Was wär, wenn wir uns zwischen Steinen fänden?

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Berlin, Charlottenburg - Bennis Wohnung
02. Februar 2016

Zara hatte noch sehr lange bei mir im Wohnzimmer gesessen und versucht, mich zu beruhigen. Nachdem ich ihr dabei aber eine Stunde lang nicht eine einzige Antwort gegeben hatte, hatte sie resigniert und sich ins Gästezimmer verzogen.
Ich hatte gar nicht mal aus einer schlechten Intention heraus geschwiegen, sondern einfach, weil es nichts zu sagen gab. Alle meine Entschuldigungen hatte sie schon tausend Mal gehört. Alle meine Begründungen für mein Verhalten gerade kannte sie schon in- und auswendig. Und ich kannte im Gegenzug alle meine Versprechen, die ich ihr geben und doch nie einhalten würde.

Ich lag Ewigkeiten wach und starrte auf die große Glasfront in Bennis Wohnzimmer.
Der Himmel war zuerst so klar, dass man unzählige Sterne darin glitzern sehen konnte. Später sah ich schwere Wolken aufziehen, aus denen dicke Schneeflocken fielen. Ich sah zu, wie sich Eiskristalle am Fenster bildeten und wie der Schnee auf der Terrasse immer höher wurde. Ich fragte mich, wann der Schnee wohl das Feuerzeug, was draußen auf dem Boden lag, komplett verdeckt haben würde.
Würde das Feuerzeug ein Bewusstsein haben, würde es sich wohl gerade so fühlen, wie ich mich fühlte. Nämlich so, dass einem das Wasser bis zum Hals stieg und man nichts dagegen tun konnte.

Ich hatte mich die ganzen Tage über so angestrengt, meine Eifersucht nicht zu zeigen. Es hatte mich so viel Kraft gekostet, mir nichts anmerken zu lassen. Und heute Nacht, in einem einzigen Moment, wurden alle meine Bemühungen mit einem Schlag wertlos.
Ich hatte Zara zeigen wollen, dass ich nicht mehr so extrem war wie früher und dass ich mich auch mal beherrschen konnte. Ich wollte mich um sie kümmern und für sie da sein, ohne Streit und ohne Drama. Sie hatte sich während der Tage in Berlin an unsere guten Zeiten erinnern sollen und nicht an die vielen schlechten.
In meiner Vorstellung vermisste sie diese dann, wenn sie wieder bei sich Zuhause sein würde und kam dann bald zu mir zurück, weil sie es ohne mich nicht mehr aushielt und weil ihr bewusst wurde, dass es gut war, was wir damals hatten.
Dass dieser Plan ziemlich bescheuert war, wurde mir nun klar.
Egal, wie oft ich mir das einredete, ich würde mich wohl nie ändern können. Und ich konnte es auch durchaus verstehen, wenn das niemand auf Dauer aushalten wollte, wenn man es mit jemand anderem doch so viel einfacher haben könnte.

Dieser Valentin rastete bestimmt nie aus. Ich hatte ihn zwar nur einmal gesehen, als Zara vor Weihnachten unseren Sohn vorbeigebracht hatte und dann nochmal zufällig, als ich mit Ana in einer Bar in Bielefeld war, aber trotzdem hatte ich ein genaues Bild von ihm im Kopf.
Wie er da so stand, mit seinen perfekt gebügelten Klamotten und seinem strahlend weißen Zahnpasta-Lächeln. Und dann diese Frisur, bei der kein einziges Haar tat, was es nicht sollte. Und super freundlich war er gewesen. Bestimmt steckte er ihr alles in den Arsch, ohne dass sie es überhaupt wollte und erfüllte ihr jeden Wunsch mit seinen scheiß Millionen auf dem Konto. Zudem musste er als Arzt logischerweise sehr gebildet sein.
Dieser Kerl war wohl leider der perfekte, fehlerlose Mann, den sich jede Frau an ihrer Seite wünschte.
Und was war ich dagegen?
Ich hatte nicht mal einen Hauptschulabschluss und bekam einfach nichts auf die Reihe. Mir schossen zwar direkt die ganzen Erfolge mit Plan B in den Kopf, doch im nächsten Moment beschloss ich für mich, dass das alles überhaupt nicht mein Verdienst war.
Ohne die anderen, die sowieso alle mehr konnten und mehr arbeiteten als ich, hätte ich das niemals geschafft. Eigentlich war ich doch nur der Sozialfall, der von diesen gutmütigen Kerlen aus Mitleid mitgetragen wurde.
Zudem war ich viel zu dürr und sah extremst kaputt aus. Knochen standen überall hervor, mal mehr mal weniger. Vernarbte Haut, unter Tattoos versteckt. Und drogenabhängig war ich auch, ganz egal wie oft ich mir sagte, dass ich jederzeit darauf verzichten konnte.
Wen würde eine Frau mit Verstand da wohl als Lebenspartner wählen?

