23 - Formidabilität

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Shivan hockte unter dem Vordach und hielt eine qualmende Zigarette in seiner Hand. Nein, halt, keine Zigarette. Ich kannte den Geruch. Einen Joint.

Er sah auf, als die Tür hinter mir ins Schloss fiel.

„Wie war's?", fragte er nasal und pustete den Rauch aus, den er bis dahin in seiner Lunge gehalten hatte.

„Was machst du?", fragte ich dümmlich, statt ihm eine Antwort zu geben.

Shivan warf einen Blick auf den Joint, zog, und sah mich dann wieder an.

„Kiffen", meinte er und verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein.

Ich hockte mich neben ihn und versuchte den süßlichen Qualm nicht einzuatmen. Das ganze war mir nicht geheuer und wer wusste, was passieren würde, wenn ich ihn einatmete?

„Stört's dich?", fragte Shivan.

Ich schüttelte den Kopf, was sollte ich auch sagen? Ja? Es war nicht meine, sondern seine Entscheidung. Ich hoffte nur, dass meine Mutter später nichts riechen würde.

„Hast du keine Angst erwischt zu werden?", flüsterte ich nach zwei weiteren Zügen.

Shivan zuckte mit den Schultern.

„Nicht wirklich. Und wenn, viel passieren würd' da eh nicht."

Ich nickte und verstummte wieder, während die Regentropfen einen gleichmäßigen Rhythmus auf den Boden trommelten.

Shivan rauchte auf und drückte den Joint schließlich sorgfältig auf den nassen Steinen aus, ehe er sich aufrichtete und den Stummel in seiner Jackentasche verschwinden ließ.

„Also, wie lief's noch?"

Er lehnte sich mit der Schulter gegen die Hauswand, direkt unter die Nummer 237.

„Wie soll's schon gelaufen sein?", gab ich zurück und bemühte mich, meinen Unmut jetzt nicht an ihm auszulassen. Das wäre nicht fair.

Shivan nickte mitfühlend. Seine Hände hingen locker in seinen Jackentaschen und seine ganze Haltung strahlte wieder unfassbar viel Entspannung aus. Für einen Moment wünschte ich mir eine seiner herzlichen Umarmungen, aber danach zu fragen oder einfach vorzutreten und ihn in die Arme schließen, traute ich mich nicht.

„Versuch's morgen nochmal. Vielleicht hat er dann einen besseren Tag", schlug er zuversichtlich vor.

Ich bezweifelte es. So positiv gestimmt, das annehmen zu können, war ich nicht. Syl hatte mir mehr als deutlich gezeigt, dass er meine Anwesenheit nicht wollte, also würde ich ihn in Ruhe lassen. Ich hoffte nur, dass ihm klar war, dass er sich immer melden konnte.

Shivan und ich gingen wieder zu mir nach Hause, wo ich im Badezimmer meine nasse Kleidung gegen trockene tauschte. Ihm waren meine Sachen viel zu groß, aber er ließ sich trotzdem eine Jogginghose und einen Pulli von mir andrehen.

Irgendwie schockierend zu sehen, wie dick ich sein musste, wenn Shivan so in dem ganzen Stoff unterging. Er war zwar auffallend schmal gebaut, aber trotzdem ...

Eine halbe Stunde später saßen wir beim Essen mit meinen Eltern und ich hatte keinen Hunger, während Shivan Syl in seiner Verfressenheit in nichts nachzustehen schien. Lag vermutlich an dem Gras, das er geraucht hatte. Das verursachte doch Fressflashs, oder?

Mir jedenfalls lag der Streit mit Syl schwer im Magen und zusätzlich fühlte ich mich unwohl in meinem Körper. Wenn ich weiterhin so viel aß und immer noch Chips und Süßigkeiten in mich rein stopfte, würde ich nie abnehmen. Generell tat ich überhaupt nichts dafür. Machte keinen Sport, ging nicht mal vor die Tür ... Ich saß nur an meiner verdammten Konsole, deren Verlust für mich tatsächlich das Schlimmste wäre, da hatte Syl schon Recht.

