dafür, zu Ina, Tania und Stefan zu gehen, die von allen noch am nüchternsten zu sein schienen.
Wir chillten zu viert auf einer großen, ledernen Eckcouch und hatten direkten Blick auf Lukas, der am anderen Ende des riesigen Raumes mit Maya auf sich auf einem Sessel saß. Die Mädels tranken Bier und rauchten, während Stefan und ich einen Joint teilten.

„Guckt mal, wenn Maya ihren Mund beim Knutschen noch ein klein wenig weiter aufmacht, schluckt sie Lukas gleich im Ganzen", stellte Ina total trocken fest.
Tania legte den Kopf schief und meinte: „So wie sie aussieht, muss sie schon ein paar Männer vor ihm gefressen haben."
Stefan lachte nur, schüttelte den Kopf und widmete sich weiter unserem Spliff.
„Och Mädels, eigentlich ist doch das Wichtigste, dass er glücklich ist, oder?", fragte ich in die Runde. Wie würde es mir gehen, wenn jemand so über meine Freundin sprach?
„Boah, das passt doch einfach so gar nicht. Schaut ihn euch doch mal genau an. Er sieht heute so gut aus wie nie zuvor und steht in seiner vollen Blüte. Und jetzt seht euch sie an. Ihre beste Zeit ist vorbei, noch ein paar Falten mehr und die Leute schreien Inzest weil sie denken, der vergenusswurzelt seine Mutti", philosophierte Tania vor sich hin.
Stefan lachte ziemlich laut auf und wir fingen uns deswegen einen angepissten Blick von Lukas ein, der trotz seinem hohen Alkoholpegel zu bemerken schien, was hier gerade bei uns abging.
„So alt ist sie doch jetzt auch wieder nicht. Dreiunddreißig müsste sie heute sein, oder?", fragte ich leise.
„Ja so um den Dreh. Würde jemand sagen, sie wäre dreiundvierzig, würde ich ihm das aber auch abkaufen. Ekelhaftes Weib", antwortete Ina mir.
„Er scheint ja irgendwas an ihr zu finden, wir sollten vielleicht wirklich versuchen, uns für ihn zu freuen, auch wenn wir es nicht verstehen", sagte ich in dem Versuch, die ganze Situation etwas zu entschärfen, da ich jetzt doch ziemliches Mitleid mit Lukas bekam.
„Dass er sie so lange auf seinem Schoß sitzen lassen kann wundert mich ehrlich. Die bricht ihm doch fast die Beine mit ihrem hässlichen, fetten Arsch", sagte Tania und grinste.
Lukas sah wieder zu uns rüber und schüttelte mit hochgezogener Augenbraue leicht den Kopf.
„Ey Schatz, jetzt wirst du aber ganz schön fies. Ich weiß nicht, ob ich so mit dir heute Nacht noch ins Bett gehen kann", sagte Ina und strich ihrer Freundin eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Och, ich übernehme das dann gern für dich", sagte ich und grinste Ina breit an.
„Dir wird das niemals langweilig, oder?", antwortete Ina und fing an zu lachen. Ich sah nochmal kurz zu Lukas rüber und er warf mir in dem Moment einen Blick zu, der kochendes Wasser sofort zu Eis verwandeln könnte. Scheiße, jetzt dachte er bestimmt, dass ich über Maya gelästert hatte und Ina sich deswegen schlapp lachte.

