Kapitel 01

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Einen Monat später



Ich setze mich neben meinen Bruder und zupfe mir meine Haarsträhnen zurecht. Dass ich den gesamten Weg zum Versammlungssaal rennen musste, hat den ganzen Aufwand, der mich überhaupt in diesen Stress gebracht hat, wieder zunichte gemacht. An den freien Sitzen zu urteilen, bin ich zumindest nicht die letzte. Der Versammlungssaal der Wellington Academy wird so selten gebraucht, dass ich manchmal vergesse, wie weit weg, aber auch wie prächtig er ist. Der Saal ist ungefähr so groß wie ein halbes Fußballfeld und in einem antiken Stil eingerichtet. Der Boden besteht aus schwarzen Marmor-Platten, die Wände aus weißen. Zwischen den Wänden und den Stühlen in der Mitte stehen korinthische Säulen, in welche unzählige Herzen mit Initialen eingeritzt sind. Ich schätze, dass die Zerstörung öffentlicher Räume für manche Schüler wohl als Spaß gilt, aber immerhin tun sie es für romantische Zwecke. Von der Decke hängen Kronleuchter und vorne mündet der Raum in einer Erhöhung, auf der die Direktion stehen wird, sobald Mr. und Mrs. Abbot eintreffen.

„Tut mir leid, dass ich so spät bin", flüstert mir Blaire zu, als sie sich zu mir und meinem Bruder setzt. Sie drückt mir die Hand und wirft mir ein schwaches Lächeln zu. Ich schenke ihr einen beschwichtigenden Blick, denn ich bin nur eine halbe Minute vor ihr eingetroffen, weshalb Wes uns zwei Plätze freigehalten hat. „Hauptsache du bist hier", sagt mein Bruder und nickt ihr zu. Dann räuspert er sich, fährt sich durch die Haare und widmet sich einem Flugblatt, das er in den Händen hält. Seit Mathilda gestorben ist, hat sich Wes von allem ein wenig distanziert, als wäre es einfacher, sich von der Realität zu trennen, statt sich mit seiner Umwelt zu befassen. Ich verstehe zwar, dass es ihm so geht, aber dennoch schmerzt es, weil ich ihn gebraucht hätte. Es wäre so viel einfacher gewesen, den letzten Monat zu überstehen, wenn ich nicht auch noch meinen Bruder dabei ein stückweit verloren hätte. Aber ich werfe ihm das nicht vor, genauso wenig wie es Blaire tut, die seine beste Freundin ist.

Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen und bleibe an dem kleinen Grüppchen hängen, das ich in dieser Elite-Universität am wenigsten ausstehen kann. Manchmal fühle ich mich schlecht dafür, dass ich Menschen so stark verabscheuen kann, aber dann begegne ich ihnen persönlich und mir offenbaren sich alle Gründe, wie es in erster Linie dazu gekommen ist. Als hätte er meinen Blick gespürt, begegnen Ephraims Augen meinen und seine zuvor lächelnde Miene starrt mich nieder. Immerhin bin ich mit meiner Abneigung nicht allein. Ephraim und ich ähneln uns in gewissen Aspekten unseres Lebens so sehr, dass man eigentlich meinen könnte, wir müssten uns gut verstehen – wir studieren dasselbe, wir haben dieselben Hobbys. Aber aus der Sache ist nichts geworden, als wir unseren ersten Tag in der Grundschule hatten – ja, wir sind schon damals auf dieselbe Privatschule gegangen – und er grundlos damit begonnen hat, mir seinen Blumenstrauß ins Gesicht zu fegen. Natürlich ist die Sache zu einer Prügelei eskaliert, bis wir beide geblutet haben, da wir ausgerechnet mit Rosen gekämpft haben. Es wäre vielleicht weniger schlimm gewesen, wenn sie wenigstens keine Dornen mehr getragen hätten. Und traurigerweise wurden wir deswegen schon am allerersten Schultag für eine Woche suspendiert. Das war der erste und einzige Kampf, bei dem wir handgreiflich wurden. Mittlerweile sieht die Geschichte anders aus, denn wir sind viel älter und um einiges klüger, sodass wir wissen, wie wir uns gegenseitig verletzen können, ohne uns dabei zu berühren.

