Wir kratzen Wunden auf, die nicht mehr heilen

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Bielefeld, Tims Haus
15. Dezember 2015

Am Morgen des nächsten Tages wurde ich viel zu früh durch Heisenbergs schlimmen Mundgeruch wach, da sich das Tier mal wieder press neben meinen Kopf legen musste. Ich jammerte gequält und drückte mein Gesicht tief ins Kopfkissen hinein. Es war doch noch stockdunkel und bestimmt mitten in der Nacht. Dieser Hund würde mich noch wahnsinnig machen. Wann immer Tim es nicht mitbekam, schien das Tier mich absichtlich zu mobben.
„Timiiiii, mach ihn weg."
Heisenberg leckte mir mittlerweile auf den Haaren herum und ließ sich danach wie ein Stein auf mein Kissen fallen.
„Tim, verdammt nochmal. Bitte."
Als er nicht reagierte, setzte ich mich hin und sah, dass sich der Gesuchte gar nicht mehr neben mir befand. Ich nahm mein Handy und stellte fest, dass es erst kurz vor sechs war. Ich kämpfte mich aus dem Bett, schwankte in Richtung der Schlafzimmertür, hörte dann die Stimme von ihm und das Lachen seines Sohnes und beschloss, dass alles okay mit den beiden war und sie mich nicht brauchten. Also legte ich mich nochmal hin, um weiter zu schlafen.
Der Schlaf war mir leider nicht vergönnt, da der Hund mir kurz vorm Einschlafen ins Ohr bellte.
„Mann, du hast doch nen Schuss", murmelte ich vor mich hin und stand auf. Zufrieden legte sich Heisenberg auf meinen Platz und fing an zu schnarchen, während ich schlecht gelaunt meine Hose anzog.

„Dein Hund nervt. Echt jetzt, das ist doch nicht normal. Ich weiß schon, warum ich keine Tiere hab", meckerte ich, während ich schlaftrunken den Flur entlang tappte und dann in die Küche abbog.
„Ach du mein lieber Gott, was ist denn hier los?"
Ich schaute nochmal auf die Uhr, die gerade mal halb sieben zeigte und betrachtete das Chaos in der Küche. Auf dem Boden lagen mehrere Leinwände, Papier, Farben und Pinsel. Der Küchentisch war total eingesaut, auch ein paar Küchenschränke und der Boden hatten einiges abbekommen.
„Wir malen?", sagte Tim unbeeindruckt, während er gerade dabei war, an der Küchenzeile einen Apfel zu schneiden. Beziehungsweise er versuchte, einen Apfel zu schneiden. Elias saß auf der Eckbank und winkte mir zu, total mit Farbe verschmiert.
„Keine Panik, ist alles ungiftig. Könnte er literweise trinken und es würde nichts passieren."
„Und das muss noch halb in der Nacht sein?"
„Na er war halt wach und wir haben doch nicht so viel Zeit."
„Hm. Macht Sinn", gähnte ich und lehnte mich neben Tim an die Küchenzeile. „Was wird das eigentlich, wenn es fertig ist?", fragte ich und sah mir das Apfelmassaker auf der Theke an.
Tim lachte nur und drückte mir einen neuen Apfel und ein Buttermesser in die Hand. „Da, mach du", sagte er und setzte sich zu seinem Sohn an den Tisch. Ich schüttelte den Kopf und nahm ein geeigneteres Messer aus der Schublade.
„Wie überlebst du eigentlich, wenn du alleine hier bist?"
„Ich esse nichts, was man vorher schneiden oder kochen muss."
Ich stellte den Teller mit perfekt geschnittenen Stückchen vor Elias auf den Tisch und ließ mich müde auf einen Stuhl fallen.
Tim grinste mich an und meinte: „Ey, wenn du jetzt ne hübsche Frau mit netten T-i-t-t-e-n wärst, dann wären wir doch die perfekte Familie."
„Deine gute Laune um diese Uhrzeit macht mir echt Angst."

Stunden später hatten wir dann die Küche und Elias wieder einigermaßen sauber bekommen und warteten auf Marcel, der mit seiner dreijährigen Nichte zum spazieren gehen vorbei kommen wollte.
„Was meinst du, wie mache ich mich?", fragte mich Tim strahlend, während er seinen Sohn wintertauglich einpackte.
„Super gut, ehrlich. Als hättest du nie was anderes gemacht."
Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich Tim das letzte Mal, ohne den Einfluss von euphorisierenden Substanzen, so extrem glücklich erlebt hatte. Er war ein ganz anderer Mensch, schien komplett in der Vaterrolle aufzugehen und schlug sich echt gut.

Als Marcel dann kam, machten wir uns zu fünft auf in den nahegelegenen Wald und kämpften uns durch den ersten Schnee für diesen Winter, der in der Nacht gefallen war.
„Tja Tim, so langsam werden wir erwachsen. Ich glaube, ich sollte mir auch ein eigenes Kind anschaffen", sagte Marcel nachdenklich.
„Ist gar nicht so übel, wie ich immer gedacht habe", erwiderte Tim.
„Lukas, wie stehst du eigentlich dazu? Willst du Kinder?", fragte Marcel.
„Ähh, keine Ahnung", antwortete ich ihm schulterzuckend.

