13 - Ein Spinner

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Ich bemerkte kaum, wie die Zeit verflog. Nach ein paar Runden warf Shivan einen Blick auf sein Handy und richtete sich dann auf, um aus dem Fenster zu sehen.

„Okay, Bock noch was cooles zu machen? Wenn ja, müssen wir jetzt los, inzwischen wird's schon echt früh dunkel."

„Was ist denn was cooles?", fragte ich nach. Ich legte den Controller vor mir auf den Boden und dehnte meinen schmerzenden Rücken. Mein Sessel Zuhause war definitiv bequemer.

„Das ist eine Überraschung", grinste Shivan. „Aber es wird dir bestimmt gefallen."

„Von mir aus", willigte ich ein und so machten wir uns auf den Weg.

Shivans Mutter stand in der Küche und wärmte das Curry auf, ich besuchte noch kurz das Bad, dann traten wir durch den nervigsten aller Vorhänge auf den Flur und zogen unsere Schuhe wieder an.

„Wie hältst du's nur mit all diesen Vorhängen aus, ey?", seufzte ich, während ich mich auf den Stufen niederließ.

„Ich kiffe", lachte Shivan und zuckte dann die Schultern. „Nein, irgendwann ist es nur noch ein nerviges Hintergrundgeräusch."

„Hört es irgendwann auch auf nervig zu sein?"

„Nein." Er schüttelte entschieden den Kopf. „Und wenn ich schlecht drauf bin, sind die Scheißteile die Hölle. Wenn ich krank bin, sind's die Räucherstäbchen. Glaubst gar nicht, wie oft die getriggert haben, dass ich kotze." Er hielt beim Binden seines zweiten Schuhs inne und schaute mich kurz entschuldigend an. „Das war wahrscheinlich wieder so 'ne Sache, die du nicht wissen wolltest."

„Alles gut", winkte ich ab und lächelte ihn an, das beruhigte ihn wieder.

„Sehr gut, dann mal los."

Motiviert sprang er auf und ich griff ans Geländer, um mich auf die Füße zu ziehen.

Wir begaben uns zu einer Bushaltestelle und fuhren aus der Stadt raus. Der Himmel war mit dunklen Wolken verhangen, aber regnen tat es nicht. Glücklicherweise, wie ich fand, als wir eine halbe Stunde später eine Art unbefestigten Feldweg hinabliefen. Rechts und links fassten Elektrozäune große Wiesen ein, vor uns tat sich ein angerostetes Metalltor auf.

Shivan schob es mithilfe seines kompletten Körpergewichts auf, ließ mich hindurch treten und schloss es unter ebenso großer Anstrengung wieder.

Wir befanden uns auf einer Art Hof. Rechts war ein längliches Gebäude, das eine Scheune oder ein Stall sein konnte, links stand ein bereits in die Jahre gekommenes Wohnhaus. Überall wuchsen Pflanzen und kamen Ranken von Dächern und aus Mauern.

„Warte hier!", sagte Shivan, machte eine Geste mit den Händen und eilte dann auf das Stallgebäude zu. Er verschwand im Inneren und einige Minuten vergingen, bis er wieder auftauchte. In der Tür blieb er kurz stehen, grinste mich an, dann führte er ein Lama zu mir auf den Hof.

Ein äußerst hässliches Lama.

Das hässlichste, das ich je gesehen hatte, aber es war ja auch das erste, das live in voller Farbe und Größe vor mir stand.

„Das ist Jeffrey", grinste Shivan, als er mit dem Tier einen Schritt von mir entfernt stehen blieb.

Jeffrey trug ein rotes Halfter, das ihn nicht unbedingt hübscher machte.

„Hi", sagte ich zu dem Lama und betrachtete es skeptisch. „Spucken die nicht?"

„Nur, wenn sie dich nicht mögen, stimmt's, Jeffrey?"

Shivan lächelte und kraulte dem Lama den Hals. Langsam wanderte seine Hand nach oben, ging zwischen den Ohren hindurch und erreichte die Stirn. Jeffrey legte genüsslich den Kopf in den Nacken und ließ seine Unterlippe hängen.

„Das ist aber nicht das Lama von deinem Profilbild, oder?", fragte ich nach, während ich einen Schritt nach rechts machte, um Jeffrey von der Seite betrachten zu können. Zottelig hing das blonde Fell an ihm hinab.

„Doch", lachte Shivan, der noch immer mit Kraulen beschäftigt war. „Und wenn du Lust hast, können wir mit ihm spazieren gehen, das macht Spaß."

Vielleicht war er tatsächlich ein Spinner. Aber der coolste Spinner, den ich kannte, dachte ich, während ich ihn grinsend beobachtete.

