5- "Und dass ich chronisch unterschätzt werde."

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"Während es durchaus vorkommt, dass sich individuelle magische Talente vererben, ist die Dopplung einer Fähigkeit ohne Verwandtschaftsgrad äußerst selten. Ausnahmen hierzu bilden nur die allgemeine magische Begabung, Elementbändiger oder Sucher. Heiler differenzieren sich meist entweder durch ihre Spezialisierung auf bestimmte Beschwerden oder das Anwendungsprozedere ihrer Kräfte. [...]"

- (Aufruf des Maurel Caios, 2. Hof- Medicus im 80. Jahr von Kaelchon)

✥✥✥

           „Wenn du ihn wieder zurückverwandeln willst, wäre jetzt der Zeitpunkt."

Calean und ich saßen in einem der wenigen Räume mit vier Wänden und starrten auf einen gefesselt und geknebelten Maze hinunter. Feiner, grauer Nebel hatte sich um seine zusammengerollte Gestalt gesammelt, wie eine Decke. Aber selbst im Schlaf sah er nicht friedlich aus. Es war, als wäre er tot. (War er nicht, ich hatte nachgesehen.)

„Sag ihm einfach, dass du ihn liebst, das sollte das Kunststück vollbringen", brummte Calean, als es offensichtlich wurde, dass ich ihm nicht antworten würde.

Garcy saß wie ein bleicher Schatten hinter dem Nebelflüsterer auf einem Stuhl und starrte in die Leere vor ihr. Wir hatten sie nicht tragen müssen. Ähnlich wie ein Lamm zur Schlachtbank folgte sie jeder Anweisung ohne die kleinste Reaktion in ihrem Gesicht. Von meiner Schwester war nichts mehr übrig. Nebel hatte sich über ihre lebendigen grauen Augen gelegt.

Ich hatte die gesamte letzte Nacht damit verbracht, mit ihr zu reden. Ich hatte ihr von unserer Kindheit erzählt, von den Abenteuern in Primwood Hall und schließlich von Sidras Tod. Meine Stimme war immer rauer geworden und ich wusste, dass ich Calean wach hielt. Aber Schlaf fand seine Wege, mir zu entkommen. Und so saß ich zwischen ihr und einem bewusstlosen Maze und erzählte ihr all das, woran sie sich nicht mehr erinnerte, bis die ersten Sonnenstrahlen durch einen Riss in der Mauer zu uns hereinfielen.

Calean hatte mich kein einziges Mal unterbrochen. Doch dort wo kein Schlaf war, war Erschöpfung. Und meine ging deutlich tiefer, als die Vorstellung, dass ich keine andere Wahl hatte, als neun weitere Tage abzusitzen, bevor Nacat meine Schwester permanent in diese Puppe verwandelte.

„Er hat gesagt, ich müsse ihm eine Wahrheit sagen", antwortete ich Calean schließlich tonlos, „Niemand wäre überraschter als ich, wenn das funktionieren würde."

Calean warf mir einen langen, messenden Seitenblick zu.
„Du hattest kein Problem mich davon zu überzeu—schon gut. Schon gut", ergeben hob er die Hände, als ich mich zu ihm umdrehte.

Es reichte jetzt.

„Aber ich meinte es ernst: Wenn du willst, verwandele ihn zurück. Wir können ihn immer noch neu triggern, wenn es erst einmal-..."

„Das könnt ihr nicht." Amila stand in den Türrahmen gelehnt, die Arme vor ihrem zierlichen Körper verschränkt und ein Bein angewinkelt. Caleans nicht-existierender Reaktion zu folge, hatte er sie weitaus vor mir bemerkt.

Anstatt sich zu ihr umzudrehen, sackte er in sich zusammen, die Luft herauslassend.
„Du hättest sie nicht hierher bringen sollen."

„Un-hö-fich. Fremde Person, die sich nicht einmal umdreht, um es mir ins Gesicht zu sagen." Hillow kam hinter Amila durch die Tür und spazierte mitten in den Raum, kurzzeitig von dem bewusstlosen Maze gestoppt, der für seinen verknoteten Zustand, erstaunlich friedlich schlief.

Sie sah anders aus, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Lebendig und unbekümmerter als zuvor, aber mit einer gewissen Ernsthaftigkeit ausgestattet. Und sie hatte nur Augen für den Sucher.

Calean reagierte nicht. Wie fixiert starrte er auf die Steinplatte vor seinen Füßen, die Beine im Schneidersitz verschränkt. Aber ich sah sie. Die Panik in den grauen Augen. Der Verlust, schlimmer durch ihre unbeschwerte und vor allem unwissende Art. Und die kleinen, winzigen Nebelwolken, die sich um seine Finger sammelten.

