Kapitel 18 - Ein Akt der Gnade

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„Tu es!"

Cian hörte die Worte und verstand erst einige Sekunden später, dass sie aus seinem eigenen Mund kamen. Er schrie und gleichzeitig liefen Tränen über seine Wangen. Schmerz erfüllte seinen gesamten Körper, doch am stärksten pulsierte er von seinem Bein aus.

Cian verschwendete allerdings keinen Blick dorthin, denn vor ihm kniete eine Frau. Sie hatte hellbraunes Haar, dass zu einem dicken Zopf geflochten war und über ihren sommersprossigen Wangen blinzelten wunderschöne Rehaugen zu ihm herab.

Er spürte das Gras in seinem Rücken. Er lag auf dem Boden und lehnte an etwas. An einem anderen Körper. Doch ihn überlief kein Schauder, das gehörte zum Krieg dazu und sie befanden sich schon so lange im Krieg...

Die Frau antwortete ihm nicht, starrte ihn nur unverwandt an und Cian spürte, dass in ihrem Inneren ein Kampf der Loyalitäten tobte.

„Meriandra... bitte." Seine Worte erstickten zu einem Flüstern. >Bitte<, dieses Wort hatte er ihr gegenüber noch nie benutzt. Dass er es jetzt tat... verstand sie nicht?

Doch.

Sie verstand.

In Meriandras Augen glitzerten unvergossene Tränen. Ganz langsam trat sie vor und kniete sich neben ihn. Um sie herum war alles voller kämpfender Soldaten, sich windender Körper und gebrüllter Befehle, die durch die Luft flogen wie Geschosse. Ein Pferd wieherte schreiend auf und es knallte dumpf, weil der große Körper vermutlich irgendwo auf den Boden prallte.

Cian spürte seinen Schmerz, der ihm nahezu die Sinne raubte, doch er zwang sich wach zu bleiben. Kurz glitt sein Blick nach unten und der Fey erschrak, als er sah, was den Schmerz verursachte. Seine beiden Beine... fehlten. Nur blutige, ausgefranste Fetzen hingen dort, wo einst...

Eine Hand griff nach seinem Kinn und hob es an, lenkte seinen Blick weg von dem Zustand seiner Beine und hin zu Meriandras Rehaugen. Sie waren groß und braun und schenkten Frieden.

In ihrer Hand blitzte ein Dolch, Cian sah es aus dem Augenwinkel, doch er fürchtete sie nicht. Als eine Träne über ihre Wange rollte, hob er mühevoll die Hand und wischte das silbrig salzige Nass mit zwei Fingern fort.

„Wenn du es nicht tust, wird mein Leben hier trotzdem enden... nur deutlich qualvoller. Tu es, Meriandra. Sie wissen von meinem Verrat, sie wissen, dass ich dich gewarnt habe", hörte Cian sich murmeln und spürte, wie seine Lippen ein ehrliches Lächeln formten. „Ich kann mir keinen ehrenvolleren Tod vorstellen, als den von deiner Hand."

„Thalion...", flüsterte sie seinen Namen und er klang für den Krieger wie ein Abschiedsgruß.

Inzwischen konnte seine Hand den Fluss ihrer Tränen nicht mehr aufhalten und er versuchte es auch gar nicht. Sanft griff er nach ihren Fingern an dem Dolch, umschloss sie fest und sicher, dann führte er ihre Hand. Weiter und weiter, bis die Spitze ihrer Waffe genau an dem Punkt ansetzte, wo die Lücke zwischen seinen Rippen das Herz freigab.

„Ich liebe dich, Meriandra. Ich habe es getan, als ich dich das erste Mal in dem Gefangenenlager sah und ich werde es noch tun, wenn meine Seele nicht mehr an diesen Körper gebunden ist. Triff mich im nächsten Leben wieder."

Ihre Lippen bebten, dann beugte sie sich vor und drückte einen verzweifelten Kuss auf Thalions Lippen. Voll Traurigkeit erwiderte er ihn, schmeckte ihre und seine eigenen Tränen, doch alles, was zählte war, dass sie beieinander waren und Meriandra diese Schlacht überleben würde.

„Ich liebe dich auch", flüsterte sie gegen seinen Mund und Thalion lächelte.

Dann spürte er einen schneidenden, abrupten Schmerz in seiner Seite.

Meriandra hatte zugestochen und der Dolch durchschnitt präzise die Stelle zwischen den Knochen, um sich ohne Gnade in sein Herz zu graben.

Er hatte Angst, Schmerzen und tausend Gedanken, die ihn mit Unsicherheit quälten... doch Meriandras fester Griff um seine andere Hand und ihr tränenverschleierter Blick, der ihn bis zur letzten Sekunde nicht losließ, gaben ihm den nötigen Halt... um loszulassen.

„Leb wohl..."

Die letzten Worte perlten von seinen Lippen, wie der frische Morgentau, auf dem er Meriandra zum ersten Mal geküsst hatte.


Cian öffnete die Augen. Eine leichte Brise strich eiskalt über seine Wangen und er erkannte, dass sie nass von Tränen waren. Auf seinen Lippen spürte er den letzten Kuss einer Frau, die er niemals traf und den sie einem Mann gegeben hatte, den er ebenfalls nie gesehen hatte. Doch die Emotionen dieses Augenblicks klammerten sich so fest an ihn, als wären es seine eigenen.

„Ist ja gut", murmelte Lir, die in einigem Abstand zu ihm stand und den Boden gerade nach dem trügerischen Kristall absuchte.

