6- "Amila bringt wundervolle Nachrichten!"

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 „Oh, dieses dämliche Miststück!" 

Das Scheppern des fallengelassenen Löffels ließ Garcy empfindlich zusammenzucken, doch Sidra war bereits auf den Beinen.

„Wa... was ist los?" Naim, die mit dem Rücken zu dem Schauspiel saß, hob verwirrt den Kopf. Neben ihrem Teller lag eine schriftliche Verwarnung, anhand derer sie versucht hatte, dem weißhaarigen Mädchen Lesen beizubringen. Vielleicht wäre ihr Unterricht fruchtbarer gewesen, wenn es sich nicht um eine Ermahnung über ihre schlechten Noten gehandelt hätte. Es stellte ihre Qualifikation deutlich in Frage, doch Sidra hatte mit derartigen Aufgaben nichts zu tun haben wollen.

Mit hochgekrempelten Ärmeln stampfte sie auf den Schulleiter zu, bereit, das Mädchen vor ihm mit einem un-damenhaften Tritt durch eines der Fenster zu befördern. Selbst ihre sonst weichen roten Haare waren auf Streit aus. In struppigen Locken bekämpften sie den schlichten Zopf und erzählten auf ihre Art die Geschichte der letzten Wochen.

„Oh nein, sie startet schon wieder einen Versuch", kommentierte Naim, kaum da sie gefunden hatte, worauf ihre beste Freundin entschlossen zusteuerte. Eilig faltete sie das Papier zusammen und bedeutete Garcy, ihr zu folgen.
„Dass sie uns keinen Tag Ruhe lässt."

Mit ‚sie' war Amila gemeint. Sie stand zwischen dem Schulleiter und einem schäbig aussehenden Kerl, den man in neuere, wenn auch zu kleine, Kleidung gezwängt hatte. Auf seinem Kinn kämpften Pickel und Bartstoppel um die verbliebene Fläche und ein Muttermal nahm fast die gesamte linke Seite seiner Stirn ein.

Unter normalen Umständen hätte Sidra nicht einmal in demselben Raum sein wollen wie so etwas, ganz zu schweigen von der Vorstellung dieselbe Luft zu atmen. Aber die Müdigkeit, die sich seit den vergangenen Wochen unter ihren Augen sammelte, hätte sie beinahe gegen ihn laufen lassen.

„Sidra!", begrüßte Sir Kenrik das Mädchen mit gleichen Anteilen an Überraschung und Freude, „Du kommst gerade richtig. Amila bringt wundervolle Nachrichten!"

Daran zweifelte Sidra zwar enorm, behielt diesen Gedanken jedoch vorerst für sich, um nicht versehentlich eine Flut an Beschimpfungen auf das dunkelhaarige Mädchen niederprasseln zu lassen. Am liebsten hätte sie ihr jedes bunte Band einzeln aus den Haaren gerissen. Nur so zum Spaß.

„Das hier ist Jossua Timmens, ein Abgesandter der Hand des Lichts. Wir haben eine zweite Chance bekommen. Er ist hier, um unsere besten Schüler mit zu den Rebellen zu nehmen. Eine Schutzmaßnahme vor den Vogelfängern." Begeistert klopfte Sir Kenrik dem schlaksigen Kerl auf die Schulter, sodass dieser beinahe vornüberkippte. „Darf ich Ihnen mein Kollegium vorstellen? Alles großartige Lehrer..."

Was für ein ruhmverliebter Idiot.

Seine Worte verschwammen mit dem Hintergrundsummen des Speisesaals, während er den pickeligen Jungen zu dem Tisch am anderen Ende des Raumes führte. Amila folgte ihnen mit einem breiten Grinsen und einem kleinen Winken an Garcy, was das Mädchen beinahe zurück in Naims Arme drängte.

„Bin das nur ich, oder sah der Typ ein bisschen ungewaschen aus?", fragte Naim in das zurückbleibende Schweigen.

Sidra schnaubte abfällig und machte auf dem Absatz kehrt. Ihre Freundin und Garcy hatten Probleme ihr aus dem Zimmer zu folgen, so direkt nahm sie Kurs auf das Büro des Schulleiters.
Dabei reichte ihr stechender Blick und die geballten Fäuste an ihrer Seite, um die herumstehenden Schüler auseinanderspringen zu lassen.
„Er ist vor allem kein Rebell oder irgendeine Form eines Abgesandten", verkündete sie vor der Tür und warf sie mit so viel Schwung auf, dass sie von dem Bücherregal wieder zurücksprang.