Ich sah zu Garcy. Und für den Augenblick gab ich ihm recht. Egal was Amila vorhatte; das hier war keine gute Idee.

„Wenn ihr Maze zurückverwandelt, wird er Mensch. Kein Nebelflüsterer, kein Sucher", sprach Amila weiter, während Hillow vor Maze in die Knie ging und ihn mit einem Finger anstupste.

Er lebte noch. Ich hatte nachgeschaut.

„Was soll das heißen, er wird einfach Mensch?", wiederholte Calean argwöhnisch, plötzlich unfähig nicht zu seiner Schwester zu sehen, während er auf die Beine kam. Er war deutlich größer als sie. Kaum der kleine Bruder, der er hätte sein sollen. Doch das wusste sie nicht. Ungestört löste sie die verschiedenen Knoten, die ich an dem Sucher angebracht hatte.

„Dass es eine grob fahrlässige Sache ist, dass eure hirnfröstelnden Lehrer euch sowas nicht beigebracht haben. Das Zweigesicht zeigt nur einmal seine zwei Gesichter. Erst der Sucher, dann der Nehmer, der sich mit allem dagegen wehren wird, seine Macht zu verlieren." Hillows Hände arbeiteten flink und stetig.

„Was tust du da?" Ich hatte Probleme die Konsequenzen ihrer Worte abzuschätzen, während sie Schritt für Schritt die größte Gefahr im Raum befreite.

„Wir haben vielleicht eine geringe Chance, diesen Maze für uns zu gewinnen", erklärte sie, eine hellblonde Strähne hinter ihr Ohr schiebend, „Aber nicht, wenn wir ihn wie einen Gefangenen behandeln."

Diesen Maze. Ich schluckte trocken. Dieser Maze hasste uns, weil unser Maze uns geliebt hatte. Ich hatte meine Zweifel, ob sich das ändern ließe. Vorsichtig, ohne Maze, Hillow oder ihren wütend starrenden Bruder aus den Augen zu lassen, stellte ich mich neben Amila.
„Warum hast du sie hierher gebracht?"

Sie antwortete genauso leise, wie ich.
„Ob du es glaubst oder nicht, ich wollte ihm einen Gefallen tun."

Als Wiedergutmachung dafür, dass sie uns in die Sklaverei verkauft hatte? Danke. Wäre doch nicht nötig gewesen. Aber auf merkwürdige Art und Weise war ich erleichtert, dass sie wieder hier war. Je voller der Raum wurde, desto weniger fühlte ich mich alleine. Trotzdem...
„Du hast recht. Ich glaube dir nicht."

Amila zog neben mir eine Grimasse.
„Wenn wir die Waffe in die Finger bekommen, könnten wir sie nutzen, um ihre Erinnerungen wiederherzustellen."

DAS hatte ich auch gehofft. Wir mussten nur jemanden mit ähnlichen mentalen Kräften wie die des Zirkusdirektors finden, mit der Waffe diese Fähigkeiten verstärken und-... Ich unterdrückte ein Seufzen. Es war eine Möglichkeit, aber wir würden Zeit brauchen. Und das fehlte uns momentan.

Hillow hatte unterdessen ein Messer gezogen und öffnete damit die letzten Knoten, die sich am stärksten wehrten. Liebevoll löste sie Mazes Fesseln von ihm. Calean sagte zwar nichts, aber offensichtlicher hätte seine Miene nicht sein Missfallen ausdrücken können.

Jetzt seufzte ich doch.
„Wie hast du sie überhaupt gefunden?"

Amila verzog ihren Mund zu einem dieser selten gewordenen zufriedenen Lächeln und warf sich ein bisschen in die Brust.
„Der einzige Vorteil meiner Fähigkeiten ist die Tatsache, dass ich weiß, was Leute hören wollen. Und dass ich chronisch unterschätzt werde."

Oh, da brauchte sie sich keine Sorgen machen. Den Fehler würde ich nie wieder begehen.

Schweigen breitete sich in dem Raum aus, während jeder seinen eigenen Gedanken nachhing.
Wenn ich ehrlich zu mir war, waren die Chancen, dass wir Hillows oder Garcys Verstand wiederherstellen würden zu gering. Zu wenige Begabungen traten in exakt derselben Form auf.
In meinem Fall konnte ich vielleicht Nacat davon überzeugen Garcy zu verschonen. Aber Calean hatte mit ihm abgeschlossen. Er würde auf diese Weise Hillow nicht retten.