Da ich einfach nicht schlafen konnte und meine Gedanken mir keine Ruhe ließen, wollte ich mir einen Joint bauen, fand aber das Gras nicht. Leider lag es im Gästezimmer, wo ich jetzt nicht reingehen konnte, nachdem Zara sich eine Stunde lang darum bemüht hatte, mit mir zu reden, obwohl ich sie mehr oder weniger ignorierte.

Ich seufzte und lief eine Runde ziellos durchs Wohnzimmer. An den Wänden hingen viele Bilder von uns als Band und auch von privaten Anlässen, bei denen ich dabei war. Auf den meisten Fotos lachte ich oder sah zumindest so aus, als ob es mir gut gehen würde. Manchmal war das Lachen auf den Bildern echt, oft aber auch nicht.
Nachdem ich mich wieder auf das Sofa fallen gelassen hatte, griff ich nach meinem Handy.
Zara hatte mir vor zehn Minuten geschrieben und gefragt, ob ich noch wach wäre. Erst dachte ich daran, nicht zu antworten und alles bis morgen früh abkühlen zu lassen, doch dann fielen mir die verdammten blauen Häkchen ein, die mich zu einer Antwort zwangen.
Außerdem hatte ich mich falsch verhalten, nicht sie. Ich hatte weder einen Grund, noch das Recht dazu, sie weiter zu ignorieren.
Darum ging ich auch widerstandslos zu ihr rüber, als sie mich in ihrer nächsten Nachricht darum bat.

Als ich die Tür öffnete, sah ich Zara im Bett sitzen. Mit leichter Panik in den Augen starrte sie Richtung Tür und ich fragte mich sofort, ob ich vorhin wirklich so schlimm war, dass sie nun Angst vor mir haben musste. Es war zwar nicht gerade harmlos gewesen, aber trotzdem hatte es schon weitaus schlimmere Ausbrüche gegeben.

„Komm rein, schnell!"
„Ähm...ok", murmelte ich und zog die Tür hinter mir zu. Als ich mich langsam auf die Bettkante gesetzt hatte, war ihr Blick noch immer zur Tür hin gerichtet und so langsam bekam ich den Eindruck, dass gar nicht ich es war, was ihr Angst machte.
„Was hast du denn?", fragte ich und schaute dahin, wo sie hinstarrte.
Neben der Tür hatte Benni eine Stehlampe aufgestellt, die einen Lampenschirm aus hellem Papier hatte. Mitten auf dieser Lampe saß eine fette Winkelspinne.
„Ah, ich seh es schon", sagte ich und konnte mir dabei ein Grinsen nicht vollständig verkneifen.
„Sorry, ich wollte dich in Ruhe lassen. Aber Benni hat nicht geantwortet und ich trau mich da nicht hin, aber einfach schlafen kann ich auch nicht."
„Schon okay."

Ich ging zur Spinne hin, nahm sie auf die Hand und ließ sie dann durch das Fenster raus. Dabei fragte ich mich, wie Valentin das hier wohl gelöst hätte. Die Vorstellung, dass er selbst Schiss hatte und bei dem Anblick wie ein Mädchen quietschte, fand ich ziemlich amüsant. Vermutlich war es aber eher so, dass er einfach seinen Designerstaubsauger holte und die Spinne ohne mit der Wimper zu zucken damit aufsaugte. Vielleicht hätte er dabei einen Bademantel an, der hinter ihm her wehte wie der Umhang eines verfickten Superhelden.