„Willkommen zur heutigen Versammlung", erklingt es durch die Lautsprecher und ich zucke zusammen, während ich meinen Blick wieder nach vorne richte. Ich war so fokussiert auf Ephraim, dass ich für einen Moment meine Umwelt vergessen habe. Mr. und Mrs. Abbot – der Direktor und die Direktorin der Schule – stehen vorne und sehen auf uns hinab. Mrs. Abbot überlässt ihrem Ehemann das Wort und streicht sich währenddessen ihre schwarze Krawatte zurecht. „Vor genau einem Monat ist Mathilda Harding von uns gegangen", beginnt er die Rede. Mein Atem stockt, während ich mit den Tränen zu kämpfen habe. Es sind mittlerweile keine Neuigkeiten mehr, aber sie tun trotzdem jedes Mal aufs Neue weh. Es ist jedes Mal schmerzhaft, wenn ich ihr von meinem Tag erzählen möchte und sie nicht da ist. Wenn ich sie brauche oder mich nach ihr sehne und sie nicht da ist. Blaire legt ihre Hand beruhigend auf meine und ich zwinge mich, tief durchzuatmen und die Nerven hier nicht zu verlieren.

„Nach langen Durchsuchungen und Ermittlungen dürfen wir nun bestätigen, dass es sich bei ihrem Tod um einen Suizid gehandelt hat. Die genauen Gründe dafür sind nicht klar, allerdings ist dies ein klares Zeichen, dass wir nochmals betonen müssen, wie wichtig es ist, sich bei Suizidgedanken an Bezugspersonen zu wenden. Ab nächster Woche wird für alle eine Einführungsfach für diesen Bereich eingeführt und es wird ab jetzt auch mehr Personal an der Wellington Academy geben, das sich um diese Fälle kümmert." Mr. Abbot tauscht einen bestätigenden Blick mit Mrs. Abbot und das Pärchen, das sich mittlerweile in ihren frühen Sechzigern befindet, nickt der Menge zu, ehe es wieder von der Bühne verschwindet.

Es geht alles so schnell, dass das Schweigen im Raum hängen bleibt und alle für eine Weile sitzen bleiben, während die Worte einsacken. Die Absätze meiner Schuhe klickern viel zu laut auf dem Boden, als ich die erste bin, die aufsteht und den Raum verlässt. Ich kann mich nicht nach Blaire oder meinem Bruder umsehen, denn plötzlich ist alles wieder so, wie es vor einem Monat gewesen ist. Plötzlich stehe ich wieder vor dem Grab meiner besten Freundin und ich lese die Einschrift, während die Realität andere Pläne hat als ich. Während alles schiefgeht, nichts so funktioniert, wie ich es gerne hätte. Und der Schmerz – oh Gott, der Schmerz, der sich in meiner Brust festsetzt! Als wäre mein Herz der Boden, in den sich der Anker meines Leids gebohrt hat. Ich kann mich nicht davon trennen, während ich aus dem Versammlungssaal verschwinde und der Wahrheit entkommen möchte, die sich mir offenbart hat.

Bisher hat es gut funktioniert, auf die ganze Welt wütend zu sein, weil irgendjemand davon mir Mathilda genommen haben könnte. Ich habe mir die ganze Zeit eingeredet, dass sie sich vielleicht doch nicht selbst das Leben genommen hat. Aber jetzt sieht die Sache ganz anders aus, denn jetzt sind die Ermittlungen scheinbar vorüber und ich kann nur noch auf Mathilda wütend sein. Meine Sicht verschwimmt in dem Moment, als ich meine Zimmertür hinter mir schließe. Es tut so unendlich weh, dass ich mich krümme und zu Boden sinke. Mir ist egal, dass ich vermutlich dabei bin, meinen Verstand zu verlieren oder dass meine Schuluniform so viele Falten davontragen wird, dass ich sie neu zur Waschstation bringen muss. Ich schlage mir die Hände vor das Gesicht, weil es mir nicht einmal Komfort bietet, hier zu sein, weil das hier nicht mehr mein Rückzugsort ist, sondern nur ein weiterer Albtraum.

Absolut alles an diesem Ort ist ein Albtraum, von meiner vollen bis zu Mathildas leeren Zimmerhälfte. Von dem Licht, das durch das Zimmerfenster dringt, bis zu dem Licht, das von ihrer nicht mehr an den Wänden hängenden Lichterkette fehlt. Weil sie fehlt, weil all ihre Sachen fehlen. Ich traue mich nicht einmal mehr über die unausgesprochene Grenze dieses Zimmers zu gehen und Mathildas Zimmerhälfte zu betreten, weil es sich anfühlt, als würde ich dadurch einen Raum beanspruchen, der gar nicht mir gehört. Dabei ist das lächerlich, denn sie hätte niemals etwas dagegen gehabt, dass ich in ihre Zimmerhälfte gehe. Ich war ständig dort, genau wie sie auch ständig auf meiner Seite gewesen ist. Aber jetzt ist die unausgesprochene Erlaubnis nicht mehr da und ich kann es nicht mehr tun. Ich könnte es nicht einmal tun, wenn ich mich nicht fühlen würde, als würde ich in ihre Privatsphäre eindringen. All die Erinnerungen in diesem Zimmer führen dazu, dass ich es kaum ertrage, mich hier aufzuhalten. Nicht, dass es im Moment wirklich einen Ort gibt, an dem ich mich gerne aufhalte.

