23 - Blut in der Luft

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Lycan

Thorne warf mich förmlich in meine Hütte und knallte die Tür hinter sich zu.

„Was im Namen der Mondgöttin ist in dich gefahren?", fuhr er mich an. „Du kannst doch nicht so mit unseren Frischlingen reden!"

Wütend zupfte ich meine Lederjacke zurecht, die von unserer Rauferei nicht mehr richtig an meinem Körper sass. Das letzte Mal, als wir uns geprügelt hatten, war vor mehr als drei Wintern gewesen. Ewigkeiten her und eigentlich hätte ich gedacht, dass ich diese Form des Abreagierens nicht mehr brauchte.

Wie sehr man sich täuschen konnte!

Thorne schüttelte den Kopf. An seiner Wange zeichnete sich allmählich die Schwellung von meinem linken Haken ab. Er fuhr mit den Fingern darüber und zischte laut.

„Verflucht, Lycan! Du musst wirklich etwas gegen deine Gefühlsausbrüche tun!"

Mein Grummeln, das ich ihm als Antwort schenkte, war deutlich genug. Natürlich wusste ich das. Ich hatte die Fassung komplett verloren. Das gehörte sich nicht als Anführer und ganz besonders nicht als Ausbildner der Frischlinge, aber es war stärker als ich gewesen!

Ich kehrte Thorne den Rücken zu und starrte auf meine Wand aus goldenem Licht. Ganz automatisch streckten sich meine Finger nach den zarten Halmen aus und schlossen sich darum. Die Weizenelben hatten es schon immer vermocht, mein aufgebrachtes Inneres zu beruhigen. Thorne beobachtete mich, doch Luna sei Dank verkniff er sich einen dummen Kommentar.

Da wurde die Tür aufgestossen und Farkas marschierte herein. „Ich habe von eurer Prügelei gehört", sagte er. „Was ist geschehen und wer hat gewonnen?"

„Lycan musste seinen Frust ablassen", erwiderte Thorne.

Ich presste die Zähne zusammen und umklammerte den Weizenelb fester. Er knisterte leise zwischen meinen Fingern.

„Haben die Frischlinge gegessen?", wechselte ich das Thema.

Farkas bejahte: „Alle bis auf Faye haben gefrühstückt. Sie sind jetzt bei der Quelle und waschen sich. Danach wollten sie den Rest des Tages unter der Silberweide verbringen. Ich habe sie darüber informiert, dass wir bei unserem Rundgang nichts Verdächtiges an der Mauer erspäht haben und sie sich deswegen fürs Erste entspannen können."

„Und Goldie?", erkundigte sich Thorne.

„Die habe ich zu den anderen geschickt. Sie soll heute Nacht nicht alleine sein."

Es wurde still zwischen uns. Ich drehte den kleinen Elben in meinen Fingern. Die filigranen Stängel waren geschickt ineinander verflochten und hielten selbst nach so langer Zeit noch. Faszinierende kleine Wesen waren das.

„Was machen wir mit ihr?", fragte Farkas in die Stille.

Thorne warf sich in meinen Sitzsack am Boden. „Eigentlich müssten wir sie aus dem Rudel nehmen, aber irgendwie gefällt mir der Gedanke nicht."

Ich drehte mich meinen beiden Kameraden zu.

„Die Kleine ist zäh", meinte Farkas. „Sie so niedergeschlagen zu sehen, war wirklich unschön."

Das war die grösste Untertreibung, die ich je gehört hatte. Es hatte mir regelrecht die Luft aus den Lungen gehauen, als sie ohne Wolf aufgetaucht war. Und die Vorstellung, sie zu verlieren...

Meine Finger verkrampften sich, sodass der kleine Weizenelb dazwischen in seine Einzelteile zerfiel. Erschrocken öffnete ich die Hand, goldener Staub rieselte zu Boden. Ich hatte ihn zerdrückt.

Farkas zog die Augenbrauen in die Höhe, sodass sie beinahe unter seinem Haaransatz verschwanden, doch ehe er mir seine Meinung hierzu geigen konnte, lenkte Thorne uns zurück zum Wesentlichen:

„Also — was machen wir mit ihr?"

„Es bleiben uns nur zwei Optionen", sagte Farkas. „Wir behalten sie entgegen aller Regeln, oder wir werfen sie raus und sie muss die Schande über sich ergehen lassen."

„Wenn wir Faye rausschmeissen, dann verliert sie das Vertrauen in uns", gab ich zu Bedenken.