„Okay, erledigt", sagte ich und griff wieder nach der Türklinke, um das Zimmer zu verlassen.
„Timi?"
„Hm?"
„Willst du vielleicht hier schlafen?"

Nach längerem Zögern nickte ich und legte mich mit großem Abstand neben sie. Ich hatte sie wirklich gerne in meiner Nähe, aber der Gedanke daran, dass wir Berlin morgen Abend wieder verlassen würden, sorgte im Moment dafür, dass ich eine gewisse Erleichterung verspürte.
Sie verschwieg irgendwas vor mir, was sie mir einfach nicht sagen wollte oder konnte. Normalerweise, so dachte ich jedenfalls, hatte sie mir immer alles gesagt. Ganz egal, was es war. Ich konnte nicht damit umgehen, dass es jetzt plötzlich nicht mehr so sein sollte.

Obwohl ich darüber nachdachte, dass ein bisschen mehr Abstand in nächster Zeit vielleicht doch nicht das schlechteste wäre, nahm ich sie in den Arm, als sie zu mir rüber rutschte und ließ zu, dass sie sich halb auf mich drauflegte.
Ich fragte mich, warum sie das jetzt tat und warum sie heute Morgen überhaupt mit mir geschlafen hatte, obwohl sie zur Zeit mit jemand anderem in einer Beziehung war. Als sie mit mir zusammen war, hatte sie niemals mit einem anderen Kerl geflirtet. Sie passte ja sogar im Bus auf, dass ihr Oberschenkel nicht aus Versehen den eines fremden Mannes berührte.

Wir waren zwar eine halbe Ewigkeit zusammen gewesen und vielleicht war auch ein Stück weit Gewohnheit dabei, aber trotzdem passte das hier nicht zu ihr. Erklären konnte ich es mir nicht und fragen wollte ich auch nicht, weil sie mir wahrscheinlich sowieso keine richtige Antwort geben würde. Den Vorschlag, nach Berlin zu kommen, hatte ich ihr ursprünglich gemacht, weil sie meinte, es ginge ihr im Moment nicht so besonders. Egal, wie lange ich überlegte, ich konnte mir absolut nicht vorstellen, was der Grund sein könnte. An ihrem tollen Freund lag es bestimmt nicht. Vielleicht vermisste sie einfach nur unseren Sohn, der aktuell mit ihren Eltern im Urlaub war.
Aber warum konnte Valentin sie da nicht trösten? Lag es vielleicht doch an ihm? Aber warum sagte sie mir nichts?
Eventuell war es ja doch nicht so abwegig, dass sie mir nichts von Problemen mit Valentin erzählte. Der Exfreund ist im Normalfall ja nicht gerade der erste Ansprechpartner, wenn es um die neue Beziehung geht.

Genauer betrachtet durfte ich mich darüber auch gar nicht aufregen. Schließlich verschwieg ich ihr noch immer das geplatzte Kondom. Im Laufe des vergangenen Tages hatte ich sie zwar dabei gesehen, wie sie die Pille genommen hatte, aber das musste ja noch lange nicht heißen, dass nicht trotzdem was passiert sein konnte.

Ich schloss die Augen und genoss ihren warmen Körper auf meinem, atmete ihren wunderbaren Geruch ein und ließ ihr weiches Haar langsam durch meine Finger gleiten.
Das hier durfte auf keinen Fall das letzte Mal sein, dass wir uns so nah waren.
In diesem Moment fasste ich den endgültigen Entschluss, ihr nichts von dem Missgeschick zu erzählen.
Denn was bringt einen Mann und eine Frau einander näher, als eine Schwangerschaft? Vielleicht würde sie ja dadurch zu mir zurück kommen.
Sollte das Schicksal doch für uns entscheiden.



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