Kurze Zeit später stand Maya von Lukas Schoß auf und verschwand zur Toilette.
Als Maya ganz aus dem Raum draußen war, stand Lukas auf und lief, beziehungsweise schwankte in unsere Richtung. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, ließ sich davon jedoch nicht aufhalten.
„Also, Tim", lallte er, als er bei uns angekommen war und man merkte, wie schwer ihm das Sprechen mittlerweile fallen musste. Wie viel hatte er bitte schon getrunken?
„Ich bin super enttäuscht von dir, weißt du?", setzte er seine Ansprache fort.
„Wie meinst du das, Lukas? Warum?", fragte ich ihn vorsichtig.
„Meinst du, ich merke nicht, wie du sie die ganze Zeit ansiehst?", fragte er mich und das ziemlich laut. „Das macht mich so wütend, Tim. Gerade von dir hätte ich echt mehr erwartet."
„Lukas, bitte rede doch etwas leiser. Ich weiß nicht, was du hast, aber können wir das nicht alleine klären?"
„Nein, Tim!", schrie er jetzt schon fast und sah mich mit kühlem Blick an. Ich verstand so langsam die Welt nicht mehr. Was war denn bloß los mit ihm?
„Du kannst dir das jetzt ruhig mal anhören. Mir egal, wer hier sitzt. Ich hätte mir von dir echt ein bisschen mehr Unterstützung in dieser Sache erwartet."
Er zeigte auf Ina und Tania, machte einen kurzen Moment Pause und sagte dann: „Von euch beiden will ich gar nicht erst anfangen."
„Tim, nee jetzt ernsthaft! Ich halte dir echt wegen jedem Scheiß die Hand und unterstütze dich, wo es nur geht und zum Dank lästerst du hier voll über meine Freundin ab! Bist du eifersüchtig oder was?", sagte er so laut, dass Leute um uns sogar schon verstummten.
„Lukas, ich habe nicht..."
„Halt jetzt die Fresse und hör mir zu, Tim! Das ist so unglaublich verletzend, was du hier abziehst. Weil ich einmal nicht an dir klebe und dir meine volle Aufmerksamkeit schenke!"
„Lukas, bitte, das war ein Missverständnis, ich habe..."
„Hör auf, dich immer raus zu reden, verdammte Scheiße! Du magst sie nicht, dabei kennst du sie gar nicht. Weißt du wie froh ich war, als ich endlich jemanden gefunden hatte? Jahrelang steh ich nur daneben und gucke dir zu, wie du deine Beziehung wieder und wieder aus eigener Dummheit kaputt machst. Du weißt doch gar nicht, wie viel Glück du mit Zara hast. Und jetzt bin ich mal dran und wo bist du? Sitzt hier mit den zwei verlästerten Weibern und fällst mir so dermaßen in den Rücken!"
„Ey Lukas, bitte schalt mal nen Gang runter, es reicht. Er hat nichts gesagt", sagte Ina und sah Lukas ernst an.
„Ja toll, Ina. Dass du sie hasst, weiß ich eh schon. Misch dich nicht ein. Das ist eine Sache zwischen mir und Tim. Eine ernste Sache", fauchte er, zeigte auf mich und ließ das Glas in seiner Hand fallen, welches mit einem lauten Klirren auf dem Fußboden zersprang.
„Dein Verhalten ist einfach total scheiße, Tim!", schrie er mittlerweile und machte einen wackeligen Schritt auf mich zu.
„Lukas, verdammt, sei leise. Was ist denn los mit dir? Du hast da was falsch verstanden. Ich bitte dich, lass uns alleine reden."
„Genau. Und wenn du mal wieder was hast, schreist du mich wieder vor versammelter Mannschaft an. Du kannst dir das jetzt ruhig auch mal von mir anhören! Ich muss auch jeden Scheiß von dir aushalten und beschwere mich nicht!"
„Ey, ich habe dich noch nie..."
„Ja, genau. Hast du noch nie. Weil du ja nie was machst, stimmts? Weil du ja immer nur das arme Opfer bist, hab ich Recht?" Mittlerweile stand Lukas so dicht vor mir, dass ich seinen Atem riechen konnte, der so stark nach Alkohol stank, dass man meinen könnte er hätte Desinfektionsmittel getrunken.
Mein Herz schlug mindestens so schnell wie die Flügel eines Kolibris, ich verlor so langsam den Boden unter den Füßen und mir wurde schlecht. Von was zur Hölle redete Lukas da und warum nur? Ich hatte ihn noch nie so aggressiv gesehen. Ein bisschen wütend vielleicht ab und zu, aber so wie jetzt gerade war er mir vollkommen fremd. Den Blicken der anderen nach zu urteilen, ging es ihnen wohl genau so wie mir.
„Lukas, bitte", sagte ich und musste schwer schlucken.
„Ja, ja du bist nie an irgendwas Schuld! Du hast ja schwarz auf weiß deine schönen Diagnosen, auf denen du dich ganz entspannt ausruhen kannst! Den Freifahrtschein für alles!"
Ich bekam kein Wort mehr heraus und sah mich im Raum um. Alle, aber auch wirklich alle Blicke hafteten an Lukas und mir. Wann würde ich endlich aus diesem Traum aufwachen? War ich vielleicht doch gerade auf einem Trip? Das war doch nicht Lukas, der da sprach.
„Der arme Tim kann heute nicht arbeiten, er ist nicht einfach nur faul, er hat Depressionen! Der arme Tim rastet ständig aus, manipuliert jeden und behandelt die Leute wie Scheiße! Er kann aber nichts dafür, das müssen wir ihm durchgehen lassen, das müssen wir aushalten, das ist schon okay so, er hat ja schließlich Borderline!"