Nervös sah Naim den verlassenen Flur hinunter.
„Ähm... Sidra? Sir Kenrik ist nicht hier.... Wir haben ihn doch gerade erst im Sp-..."

„Ich weiß Naim", fauchte das Mädchen und zerrte sie und Garcy in das Zimmer, ehe jemand ums Eck kam. Ungemütlich sahen die Beiden zu, wie sie zielstrebig auf einen Schrank zuging, ihn aufriss und mehrere Ordner zu Boden warf.

„Jossua Timmens ist nicht nur einige Jahre älter, er hat außerdem schwarze Haare, Sommersprossen und blaue Augen. Genau wie sein Sohn!" Sidra war so gefangen in ihrer zornigen Suche, dass sie die besorgten Blicke ihrer unfreiwilligen Komplizen nicht bemerkte.
„Außerdem ist er ein Arschloch erster Güte und hat seine Liebste mit dem kleinen Jungen alleine gelassen und sich bei den Rebellen vor seiner Verantwortung versteckt. Die hat das Kind abgegeben und Primwood Hall zum buchstäblich letzten Ort gemacht, an den Jossua Timmens jemals Fuß setzen würde."

Ihre laute Stimme verschluckte die leisen Kinderschritte, mit denen Garcy sich vorsichtig näherte. Behutsam berührte sie Sidra am Ellenbogen und stoppte die wütende junge Frau für einige Herzschläge in ihrer Bewegung.

„Was ist daran schwer zu verstehen?", schnappte Sidra nach ihr, doch Garcy hielt unbewegt die Verbindung zu ihrem Kopf aufrecht. Die Lippen geschürzt, sandte sie einen ganzen Schwall an Fragen das unsichtbare Band herunter, bis Sidra den Ordner in ihren Händen zurücklegte.
„Natürlich wusstet ihr das nicht. Niemand sollte das wissen, außer Sir Kenrik, doch anscheinend hat dieser senile alte Mann vergessen, wie Mazes tatsächlicher Nachname lautet!"

Im Hintergrund ließ sich Naim auf einen halbfreien Stuhl fallen.
„Ich dachte, Maze wüsste nicht-... warte, der Typ da draußen ist Mazes Vater?"

Ärgerlich schüttelte Sidra Garcys Hand ab, um den anhaltenden Strom an Fragen zu beenden, der ihren Kopf überflutete. Sie würde sich nie daran gewöhnen, jemanden in ihrem Verstand zu haben. Und sobald sie aus diesem Loch verschwunden wäre, würde sie sicherstellen, dass Garcy niemals in dieselbe Hälfte des Landes Fuß setzte wie sie.
„Nein, er benutzt dessen Namen. Als wie vierzehn waren, sind wir nachts in Kenriks Büro eingebrochen und haben eine Akte über ihn gefunden, die aus irgendeinem Grund nicht mehr hier ist. Da steht der Name seiner Eltern drinnen."

„Aber wenn das dort draußen keiner von den Rebellen ist-..." Naim ließ den Satz unvollendet. Vielleicht, weil ihr die Kapazitäten fehlten, um ihn zu einem sinnvollen Schluss zu bringen.

Garcy hatte damit weniger Mühe. Hektisch packte sie Sidra wieder am Ellenbogen.

„Ja- ich weiß, dass er vermutlich für die Vogelfänger arbeitet. Und wenn ich die Akte finden würde, könnten wir das vor Sir Kenrik beweisen!"

„Du meinst, er ist hier, um Garcy mitzunehmen?", folgerte Naim deutlich langsamer und erntete einen genervten Blick ihrer Freundin.

„Nein, ich bin mir sicher, dass er bei dem Auswahlverfahren dich aussuchen und mit zu den Rebellen- schau nicht so hoffnungsvoll! Bei den Göttinnen, Naim, du verwandelst dich in einen Dachs und nicht in einen einäugigen Bärvenhund!" Die Hände in die Luft werfend, machte Sidra sich wieder daran den Schrank auseinanderzunehmen.