Farkas lachte laut auf. „Vertrauen in uns? Faye? Ich glaube, mir wächst ein Buckel! Das hatte sie doch noch gar nicht!"

„Mir hat sie angefangen zu vertrauen", gab ich kleinlaut zu.

Meine Annäherungsversuche hatten zwar nicht unbedingt gefruchtet, aber sie hatte sich geöffnet, wenn auch nur einen Spalt breit.

Thornes leises Schnauben ertönte. „Also, das sah vorher nicht danach aus! Sie wollte dir eher den Kopf abreissen."

Meine Zähne knirschten von der Erinnerung an unseren Streit. Es war nicht schön gewesen und ich bereute es, sie so angefahren zu haben.

„Sie ist schlechten Gemütes", räumte ich ein. „Den Umständen entsprechend ist das verständlich. Es ist ein harter Schlag, als Einzige ihres Rudels von ihrem Wolf abgewiesen zu werden."

„Der sich auch noch als ausgewachsenes Exemplar herausstellt", merkte Thorne an. „Goldie hat sich dieses Leben nie ausgesucht und dann kriegt sie gleich die höchste Schwierigkeitsstufe eines Seelengefährten! Da wäre ich auch so mies wie eine Sumpfkröte gelaunt."

Farkas hielt den Blick in die Ferne gerichtet, als wäre er in Gedanken versunken.

„Ihr Rausschmiss wäre auf jeden Fall mit einem aufgebrachten Rudel verbunden", sagte er. „Ich weiss nicht, ob ihr Bock darauf habt, aber mindestens drei der Frischlinge würden sich gegen unsere Entscheidung auflehnen. Darauf könnt ihr wetten!"

Da musste ich ihm Recht geben. Ein Rauswurf würde grosse Unruhe im Rudel stiften. Selbst wenn sie alle die Regeln kannten, bedeutete es nicht, dass sie auch damit einverstanden sein würden.

„Falls wir sie behalten, dann darf mein Vater nichts von ihrem Problem erfahren", legte ich die Konsequenz der zweiten Option offen. „Er würde sie aus dem Wolfsbau verstossen."

Der alleinige Gedanke daran, machte mich wütend.

„Glaubst du wirklich, dass er das tun würde?", hinterfragte mich Farkas. „Sie wurde doch von Luna auserwählt."

Ich nickte, um meinen Punkt zu bekräftigen, denn ich sprach schliesslich von meinem eigenen Vater. Seit dem Tod meiner Mutter regierte der Hass über sein Herz und seine Entscheidungen. Für Vernunft und Tiefblick hatte es kaum noch Platz, vor allem, wenn es das Sonnenvolk betraf.

„Lyra würde es ihm ausreden", hielt Thorne dagegen. „Sie hat Goldie schon viel zu sehr in ihr Herz geschlossen. Dein Vater wird sie ihr nicht nehmen können."

Der Chief hatte zwar schon immer ein weiches Herz für seine Tochter gehabt, aber bei gewissen Dingen liess er schlicht nicht mit sich reden.

„Ich glaube trotzdem, dass sein Groll gegen Faye stärker ist", entgegnete ich. „Er wartet nur darauf, einen Grund zu haben, sie loszuwerden."

Farkas stampfte in die Mitte meiner Hütte und stützte seine Hände in die Hüfte.

„Gut, dann wissen wir, was das kleinere Übel ist." Er blickte erst mich und dann Thorne an. „Wir behalten Faye im Rudel und verschweigen es dem Chief. Seinen Ärger lasse ich viel lieber über mich ergehen, als die Wut eines ganzen Frischlingrudels."

Thorne brummte zustimmend. Dazu musste ich nichts hinzufügen, denn Farkas sah mir meinen Standpunkt bereits an. Ich konnte ohne Gewissensbisse meinen Vater im Dunkeln lassen, wenn es um das Wohl meiner Schützlinge ging.

„Wir werden das Training für Faye anpassen müssen", sagte ich. „Die Frischlinge sollen ihre Fähigkeiten mit den Wölfen ausbauen. Ihr könnt ihnen dabei unter die Arme greifen und ich nehme mir Faye persönlich an, trainiere sie, stärke ihren Körper und ihren Geist, damit sich ihr Wolf ihre Seele doch noch holt."

Thorne betrachtete mich für einen Moment. „Es wird kein Zuckerschlecken, das weisst du hoffentlich."

