Bielefeld, Tims Haus
14. Dezember 2015
Den ganzen Weg von Gütersloh, wo ich im Moment in der viel zu kleinen Einliegerwohnung im Untergeschoss meines Elternhauses wohnte, da ich noch nichts eigenes gefunden hatte, bis nach Bielefeld saß ich hinten bei meinem Sohn auf der Rückbank und sprach kein Wort. Je näher wir unserem Ziel kamen, desto mehr wollte ich die ganze Sache doch wieder absagen, wollte so weit davon weg, wie nur möglich. Ich wollte ihn nicht sehen, aber jetzt war es zu spät. Ich drückte meinen Sohn an mich, sah Valentin über den Rückspiegel an und war mir in diesem Moment sehr sicher, dass ich bei ihm bleiben wollte. Tim liebte mich und unseren Sohn zwar über alles, aber sein exzessiver Lebensstil und seine ständige Unberechenbarkeit ließen sich einfach nicht mit einer Familie vereinbaren. Er hatte schon oft genug versucht, sich zu ändern, auch mit professioneller Unterstützung. Spätestens nach einer Woche war sein Drogenkonsum dann immer wieder der alte, manchmal sogar noch schlimmer, als vor einer Pause, so als müsse er das verpasste nachholen. Manchmal war Liebe eben einfach nicht genug. Mir war mittlerweile extrem heiß, ich war zitterig und mein Herz hämmerte schmerzhaft gegen meine Rippen.
Wir hatten Bielefeld bereits komplett durchquert und fuhren erst an einem Waldstück vorbei, dann über den Feldweg, der zu Tims Haus führte. Ich lehnte meinen Kopf gegen das kalte Fensterglas des Wagens und schaute raus auf das Feld.
Diesen Weg kannte ich nur all zu gut. Bilder aus vergangenen Tagen schossen mir sintflutartig durch den Kopf und ich sah Tim und mich auf diesem Weg. Mal waren wir ihn gutgelaunt und herumalbernd mit dem Auto gefahren, mal schwiegen wir uns an, weil wir uns gerade gestritten hatten. Mal liefen wir diesen Weg langsam Hand in Hand, mal rannten wir ihn, einfach so zum Spaß, um zu sehen, wer schneller zu Hause sein konnte. Auch waren wir oft sturzbetrunken nach einer der vielen Partys, die wir so gerne zusammen besucht hatten, hier entlang getorkelt. Dabei krallte sich der Eine am Anderen fest, damit keiner hinfiel, wir lachten Tränen, machten irgendwelche total verrückten Sachen unterwegs und brauchten stundenlang, bis wir Zuhause waren. Ich erinnerte mich daran, wie wir öfter mal im Sommer zusammen auf einem alten Fahrrad den Weg entlang gerast waren, er auf dem Sattel, ich vor ihm auf dem Lenkrad. Obwohl es tiefster Winter war, war die Erinnerung an diese Tage so intensiv, dass ich fast meinte, den Sommerwind in meinen Haaren spüren zu können. Als wir an einer Gruppe von Büschen vorbei fuhren, musste ich einfach grinsen. Es war nicht nur einmal vorgekommen, dass wir irgendwo feiern waren und Tim vom langen, engen Tanzen so heiß auf mich war, dass er es auf dem langen Weg zu seinem Haus zurück nicht mehr bis dort hin aushielt und mich hinter diese Büsche zog. Ich musste auch daran denken, wie wir später fast jeden Tag mit unserem Sohn hier spazieren gegangen waren. Zu dritt, als das Leben noch in Ordnung und wir glücklich waren. Als wir in dem Glauben waren, dass nichts und niemand dieses Glück jemals zerstören könnte.
Als im Radio das Lied Stop crying your heart out von Oasis gespielt wurde, überwältigten mich meine Gefühle endgültig. Ich zog mir meine Kapuze tief ins Gesicht und weinte stumme Tränen. Valentin bemerkte nichts davon.
Das Haus tauchte ganz klein vor uns auf und ich hatte große Mühe, mich wieder soweit zu beruhigen, dass ich aussteigen konnte und mir niemand ansah, was gerade in mir vorging. Ich sah zwei Personen, Lukas und Tim, vor dem Haus auf der Bank sitzen. Wie es ihm wohl ging? Freute er sich? War er nervös? Traurig? Wütend? Ich hatte keine Ahnung.
„Soll ich mit aussteigen?", fragte mich Valentin, als er sein Auto neben dem roten, alten Toyota von Tims Großvater parkte, den wir irgendwann mal Mary getauft hatten.
„Wie du willst", sagte ich, stieg aus und nahm Elias und die Tasche, die ich für ihn gepackt hatte. Valentin hatte sich entschieden, auszusteigen und lief neben mir her. Ob ich das gut oder schlecht fand, konnte ich in dem Moment nicht benennen. Je näher ich Tim kam, der mich mit seinem endlos liebevollen Blick betrachtete, umso mehr wollte ich mich einfach umdrehen und wegrennen.
Ich schaute rüber zu Lukas, der mich freudestrahlend anlächelte und beschloss, etwas Zeit zu schinden und ihn zuerst zu begrüßen.
Am äußersten Rand meiner Wahrnehmung bekam ich mit, dass Valentin und Tim irgendwie miteinander kommunizierten. Ich konnte mich allerdings nur auf das Rauschen in meinen Ohren und meinen unkontrollierten Herzschlag konzentrieren. Darum bekam ich nicht im Entferntesten mit, um was es bei den beiden ging.
Nachdem ich ein paar Worte mit Lukas gewechselt hatte, musste ich jetzt endgültig zu Tim rüber gehen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn begrüßen sollte. Sollte ich ihn umarmen oder einfach nur freundlich Hallo sagen? Neutral bleiben oder ihn wissen lassen, wie sauer und enttäuscht ich noch immer von ihm war?