„Halt ihm mal deine Hand hin. Damit er dich kennenlernen kann", forderte Shivan mich wenig später auf. Er zog seine Finger zurück und Jeffrey schaute ein wenig beleidigt drein. Dann wandte er mir seine Aufmerksamkeit zu. „Komm schon."

Shivan griff vorsichtig meine Hand am Handgelenk und schaute mich an, ehe er sie langsam näher an die Nase des Lamas führte.

Ich ließ ihn machen, bereitete mich aber innerlich darauf vor, gleich von dem Vieh gefressen zu werden.

Meine Hand erreichte das Maul. Ich kniff die Augen zusammen.

Nichts Schlimmes passierte.

Jeffrey biss mir nicht den Arm ab, nein, er schnupperte nur kurz und hatte dann das Interesse wieder verloren. Ungeduldig zog er an der Leine herum, die Shivan in der Hand hielt und versuchte, ihn in Richtung der Grasbüschel an der Mauer zu bewegen, die das Grundstück zum Eingang hin abschirmte.

Shivan schaute fast stolz zwischen uns beiden hin und her, nachdem er meine Hand wieder losgelassen und Jeffrey durchs Gesicht gestreichelt hatte.


Wir liefen mit dem Lama über eine feuchte Wiese in einen Wald hinein. Hier folgten wir einem breiten Sandweg, in dem bereits viele Spuren von Lamahufen zu sehen waren.

„Gehört Jeffrey dir?", fragte ich und Shivan schüttelte den Kopf.

„Der Hof gehört den Eltern von meinem besten Kumpel, die züchten die Lamas dort. Aber Jeffrey hier", er streichelte das Tier über den Hals, „ist mein absoluter Liebling. Wir sind so", er kreuzte zwei Finger miteinander, „und ich habe ihn adoptiert. Immer, wenn ich Zeit habe, komme ich her und kümmere mich um ihn. Im Sommer gehen wir manchmal zusammen baden."

Er hatte ein Lama adoptiert.

Ein Lama.

Adoptiert.

Und er ging mit ihm schwimmen.

„Meintest du nicht du gehst am Wochenende immer LARPen?", fragte ich nach.

Jeffrey riss einen Zweig von einem Baum ab und begann, darauf herumzukauen.

„Eigentlich schon. Hab ich aber für dich ausfallen lassen", erwiderte Shivan. „Muss Robin heute mal ohne meine Unterstützung auskommen und morgen ist ja auch noch ein Tag, um den König zu stürzen."

„Robin?"

„Robin Hood", grinste er. „In unserer Geschichte reicht es dem Anführer der Lustigen Geächteten nicht mehr der Rächer aus dem Sherwood Forest zu sein. Er möchte weitreichendere Veränderung schaffen und das geht nur, wenn er den König stürzt und seinen Platz einnimmt. Wir, die Diebe und Geächteten an seiner Seite, helfen ihm dabei, dieses Ziel zu erreichen und kämpfen mit Trug und List gegen die Soldaten des Königs. Und mit Pfeil und Bogen natürlich."

„Ist euer Robin denn auch so ein guter Bogenschütze?", fragte ich in Erinnerung an die Geschichte, die ich zuletzt als Kind gehört hatte.

„Nicht ganz so gut", lachte Shivan. „Aber auf jeden Fall nicht schlecht. Wäre sonst ja auch echt nicht authentisch."

Ich stimmte ein wenig unsicher in das Lachen ein. In meinem Kopf war nur das Bild, das Syl mit seinen Kommentaren vom LARP gemalt hatte. Von Typen, die verkleidet durch den Wald rannten.

Aber gut, wir liefen gerade mit einem Lama durch die Gegend, das war irgendwie nicht weniger verrückt.

„Und beim LARP? Was genau macht ihr da, also wie läuft das ab?", überwand ich mich zu fragen. Dass ich schon mal davon gehört hatte, musste ja nicht zwingend bedeuten, dass ich wirklich Ahnung hatte.

„Also, du hast einen Grundcharakter, zu dem gibt's auch einen Charakterbogen. Du kannst ein Zwerg oder Ork sein, ein Ritter, ein Barbar oder, wie in meinem Fall, ein Waldläufer. All diese Klassen haben unterschiedliche Kleidung, die man während des Spiels trägt. Ein Ritter zum Beispiel eine Rüstung und ein Schwert, ein Waldläufer genau das eben nicht. Diesen Charakter spielst du dann die ganze Zeit und verfolgst dabei meistens eine Story. Wir zum Beispiel haben die Legende von Robin Hood genommen und für unsere Zwecke abgewandelt, hab ich ja eben schon erzählt. Also bin ich jetzt kein Waldläufer mehr, sondern ein Geächteter, ein Dieb, in der Gefolgschaft von Robin Hood. Was man dann im Grunde macht ist zusammen leben, den Tag zusammen verbringen und, wenn man auf Gegner trifft, mit ihnen kämpfen", erzählte er.