„Und ... Shivan. Was machst du so?", fragte mein Vater gerade. Es war nicht zu übersehen, wie befremdlich er den Namen fand, aber das war bei Sylvester wahrscheinlich nicht anders gewesen. Allerdings war ich zu klein gewesen, als wir uns angefreundet hatten, um mich an so etwas noch erinnern zu können.

„Ich geh' zur Schule", erzählte Shivan brav, nachdem er geschluckt hatte. Manieren hatte er definitiv bessere vorzuweisen als mein bester Freund, was wohl auch meiner Mutter positiv auffiel, war sie doch sonst schon kein Fan von Shivan. „Elfte Klasse."

„Ah, sehr schön. Du machst also dein Abitur", beteiligte sie sich nicht ohne mir einen Blick zuzuwerfen, der wohl so viel bedeuten sollte wie: Wenn du dir keine Mühe gibst, wird das bei dir nie was.

„Genau", bestätigte Shivan und schob sich die nächste Gabel Blumenkohlauflauf in den Mund.

„Unser Denny hier geht ja auch noch zur Schule", führte mein Vater dieses unglaublich sinnentleerte Gespräch fort.

„Ich weiß", erwiderte Shivan mit einem leichten Lächeln.

Ich war mir sicher, dass ihm dieses Gespräch unter normalen Zuständen schwerer gefallen wäre. Dass er irgendwie nervös gewesen wäre. Warum ich das glaubte, wusste ich nicht. Es war nur so ein Gefühl.

Aber jetzt war er ja ... wie sagte man? High? Stoned? Gab es da einen Unterschied?

„Willst du gar nichts essen?", fragte meine Mutter mich mit einem Blick auf die kleine Portion auf meinem Teller, die noch unangerührt war.

„Ich hab keinen Hunger", murmelte ich und erwartete schon, dass sie mich zum Essen zwingen wollte, wie auch zu sonst allem. Aber sie nickte bloß verständnisvoll.

„Ich stell dir einfach die Reste in den Kühlschrank, falls du später noch was essen möchtest", beendete sie das Thema.

Dankbar nickte ich ihr zu.


Wirklich viel blieb dank Shivan zwar nicht übrig, aber das war mir egal. Ich hatte ohnehin nicht vor heute nochmal etwas zu mir zu nehmen. Ich war einfach froh, als wir wieder in meinem Zimmer waren.

„Wann soll ich eigentlich gehen?", fragte Shivan und ich zuckte zur Antwort die Schultern. Es war inzwischen sechs Uhr und er musste selbst wissen, wie spät er den Zug nehmen wollte. Meinetwegen musste er weder bleiben noch gehen, auch wenn ich wahrscheinlich nicht die beste Gesellschaft war.

„Du bist ziemlich wortkarg", stellte er fest und ich zuckte erneut die Schultern.

Was sollte ich auch sagen? Kam eh nur Mist bei rum.

„Was ist los, Denny?", fragte Shivan. Er lag wieder auf meinem Bett und rutschte nun ein Stück vor, um mit seinen Fingern den Laminatboden berühren zu können.

„Blöde Frage", murmelte ich, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, meinen Ärger nicht an ihm auszulassen.

„Du machst dir Sorgen um deinen besten Kumpel, ich weiß. Aber ich weiß leider nicht, wie ich dir helfen kann, so gerne ich es würde. Vielleicht braucht er einfach Zeit, lass dich davon nicht einschüchtern. Er hat 'ne Menge Mist, mit dem er jetzt erst mal klarkommen muss, er meint es bestimmt nicht böse."

Ich konnte nichts dafür, was passiert war, oder? Hätte ich mich bei der Polizei vielleicht doch anders verhalten sollen? Und was würden die Richter entscheiden?

Shivan kletterte aus meinem Bett und setzte sich vor meinem Sessel im Schneidersitz auf den Boden. Ich musste mich drehen, um ihn ansehen zu können und fühlte mich unwohl, so weit über ihm zu sitzen. Wie ein Elefant. Schnell rutschte ich ebenfalls auf den Boden.