Ich musste mich nicht für eine Möglichkeit entscheiden, da mein Sohn mir glücklicherweise zuvor kam.
Er freute sich riesig, als er seinen Vater entdeckte und zappelte wie wild herum, damit ich ihn zu ihm ließ. Tim nahm ihn und küsste und drückte ihn wie verrückt. Es war einfach zu süß, wie Elias vor Vergnügen quietschte.
Ewigkeiten schienen zu vergehen, Tim war voll und ganz nur auf seinen Sohn konzentriert. Es war, als ständen Valentin und ich gar nicht mehr vor ihm.
Elias wanderte nun von Tim zu Lukas und ging mit ihm weiter weg, in den Garten hinein.
Ich begrüßte Tim recht kühl und warf ihm nach einer kurzen Pause einfach nur die harten Fakten über das aktuelle Befinden unseres Sohnes vor die Füße. Ich erkundigte mich nicht, wie es ihm ging oder ähnliches. Ich war innerlich fast am Sterben vor lauter Aufregung und wollte so schnell wieder weg, wie es nur ging.
Als er mich dann mit seinem typischen Lächeln ansah, versetzte das meinem Herz einen heftigen Stich. Da standen wir uns nun hilflos und nervös gegenüber. Ich betrachtete den einzigen Mann, den ich je geliebt hatte und hätte mich trotz allem am liebsten in seine Arme geworfen und ihm alles verziehen. Ich kannte ihn gut genug, um zu bemerken, dass er innerlich gerade einen unerbittlichen Kampf gegen sich selbst führte. Mich und Elias nach so langer Zeit wieder zu sehen und das auch noch in Anwesenheit meines neuen Freundes, das musste doch mehr sein, als er ertragen konnte. Es war ja für mich schon am Rande des Erträglichen und dabei war ich im Gegensatz zu ihm ein emotional vollkommen stabiler Mensch.
Er bedankte sich für die Tasche, die ich ihm in die Hand drückte und fragte mich, ob ich noch kurz auf einen Kaffee bleiben wollte. Ich wollte jetzt keinen Kaffee, ich wollte ihn. Und ich wollte ihn mit Haut und Haaren, wenn er doch bloß nicht so ein endlos dummer Idiot gewesen wäre, der alles kaputt gemacht hatte.
Ich verneinte und drückte mich an Valentin, um Tim zu zeigen, wo ich jetzt hingehörte. In seinem Gesicht zeigte sich deutlich, wie sehr ihn mein jetziges Verhalten verletzte und ich fühlte mich erbärmlich. Darum verabschiedete ich mich übereilig von Lukas und Elias und ging schnell ans Auto, bevor ich doch noch etwas tat, was ich später bereuen würde und wartete darauf, dass Valentin endlich den Motor startete.
Gütersloh, Zaras Wohnung
14. Dezember 2014
Da der Besuch bei Tim weitaus weniger Zeit in Anspruch genommen hatte, als dafür geplant war, hatte ich noch gute zwei Stunden Zeit, ehe ich auf die Freizeit fahren würde. Valentin hatte mich direkt nach der Ankunft zu Hause ins Bett gezogen, wo er jetzt gerade dabei war, mir den Slip abzustreifen. Er rutschte wieder hoch, legte sich auf mich und begann, mich zu küssen. Ich wartete auf verliebtes Herzklopfen in mir, aber es kam nicht. Ich spürte in diesem Moment eigentlich überhaupt nichts. Ich schloss die Augen und versuchte, mich nur auf seine Berührungen zu konzentrieren. Endlich spürte ich eine leichte Erregung in mir. Er drang in mich ein und begann, sich langsam zu bewegen. Erst sah ich ihn dabei an, später schloss ich die Augen. Unaufhaltsam schlich Tim sich in meine Gedanken. Erst dachte ich ohne Zusammenhang an ihn, dann stellte ich mir vor, dass er es wäre, der mich gerade fickte. Naja, ficken konnte man das, was Valentin gerade tat, nun nicht wirklich nennen. Er lag auf mir, die Hände links und rechts von meinem Kopf abgestützt und bewegte sich langsam und abgehackt vor und zurück. Sonst tat er gar nichts, schaute mir einfach nur pausenlos ins Gesicht.
„Los Baby, fick mich doch mal richtig", sagte ich strich ihm über seinen nackten Rücken.
„Das mach ich doch gerade", antwortete er erstaunt.
„Ich brauch es härter."
„Ah, verstehe. Das kommt, weil wir gerade bei Tim waren, richtig?"
„Valentin, nein. Das hat damit nichts zu tun. Sei ruhig und mach einfach weiter."
Er zog sich aus mir raus und setzte sich neben mich.
„Was soll ich machen Zara? Was? Das ist nun mal meine Art, mit einer Frau zu schlafen! Mir gefällt das so! Ich brauche keinen perversen Kram, damit mir einer abgeht. Also, was soll ich tun verdammt, um deinen hohen Ansprüchen endlich gerecht zu werden?"
„Ja, es wäre hilfreich, wenn du irgendwas machen würdest, außer wie ein Roboter stundenlang die gleichen Bewegungen. Kratz mich, beiß mich, schlag mich, würg mich, keine Ahnung, Mann!"
„Ah, das hat er immer mit dir gemacht, richtig? Weil er ja so viel cooler und gefährlicher und wilder ist, als der blöde Arzt. Weißt du was, du kannst mich mal."
Er zog sich an, knallte die Türen zu und verließ die Wohnung. Statt darüber traurig zu sein, befriedigte ich mich selbst, in Gedanken bei Tim.
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