„Und siegen", fügte ich grinsend hinzu.

„Und siegen", bestätigte Shivan und lächelte mich an.

„Ich hab so was noch nie gemacht oder gesehen. Klingt interessant", fuhr ich fort.

Shivan streichelte Jeffrey.

„Ja, macht echt Spaß. Kannst ja mal mitkommen, wenn du Lust hast", bot er an und ich zuckte die Schultern.

„Mal sehen, vielleicht."

Ich wollte weder ablehnen, noch zustimmen. Keine Ahnung, ob LARP etwas für mich wäre, ob ich mich in diese mittelalterliche Welt einfinden und irgendeinen ausgedachten Charakter darstellen könnte. Fantasy und dieses ganze Zeug war ohnehin nie so wirklich mein Ding gewesen und der Sportlichste war ich auch nicht. Wenn ich also daran dachte, mit anderen kämpfen zu müssen oder mich möglicherweise in einer richtigen Schlacht zu befinden, wurde mir ein wenig unwohl.

Aber ansehen konnte ich es mal, das wäre vielleicht ganz interessant.


Es dämmerte bereits, als wir Jeffrey wieder in seinen Stall zurückbrachten. Meine Füße schmerzten und ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass ich dringend zum Bahnhof zurück musste. Inzwischen war es zwanzig nach sechs und selbst, wenn ich auf der Stelle losfahren würde, wäre ich nicht vor neun Zuhause.

„Wie lange brauchen wir von hier zum Bahnhof?", fragte ich, nachdem Shivan erneut unter Anstrengung das Tor für uns geöffnet und geschlossen hatte.

„Ich weiß nicht, wann der Bus kommt. Aber mit dem sind's etwa fünfzig Minuten", meinte er und schaute mich forschend an. „Schlimm?"

„Wird spät bis ich wieder Zuhause bin", erwiderte ich und zuckte die Schultern.

„Tut mir Leid, falls ich dir jetzt Umstände gemacht hab. Das wollte ich nicht", entschuldigte er sich sogleich und legte einen Zahn zu.

Auf den Bus mussten wir glücklicherweise nur zehn Minuten warten, um zwanzig vor Acht standen wir an dem Gleis, von dem mein Zug fahren würde. Inzwischen hatte ich wieder richtig Hunger und freute mich schon darauf, mir bei uns am Bahnhof einfach noch zwei Burger zu holen, bevor ich mich endgültig auf den Heimweg machte.

„Sorry, dass es so spät geworden ist", entschuldigte Shivan sich erneut. Er rieb mit einer Hand über seinen Oberarm, während er die andere in seiner Hosentasche vergrub.

„Ist nicht schlimm, ist ja Wochenende", beruhigte ich ihn. Ich war schon öfter ein wenig länger bei Syl gewesen, also sollte das eigentlich kein großes Problem werden.

Zwanzig Minuten verbrachten wir noch am Bahnsteig, dann wurde mein Zug zur Einfahrt angekündigt.

„Ich fand's echt schön", lächelte Shivan. „Danke, dass du da warst."

„Mir hat's auch gefallen. Und Jeffrey ist echt verrückt, aber auch ziemlich cool", erwiderte ich ebenfalls mit einem Lächeln.

Vielleicht war Shivan wirklich ein Spinner, aber eigentlich war das in Ordnung. Wer bei so einer Mutter aufwuchs, der konnte nicht ganz normal werden, und das meinte ich keinesfalls böse.

Er war tatsächlich etwas Besonderes und anders, als die Menschen, die ich bisher so kennen gelernt hatte. Wie er einfach die Dinge tat, die ihm gefielen, machte ihn zu einem wirklich tollen Typen, fand ich.

„Komm gut nach Hause", sagte Shivan, während der Zug in den Bahnhof rauschte. Erneut umarmte er mich lang und fest, ehe er mich gehen ließ.

„Du auch", erwiderte ich und schaute mich zu dem Gefährt um, das gerade seine Türen öffnete.

„Schreib mir, wenn du sicher angekommen bist, ja?", bat er und ich nickte grinsend.

„Wird gemacht. Tschüß!"

Ich wandte mich zum Einsteigen.

„Tschüß!"

Shivan blieb noch stehen, bis der Zug losfuhr und winkte mir, ehe er am Horizont verschwand.

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