44 - Nacht im Wald

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Die Bäume knarzten und ächzten mit der steigenden Windstärke.

Es war, als würden die Geister der Nacht zum Leben erweckt werden. Ich starrte in die sich wälzenden Wolkenmassen und in die wiegenden Baumkronen über uns. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich der Himmel über uns ergoss. Ich konnte die Entladung kaum erwarten.

Lyra packte mich am Arm und riss mich weiter.

„Na, los! Nicht trödeln! Auf die Schanze!"

Faolan und Wren flitzten an mir vorbei, dicht gefolgt von Ash, Sorrel und all ihren Wölfen. Nur Rohan fehlte.

Wir hatten das grosse Fest am Lagerfeuer hinter uns gelassen, nachdem wir unsere Bäuche mit dem wahnsinnig leckeren Fasan von Farkas vollgeschlagen hatten. Als die ersten dicken Regentropfen die Leute in ihre Hütten getrieben hatten, waren wir aufgestanden.

Aus den Augenwinkeln hatte ich noch mitbekommen, wie Lycan mit Amber verschwunden war. Wohin sie gegangen waren, hatte ich nicht mitverfolgt, aber es hatte ein Feuer in meiner Brust gezündet, das von dem anbahnenden Platzregen nun dringend erstickt werden musste.

Ein grosser Tropfen schaffte es durch die Tannennadeln und landete auf meinem Kopf. Im selben Moment zuckte ein Blitz über den schwarzen Himmel und erleuchtete den Wald für einen Wimpernschlag.

Mein Rudel und ich rannten den Hang hinauf wie eine wildgewordene Horde. Trotz des vielen Mets in unserem Blut kamen wir rasch voran. Das Klettern fiel mir überhaupt nicht schwer, denn mein Körper wurde von seinem eigenen Feuer angetrieben.

Es war Lyra gewesen, die vorgeschlagen hatte, dass wir zusammen durch den Wald ziehen und dem tobenden Sturm die Stirn bieten sollten — auf der exponiertesten Stelle, die es im Wald gab: Auf der Wolfsschanze, die das Tal überblickte. In unserem Rausch hatten wir das eine hervorragende Idee gefunden.

Gefährlich, aber aufregend.

Nichts konnte uns im Wege stehen. Wir fühlten uns unbesiegbar.

Mein Blut pumpte durch meinen Körper. Es berauschte mich, meinen Puls so deutlich mit der Freude zu spüren, die mit dem Jubeln meines Rudels in mir anzuwachsen schien.

Wir sprinteten, bis unsere Beine brannten.

Faolan erreichte die Wolfsschanze als Erster. Er rannte bis zur Spitze, machte abrupt halt, und dann, vollkommen überwältigt von den Orkanböen, die uns hier oben beinahe vom Felsen fegten, dem grollenden Himmel und den spitzen, grellen Blitzen, die in den Wolken zuckten, brüllte er seinen Triumph in den Wind. Seine Wölfin Onacona stand dicht neben ihm und heulte mit ihm los.

Ich stellte mich dazu. Der Wind peitschte mir ins Gesicht, doch ich blinzelte durch die Tränen, die er verursachte. Weit unten im Tal erkannte ich die Lichter meines alten Gefängnisses, dann warf auch ich den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und streckte meine Brust dem Mond entgegen.

Der Schrei, der meinen Körper verliess, nahm alles mit sich, was ich so lange Zeit in meinem Herzen vergraben hatte.

Ich befreite mich vom Schmerz, von den vielen Schlägen auf meiner Haut, den Beulen, den Brüchen und von den Schmähungen, den Worten und dem Hass meines Vaters. Ich liess alles los und schickte es in die aufgebrachte Nacht.

Lyra, dicht hinter mir, tat dasselbe, doch sie imitierte das Heulen ihrer Wölfin Zara. Sorrel stimmte mit ein, legte die Hände vor seinen Mund, um eine Art Sprachrohr zu bilden. Selbst Ash brüllte, auch wenn der Klang, der aus seiner zerstörten Kehle kam, kein Heulen war, es war dennoch ein Schlachtruf.

Während der Himmel über uns niederbrach, sangen wir mit den Wölfen das Lied unserer Seelen, unseres Schmerzes und unseres Glücks. 

Die Welt sollte uns hören! Wir würden uns nicht in die Knie zwingen lassen. Von niemandem!

Plötzlich erhob sich über dem tosenden Wind ein weiteres Heulen. Eines, das mein Herz höher schlagen liess.

Rohan.

Tränen stiegen mir in die Augen, als ich ihn dort am Fusse des Felsvorsprungs erkannte, nur zwanzig Schritte von uns entfernt. So nahe hatte er sich noch nie an mein Rudel getraut.

„Du bist auch da!", sagte ich durch unsere Verbindung.

„Wenn mich mein Rudel ruft, dann komme ich", erwiderte er.

Sorrel und Ash sahen ihn und senkten respektvoll ihre Häupter. Dasselbe taten Lyra, Faolan und Wren. Keiner näherte sich, denn sie alle wussten, dass es Rohan so viel kostete, hier zu sein.

Aber er war da.

Für mich. Für uns.

Die Art und Weise, wie sie ihn willkommen hiessen und sich daraufhin seinem Gesang anschlossen, um gemeinsam eine eigene Melodie zu erschaffen, erfüllte mich mit so viel Glück, dass ich glaubte, ich würde träumen.

Das hier war alles, was ich mir gewünscht hatte.

Freunde. Familie. Ein Rudel.

„Ich bin stolz auf dich, Rohan", flüsterte ich über unsere Verbindung und meinte es von ganzem Herzen. Mein Wolf stellte sich seiner Angst. Er war hier, weil der Rudeltrieb doch stärker war als alles andere.

„Ich bin stolz auf dich, Faye", erwiderte Rohan. „Sieh dich an. Du hast endlich deinen Platz gefunden."

Mein Herz war so voll, dass es mir ein Lachen entlockte. Rohan hatte recht. Ich war Zuhause angekommen. Endlich. Nach all der Zeit hatte ich einen Ort gefunden, den ich nie wieder verlassen wollte. Einen Ort ohne Schmerz, ohne Hass, ohne Sühne, mit Menschen und Wölfen, die mich liebten.

Hier durfte ich sein, wer ich war und für nichts in der Welt würde ich das jemals wieder eintauschen wollen.

Mit einem Lächeln auf den Lippen hob ich mein Gesicht dem Himmel entgegen und dann liess ich das Heulen aus meinem Körper, das der goldenen Wölfin gehörte, die dort schon so lange geschlummert hatte.

Dieses Lied war mein persönlicher Dank an die Mondgöttin.

Dafür, dass sie mir Freunde geschenkt und mir mein Leben zurückgegeben hatte.

Ein Leben im Licht des Mondes.

⋆☽˚。⋆

„Bist du sicher, dass du nicht lieber in meiner Hütte schlafen möchtest?", fragte mich Lyra, als wir uns zurück zum Wolfsbau bewegten. „Es regnet doch sehr arg und warm ist es hier draussen nicht. Thorne wird mich zusammenfalten, wenn er erfährt, dass du unseretwegen frieren musstest."

Ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich will das, Lyra", beharrte ich auf meinem Willen. „Rohan behauptet, er hätte einen trockenen Unterschlupf im Wald gefunden."

Ich würde dich niemals frieren lassen", bestätigte er sogleich.

Lyra seufzte und gab schliesslich nach. „Wenn du meinst..."

„Tobe dich mit Thorne aus", sagte ich augenzwinkernd und umarmte sie zum Abschied. „Wir sehen uns morgen in der Früh."

„Pass auf dich auf", murmelte sie in meinen Nacken.

Faolan und Wren warteten auf Lyra. Die Zwillinge waren bereits losgelaufen. Besonders Ash zog es zurück ins Dorf, weil er unbedingt herausfinden wollte, ob Amber ihn noch sehen wollte. Ich verschwendete keinen einzigen Gedanken daran, was Lycan und Amber in den Stunden, in denen wir weg gewesen waren, miteinander getrieben hatten.

Mit einem Kopfschütteln jagte ich den widerlichen Gedanken in eine dunkle Ecke.

„Sollen wir unseren Ausbilder Bescheid geben, dass du mit Rohan unterwegs bist?", fragte Faolan.

Ich wedelte seine Worte weg. „Das braucht ihr nicht tun. Farkas, Thorne und Lycan sollen sich eine Nacht lang mal um sich selbst kümmern dürfen."

„Um den Letzteren wird sich vermutlich gerade gekümmert", kommentierte Rohan.

Schnell biss ich mir selbst auf die Zunge, damit die Eifersucht nicht wieder aufkochte. Der scharfe Schmerz vertrieb sie so schnell, wie sie gekommen war.

„Rohan! Sowas will ich nicht hören!", fuhr ich ihn an.

Er hatte sich wieder ins Unterholz verzogen und wartete, bis meine Freunde endlich von mir abliessen.

„Stimmt", schnaubte Lyra. „Wir sind schliesslich keine Frischlinge mehr, sondern Fortgeschrittene." Sie streckte ihr Kinn in die Höhe und stolzierte davon. Mir winkte sie noch zu. „Bis morgen, Faye!"

Faolan und Wren verabschiedeten sich ebenfalls von mir und dann stand ich alleine da. Es dauerte nicht lange, bis Rohan sich neben mich hinsetzte und meinen abziehenden Freunden hinterher sah. Sie liefen den Hang hinab zurück ins Dorf und waren nach wenigen Augenblicken hinter den dicken Tannen und Büschen verschwunden.

Erst in dem Moment realisierte ich es.

„Ich kann sehen", entkam es mir.

Rohan liess ein Geräusch hören, das wie ein Prusten klang. „Du hast ja auch zwei Augen im Kopf."

„Nein, so meinte ich das nicht."

Ich blinzelte mehrmals, um sicherzustellen, dass es doch wirklich wahr war. Aber tatsächlich. Ich sah die Haselsträucher, die tiefliegenden Äste der Eiben und Föhren, die einem das Gesicht zerkratzen konnten, die Schatten, die über den Bärlauch, das Moos und das modrige Laub huschten. Ich sah, obwohl es stockdunkel war — obwohl es Nacht war!

„Ah, du meinst die Nachtsicht", realisierte nun auch Rohan. „Mein Geschenk an dich, du kleiner Maulwurf." Ich sah zu ihm herab. Seine himmelblauen Augen glänzten verschmitzt. „Damit du immer deinen Weg findest, selbst in der grössten Finsternis."

Ein faustgrosser Kloss wuchs in meiner Kehle an und machte das Schlucken schwer. Tränen schossen mir wieder in die Augen. Ich liess mich auf die Knie sinken und legte die Arme um meinen Wolf.

„Jetzt weine doch nicht!", sagte er.

Du weisst nicht, wie viel mir das bedeutet!", schluchzte ich.

„Doch, das weiss ich, Gefährtin. Das weiss ich sehr wohl."

Natürlich. Ich vergass, dass Rohan meine dunkelsten Momente kannte, weil er sie mit mir erlebt hatte. Er wusste, wie ich der Sonne beraubt in meinem Zimmer gekauert hatte, vermeintlich erblindet und meinen Körper fühlen musste, wie er pochte, wie er schmerzte, wie er brannte. Und da war nichts, an das ich mich hatte klammern können. Keine Gewissheit, dass der Tag bald enden würde, keine Hoffnung auf den nächsten Sonnenaufgang. Nur alles verschlingende Dunkelheit und das eigene schwarze Loch in mir selbst, das mit jedem Tag grösser wurde, als hätte meine Seele sich einen eigenen Ausweg gegraben und sich selbst aufgerissen, damit ich das nicht mehr ertragen musste und damit ich zumindest irgendwo einen Zufluchtsort fand.

Mit Rohans Geschenk konnte die Sonne vom Himmel verschwinden, aber ich würde immer sehen. Ich würde immer einen Ausweg finden, egal wie dunkel es wurde.

Ich drückte ihn fester. Meine Tränen sickerten in sein Fell und vermischten sich mit den Regentropfen.

„Danke", schluchzte ich. „Du bist das grösste Geschenk, das mir je gemacht wurde!"

Ein Beben erfasste mich, denn die Kälte der Nacht kroch meine Beine hinauf. Rohan erhob sich, sodass ich ihn loslassen musste.

Er ging vor und sagte: „Komm, ich bringe dich in den Unterschlupf, bevor du noch anfängst zu bibbern."

„Der Alkohol hält mich warm", antwortete ich.

„Und kühlt dich viel zu schnell aus, dummes Menschenweibchen. Ein bisschen mehr Fell an den Armen und Beinen würde dir helfen."

Ich lachte auf. Rohan ging zu einem raschen Schritt über, dem ich mühelos folgen konnte. Obwohl ich mich an diesem Tag schon so sehr verausgabt hatte, fiel mir das Laufen und Klettern viel leichter als vor wenigen Wochen. Ich staunte selbst über meine Fortschritte.

„Du bist eben kein schwaches Wesen mehr", meinte Rohan, als wäre er meinem Gedankengang gefolgt. „Wenn man mit dem richtigen Rudel zusammen ist, dann holen sie deine wahre Stärke aus dir heraus."

Ich lachte heiser auf. „Und das sagst du, obwohl es Menschen waren, die mir dabei geholfen haben, mich selbst zu finden?"

„Sie haben dich nur angetrieben und dich gefordert. Das Finden hast alleine du geschafft."

„Du bist heute aber sehr grosszügig mit Komplimenten", triezte ich ihn.

Rohan warf mir einen langen Blick über seine Schulter zu. „Du scheinst sie zu brauchen, denn manchmal hältst du noch immer viel zu wenig von dir selbst."

Ich biss mir auf die Lippe und schwieg, denn Rohan hatte recht in der Hinsicht. Ja, ich hatte Mühe, mir selbst Stärke einzugestehen. Das lag allerdings daran, dass mein Vater all die Dinge, die ich nun ausleben durfte, mit Härte bekämpft hatte.

Rohan duckte sich und kroch in etwas, das wie ein Unterschlupf in einem hohlen Baumstamm aussah. Der Baum stand zwar noch, aber ein Loch klaffte in dessen Mitte. Der Durchmesser des Stammes war weit, sodass wir uns in dem Hohlraum problemlos nebeneinander hinlegen konnten.

Rohan wartete, bis ich mich hingelegt hatte, und platzierte sich dann vor den Eingang, um mich vor dem Durchzug zu schützen.

Dank meiner neu gewonnenen Nachtsicht, konnte ich das Innere des Baumstammes genauer betrachten. Die Wände waren glatt, aber mit einer unregelmässigen Textur durchzogen, die von Jahresringen, den Spuren von Insekten, Pilzen und anderen Lebewesen geprägt war. Durch die Öffnung drang ein leichter Wind, aber Rohan verdeckte sie genug, sodass ich in der Nacht nicht frieren würde.

„Komm näher", verlangte mein Wolf.

Seiner Bitte ging ich nur allzu gerne nach, aber zuerst entledigte ich mich meiner nassen Lederjacke und schob sie in eine trockene Ecke. Mit nasser Kleidung schlief es sich schlechter.

Rohans Fell war trotz der Feuchtigkeit des Regens warm und so unglaublich weich. Ich vergrub mein Gesicht darin und atmete einmal tief ein.

Sein frühlingshafter Duft beruhigte den Gedankensturm in meinem Kopf, der vom Fest und danach von unserem Lauf durch den Wald noch nach wütete. Ich rutschte so nah es mir möglich war an meinen Wolf heran, denn auch er sollte von meiner Körperwärme speisen können.

„Fühlst du dich besser?", fragte Rohan.

„So gut wie noch nie." Ein wohliges Seufzen schaffte es aus meinem Mund.

„Trotz anfänglicher Wut deinem Männchen gegenüber? Und der Eifersucht?"

Ich krallte meine Finger fester in sein Fell. „Provoziere mich nicht, bitte, sonst kitzle ich dich aus!"

Er stupste mich mit seiner Schnute an, was mir doch tatsächlich ein Kichern entlockte. „Wenn du das tust, beisse ich dir einen Finger ab."

„Das würdest du niemals."

Ein tiefes, zustimmendes Brummen ging durch Rohan und dann legte er seinen Kopf hin und schloss die Augen. Ich tat es ihm nach.

„Gute Nacht, Gefährtin", sagte er.

„Gute Nacht, Gefährte", flüsterte ich in sein Fell.

Ausserhalb unseres kleinen, sicheren Versteckes prasselten die Regentropfen heftiger auf die Erde nieder und wuschen den Wald und seine dunklen Gestalten rein. Ich genoss die Ruhe, die in mir einkehrte, während wir dem Rauschen des Regens lauschten und uns von ihm in den Schlaf wiegen liessen.

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Awwwooooo 

Ich hoffe, euch hat das Kapitelchen in der stürmischen Nacht im Wald gefallen. 

Faye hat sich dafür entschieden, lieber bei Rohan zu schlafen. Verständlich nach dem, was Lycan da auf dem Fest abgezogen hat. Die Frage ist, ob es zwischen den beiden nochmal krachen wird...? Vielleicht ja im nächsten Kapitel? 

Was denkt ihr zur besonderen Fähigkeit, die Faye von Rohan bekommen hat? Praktisch, oder? Also ich bin sehr nachtblind und könnte das manchmal echt gebrauchen...

Habt noch eine gute Woche. Haltet durch! 

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