22 - Unter der Silberweide

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Die Stille, die sich über uns legte, als ich durch die tiefhängenden Äste der Silberweide trat, war erdrückend.

Mein Rudel hatte es sich unter der Baumkrone gemütlich gemacht. Die dünnen Zweige der Weide reichten bis zum Boden und schmiegten sich um uns wie ein seidiger Baldachin. Das Sonnenlicht schimmerte durch die Blätter, wodurch ein sanftes, silbergrünes Leuchten im Inneren entstand.

Es war der Ort, an welchem sich die Frischlinge nach ihrer Mondprägung trafen und — wie es Brauch war — betranken.

Lyra sprang sofort vom dicken Ast, auf welchem sie gesessen hatte, und schloss mich in ihre Arme.

„Du bist gekommen!"

Ich drückte sie und kuschelte meinen Kopf an ihren Hals. Sie roch nach Wald, Kräutern und Alkohol.

„Natürlich", erwiderte ich. Wir lösten uns voneinander und ich deutete auf die Zwillinge, Faolan und Wren. „Ich kann dich doch nicht mit diesen Flaschen alleine feiern lassen."

Wren funkelte mich an, doch es war Ash, der die Arme ausbreitete, als hiesse er mich unter dem Baum willkommen.

„Faye klopft endlich Sprüche!", grölte er.

Das löste die Anspannung auf. Sie alle verfielen in ein Gelächter und ich mühte mich ab, zu grinsen. Bei Sola, ich wollte nicht, dass ich meinem Rudel die Feierlaune verdarb. Sie hatten es verdient, dass wir den Vollmond und die Vollziehung ihres Seelenbandes mit einem ausgelassenen Fest ehrten. Mein Versagen sollte nicht im Zentrum stehen.

„Haben sie verraten, was sie mit dir tun werden?", wollte Faolan in Erfahrung bringen.

Er sass am Boden und lehnte mit dem Rücken am Baumstamm der Weide. Wren hatte ihre Beine über seine gelegt, als hätte sie ihn bereits vollkommen für sich beansprucht. Er streichelte ihre Schenkel zärtlich.

„Wir kamen nicht dazu", antwortete ich und linste vorsichtig zu Lyra. „Lycan hat mich angeschrien und dann musste Thorne dazwischentreten."

Lyras Augen wurden riesig. „Mein Bruder hat dich angeschrien?"

Sie liess es so klingen, als geschehe das selten. Ich biss mir auf die Unterlippe.

„Er war nur mässig begeistert... von allem... besonders von mir."

„Aber gekickt haben sie dich nicht?", hakte Ash nach.

Mein Achselzucken war halbherzig. „Noch nicht, denke ich."

Lyra schob mich am Kreuz weiter vor, bis ich in der Mitte stand. „Sie können dich nicht aus dem Rudel werfen, weil ich das nicht zulassen werde! Weil wir das nicht zulassen werden!" Sie liess den Blick über die anderen schweifen. „Stimmt's? Wir sind ein Rudel und ein Rudel hält zusammen!"

Faolan nickte augenblicklich, was ihm Wren etwas zögerlich nachtat. Ash grinste zustimmend. Sorrel erhob sich in dem Moment und trat auf mich zu. In seiner Hand hielt er einen Becher, in welchem eine undefinierbare Flüssigkeit schwappte. Er streckte mir das Getränk hin.

„Wir lassen niemanden hängen", sagte er und blickte mich so intensiv an, dass mir warm wurde.

Meinte er meinen kleinen Moment des Zweifels, als ich so nahe bei der Mauer gestanden hatte und den Kürzeren ziehen wollte? Er hatte es verhindert, hatte versucht, mich zu überreden, es nicht zu tun. Seine Beweggründe waren mir noch immer schleierhaft. Ich konnte ihm beim besten Willen nichts bedeuten.

Sorrel drückte mir den Becher in die Hand. Ich hob ihn an die Nase und schnupperte daran. Der scharfe Geruch von Kräutern frass sich in meine Nasenlöcher und ich musste augenblicklich das Gesicht verziehen. Das war ein starkes Gebräu, was er mir anbot. Auf leerem Magen würde es sofort seine Wirkung entfalten. Die Wirkung, die ich mir sehnlichst wünschte: Taubheit.

„Das ist als Entschuldigung dafür, dass wir deinen Wolf vertrieben haben", meinte er.