Dessen war ich mir durchaus bewusst.

„Wann willst du Faye über ihre Sonderbehandlung informieren?", fragte Farkas. „Sie wird dir die Ohren blutig heulen, wenn du damit anfängst, sie auseinanderzunehmen."

Ich schnaubte auf. Ein Gefühl sagte mir, dass Faye das Training mit mir erstmal verweigern würde, einfach, weil sie mich verachtete für die Dinge, die ich ihr heute in der Früh an den Kopf geworfen hatte.

„Wir sagen es ihr morgen", entschied ich. „Heute können wir nichts mehr anrichten."

Meine Kameraden pflichteten mir bei. Die Sache war gelöst und so setzte sich Farkas zu uns und wir öffneten ein Fass Met. Es war schliesslich Vollmond und diese Nächte sollten ausgelassen gefeiert werden.

Ich konnte es jedoch nicht verhindern, dass meine Gedanken immer wieder zu Faye wanderten.

⋆☽˚。⋆

„Sie hielt wirklich so einen Kobold in den Händen, als man sie tot auffand?", fragte Farkas. Er starrte auf meine Wand aus Sonnenlicht und Wärme.

Die Nacht war längst über uns hereingebrochen und die Müdigkeit zerrte an meinem Geiste, doch ich raffte mich zusammen und schaffte es, ihm zu antworten: „Weizenelben. Das sind Weizenelben, keine Kobolde."

„Trotzdem gruselig, dass du sie hier so lagerst."

Thorne streckte sich auf dem Sitzsack und liess ein lautes Gähnen hören. „Er ist eben ein Sammler", meinte er zu meiner Verteidigung. „Stell es dir wie eine Elster vor: Er mag glänzende Gegenstände, besonders goldene."

Ich schickte ein Fauchen in Thornes Richtung, doch dieser lachte nur dreckig. Farkas lehnte sich vor und zog eine Strohpuppe vom Nagel. Sie war so klein, dass sie auf seine Handfläche passte. Er betrachtete das gebundene Stroh und die drei Weizenhalme, die geschickt hineingesteckt worden waren und es aussehen liessen, als hätte die Puppe ein Kleid an.

„Diese Dinger wurden von Sonnenmenschen gemacht", erklärte Thorne. „Sie basteln die jedes Mal nach einer Ernte, um die Sonnengöttin anzubeten, oder sowas."

Farkas runzelte die Stirn. „Du hast mir nie gesagt, wie du an so viele rangekommen bist."

Die Frage war an mich gerichtet, nicht an Thorne.

„Shira hat mir gehol—"

Ich hielt mitten im Satz inne, denn es war das flüssige Metall in der Luft, das mich dazu veranlasste.

Blut.

Ich roch Blut.

Die Luft war plötzlich geschwängert davon.

Thorne wich alle Farbe aus dem Gesicht, als er auf die Beine sprang. Er schien etwas zu hören. Schmerzensschreie drangen aus der Ferne zu uns heran. Und ein Brüllen, das mir die Nackenhaare aufstellte.

„Das kommt von der Quelle!", stiess Thorne aus. Sein Gehör war so gut, dass er mit unheimlicher Präzision den Ursprungsort eines Geräusches ausfindig machen konnte.

Lycan!", dröhnte plötzlich die Stimme meiner Wölfin in meinem Kopf. „Die Frischlinge! Schnell!"

Mir lief es eiskalt den Rücken herunter.

Thorne stürzte aus meiner Hütte. Farkas drückte mir einen Dolch in die Finger und ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, liefen wir Thorne hinterher. Zur Silberweide, die unweit der heissen Quelle wuchs.

Sie waren dort — Faye und Lyra und die anderen.

Der Radau wurde lauter.

Ich biss die Zähne zusammen und rannte so schnell ich konnte. Jeder verdammte Herzschlag zählte!

Wir erreichten die Silberweide. Der raubtierscharfe Geruch drang mir sofort in die Nase.

Bärenstamm!", bestätigte Shira meinen Verdacht.

Im selben Moment stürzte ein gigantischer Braunbär durch die Äste der Weide, dabei zerriss er die Zweige mit seinem massigen Körper und hinterliess ein klaffendes Loch in der Baumkrone. Ein Dolch steckte in seiner Schulter. Er bäumte sich vor mir auf, die Schnauze weit aufgerissen und die Zähne blutig. Mit der Pratze schwang er nach meiner Wölfin.

„Shira!", brüllte ich. Sie sprang weg und begab sich auf seine Rückseite.