Ich hätte mich in diesem Moment am liebsten einfach in Luft aufgelöst. Alle Blicke lagen jetzt auf mir alleine. Alle wussten jetzt über mich Bescheid. Diese ganzen Leute, die ich nicht mal kannte. Das waren zwar jetzt keine Sachen, die ich nicht schon mal in meinen Texten thematisiert hatte, aber das musste ja schließlich noch lange nicht heißen, dass es wirklich so war. Fassungslosigkeit, Wut, Enttäuschung, Überraschung, Aggression und Scham vermischten sich im Bruchteil einer Sekunde zu einem explosiven Cocktail und ehe ich richtig merkte, was ich tat, stand ich schon vor Lukas und sagte so leise, damit nur er es hören konnte:
„Du bist extrem besoffen Lukas, aber das entschuldigt in keinster Weise, was für ein Arschloch du gerade bist! Ich wünsche dir nicht mal für eine einzige Stunde das, was jeden verfickten Tag in meinem Kopf abgeht, du Wichser! Du hast doch keine Ahnung!"
„Oh, und was willst du jetzt machen, Tim? Willst du vielleicht wie ein kleines, dummes Kind ein bisschen Geschirr in meine Richtung schmeißen, das tust du doch sonst so gerne?"
Dabei zog er eine Augenbraue nach oben und grinste hämisch. Das war wohl der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, denn Lukas hatte den Satz noch nicht richtig ausgesprochen, da krachte meine Faust auch schon in sein Gesicht und er taumelte nach hinten. Völlig schockiert, über das, was da gerade alles passiert war, stand ich da und starrte ihn einfach nur an, während er sich am Sofa festhielt und eine Hand auf seine Wange presste.
Es schien, als hätte jeder um uns herum die Luft angehalten und es bewegte und regte sich niemand. Benni konnte sich als Erster aus seiner Schockstarre lösen und ging mit schnellem Schritt auf uns beide zu.
Ich hatte Lukas gerade geschlagen. Benni würde mich jetzt aus seiner Wohnung werfen. Vor den Augen aller Leute. Vor den Augen aller Leute, die jetzt wussten, wie verrückt ich war. Ich wollte jetzt nichts lieber, als einfach nach Hause gehen. Mich einsperren. Die Welt aussperren. Weg sein. Mich auflösen. Verschwinden. Tot sein. Ich hatte mich noch nie zuvor so unendlich blamiert gefühlt. Und das dann auch noch von dem Mann, von dem ich dachte, dass er mein bester Freund wäre.
Benni stand jetzt direkt vor uns. Gleich würde er mich raus werfen. Ich hatte Lukas geschlagen. Ich würde diesen ganzen Leuten nie wieder unter die Augen treten können. Ich hatte noch nie zuvor in meinem Leben irgendjemanden geschlagen. Benni würde mich jetzt rausschmeißen. Überall raus. Das war es für mich mit der Band. Mit der Musik. Mit meinem Leben. Alles vorbei.
Um so überraschter war ich wegen dem, was Benni dann tat. Er stellte sich zwischen uns und sah sich Lukas einen langen Moment lang an. Dann sah er zu mir rüber. Erst in meine Augen, dann auf meine bebende Unterlippe. Er legte mir eine Hand auf die Schulter, wendete sich Lukas zu und sagte in einem ganz ruhigen Ton: „Sommer, ich fordere dich jetzt ein einziges Mal dazu auf, dir deine Bitch zu schnappen und dann meine Wohnung zu verlassen. Noch ein einziges, dummes Wort von dir zu ihm und du bist tot."

Lukas zog sich ungeschickt und schwankend seine Jacke an, dann schob er Maya, die gerade wieder in den Raum gekommen war, vor sich her in Richtung Tür. Dabei sagte er noch irgendwas zu Ina, was ich nicht verstand. Ihrem schockierten und gleichzeitig wütenden Gesichtsausdruck nach war anzunehmen, dass dies auch nichts Nettes sein konnte. Er schnappte sich im Gehen noch eine halbvolle Flasche Vodka vom Tisch und dann krachte die Tür auch schon geräuschvoll ins Schloss.

Eine gefühlte Ewigkeit lang starrte man sich nur gegenseitig an und niemand sagte irgendetwas, bis Benni zur Anlage ging und die Musik lauter aufdrehte. Dann sagte er den Leuten, dass sie gefälligst wo anders hin glotzen sollten, wenn sie nicht wollten, dass er ihnen gleich den Arsch bis zum Scheitel aufriss. Er setzte sich neben mich und baute den krummsten Joint aller Zeiten, den er mir dann in die Hand drückte.
„Ich nehme mal an, dass du heute nicht mehr zu Lukas gehst. Du bleibst bei mir. Ich kehre gleich die Leute raus."
„Nee...ähh...schon okay. Du...musst niemanden...fuck ey. Was war das denn gerade?"
„Keine Ahnung. Ich habe keine verdammte Ahnung", antwortete Benni und starrte kopfschüttelnd auf den Boden.
„Ey Benni, ich geh einfach in dein Schlafzimmer, falls da gerade nicht gefickt wird. Feiert einfach weiter", sagte ich müde und stand auf.
Stefan und Ina sprangen direkt auf und liefen mir nach.
„Boah Leute, geht mir nicht hinterher. Ihr müsst jetzt nicht auf mich aufpassen. Oder vielleicht doch. Wisst ihr, ich werde mir nämlich jetzt auf der Stelle nochmal die Pulsadern aufreißen, so wie wir Gestörten das halt so machen..."
„Oh, Timi..."
„Nee, ich will jetzt einfach alleine sein, ok?"