Ein Schmunzeln formte sich auf meinen Lippen, das vermutlich mehr schlecht als recht aussah. Sorrel hielt noch immer an seiner Theorie fest, dass mein Wolf sich gefürchtet haben soll und ich war ihm in dem Moment dankbar. Dafür und dass er mich wegen meiner Zwiespältigkeit nicht so wie Lycan verurteilte.

Faolan setzte sich sogleich auf. „Wir haben Fayes Wolf vertrieben?"

„Es ist eine Vermutung, ja", antwortete Sorrel.

„Was?", kreischte Lyra und fiel fast wieder vom Ast, auf welchen sie zurückgeklettert war.

Sorrel rieb sich die Schläfen. „Deine schrille Stimme hat ihn verjagt!"

Lyras Mund formte sich zu einem O. Ich winkte schnell ab, bevor sie sich alle noch Vorwürfe für etwas machten, was gewiss nicht in ihrer Verantwortung lag. Mein Wolf hatte mich nicht gewollt und das lag sicher nicht an ihnen, sondern an mir.

An mir allein.

„Lasst uns das doch einfach vergessen — zumindest für heute", bat ich sie. „Wolltet ihr nicht eure Prägung feiern?" Ich blickte um mich und bemerkte erst in dem Moment, dass die Wölfe gar nicht da waren. „Wo sind denn eure Gefährten?"

Ash deutete mit dem Daumen hinter sich, durch das Blätterdach der Weide. „Sie sind in der Wolfsgrube im Dorf. Dort müssen sie die anderen Wölfe kennenlernen. Wir nennen es die Initiation."

Ich nickte und tat so, als ob ich wüsste, wovon er sprach. In meiner Vorstellung waren solche Eingliederungsrituale zwischen Wölfen mit Rangkämpfen verbunden. Aber was verstand ich schon vom Leben mit Gefährten? Meiner war ja nicht gekommen.

„Für heute hatten wir genug von den Vierbeinern", unterbrach Sorrel meinen Gedankengang. Er legte seinen breiten Arm um meine Schultern und zwang mich, mich an seinen Platz zu setzen. Er kletterte auf den Ast neben Lyra. Das Holz ächzte unter seinem Gewicht.

„Lasst uns saufen!", rief er über unsere Köpfe hinweg.

Ash schenkte gleich allen Kräuterschnaps nach, dann hoben er und Sorrel die Becher zum Anstossen in die Luft. Ich streckte ihnen meinen auch entgegen, ebenso taten es Wren, Faolan und Lyra.

Unsere Becher krachten aneinander.

„Auf uns!", prostete Lyra. „Das ungleichste, aber beste Rudel, das es im Wolfsbau je gegeben hat!"

„Auf die Wölfe!", stimmte Wren mit ein und lehnte sich an Faolan, der rief: „Auf den Zusammenhalt!"

Ich lächelte. „Auf eure Stärke!"

Sorrel nickte in meine Richtung. „Auf Luna!"

„Und auf die Sonne!", bretterte Ash heraus.

Die Gesichtszüge der anderen verrutschten sichtlich. Wren starrte Ash so schockiert an, dass sie mit ihren dunkel geschminkten Augen tatsächlich einem Waschbär sehr ähnlich sah. Lyra prustete laut los und schüttete dabei versehentlich etwas Kräuterschnaps über Sorrels Beine. Dem war das allerdings egal.

„Stellt euch nicht so an!", sagte Ash. „Die Sonne braucht es auch!" Er zwinkerte mir zu, sodass die Monde auf seiner Schläfe zu rollen schienen. „Warum sollten wir nur das Eine mögen? Wir täten gut daran, auch die Vorteile im Anderen zu sehen."

Missmutiges Grummeln erklang und grimmige Blicke wurden ihm zugeworfen.

Ash hob eine Hand beschwichtigend in die Höhe. „Der Mond kann ohne die Sonne nicht leuchten. Da! Da habt ihr's! Ich hab's zugegeben!"

Ein lauter Tumult brach aus, in welchem Wren und Sorrel vehement dagegen argumentierten. Sie schrieen, anstatt in normaler Lautstärke zu sprechen, als wäre es so entsetzlich, was Ash soeben von sich gegeben hatte. Faolan lachte sich in die Faust und Lyra kicherte wie verrückt.

Ich kippte mir den ganzen Kräuterschnaps in den Rachen und liess mir von dem Trunk die finsteren Gedanken vertreiben.