Amarok und Farkas' Wölfin Kaya kamen ihr zur Hilfe und zusammen knurrten sie den Bären an, bis dieser das Weite suchte. Die Jungwölfe schossen bellend und heulend hinterher.

„Das ist ein Gebundener!", teilte mir Shira mit.

„Folgt ihm und schaut, ob er zu seinem Besitzer zurückkehrt! Aber bitte vorsichtig!", bat ich sie „Wir brauchen euch alle."

Natürlich. Und wir brauchen euch, Ly."

Mit der Gewissheit, dass meine Wölfin dafür sorgen würde, dass die Jungwölfe nicht zu Schaden kamen, wandte ich mich der Zerstörung zu, welche das Biest unter der Silberweide veranstaltet hatte.

Thorne kniete bereits am Boden. Erst in dem Moment realisierte ich, dass ein Körper vor ihm ausgestreckt lag.

Dunkle Locken.

Faolan.

Thorne drehte ihn um. Sein Gesicht war blutverschmiert, die Nase vermutlich gebrochen. Er musste die volle Wucht des Bärs abbekommen haben.

„Er ist bewusstlos", informierte mich Thorne.

Bewusstlos, nicht tot. Wir waren rechtzeitig gekommen — zumindest für ihn. Aber wo waren alle anderen?

„Lycan!"

Farkas rief nach mir. Er war unter die Weide getreten.

Als ich durch die Äste schlüpfte, empfing mich das Ausmass eines Massakers. Die Luft war dick vom Gestank nach Blut und Biest. Scherben und ausgeschüttete Becher lagen auf dem ganzen Boden verteilt. Am Baumstamm prangten tiefe Kratzer, die nur von Bärenklauen stammen konnten, und die Erde wies Schleifspuren auf, als wäre ein Körper unfreiwillig darüber gezerrt worden.

Die Glassplitter knirschten unter meinem Gewicht. Farkas stand beim Baumstamm und blickte auf etwas herab, das sich direkt dahinter befinden musste und ich nicht sehen konnte. Ich umrundete den Baum und fand die Zwillinge vor.

Sie waren blutüberströmt.

Sorrel beugte sich über seinen Bruder. Ash lag röchelnd auf dem Rücken, die Augen weit aufgerissen. Eine tiefe Wunde erstreckte sich quer über seine Kehle. Sorrels Hände klammerten sich an den Hals seines Bruders, doch unaufhörlich quoll Blut zwischen seinen Fingern hindurch. Eine hässliche Fleischwunde zierte Sorrels Oberschenkel, doch ihn kümmerte das nicht. Alles, worauf er sich konzentrierte, war sein Bruder, der in seinen Armen starb.

Meine Augen schnippten zu der Person, die unweit daneben hockte, die Knie angezogen, die Arme darum geschlungen und das Gesicht im Ellbogen vergraben. In einer Hand hielt sie einen Dolch, die andere war leer und zitterte.

Faye.

Erleichterung brandete über mich, als ich das Heben und Senken ihrer Schultern sah. Sie atmete.

„Bring Ash zu Morwen", instruierte ich Farkas. „Sie wird ihm helfen können. Und du, Sorrel, solltest ein Bad in der Quelle nehmen, bevor du Ash zur Heilerin begleitest. Die Wunde könnte sich entzünden."

Sorrel schüttelte den Kopf. „Wenn ich loslasse, stirbt er!"

Seine Stimme war zerrissen. Ich kannte diese Angst, die durch seinen Körper jagen musste.

„Geht. Jetzt!", befahl ich. „Bevor es zu spät ist!"

„Ich trage ihn", bot sich Farkas an und kniete sich zu den Zwillingen nieder.

Ashs lebloser Körper wurde in Farkas' Arme gehoben. Hastig stapfte er mit ihm hinaus, Sorrels Hände liessen dabei keinen einzigen Augenblick von der Kehle seines Bruders ab. Sie eilten an Thorne vorbei, der es mittlerweile geschafft hatte, Faolan zu wecken.

„Sie... sie haben Wren", hörte ich Faolan keuchen. „Und Lyra."

Alles in mir verkrampfte sich. Thorne liess ein Brüllen hören, das durch den ganzen Wald jagte und den Zorn widerspiegelte, der sich auch in mir aufbaute.

Unsere schlimmsten Befürchtungen waren wahr geworden. Der Bärenstamm hatte einmal mehr zugeschlagen.