Und trotzdem. Es mochte im ersten Moment schmerzhaft für ihn sein, aber auch ich fühlte mich durch Garcys Anwesenheit besser als ohne sie.
Amila hatte recht gehabt. Sie wusste nicht nur, was Leute hören wollten, sondern manchmal auch, was sie brauchten. Ich trat vorsichtig näher an sie heran.
„Das wird ihm viel bedeuten." Irgendwann. Warte besser nicht auf den Dank.

Das Mädchen neben mir sank wieder zurück auf ihre Fersen und rollte die Schultern vor.
„Sag ihm das. Er wusste, wohin ich verschwunden bin und bis jetzt hasst er mich mehr, als zu der Zeit wo euch die Vogelfänger entführt hatten."

Ein winzig kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Natürlich dachte er das. Aber ich fühlte mich zurückgezogen zu der Zeit, als ich noch dachte, Amila spiele in meinem Team.
„Glaubst du, wir haben eine Chance Garcy zu retten?"

Amila zuckt mit den Schultern.
„Wenn Calean recht hat und dieser Nacat plant die Energie in jeden von uns umzuleiten...", sie drehte sich zu mir um und ihr Ausdruck wurde gequälter, „Gwinn ich flehe dich an, überlege dir gut, ob das das Leben deiner Schwester wert ist."

Ich sagte nichts. Ich konnte meine eigene Schwester nicht sterben lassen. Danach würde ich nie mehr mit mir leben können. Also schob ich die Entscheidung vor mir her, bis es zu spät sein würde.

Und Amila zwang mich nicht dazu. Stattdessen drehte sie sich wieder von mir fort und ging einen Schritt in den Raum hinein.
„Hey, Hillow. Dein Lokalisierungszauber... klappt der auch bei Halbelfen und Herolden des Bösen?"

Sie hockte immer noch vor dem Sucher, die Brauen dicht zusammen geschoben.
„Er wird sich gegen derartige Magie geschützt haben. Sonst hätte der König ihn schon lange aufgetrieben."

Amila zuckte mit den Achseln.
„Wir werden einen Weg finden, Gwinn."

Es musste das Stichwort gewesen sein. Mit einem gruseligen Ruck öffnete Maze die Augen, gerade als Hillow sich zu Calean umgedreht hatte. Ich öffnete den Mund, um sie zu warnen, doch es war zu spät.

Maze sprang auf und stieß sie dabei um. Das Messer fiel aus ihrer Hand und schlitterte über den Boden gegen seinen Stiefel. Während ich nach vorne stürzte, um Garcy aus seiner Nähe zu ziehen, hob er es auf.

Calean zog Hillow zurück und der erste Stich ging ins Leere. Calean trat Maze um, doch das Messer blieb in seiner Hand. Dunkle Schatten sammelten sich um seine Arme, dort wo vorher die letzten Nebelfetzen geblieben waren.

Wie erstarrt, beobachteten wir den breit grinsenden Nebelflüsterer, der das Messer einmal in jede Richtung schwenkte, um uns auf Abstand zu halten. Seine schwarzen Augen fielen auf Garcy, die unbeteiligt in meinen Armen hing.
„Solltet ihr eure Zeit nicht nutzen, um kleine Mädchen zu retten?"

Ich umklammerte meine Schwester ein wenig stärker, vielleicht, um mit ihrer Nähe mein laut schlagendes Herz zu beruhigen. Wie lange war er wach gewesen?

Hinten in der Tür bleckte Amila die Zähne.
„Ich weiß nicht wie ich es dir sagen soll... aber du bist kein kleines Mädchen."

„Amila!" Calean stand Maze am nächsten und machte bei dessen wütendem Zischen einen unsicheren Schritt zurück.

Doch Mazes Aufmerksamkeit war zu ihm zurückgewandert.
„Du hast meine Nase gebrochen", die Finsternis leckte beleidigt um seine Beine, „Und trotzdem musste sie dir den Hintern retten."

Sein Messer machte eine achtlose Bewegung in meine Richtung und ich drehte instinktiv Garcy hinter mich. Was hatte Hillow gesagt? Wir sollten ihn für uns gewinnen? Sie durfte gerne damit anfangen.
„Hast du nicht damals zu mir gesagt, dass es nur intelligent sei, Mädchen um sich zu haben, die einem im Zweifelsfall den Hintern retten können?"

Er verzog sein Gesicht zu einem widerlich sarkastischen Lachen.
„Was soll ich sagen? Andere Zeiten, anderer Maze."
Ruckartig sprang er auf mich zu, doch dieses Mal waren meine Reflexe auf meiner Seite.

Noch ehe er einen Schritt auf mich zu machte, hob ich ihn hoch und ließ ihn sofort wieder fallen.