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Es wurde Nacht und meine Sinne versanken im Nebel des Rausches. Ashs Hand fuhr meine Kehle entlang bis zu meinem Kiefer und mit leichtem Druck zwang er mich, den Kopf in den Nacken zu legen.

Ich sah ihn verkehrt herum, denn er sass etwas erhöht über mir. Ich hatte mich zwischen seine Beine gesetzt. Mein Kopf lag in seinem Schoss, während er seine Augen über mein Gesicht schweifen liess. Sie glühten, trotz des Alkoholschleiers, der sich darüber gelegt hatte.

Die Wirkung des Mönchpfefferöls hatte nachgelassen. Ich war zu müde gewesen, um in Lyras Hütte danach zu suchen, und hatte deswegen in Kauf genommen, dass die Jungs mich umgarnten. Lyra hatte mir ins Ohr geflüstert, dass ich sowieso nicht mehr so stark nach Empfängnis rieche und ich die Kerle ruhig etwas reizen solle — als kleine, harmlose Rache für die Schikane, die wir von den beiden hatten ertragen müssen. Im Rausch hatte ich das eine hervorragende Idee gefunden.

Es fühlte sich gut an, gewollt zu werden.

„Deine Haut ist so weich", flüsterte Ash und fuhr mit dem Daumen über mein Kinn, bis er meine Lippen erreichte.

Er öffnete meinen Mund, fuhr mit der Fingerspitze über meine Unterlippe und dann hob er den Blick. Ein Becher wurde ihm gereicht. Er behielt seine Hand an meinen Kiefer, um sicherzustellen, dass ich ihm weiterhin in die Augen blickte, während er mir geschickt den Kräuterschnaps einflösste. Mit geweiteten Lippen starrte ich in seine Seele und ich sah das Funkeln darin, als ich bereitwillig seine Gabe annahm. Meine Lider flatterten nicht, während er sich in meinem Bann verlor.

Ich schluckte gefügig und fuhr mit der Zungenspitze über meine Lippe, streifte dabei seinen Daumen. Ash sog scharf die Luft ein.

„Faye, du bist wie die Sonne. An dir könnte man sich glatt die Pfoten verbrennen", schnaubte Sorrel daneben.

Ash schüttelte benommen den Kopf, während ich mir übers Kinn wischte und mich aufrecht hinsetzte. Seine Hand legte sich auf meine Schulter und ich liess sie dort, denn sie störte mich nicht. Sie verbreitete eine angenehme Wärme.

„Die extrem nützlichen Vorteile, wenn man von Sola gesegnet wurde", erwiderte ich. „Keiner traut sich, mich anzufassen, denn sie haben Angst, sie könnten zu Asche zerfallen."

Meine Zunge fühlte sich schwer an und ich hatte mehr gebrabbelt als gesprochen, doch es war mir einerlei.

Wir waren alle sturzbetrunken und die kleine, gemütliche Nische unter der Silberweide hatte sich nach dem Anstossen rasch in ein wildes Gelage verwandelt. Das Wetttrinken und die Gesänge hatte ich ziemlich unbeschadet überstanden. Nun waren wir an einem Moment angelangt, an welchem sich unsere Gruppe teilte.

Faolan und Wren knutschten ungehemmt am Fusse des Baumstammes. Wenn das so weiterging, dann würden sie sich bald die Kleider vom Leib reissen. Wren hatte sich rittlings auf meinen Freund gehockt, ihre Finger waren tief in seinen Locken vergraben und erkundeten alles, was ihnen in den Weg kam. Ihre Zunge tat vermutlich dasselbe mit seinem Mund.

Die anderen hatten mir verraten, dass diese sichtbare körperliche Anziehung normal sei. Wren und Faolan spürten den Rausch des Wolfspaares, wie Ash es bezeichnet hatte. Es war ein tief verankerter Trieb der Gefährten, seinen Lebenspartner zu finden und mit seinem Körper zu verehren, und äusserte sich in einer heftigen Gefühlsüberflutung, die keiner zu unterdrücken vermochte. Es war wortwörtlich stärker als sie. 

Darum hatten sich Wren und Faolan zu Beginn so dagegen gewehrt. Die Vorstellung, derart über einander herzufallen, hatte ihnen missfallen, aber nun schienen sie sich nie wieder voneinander trennen zu können.