„Sind sie verletzt?", presste ich hervor .

Ich schwor bei Luna, dass ich jedem einzelnen die Speiseröhre herausreissen und meiner Wölfin zum Frass vorwerfen würde, wenn sie meiner Schwester auch nur ein Haar gekrümmt hatten.

Faolan wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht und stöhnte auf, als er seine Nase berührte.

„Ich ... ich denke nicht. Es ging alles so schnell. Drei Männer sind direkt auf die Frauen los und haben sie rausgezerrt..."

Er hielt inne und starrte ins Leere. Was auch immer vorgefallen war, es hatte ihn tief gezeichnet.

Mein Blick fiel auf Faye, die sich kein bisschen gerührt hatte. Sie sass eng zusammengepackt da und sah so klein aus, dass man sie zwischen all der Zerstörung, dem Blut und den abgebrochenen Ästen beinahe übersah. Etwas in meiner Brust zog sich bei dem Anblick schmerzvoll zusammen. Ich steckte meine Waffe in den Gurt und atmete einmal tief ein.

Die ganze Luft stank nach Blut. Ich konnte nicht ausmachen, ob sie verletzt war, deshalb ging ich neben ihr in die Knie und fasste ihre Schulter an.

„Faye."

Sie zuckte von meiner Berührung zusammen und hob den Kopf aus ihrem Versteck. Ihr Körper bebte — ein Nacheffekt des Schockes, den er zu verarbeiten versuchte — aber ihre Seele war ermattet. Das Grün in ihren Augen wirkte so trüb wie das Wasser eines alten Sumpfes. Kein Licht leuchtete mir entgegen. Sie hatte die Gefühle gekappt. Ihr Verstand schwebte in den wohltuenden Schatten der Vergessenheit, aber ihr Leib durchlebte die Angst noch. Ein Zwiespalt, der auf Dauer bestimmt nicht gut sein konnte.

Sie verstärkte den Griff um ihren Dolch, sodass ihre Knöchel weiss hervortraten. Ich bewegte mich nicht und sagte kein Wort, während ihre Augen über mein Gesicht fuhren und ihr Überlebensinstinkt abwog, ob ich Feind oder Freund war.

„Gib mir die Waffe. Du brauchst sie nicht mehr. Die Gefahr ist vorüber."

Ihr Blick fiel auf meine ausgestreckte Handfläche, die ich ihr anbot. Sie schüttelte den Kopf. Etwas hinderte sie daran, mir zu glauben.

„Sie kamen mit zwei Bären", hörte ich Faolan hinter mir erklären. Er war aufgestanden. „Einer hat sie gebissen. Sorrel und Ash haben ihn überwältigt. Den anderen hat sie... hat sie mit ihrem Dolch abgestochen." Faolan bewegte sich auf uns zu und stützte sich stöhnend am Baumstamm ab. „Oder jedenfalls hat sie es versucht. Sie war als Einzige bewaffnet."

Fayes Beben verstärkte sich.

Ich presste die Zähne zusammen und bemühte mich, die Gefühle der Panik nicht über mich schwappen zu lassen. Ich musste geduldig sein. Wenn Faye verletzt war, dann musste ich ihre Wunde inspizieren. Sie fühlte den Schmerz nicht, was einerseits gut war, aber andererseits konnte ich somit auch schlecht einschätzen, wie schlimm es wirklich um sie stand. Sie könnte verbluten, ohne es zu merken.

„Wo wurdest du gebissen?", fragte ich sie.

Ich erhielt keine Antwort.

„Am Hals", kam es von Faolan. „Oder an der Schulter. Ich hab's nicht richtig gesehen."

Jäh fiel mein Blick auf besagte Stelle, doch unter dem Leder, das sie trug, konnte ich nichts erkennen. Ich erhob mich wieder.

„Thorne?", fragte ich. Er war nicht mehr da. „Wo ist er?"

Faolan machte eine Kopfbewegung nach draussen. „Ich glaube, er ist den Wölfen hinterher."

Seufzend schloss ich die Augen und versuchte, nicht schon wieder die Beherrschung zu verlieren. Thorne wusste, dass es äusserst waghalsig war, den Bären auf alleinige Faust zu folgen. Unsere Wölfe taten das bereits und auf sie und ihre Vorsicht konnten wir uns verlassen.

Sag Amarok, er soll Thorne zurückpfeifen", schickte ich durch die Verbindung an meine Wölfin.