Dieses Mal war sein Lachen echt, als er sich aufrappelte.
„Vorsichtig. Wenn ihr zu grob seid, wird es keinen Maze geben, den ihr zurückholen könnt."

„Das Risiko bin ich gewillt einzugehen." Calean zögerte nicht, sich auf ihn zu stürzen. Die dunklen Nebelschatten sprangen viel zu leicht auf ihn über. Oder sie waren bereits dort gewesen und Maze lockte sie nur hervor. Doch Hillow stoppt ihn, mit nur einem Arm um seine Taille.
„Ich nicht!"

Maze lachte noch mehr, bis es von den leeren Wänden der Ruine widerhallte.
„Ah. Ich weiß wirklich nicht, was mein anderes Gesicht für kleinwüchsige Blondinen übrig hat." Er sah zu mir, „Oder für einäugige Schoko-..."

Mehr brauchte es nicht. Calean machte einen Ausfallschritt, schob Hillow hinter sich und stürzte auf Maze zu.

Doch Maze war schneller. Messer gezückt, wich er Caleans Wucht behände aus, drehte sich und stach zu. Gerade, als Amila ansetzte, ihn von er Seite umzurennen.

Die Klinge riss durch ihre dichte Kleidung hindurch, beinahe mittig in ihren Brustkorb. Sie glitt so einfach hinein, dass es keine Rippe getroffen haben konnte. Amila keuchte auf und gemeinsam stürzten die Beiden zu Boden, direkt vor Caleans Füße.

Die Welt hielt die Luft an.

Ein Herzschlag. Zwei Herzschläge. Niemand bewegte sich.

Vorsichtig wollte ich mich nähern, doch kaum da ich den ersten Schritt machte, spürte ich es.
Ein leichtes Beben unter meinen Füßen. Kleine Steine tanzten über den Boden und Staub erhob sich in Wellen. Nach und nach wurde es stärker, bis ich es sogar hörte. Ein Summton, der sich auf meine Ohren legte und mich taub machte.

„Gwinn! Was tust du?", Hillow brüllte über den ansteigenden Lärm hinweg. Inzwischen wackelten die Wände und erste Steine löste sich aus der Decke und fielen zwischen uns.

„Ich bin das nicht!" Ich versuchte meine Kräfte gegenwirken zu lassen und uns zumindest vor dem Steinschlag zu retten, doch zum ersten Mal seit langem, war ich für etwas nicht stark genug. Es war, als versuche ich mich im Armdrücken mit der Natur.

Ein größerer Stein löste sich aus der Decke und riss geradewegs durch meine Kräfte hindurch. Mit einem zähneerschütternden Krachen grub er sich in die Steinplatte zwischen uns und jagte alle auseinander.

So viel Staub rieselte herab, dass ich Maze und Amila kaum noch sah. Aber dann roch ich es. Verbrannt und gleichzeitig süßlich. Wie eine Kerze, aber definitiv nicht wie eine Kerze riechen sollte.
Ich wusste, was das war, weit bevor ich zwischen den fallenden Steinen die schwarze Flüssigkeit sah, die aus Mazes Kleidung heraus sickerte.

Seine schwarzen Haare schwammen in einer Pfütze. Die Flüssigkeit lief aus seinen geschlossenen Augen, aus den Mundwinkeln und aus den Ärmeln. Dort, wo sie sich auf dem Boden sammelte, entstanden die bläulichen Gase, die ich einige Male zuvor gesehen hatte.

Doch sie wurden nie zu dieser übergroßen Wolke. Sie verflüchtigten sich in silbrig-weißem Nebel.

Das Beben ebbte ab. Der Nebel wurde stärker und für einen kurzen Moment, musste ich mich an Garcy festhalten, nur um zu wissen, dass sie noch dort war.
Der Lärm der fallenden Steine wich ohrenbetäubender Stille, die allein von meinem heftigen Atem gefüllt wurde.

Mein Herz hämmerte gegen die Rippen. Es war fast unmöglich meine Schwester zu halten, so sehr zitterte ich, während sich mit jedem Atemzug der Nebel lichtete.

Maze saß in der Mitte des Raumes, Amila in seinen Armen. Seine Augen, genauso brillant Blau wie ich sie in Erinnerung hatte, waren rot gerandet, während eine Träne nach der anderen auf den leblosen Körper des kleinen Mädchens tropfte.

Er brauchte einen Moment länger als wir, um zu bemerken, dass er nicht mehralleine war. Erschöpft hob er den Kopf und sah uns an.
„Sie... sie hat gesagt, meine Seele wäre es wertdafür zu sterben." 

✥✥✥

"Also du bist-..."- Hillow
"...tot. Ja." - Amila
"Ich wollte eigentlich ein Idiot sagen."

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