Doch die Akte blieb verschwunden. Sie fanden Unterlagen, dass Roibyn Fenkwell einen Wechsel zur Burg der Kinder beantragt hatte, dass der kleine Camanero von der Hand des Lichts als Kandidat in Betracht gezogen wurde, sobald er sein vierzehntes Lebensjahr erreicht hatte. Und sie fanden eine leere Akte von einem gewissen Lues B. Aber nichts, wirklich gar nichts über Maze.

„Hat Sir Kenrik schon verkündet, wann die neuen Vorführungen stattfinden sollen?", fragte Sidra abends, erschöpft auf ihrem Bett liegend, während Naim ihr die Schuhe auszog.

Garcy saß auf dem Kopfende ihres Bettes und massierte ihr den Kopf, beruhigende Bilder von schönen Kleidern und nichtmagischen Landhäusern kreierend.

„Morgen früh", murmelte Naim und ließ sich auf den Boden plumpsen, „Timmens, oder wie er heißt, hat beim Abendessen verkündet, dass er bereits morgen Mittag mit den qualifizierten Schülern abreisen wird."

Ein panisches Bild von verhüllten Gestalten mit Vogelmasken blitzte durch Sidras Verstand und sandte eine Welle des Adrenalins durch ihre Glieder. Mit einem leisen Seufzen schloss sie die Augen, während sich Garcy ängstlich zurückzog.
„Hast du nachgesehen, ob Sir Kenrik auch nur den Hauch eines Zweifels in sich hegt, den wir nutzen könnten?"

„Nein", drang es dumpf hinter dem Kissen hervor, dass das Mädchen wie ein Schild vor sich aufbaute.

Sidra vermutete, dass sich ihre Antwort auf den Versuch bezog. Seit Wochen redete sie auf das Mädchen ein, dem Schulleiter die Wahrheit über Amila und die Vogelfänger zu zeigen. Vergebens. Sie sträubte sich wie eine Katze, die man ins Wasser werfen wollte. Selbst bei Naim wollte Garcy ihre Gabe nicht anwenden.

Der Geschmack in ihrem Mund wurde bitter. Konnte sie Maze enttäuschen? Konnte sie das Mädchen nicht ihrem Schicksal überlassen und die Tage absitzen, bis sie ebenfalls von hier verschwinden würde? Sie öffnete die Lider einen Spalt breit und betrachtete das Kind mit diesen merkwürdigen Augen, deren Farbe sich stets zu bewegen schien. Was war an ihr so besonders, dass Amila sie unbedingt wollte? Ein seltenes und mächtiges Talent, sicher, aber davon gab es noch mehr an der Schule.
Konnte es sein, dass...

Garcy bemerkte den nachdenklichen Blick und hob das Kinn von ihren Knien hoch. Hastig wandte Sidra sich wieder ab. Sicherlich hätte Maze ihr nicht die erste Nebelflüsterin anvertraut, oder? Ausgerechnet ihr? Widerwillig biss sie sich auf die Unterlippe und schwang die Beine über den Rand des Bettes.
„Fein, ich kümmere mich drum. Naim, du bleibst bei Garcy. Es ist wichtig, dass jeder denkt, ich läge noch in meinem Bett, verstanden?"

„Nicht wirklich...", schüttelte ihre Freundin den Kopf, doch Garcy nickte. Schutzsuchend streckte sie die Arme aus, als Naim sich neben sie auf Sidras Bett setzte und sie gemeinsam unter der Decke verschwanden.

Während sie ihre Schuhe wieder anzog, betrachtete Sidra die Zwei und für einen kurzen Moment wünschte sie, sich einfach mit ihnen zu verstecken. Sollte die Welt sich doch fragen, wohin sie alle verschwunden waren. Es gab bestimmt irgendwo einen schönen Hof, ähnlich derer, die sich Garcy ausmalte, um sich wieder zu beruhigen. Mit dem Vermächtnis ihrer Eltern könnten sie ein oder zwei vertraute Diener einstellen und ihr Leben abgeschieden verbringen.

Dann riss sie sich los und war aus dem Schlafzimmer verschwunden. Manche Dinge blieben für immer Träume. Es war das erste, dass sie mit der Entdeckung ihrer eigenen Gabe gelernt hatte.
Im Mantel der Nacht huschte sie an der schnarchenden Miss Kent vorbei, die Treppe hinunter in das Hauptgebäude.