Der Verlust seiner Partnerin schmerzt ihn", erhielt ich als Antwort zurück.

Als ob das fahrlässiges Handeln begründen würde!

„Lyra ist meine Schwester. Wir haben sie heute beide verloren. Wir dürfen nicht unüberlegt handeln. Nicht wenn Beorn und seine Männer dahinter stecken. Mit diesem Verhalten riskiert er ihr Leben."

Einen kurzen Moment der Stille, dann: „Ich werde es Amarok ausrichten."

„Danke."

Shira erwiderte nichts darauf und ich unterstand mich, sie bei ihrer Verfolgungsjagd weiter abzulenken.

„Schaffst du es alleine zu Morwen?", fragte ich Faolan und erhielt ein schwaches Nicken seinerseits.

Er hielt sich den Kopf, der ihm fürchterlich schmerzen musste. Er schlenkerte, als er aus der Weide trat und sich in Richtung Dorf bewegte. Unsere Heilerin würde das Dröhnen in seinem Kopf mit ihren Kräutern beruhigen können, das wusste ich, und die gebrochenen Knochen würden mit der Zeit heilen.

Meine Hände glitten unter Fayes Achseln und dann zog ich sie hoch, sodass sie sich auf die Füsse stellen musste. Sie liess mich gewähren. Vorsichtig zerrte ich den Dolch aus ihren Fingern, den sie noch immer verkrampft umklammert hielt, als hinge ihr Leben davon ab.

Ihr Blick war nach wie vor leer.

Das gefiel mir überhaupt nicht. Sie musste schleunigst aus dieser Teilnahmslosigkeit raus. Breitbeinig stellte ich mich vor sie hin, nahm ihr Gesicht in meine Hände und dirigierte ihren Kopf nach oben, sodass sie mir in die Augen blicken musste. Ihr Blinzeln war träge, ihre Pupillen unfokussiert.

„Faye, sieh mich an", verlangte ich.

Sie tat es, doch nicht wirklich.

Eine Schramme zierte ihre Wangenknochen. Ich fuhr mit dem Daumen darüber, denn Schmutz hatte sich darin verfangen. Ihre Lider flatterten, als merkte sie erst jetzt, dass ich vor ihr stand und sie berührte.

„Lycan?"

„Ich bin da." Ich strich über ihre blasse Haut. Sie war eiskalt. „Es ist vorbei. Ich bin da."

Das Zittern ihrer Muskeln liess nicht nach. Ihre Augen erkundeten mich, dann schwenkten sie zur Seite und nahmen das demolierte Innere der Silberweide wahr, die Blutflecken, die geknickten Äste, die Splitter und den Dreck. Spätestens in diesem Moment hätten die Erinnerungen von dem, was hier vorgefallen war, über sie spülen müssen, doch nichts regte sich in ihrem Gesicht, als stünde sie nicht vor den Spuren der Abschlachtung ihres eigenen Rudels.

Die wassergrünen Augen fixierten mich wieder. „Nicht genug", murmelte sie. „Es war nicht genug."

„Nein", widersprach ich ihr und liess meine Hände fallen. „Ihr habt gekämpft. Ihr habt getan, was ihr konntet."

Sie runzelte verwirrt die Stirn und zuerst glaubte ich, dass es an meinen Worten liegen musste, doch dann senkte sie den Blick und schob eine Hand unter ihre Jacke. Als sie ihre Finger wieder hervorzog, waren sie tiefrot.

Frisches, warmes Blut klebte daran. Ihr Blut.

„Oh... ", hauchte sie.

Sie schwankte vor und zurück. Ich nahm sie an der Hand, bevor sie noch umkippte.

„Wir müssen uns um deine Wunde kümmern."

Es war unumstritten, dass sie auf die Tore des Todes zuschritt, aber so weit würde ich es nicht kommen lassen! Weder Lyra noch sie würde ich verlieren. Nicht heute und nicht morgen. Das schwor ich mir beim Namen meiner Mutter.

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Author's notes:

Hallihallo 

Ein extra langes Kapitel - bitteschön ❤️

So, jetzt ist fast alles wieder in Ordnung. Nur ein harmloser Bärenangriff und ein bisschen Blutvergiessen. Warum haben die wohl angegriffen? Was denkt ihr?

Und was hat es mit diesen Weizenelben auf sich, die Lycan in seiner Hütte hortet? 

Ich danke euch von Herzen fürs Lesen und wünsche euch noch eine ganz tolle Restwoche!

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