Überall sind andere Menschen, die wissen, wie viel mir Mathilda bedeutet hat. Deren Mitleid macht die Situation meistens nur noch schlimmer als sie ohnehin schon ist. Gott, ich fühle mich, als würde ich sterben, weil ich beinahe an meinen Tränen ersticke. Mein Kopf fühlt sich, als hätte ich tausende Nadeln darin und es ist plötzlich so bedrückend, überhaupt zu existieren. Ich schätze es, dass ich noch lebe, aber manchmal frage ich mich, wie ich so weitermachen soll. Gerade als ich einigermaßen die Kurve gekriegt habe, kommt aus dem Nichts so eine Versammlung. Gerade als ich geglaubt habe, dass das Schlimmste vorbei ist, musste alles noch einmal hochkommen.

Sie hat sich das Leben genommen. Sie hat sich das Leben genommen, sie hat sich das Leben genommen, sie hat sich das Leben genommen. Sie hat sich das Leben genommen.

Ich halte mir die Hände über die Ohren, als könnte ich so das unerträgliche Mantra in meinem Kopf stoppen. Als könnte ich dadurch etwas erreichen. Ich schließe meine Augen, damit ich unseren Raum nicht mehr sehen kann, nicht einmal annähernd, nicht einmal verschwommen. Ich ertrage es schlicht und einfach nicht.

Ich weiß gar nicht, was ich an dieser Situation am schlimmsten finde. Dass ich mich davon überzeugt habe, dass es sich um einen Mord handelt oder dass ich komplett ausgeblendet habe, dass sie sich das Leben selbst genommen haben könnte, obwohl das von Anfang an alle vermutet haben. Ich atme tief durch und versuche, meine Erschütterung wegzudenken. Wieso hatte ich jeden Tag Panik um mein Leben, darum, dass ein Mörder frei herumläuft, statt dass sie allem selbst ein Ende bereitet hat? Wieso habe ich es nicht kommen sehen? Wieso hatte ich immer das Gefühl, dass Mathilda der glücklichste Mensch auf diesem Planeten war?

Meine Atmung stockt. Sie hat keinen Abschieds-Brief hinterlassen. Sie ist nicht klischeehaft im Badezimmer ums Leben gekommen, denn ich habe sie nicht gefunden...ich richte mich so schnell auf, dass mir schwindlig wird. Natürlich habe ich nie etwas von einem Selbstmord angenommen, weil die Details nicht bekannt gegeben wurden. Ich habe mich so blind in meine Wut und in meine Trauer gesteckt, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Aber jetzt ist es so weit und die Fragen überströmen meinen Kopf. Alles, was geheim gehalten wurde, alles, was ich nicht weiß, erhält ein dickes rotes Fragezeichen.

Was genau ist geschehen, als sie sich das Leben genommen hat? Wieso genau vor einem Monat - was war der Auslöser? Wie hat sie es getan und wieso hat sie es auf diese Art getan? Wo, wann und von wem wurde sie gefunden? Die Fragen häufen sich, denn das schlichte Mathilda ist gestern, vorgestern, vor einer Woche auf eine tragische Art und Weise von uns gegangen tut die ganze Arbeit nicht mehr. Ich brauche Antworten auf die Fragen, denn jetzt kann ich nicht mehr davon ausgehen, dass sie irgendwann folgen werden und ich mir die Zeit nehmen kann, um auseinanderzubrechen. Ich weiß auch schon, wem ich einen Besuch abstatten werde, um die Details herauszufinden, die ich brauche, um zumindest ein bisschen Seelenfrieden in Bezug auf Mathildas Tod zu finden. Es kann nämlich nicht sein, dass ich einen Monat auf Details gewartet habe und jetzt nur den Knochen hingeworfen bekomme, dass sie ihr Leben selbst beendet hat. Ich bestreite nicht, dass es so geschehen sein könnte, aber ich brauche eine genaue, plausible Erklärung und Schilderung, denn sonst treibe ich mich selbst in den Wahnsinn. Und ich weiß auch, wer ebenfalls daran interessiert sein könnte.

Uiuiui, da fängt die Geschichte also schon offiziell an 🤩

Wie hat euch das Kapitel gefallen?

Was haltet ihr von der Blumenstrauß-Prügelei zwischen Baby-Helena und Baby-Ephraim 😂😌?

Ich hoffe, dass euch dieses Kapitel gefallen hat und dann lesen wir uns im nächsten wieder — es wird schon bald weniger chaotisch, aber das Kapitel ost auch nur ein Einstiegskapitel gewesen und es tut mir leid, dass es ein wenig holprig war 😬💛✨

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