Lyra sass am Rande des Baldachins im Schneidersitz am Boden. Sie hielt die Augen geschlossen und summte leise vor sich hin. Vor wenigen Augenblicken hatte sie draussen gekotzt und dann war sie zurückgekommen, um weiter zu trinken. Für ihre kleine Körpergrösse hielt sie sich im Kampf gegen die Nüchternheit wacker. Die Möglichkeit, dass sie meinen Wolf vertrieben haben könnte, hatte sie schwer getroffen und niemand hatte es geschafft, ihr das schlechte Gewissen auszutreiben.

Ich nahm noch einen grosszügigen Schluck von meinem Becher und erntete dafür einen Seitenblick von Sorrel, der wie sein Bruder über mir türmte. Sie waren wie zwei Krähen auf einem Ast. Zwei enorme Krähen. Ohne Flügel.

Abermals legte ich den Kopf in den Nacken, um dieses Mal Sorrel die Zunge rauszustrecken, aber die Welt begann sich viel zu schnell zu drehen und ich musste mich wieder aufrichten.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ihr Sonnenmenschen so viel trinken könnt", rechnete mir Sorrel hoch an. Er klang wirklich beeindruckt.

Ich rümpfte die Nase. „Ich stecke eben voller Überraschungen. Nicht nur ihr seid hart im Nehmen."

Ashs Augen glitzerten verschmitzt. „Wer auch immer dich als Partnerin wählt, wird sich die Zähne an dir ausbeissen."

Ausgerechnet, als ich dem Zwilling mit einem spitzen Kommentar kontern wollte, dass sich niemals jemand für mich entscheiden würde, denn dafür war ich schlichtweg zu heiss, heulte Lyra los.

„Ich will Thorne!", jaulte sie in einer Lautstärke, die mir in den Ohren schmerzte. Ein Schluchzen riss die letzten Mauern ihrer Selbstbeherrschung nieder. Jetzt lag ihr weinerlicher Kern offen vor uns. „Es ist so unfair, dass Faolan und Wren einfach rummachen dürfen und ich mit Knebel im Mund durch die Gegend rennen muss!"

Ash liess ein genervtes Stöhnen hören. „Tu nicht so, als wärst du so artig. Ihr leckt euch doch ständig ab, wenn niemand hinsieht. Ich kann ihn jetzt auch an dir riechen."

Lyra schob die Unterlippe vor und verschränkte die Arme trotzig vor der Brust. „Aber ich will ihn jetzt! Nochmal! Immer und immer wieder! Hart und heftig, bis ich nicht mehr gehen kann!"

Oh, bei Sola, meine Freundin war sternhagelvoll! Ich hievte mich auf die Beine und schwankte auf sie zu, um sie mit einer Umarmung zu trösten. Allerdings stolperte ich über meine eigenen Füsse und fiel auf sie drauf.

Wir krachten zu Boden. Meine Umarmung endete in einem Zerquetschen. Lyra grölte. Nicht, weil ich ihr weh getan hatte, sondern weil sie meinen Sturz so unfassbar witzig fand. Ich stützte mich vom Boden ab und grinste sie an, während ich über ihr kniete.

„Würdest du auch mit mir Vorlieb nehmen?", scherzte ich. „Ich habe fast so lange Haare wie Thorne. Nur sind sie gelb wie Pisse."

Lyra grunzte, stupste meine Nase an und schüttelte den Kopf. „Ich nicht, aber Ash sieht aus, als ob er di—"

Ehe sie den Satz beenden konnte, wurde Lyra unter mir weggerissen. Nach draussen.

Ein ohrenzerschmetterndes Brüllen übertönte ihren Schrei. Im selben Moment warf sich etwas auf mich und ich wurde zu Boden gedrückt.

Mein Rücken knackte.

Ich sah nichts mehr. Nur Dreck und Füsse und braune Tatzen. Luft, ich brauchte Luft!

Jemand rief meinen Namen.

Spitze Zähne bohrten sich in meine Schulter. Und dann war da Blut.

Blut, Blut, Blut.

Überall.

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Huch, was ist denn hier los? 

Das ist mal ein fieser Cliffhanger... Keine Ahnung, was die Autorin sich dabei gedacht hat. So eine dumme Kuh, aber echt.

Ist das vielleicht Fayes Wolf, der gekommen ist, um sie zu töten? Oder was denkt ihr?

Zum Glück müsst ihr nicht mehr bis Samstag warten. ;-) Weiter geht's am Mittwoch in der Früh.

Hab euch lieb! 

Eure Fleur


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