Sie bemerkte nicht die kleine Gestalt, die ihr aus dem Schatten einer der Säulen folgte. Sie heftete sich an die Fersen des rothaarigen Mädchens, bis sie den Flügel erreichte, in dem die Gäste des Hauses untergebracht waren.
Sidra passierte Elayns verwaistes Zimmer und klopfte an der Tür gegenüber.

Zu ihrer Verwunderung öffnete der vermeintliche Abgesandte sofort, als erwarte er zu der späten Stunde Besuch. Er trug seine Tageskleidung und einen ähnlich überraschten Ausdruck. Einen Arm gegen den Türrahmen gelehnt, verwehrte er Sidra den Eintritt.
„Und wer bist du?"

Sidra hätte zumindest erwartet, dass Amila ihre Komplizen vor ihr warnen würde, schließlich hatten ihre Streitigkeiten eine ganz neue Form angenommen, seitdem sie Garcy in ihre und Naims Obhut genommen hatte. Aber wie der Fall nun lag, war es an ihr eine formelle Vorstellung abzugeben.
„Die korrekte Frage wäre in diesem Fall: Was bist du. Als Vogelfänger solltest du wissen, dass mein Name dir deutlich weniger Angst machen sollte als die Möglichkeiten, die ich habe."

Die Augen des Kerls weiteten sich, bis sie die gelben Ränder sehen konnte. Hektisch kramte er in seiner Hosentasche nach etwas, das ihn vermutlich gegen allerlei Magie retten sollte, doch Sidra war schneller.

Seit sie den Entschluss gefasst hatte, ihn aufzusuchen, hallte dieser Ton in ihren Ohren und bescherte ihr schlimmere Kopfschmerzen als jeder Rila-Schnaps es jemals vermocht hätte. Er war der Vorbote zu einer tödlichen Melodie. Sie sang aus seiner Seele zu ihr und mit einem tiefen Atemzug entriss sie jeden Ton seinem Körper.
Erst widerwillig, dann schneller lösten sich die Noten aus seinem Körper und sammelten sich in ihrer Lunge.

Der Vogelfänger gefror mitten in seiner Bewegung. Zitternd verließ ihn jede Farbe, erst die Wärme seiner Haut, dann die seiner mausbraunen Haare und zum Schluss das wässrige Blau seiner Augen. Ihre Töne kreierten ein wankendes Lied einer einsamen Kindheit, abgelöst von dem kreischenden Crescendo eines bettelnden Spielmanns.
Selbst seine letzte Note hatte noch nie von den Vogelfängern gehört.

Sidra ließ sie verklingen. Bewegungslos sah sie dem Mann zu, wie er stumpf nach vorne überkippte und dort seinen letzten Atemzug tat. Dann war er eben kein Vogelfänger gewesen. Aber er hatte für Amila gearbeitet.

Die Gestalt am Ende des Flurs machte keine Anstalten, ihr dabei zu helfen, den Körper hinaus auf den Innenhof zu schleppen oder ihn über die Steinmauer in den Brunnen zu hieven.

Sie war sogar in der Lage zuzugeben, dass das gar keine schlechte Idee war. Das Wasser würde wunderbar verdecken, was Sidra getan hatte und sobald die Wasservorräte im Lager wieder erschöpft waren, würde ihn jemand finden. Den armen Kerl, der nachts gestolpert und in den Brunnen gefallen war.

Zufrieden hopste Amila von einem Fass nahe dem Torbogen und beobachtete Sidra, wie sie eilig zum Haupthaus zurückkehrte. Zu dumm, dass sie gestern die halbe Nacht durchgeschuftet hatte, um die Vorräte für eine ganze Weile aufzufüllen.
Beschwingt lief sie zu dem Brunnen hinüber und spähte über den Rand.

Das Mondlicht reichte nicht bis zum Boden und verbarg die Leiche vor ihren Augen. Vielleicht sollte sie sich ein Beispiel an Sidra nehmen und die Beweise verschwinden lassen. Umständlich zog sie die Akte über Maze aus ihrem Pulli heraus und ließ sie ohne Zögern in den Brunnen fallen.
Soweit lief alles nach Plan. 

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Frohe Weihnachten meine kleinen Chaos-Minions <3

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