„Bleib stehen", stöhnte Cian, während er versuchte sich langsam wieder aufzurichten. Sein Atem hob und senkte sich, während eine Hand zu seinen Rippen wanderte und er sich probehalber kurz abtastete. Nein, kein Dolch steckte in seinem Fleisch. Da war keine Wunde. Er lebte. Cian atmete mehrmals tief ein und aus.
Er war so echt, dass er den schalen Geschmack des Blutes immer noch schmeckte.

„Bist du sicher? Ich komme zu dir... ich schaffe..."

„Nein, lass gut sein. Wir müssen weiter und das Risiko ist zu hoch, dass du auch hinein-" Cian unterbrach sich.

Sein Blick war auf eine zusammengesunkene Gestalt am Boden gefallen, ebenso von der Rache des Landes getroffen und versteinert, wie all die anderen Körper. Er lehnte an einem weiteren Steinklumpen und der Seite war ein Fluss von rotem Kristall gesprudelt, der sich zu Cians Füßen als Lache ausgebreitet hatte.

Thalion.

„Ich hoffe, du hast Meriandra wiedergefunden, Thalion", flüsterte Cian so leise, dass nicht einmal Lir es hören konnte. Er spürte, wie die Tränen dieses Augenblicks wieder in seinen Augen aufsteigen und als er sich herunterbeugte, um den Stein mit den Fingerspitzen zu berühren, tropften seine Tränen darauf.

Obwohl der Fuchs keine Ahnung hatte, was die beiden Liebenden seiner Erinnerung in diese Lage gebracht hatte, so ahnte er was dahinterstecken konnte.

Verfeindete Lager. Ein Krieger, der sich in eine Gefangene verliebte, sie befreite... und sich damit gleichzeitig selbst in große Gefahr brachte.

Manche starben für die Liebe.

Andere vielleicht für ihre Rache.

„Geht es?", fragte Lir vorsichtig, die seine Anweisung befolgte und sich nicht mehr näherte.

„Ja..." Cian richtete sich schwerfällig auf. Die zweite Erinnerung hatte ihn deutlich mehr aufgewühlt als die erste und er spürte seine Kraft schwinden. „Wir können weiter. Die Zeit rinnt uns durch die Finger. Bald geht die Sonne unter und wir wissen bislang nicht einmal, wo wir suchen sollen."

„Alles sieht gleich aus", pflichtete ihm Lir bei und musterte ihren Gefährten noch einen Moment besorgt, ehe sie sich wieder in Bewegung setzte.

Doch was ihnen bevorstand, hätte keiner von beiden je ahnen können.

Die roten Blumen teilten sich mehr und mehr für die steinernen Körper und roten Kristallflächen, bis sich schließlich Stein an Stein reihte, Blutlache an Blutlache. Die Toten lagen so eng beieinander, dass manchmal keine Blumen mehr dazwischen Platz fanden.

Lir und Cian kamen immer langsamer voran, bis sie irgendwann vor einem Abschnitt standen, der so durchgängig mit dem roten Kristall gesprenkelt und mit steinernen Körpern versehen war, dass sie nicht wussten, wie sie weitergehen sollten. Dahinter bot sich derselbe Anblick: Körper, rotes Funkeln zwischen den Blumen und über allem die schwere Stimmung von Tausenden ungesehenen Erinnerungen, die in dem kristallisierten Blut lauerten, wie eingesperrte Bestien.

Cian betrachtete die erstarrten Ströme vor sich mit wachsender Verzweiflung. Wie um alles in der Welt sollten sie das überstehen? Bereits zwei Berührungen hatten so sehr erschöpft, dass er sich nur noch in ihrer Hütte, zu Hause, zusammenrollen und eine Woche lang schlafen wollte. Dazu kam, dass sie keine Ahnung hatten, wo sie suchen sollten und die Sonne dem Horizont immer tiefer entgegen sank.

„Dort vorn ist etwas", bemerkte Lir, die ihre Aufmerksamkeit nach vorn gerichtet hatte.

Cian folgte ihrer ausgestreckten Hand mit dem Blick und spähte in die Ferne. Es war schwierig, gegen die untergehende Sonne etwas zu erkennen.

„Was meinst du?", fragte er verwirrt, denn in der Richtung erkannte er nur das Glitzern des roten Kristalls und die wogende Blütenmasse.

„Dort ist etwas... es sieht nicht aus wie der Stein. Es ist höher, siehst du das?"

Der Fuchs bemühte sich wirklich zu erkennen, was die scharfen Augen der Rabin erblickt hatten, doch er benötigte eine ganze Weile, bis er es endlich sah. Lir hatte recht, in weiter Ferne war etwas. Eine Art Erhebung zwischen den roten Blüten. Ein Hügel?

„Vielleicht ist es dort", spekulierte Lir und stemmte nachdenklich die Arme in die Seiten.

„Lass uns nachsehen, was haben wir zu verlieren", brummte Cian.

Lir hüpfte voraus, Cian folgte ihr und versuchte so gut es ging in ihre Fußstapfen zu treten. Es war schwierig, denn ihre Füße waren deutlich zierlicher als seine. Trotzdem schafften sie es, eine Weile ohne Berührung mit den immer dichter werdenden Kristallflecken weiterzuziehen.

Gerade wollte Cian aufblicken und die Entfernung zu der seltsamen Erhebung abschätzen, als Lir plötzlich direkt vor ihm zusammenbrach. 

Wortanzahl: 1.449 Wörter

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