Ich lag noch keine fünf Minuten in Bennis glücklicherweise leerem Bett, da kam dieser auch schon ins Zimmer hinein.
„Ich lass dich in Ruhe, Tim. Aber gib mir bitte dein Handy."
„Warum?"
„Der Spast weiß morgen nichts mehr davon, garantiert. Du bombardierst ihn bestimmt gleich mit Hassnachrichten, aber ihr solltet das klären, wenn sich die ganze Sache abgekühlt hat. Und wenn ihr beide nüchtern seid."
„Ich will mit dem gar nichts mehr klären."
„Er ist dein bester Freund und ...ihr arbeitet zusammen."
„War und arbeiteten."
Ich suchte mein Handy auf dem Fußboden und drückte es Benni in die Hand.
„Soll ich da bleiben?", fragte er besorgt.
„Nein. Geh", seufzte ich und drehte mich wieder weg von ihm.

Während ich in Bennis Wasserbett lag, das bei der kleinsten Bewegung unangenehm vor sich hin wackelte, fühlte ich Gefühle und dachte Gedanken, die selbst für zehn Personen zu viel wären, wenn sie sich diese teilen würden.
Nach einer ganzen Weile fiel mir auf, dass es draußen ruhiger und ruhiger wurde und irgendwann, als es draußen schon wieder etwas heller wurde, legte sich Benni neben mich.
„Benni, ich kann auch wo anders schlafen. Du schläfst doch lieber alleine", sagte ich und fühlte mich extrem fehl am Platz, da Benni es hasste, mit jemand anderem im Raum zu schlafen und immer nur Einzelzimmer hatte, wenn wir unterwegs waren.
„Halt die Klappe, du bleibst hier liegen."
Wir schwiegen eine ganze Weile, dann drehte er sich zu mir um.
„Tim, du weißt, dass er das alles nicht so meint, wie er es sagt, oder?"
„Ich weiß überhaupt nicht, was ich denken soll, Benni. Betrunkene sagen doch bekanntlich immer die Wahrheit...und er hat doch auch irgendwo Recht."
„Glaub diesen Scheiß bloß nicht."
„Hab ich dich je scheiße behandelt? Oder jemand anderen?", fragte ich Benni leise und es gelang mir nicht, ein Schluchzen zu unterdrücken.
„Nein, Tim. Nie. Die einzige Person, die du scheiße behandelst ist... das bist du selbst. Und jetzt denk nicht über jedes einzelne Wort von Lukas nach. Das war alles nur besoffenes Gelaber, da ist nichts dran, echt nicht."
„Warum hat er das getan, Benni? Warum?"
„Weil er ein Spast ist", seufzte er. „Nee, ach... naja er ist ja eigentlich schon besoffen hergekommen. Ich nehme mal an, das hat irgendwas mit dieser Braut zu tun. Also, ich hab von der Scheiße ja echt keine Ahnung, ich kann auch nur raten. Ich schätze mal, das läuft alles nicht so gut wie er sich das vorgestellt hat. Er hat sich über zehn Jahre diese Beziehung zu der Bratze gewünscht und merkt wahrscheinlich insgeheim schon selber, dass sie doch nicht so ist, wie das Idealbild in seinem Kopf. Und anstatt sich das einzugestehen, sucht er jetzt Gründe, warum die Sache scheitern muss. Irgendjemand muss Schuld sein und das bist jetzt eben du. Das ist einfacher, als sich einzugestehen, dass es diese perfekte Frau nicht oder nicht mehr gibt. Jemand von außen muss Schuld sein und was trifft sich da besser, was macht es dramatischer, als der beste Freund?"
„Ich weiß wirklich nicht, wie man das wieder retten soll, Benni."
„Das weiß ich auch nicht. Aber es muss gerettet werden."
„Schlaf gut, Benni."
„Du auch, Tim. Und bleib bloß auf deiner Seite", antwortete dieser und warf mir einen warnenden Blick zu, der mich für eine halbe Sekunde zum Grinsen brachte.

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