Ich betrachtete Tim und Marcel, die ein Stückchen vor mir mit den Kindern an der Hand liefen und fragte mich, ob ich wohl auch mal eine eigene Familie haben würde. Ich hatte mir vorher noch nie Gedanken darüber gemacht. Ich war ja schließlich erst sechsundzwanzig und der Meinung, dass ich noch alle Zeit der Welt dafür hatte. Aber so langsam fühlte ich mich echt unter Druck gesetzt, da mir beim weiteren Nachdenken auffiel, dass meine ganzen Freunde und Bekannten in meinem Alter so langsam anfingen, sich zu verloben, zusammenzuziehen, zu heiraten und Kinder zu kriegen.
Ausnahmen von dieser Regel gab es nur noch wenige. Ich war eine davon. Die Frau, mit der ich das alles erleben könnte, hatte ich bisher noch nicht gefunden. Das wurde durch meinen wachsenden Bekanntheitsgrad leider auch immer schwieriger. War ich gerade echt kurz davor, Torschlusspanik zu kriegen? Lächerlich.
Ich schüttelte die Gedanken von mir ab und zog mein Handy aus der Tasche, um ein Foto von Elias und Tim zu machen. Sie liefen mittlerweile ziemlich weit von mir entfernt. Tim hielt Elias Hand fest und sah zu ihm herunter, der Kleine sah zu Tim hoch und lächelte breit. Das Bild wurde so gut, dass ich beschloss, es in die WhatsApp-Gruppe unserer Band zu stellen, da Stefan heute morgen eh schon gefragt hatte, wie es so lief.

Ich, 15. Dezember, 13:12: Bild
Benni, 15. Dezember, 13:14: Bah, ist ja ekelhaft. Familienausflug, ihr Schwuchteln?
Stefan, 15. Dezember, 13:17: Benni, du Arsch. Ist doch süß.
Igor, 15. Dezember, 13:19: Verspürt noch jemand außer mir eine große Lust, jetzt sofort eine Dame zu schwängern?
Benni, 15. Dezember, 13:20: Nein!
Timi, 15. Dezember, 13:22: Benni hat bestimmt schon 12 Kinder und weiß nichts davon :)
Benni, 15. Dezember, 13:22: Doch, ich wusste davon, hab sie aber alle gefrühstückt :)

Ich schloss die Gruppe grinsend wieder und tippte dann Zaras Namen an. Ich überlegte kurz, ob ich ihr das Bild auch schicken sollte. Da mir keine gravierenden Gründe einfielen, die dagegen sprachen, tat ich das dann auch.

Ich, 15. Dezember, 13:23: Hi :) Alles gut soweit! Mach dir keine Sorgen.
Ich, 15. Dezember, 13:23: Bild
Zara, 15. Dezember, 13:25: Super :)

Tim blieb weiter vorne stehen und wartete, bis ich zu ihm aufgeschlossen hatte.
„Was ist los mir dir, du guckst schon den ganzen Morgen so komisch. So nachdenklich irgendwie", stellte er fest.
„Quatsch, es ist nichts. Alles gut. Naja. Keine Ahnung. Mir fällt gerade auf, dass ich mit meinem Privatleben ziemlich weit hinter den meisten anderen bin. Ich habe den Eindruck, je mehr beruflich passiert, desto mehr schläft alles andere ein."
„Bist du nicht derjenige, der immer sagt, dass der einzig richtige Maßstab man selbst ist? Alter, du kannst in dreißig Jahren noch Mädels schwängern. Mach dir doch keinen Stress", sagte Tim mit großem Erstaunen. „Ich wusste gar nicht, dass du schon über so etwas nachdenkst."
„Habe ich bisher auch nicht. Aber jetzt wo ich dich so mit deinem Sohn erlebe und wie du Zara liebst, auch wenn ihr gerade nicht zusammen seid... Was habe ich zuhause? Wenn ich am Donnerstag nach Hause komme, wartet dort nur Arbeit auf mich, sonst nichts."
„Na wenn dir das so ein großes Bedürfnis ist, sollten wir dir mal eine Freundin besorgen."
„Genau, die stehen ja auch an jeder Ecke und warten auf mich", sagte ich ironisch.
„Hm, tun sie doch. Es gibt tausende, wenn nicht noch mehr, die liebend gerne mit dir zusammen wären."
„Die wollen nicht mich, die wollen den, von dem sie glauben, dass ich es bin. Die stehen auf mein öffentliches Ich, auf meine Rolle, nicht auf Lukas. Egal, wir verbringen jetzt ein paar schöne Tage hier mit deinem Sohn. Um mein Leben kann ich mich dann wieder in Berlin kümmern. Ich hab nicht genug geschlafen, ich bin gerade einfach ein bisschen down."

Wenige Minuten später lief ich, ein Kind an jeder Hand, vor Marcel und Tim her, die viel Abstand hielten, da sie rauchten und die Kleinen nicht zuqualmen wollten.
Trotz den beiden hinter mir und den zwei quietschvergnügten Kids an der Hand fühlte ich mich auf einmal sehr alleine.
Ich fragte mich, ob die Wunde in meinem Herzen, die Maya vor rund sechs Jahren hinterlassen hatte und die ich mir immer wieder selbst aufkratzte, irgendwann verheilen würde. Ob ich jemals frei für eine andere Frau sein konnte, die mir all das geben würde, was ich mir jetzt auf einmal so sehr wünschte.




Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro