Interview 8 I Anonym

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Herzlich Willkommen zu diesem Interview und danke, dass du dir die Zeit nimmst. Auf deinen Wunsch hin werden wir dieses Interview anonym führen. Also – legen wir direkt los! Du hast uns geschrieben, dass du gerne über die Darstellung von Frauen auf Wattpad sprechen würdest. Wie würdest du Wattpads Frauenbild beschreiben?

Hallo und danke, dass du dir die Zeit nimmst. Zu Wattpad's Frauenbild fallen mir zuerst zwei Wörter ein: unrealistisch und überperfektioniert. Ich denke so kann man es gut beschreiben, sowohl was das Äußere unserer weiblichen Charaktere hier auf Wattpad als auch ihre inneren Werte angeht. Wir alle wissen schließlich irgendwo, dass in der Realität nicht jedes zweite Mädchen aussieht wie ein VS Engel ohne auch nur annähernd Sport zu treiben und auf die Ernährung zu achten. Nun gut, wir wissen es eigentlich. Und trotzdem bekommen wir hier seitenweise exakt das beschrieben: das Bild der unnatürlich überperfektionierten Mädchen, deren Haare morgens schon perfekt liegen und die nie auch nur den Ansatz eines Speckröllchens haben. 

Zudem sind sie klug, sanft, mitfühlend und selbst die heißgeliebten Badgirls haben eine sehr emotionale Ader. Sie alle lieben schöne Kleider, schminken sich jeden Morgen „dezent" und haben nichts als Jungs im Kopf, ohne welche sie selbstverständlich nicht vollständig sind. Regelschmerzen, Pickel und Behaarung - abgesehen vom Haupthaar - existieren nicht. Dieses Bild ist ungesund und beinhaltet wenig Realität. 

Jede von uns hat ihre kleinen oder auch großen Besonderheiten, Probleme oder auch Fehler, äußerlich sowie innerlich. Doch genau diese vermeintlichen Fehler, die uns unterscheiden, manchmal deprimieren, viel beeinflussen und am Ende doch zu uns gehören bekommen wir nie gezeigt und sie werden zu genau dem degradiert, wie wir sie selbst eigentlich nicht sehen sollten: zu Fehlern, die korrigiert und versteckt werden müssen. Von diesem Problem ganz abgesehen: nicht weiße, beeinträchtigte oder auch nur aus einer anderen Kultur stammende Frauen findet man kaum, verschiedene Sexualitäten scheinen für uns nicht zu existieren und am Ende wird auch all dies als nur eines dargestellt: abnormal.

Das bringt die aktuelle Lage auf Wattpad glaube ich ziemlich gut auf den Punkt... leider. Was eigentlich verwunderlich sein sollte, weil es hier ja doch mehr Autorinnen* als Autoren gibt. Die müssten ja theoretisch selbst wissen, dass ihre Charaktere nicht annähernd der Realität entsprechend. Was ist deine Einschätzung dazu?

Mhhh, das ist schon eine eher komplexe Frage, zu der ich tatsächlich nur meine persönlichen Vermutungen teilen kann. Fangen wir mal mit dem Einfacheren an: das Schönheitsideal. Kaum eine der Autorinnen wird so aussehen, wie ihre Charaktere (das tut eigentlich niemand, nur eine kann besser so tun als eine andere.). Aber es ist das gängige Bild der Perfektion, wir sehen es überall: in Zeitschriften, Werbung, Filmen oder eben auch Büchern. 

Ach, nicht zu vergessen, wir wachsen damit auf: Disney, Barbie und co begleiten viele von uns lange und auch sie sehen - gelinde gesagt - perfekt aus. Genau da ist der Knackpunkt: wir wollen eben so aussehen und besonders als jüngere Autorinnen und/oder Anfängerin neigt man dazu, die Hauptperson zu dem Mädchen zu machen, dass man gerne wäre oder zu einer Art persönlichen Heldin. Und wer von uns gibt schon gerne der eigenen Heldin Schwächen oder Makel? Wenn man schon die Chance bekommt jemand eigenen oder sich selbst neu zu erschaffen, dann bitte gleich richtig. 

Es fällt einem schwer, davon wegzukommen, das geht auch mir so. Aber es hilft auch, weil da plötzlich keine unerreichbare Person mehr ist, niemand der alles besser kann als du. Sondern ein ganz normales Mädchen mit Pickeln oder eine ganz normale Frau mit Speckröllchen, die genauso eine Heldin, Abenteuerin, Hackerin, Ballkönigin oder Prinzessin sein kann. Genau wie jede von uns. Denn genau das können wir sein, egal wie wir aussehen, manchmal in der allgemeinen Realität und manchmal in unserer eigenen.

Und nun zu dem Schwereren: die eintönigen Persönlichkeiten unserer weiblichen Wattpad-Figuren. Hier bekommen wir nicht ganz so direkt irgendwelche Ideale vorgeschrieben, und trotzdem ist sie fast immer gleich. Zum Teil kommt es natürlich von der klassischen Darstellung der Frauen und Mädchen, ihrer Gefühle, Ängste und Träume, die besonderes in Kinderserien und Jugendbüchern noch sehr häufig zu finden ist. Außerdem spielt dabei auch Abschreiben eine sehr große Rolle: wir kennen schließlich alle die immer gleichen Storylines auf Wattpad. Da wird eben auch die klassische Hauptperson schnell mal übernommen, auch aus Angst vor Reaktionen, wenn man sich was Neues traut. Das fällt nämlich auf und ist nicht immer beliebt. 

Besonders bei Gefühlen und individueller Persönlichkeit spielt aber glaube ich auch das (geistige) Alter und Reife eines Autoren eine große Rolle: man beginnt oft erst mit der Pubertät, sich mit den eigenen Gefühlen und der eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen und erlebt Individualität deutlich intensiver. Dann beginnt der Kampf gegen Mainstream, Hormone und Wunschvorstellungen, Mobbing, allein-sein und den Drang dazuzugehören. Man lernt, dass Liebe nicht immer rosarot ist und der eigene Charakter nicht immer leicht. Zum Teil ist das bei jüngeren Autoren nicht immer schon in deren Blickfeld, zum anderen neigt man als Jugendlicher einfach zu solchen „Idealen", die sich anpassen. Man weiß sowieso nicht, was normal ist und wie die anderen ticken. Da ist das altbekannte, das uns als normal verkauft wird die sichere Seite. 

Im Übrigen, viele negative Dinge werden glaube ich aus Verdrängung weggelassen: man schreibt außerhalb der eigenen Periode doch eher ungern über die Schmerzen und Probleme, die man damit hat, haben könnte oder hatte, sondern ist froh sich damit gerade nicht rumschlagen zu müssen. Dabei gehört das gerade bei Romanen über Jugendliche und Teenies irgendwie dazu, besonders wenn es um Selbstfindung und -Verwirklichung geht. Aber da ist das erste Mal Sex (komplett unrealistisch beschrieben) natürlich viel dekorativer als das erste Mal mit höllischen Schmerzen im Bett liegen und sich für Frau-sein verfluchen, welches viele am Anfang (bevor sie gelernt haben damit umzugehen) erleben. Dabei wäre es besonders mit jüngeren Lesern wichtig zu zeigen, dass auch sowas dazugehört und okay (wenn auch nicht immer einfach) ist, ob man will oder nicht In diesem großen Bereich bin ich besonders von erwachsenen Autoren enttäuscht, die bereits die Perspektive haben müssten, dass zu erkennen und ändern, statt immer fortwährend solche Trugbilder zu schaffen.

Was würdest du denn besonders jungen Autor*innen raten, die gerne reale Frauenfiguren schreiben wollen? Also hast du z.B. irgendwelche Tipps, wie man nicht aus Versehen doch eine perfekte Klischee-Lady erschafft?

Es gibt ein paar ganz gute Tipps und Tricks, aber man muss hier sagen, dass jeder so seine eigene Möglichkeit finden muss. Hier ein paar Dinge, die ich anderen Autor*innen mit auf den Weg geben würde: Zum einen ist eine der simpelsten Variante natürlich sich Vorbilder zu nehmen, das klappt besonders beim Äußeren gut. Angefangen bei einem selbst bis hin zur Frau, die in der Bahn mal neben dir saß, kann das übrigens jeder sein. Übernimm einfach so viele Dinge, wie du weißt und formuliere dir die restlichen Eigenschaften dazu, ändere ein paar und, und, und. Besonders deine eigene Denkweise und Verhaltensmuster kannst du gut und realistisch nutzen, wenn du dich einige Zeit damit auseinandersetzt. Das klappt aber auch bei anderen gut, wenn du lernst zu beobachten und auch unbewusstes Verhalten zu bemerken (...auf der Lippe knabbern, wenn jemand nervös ist, beim emotionalen Sprechen die Augenbrauen viel nutzen etc.) 

Du sollst aber natürlich weder Fehler rausschneiden (dann wären wir wieder bei der perfekten Prinzessin), noch alles 1:1 kopieren - auch eigene Denkanstöße und Spekulationen sind wichtig oder du puzzelst dir gleich aus verschiedensten Menschen deinen Charakter zusammen? Relevant wäre hier noch zu erwähnen, dass es „echte" Personen sein sollten - also nicht unbedingt die durchgestylte Beauty-Bloggerin, deren Bild hat nämlich selbst schon wenig mit der Realität zu tun. 

Sonst ist es im Schreiben allgemein wichtig, Zusammenhänge innerhalb des Charakters zu erschaffen, was sich ebenfalls super dafür nutzen lässt. Suche dir also eine Eigenschaft raus und überlege, was sich daraus ergeben könnte. Wenn sie z.B. sehr gerne isst und sich nicht viel aus Ernährungsplänen macht, könnte das eine kurvigere Figur und unreinere Haut sein, aus welcher wiederum z.B. durch ein gehässiges Umfeld Probleme mit dem Selbstbewusstsein entstehen könnten. So baut man sich langsam ein Netz aus realistischen, manchmal schönen und manchmal eher negativ aufgefassten Eigenschaften. 

Ebenfalls sehr gut eignet sich auch abschreiben - also, fast abschreiben. Man sucht sich eine Person aus einem Buch (gerne auch den nervigen Teenie-Standart-Roman) und schreibt exakt die gegenteiligen Eigenschaften der Hauptperson ab. Und schon wird aus dem beliebten, immer netten Mädchen die schüchternere, manchmal etwas ruppige Außenseiterin, die weder lange Beine noch langes Haar hat. Auch hier kann man nach solch einer Anwendung wieder rausstreichen, ersetzen, Zusammenhänge ziehen - es soll ja nur Anstöße liefern und keine fertige Person. 

Und zuletzt das Wichtigste: Stell sie dir vor. Würde so eine Person in deine Klasse gehen oder in der Nachbarwohnung einziehen? Kennst du überhaupt jemanden persönlich, der annähernd so ist? Wenn ja, wie sicher bist du dir, dass das alles nicht nur schöner Schein ist? Welches Weltbild transportiert das? Verhält sie sich so, wie eine Frau, die wie jede andere auch Schwächen und Stärken hat? Habe ich alle No-Go's draußen gelassen (die lohnt es sich übrigens vorher mal aufzuschreiben und dann Punkt für Punkt durchzugehen, nicht nur bei dem Erschaffen deiner Protagonist*innen sondern auch beim Aufbau einer romantischen Beziehung)? 

Aber als letztes: bitte, „behebt" auf keinen Fall alle Fehler am/bis zum Ende des Buches! Nicht jede Königin muss im Laufe ihres Abenteuers doch noch total dünn werden, nicht jede Heldin ihre Schüchternheit überwinden. Weiterentwickeln ja, aber in beide Richtungen. Außerdem: probiert euch aus, habt Mut und seid offen für neues. Es muss nicht sofort super klappen, das muss man sich erarbeiten. Fehler sind okay, Klischees kommen doch manchmal vor (auch in guten Büchern, aber halt in Maßen) und manchmal verrennt man sich halt. Doch daraus kann man lernen, es korrigieren und noch besser werden. Und bedenkt immer: nicht alles, was erwachsene oder „richtige" Autoren machen, ist auch gut so. Es erzählen auch viele verlegte Bücher Unsinn - bildet euch also stets eure eigenes Urteil.

Okay, danke für deine Empfehlungen, die werden einigen Autor*innen sicherlich weiterhelfen! Und sie dienen auch als gute Schlussworte, weil wir hier auch fast schon am Ende unseres Interviews angekommen sind. Hast du noch irgendwas, was du unseren Leser*innen gerne mitgeben möchtest?

Tatsächlich gibt es da noch eins, zwei Dinge...wie man merkt, mit „mich kurzfassen" habe ich es bei diesem Thema nicht so. Zum einen mag einigen vielleicht aufgefallen sein, dass ich die leider auf Wattpad (aber auch in anderen Romanen) sehr verbreitete Romantisierung von Gewalt/Vergewaltigung (bzw. sexueller Gewalt allgemein) nicht angesprochen haben. Das ist nicht geschehen, weil ich dieses Thema nicht unglaublich wichtig finde, sondern eben, weil es so relevant und komplex ist, dass es hier einfach nicht ausreichend Platz gefunden hätte. Ich hoffe sehr, dass auch dazu noch ein Interview oder Beitrag kommen wird, wenn auch nicht von mir. 

Zum anderen möchte ich darauf hinweisen, dass ich Ergänzungen und Meinungen sehr gerne in den Kommentaren lesen zu würden - also falls euch noch was einfällt... Ebenfalls möchte ich anmerken, dass es mir sicher nicht gelungen ist ALLE Aspekte in meine Antworten mit einzubauen - ich hoffe sehr, ihr könnte mir das verzeihen (und vielleicht selbst in einem Kommentar anmerken?). Auch die Tatsache, dass niemand sofort perfekt schreibt sollte jeder von uns im Gedächtnis behalten - also einfach üben, auch wenn man Fehler macht. Man sollte nur in der Lage sein, sich diese einzugestehen und zu korrigieren. Zu guter Letzt noch ein großes Dankeschön an für die tolle Interviewführung und an für ihre super wichtigen Projekte (und das auch ich hier meine Meinung vertreten durfte). Also, in diesem Sinne: danke für eure Zeit, allen noch einen schönen Tag und viel Freude am Schreiben & Lesen (und zwar im Bestfall unter Einbeziehung verschiedenster Charaktere, Ideale und Persönlichkeiten).

Sehr gerne! Wir freuen uns immer über neue Interviewpartner*innen die ihre einzigartigen Geschichten, Erfahrungen und Ansichten mit uns teilen und so auch selbst diverser machen. Vor allem deine Botschaft zum Thema Fehler & Perfektion möchte ich deshalb auch nochmal hervorheben, weil sie so unglaublich wichtig ist. Diverses Schreiben ist nichts, was man einem Tag lernen kann, genauso wie Schreiben an sich. Fehler sind okay, Fehler sind wichtig, denn nur aus Fehlern kann man lernen. Zum Schluss möchte ich mich noch einmal für deine Zeit bedanken und vor allem für deinen ganz persönlichen Beitrag, Wattpad zu einem bunteren und diverseren Ort zu machen.


Das Interview wurde geführt von   @anrevo am 07.11.2020.

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