Schon wieder nur Schulterzucken von meiner Seite.

„Dich stört noch etwas anderes, oder?", vermutete Shivan und erst, als er es aussprach, wurde mir selbst bewusst, dass er Recht hatte. „Dass ich gekifft hab'."

Irgendwie schon. Wieso brauchte er Drogen, wenn er Zeit mit mir verbrachte?

Mehr als ein Schulterzucken kam schon wieder nicht, obwohl die Antwort in meinem Kopf sehr explizit formuliert vorlag.

Aber Shivan schien über die Fähigkeit des Gedankenlesens zu verfügen, denn er sagte zu meiner nicht ausgesprochenen Antwort: „Wenn du bereit für noch mehr negative Schwingungen bist" - er imitierte mit seinen Armen eine Welle - „erklär ich dir, wieso."

„Okay."

Wow, ein verbales Schulterzucken.

„Ich weiß, bei meiner Formidabilität würde man das nie glauben, aber fremde Menschen machen mich verdammt nervös. Liegt wahrscheinlich nicht zuletzt an meinen netten Stufenkameraden, die nicht allzu viele nette Worte übrig haben für den Freak mit dem seltsamen Haarschnitt und dem komischen Namen, der verkleidet durch den Wald rennt und mit Lamas spazieren geht, während seine Mutter nicht alle Tassen im Schrank zu haben scheint. Das mit Syl war einfach eine scheiß Situation für mich und ich wollte mich ein bisschen entspannen, statt dir den Rest des Abends mit meinen Problemen auf den Sack zu gehen. Du hast genug eigene."

Er lächelte mich schüchtern an und mir wurde klar, dass er nicht nur wenig über mich gewusst hatte, sondern ich auch nie nach ihm gefragt hatte. Ja, die oberflächlichen Dinge, die jeder, selbst seine Mobber, kannten, hatte er mir offenbart. Aber tiefer gebohrt hatte ich nie. Nicht mal gewusst, dass er noch zur Schule geht, hatte ich, bis mein Vater sich vorhin am Esstisch danach erkundigt hatte.

„Tut mir Leid ... Das wusste ich nicht ...", erwiderte ich, der Junge mit dem simpelsten Leben und den größten Komplexen überhaupt.

„Quatsch, konntest du auch nicht wissen und ist auch nicht wichtig. Was die Affen da von sich geben ist mir egal, es ist einfach nicht schön, auf Ablehnung zu stoßen. Deswegen der Joint."

Er lächelte beruhigend und wirkte überhaupt nicht zugedröhnt.

Machte ein Joint vielleicht gar nicht so einen Unterschied? Wie, wenn Erwachsene nur ein Bier tranken oder ein Glas Wein?

„Was denkst du?", fragte Shivan.

Ich antwortete wahrheitsgemäß, denn es brachte nichts, wenn ich mir den Kopf über Dinge zerbrach, von denen ich keine Ahnung hatte. Er würde es schon richtig verstehen.

Tatsächlich grinste er.

„Keine Sorge, ich hab nicht viel rein getan. Nur genug, um ein bisschen runterzukommen, ein bisschen abzuschalten. Ich verschwende doch nicht unsere gemeinsame Stunden damit, mich abzuschießen."

Er zwinkerte mir zu und lachte, aber ich fühlte mich nicht bereit, richtig mit einzustimmen. Das, was ich von mir gab, klang eher, als hätte ich mich verschluckt.

Shivan seufzte.

„Mensch, Denny, du bist viel zu unentspannt", meinte er, stand dann auf und lief um mich herum. Er schob den Sessel weg und ließ sich dann hinter mir nieder. „Raste bitte nicht direkt wieder aus, okay, das hier hat nichts mit Homoerotik zu tun. Nichts."

Mit diesen Worten legte er seine Hände auf meine Schultern und begann, mich zu massieren.

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