6 - Schnee des Südens

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Sooo erstmal an alle eine frohe Weihnacht und das hier ist eine Art Weihnachtsgeschichte. Meine Mutter hat sich gewünscht, dass ich ihr eine Geschichte zu Weihnachten schenke und das ist sie. Etwas länger als gewöhnlich aber immer noch eine Kurzgeschichte finde ich. Viel Spaß beim Lesen und ich hoffe ihr haltet bis zum Ende durch :)

 Schnee des Südens

Weit über den Feldern und Wäldern des Königreiches erstreckte sich eine dicke, kalte Wand aus frierenden Himmelstränen. Es war bereits später Nachmittag und wie auf einen Befehl zuarbeitend öffnete sich die weiße Decke und Gott begann zu weinen. Dicke Schneeflocken bahnten sich ihren Weg zu Boden und der gefrorene Boden erzitterte, als durch die bittere Kälte hindurch schmutzige Pferdehufe auf den harten Untergrund donnerten. Die Räder des Gefährtes kamen nicht selten zum Rutschen und der Kutscher verfluchte den Grafen, dass er ihnen keinen Schlitten zur Verfügung gestellt hatte. Sofort kreuzigte er sich bei diesen unwürdigen Gedanken und bat stumm um Verzeihung. Er hatte die Kutsche mitsamt seiner Insassen sicher zum Palast zu bringen und würde er diese Aufgabe nicht ordnungsgemäß erfüllen, so müsste er um seine Existenz bangen. Schließlich hatte er keine Fehler zu machen. Und auch wenn die junge Frau im Inneren so vermeintlich unbedeutend war, wie eine der unzähligen Kiesel auf dem langen Pfade zum Ziel, würde er sich so verhalten, wie es sein guter Benimm von ihm erwartete. Schon als sie eingestiegen war, hatte er ihr höflich die Tür aufgehalten und sich selbst verboten auf ihr außerordentlich pralles Hinterteil zu starren. Das mussten die Wurzeln sein, er hatte noch nie eine englische Lady mit solchen Rundungen gesehen. Er verbot sich desweiteren sie auch nur im Ansatz attraktiv zu finden, denn er war einer der wenigen, der die Wahrheit über sie wusste. Den Grund ihrer Anwesenheit am gräflichen Landsitz. Die Tochter der Magd hatte es ihm erzählt. Sie hatte das Mädchen dabei belauscht, wie es immer und immer wieder Abend für Abend im Stall bei den Gäulen gesessen hatte und ihr Herz ausgeschüttet hatte. Anfangs auf ihrer dreckigen Sprache, später dann auf Englisch. Schließlich wäre sie im Falle eines Verrates an den Grafen höher für den Gebrauch ihrer Mutterworte bestraft worden, als für die Preisgabe ihres Leides. Lange hatte die Lehrerin des Grafensohnes gebraucht, um ihr das königliche Gebären einzupauken, doch sie hatte Talent und wenn die Lehrerin ehrlich war, hatte sie noch nie eine Unterwürfige kennen gelernt, die so schnell die Fähigkeit zu sprechen erlernt hatte. Die richtige Sprache zu sprechen. Nun, um nicht zu lügen muss dazu wohl auch gesagt werden, dass die Paukerin noch niemals irgendwen Englisch beigebracht hatte. Sie hatte lediglich Bücher gelesen, in denen über die Ungebildetheit und die Unverständlichkeit der dummen ungesegneten Kinder Gottes gesprochen wurde. Man sagte ihnen nach, ihre grässliche Hautfarbe sei eine Bestrafung für Ungehorsam und dann zog sich diese Schmach durch die komplette niedere Sippe. So war es ja schließlich auch bei Hunden. Hatte die Mutterhündin Würmer, so konnte man diese auch bei den Welpen finden. Doch diese junge Frau war etwas Besonderes. Das wusste der Kutscher und daher war er erleichtert, als er endlich die Zugbrücke erreicht hatte und er seine Aufgabe erfüllt hatte. Denn als er den Hof passiert hatte, war sie nicht länger in seiner Verantwortung. In den weichen Schneetänzen standen mehrere Mägde herum und taten ihrer Arbeit nach. Der Kutscher öffnete der jungen Frau die Türe wie zuvor und wandte seinen Blick konsequent in eine andere Richtung. Erleichtert atmete er auf, als sofort eine Hofdame auf das Mädchen zukam und sie in die warmen festen Wände des alten Gemäuers geleitete. Nun konnte er sich lösen und wurde von seiner Frau, der Köchin und seinen kleinen Töchtern mit großer Freude in Empfang genommen und in die Küche gebracht, wo er sofort eine heiße Tasse Brühe schlürfte und spürte, wie die Wärme seine Glieder hinaufkroch.

Die Hofdame führte das Mädchen durch die großen Gänge. Brennende Fackeln und Kerzen kündigten die Nacht an und die dunkle Haut der Staunenden wurde mit einer Gänsehaut überzogen. Wahrlich, der Sitz des Grafen war schon beinahe erdrückend und mächtig gewesen, doch gegen das Schloss des Königs sah sie es in einem völlig neuen Licht. „Hier lang!“, wisperte die Dame und öffnete eine kleine Tür am Ende des Ganges. Die Kammer war gerade mal so groß, dass ein wohlbeleibter Koch sich einmal um die eigene Achse drehen konnte. Mehrere halbnackte Mädchen waren in diese Enge gedrängt und zogen sich rasch Kleidung über. Einige trugen über dem konventionellen Kleid noch eine frische Schürze, wenige andere trugen schlichte aber weitaus schönere Gewänder. Das Mädchen konnte sich nicht einordnen. Sie war weder eine begabte Köchin, noch eine Dienerin oder Gespielin der Königskinder. Die einzige Aufgabe, die sie beim Grafen hatte war eine, für die sie keine Kleidung bräuchte. Schmerzlich verzog sie das Gesicht und spürte, wie die Hofdame ihr ein Kleid wie die der Köchinnen gaben und schwarze Pantoffeln. Ihre nackten aber sauberen Füße waren viel zu klein, aber sie wagte es nicht zu fragen, ob sie andere bekommen könnte. Würde man sie dann schlagen? Sie wusste es nicht. Sie wurde so oft geschlagen. So oft, dass sie heute noch das schreckliche Hallen in ihrem Schädel und das Pochen an den Schläfen spürte. Beschämt entkleidete sie sich. Das einfach geschnittene Kleid hatte sie vom Grafen geschenkt bekommen und entsetzt musterte sie die Hofdame, die jegliche Kleidung der anderen in einen großen Sack warf und dann auch sie fordernd musterte. „Na los, mach schon, dummes Ding!“, fuhr sie das Mädchen entnervt an. „Bist du taub, du Tölpel? Jetzt spute dich!“ Sie zuckte zusammen und beeilte sich aus dem Kleid heraus zu kommen und das neue anzuziehen. Neugierig musterten die anderen Frauen und Mädchen ihren nackten Körper. Die grobe Leinenunterwäsche glich einer Windel und verdeckten das pralle Gesäß. Einige verkniffen sich ein hämisches Kichern. Wahrlich, das war keine Engländerin. Unbeholfen verstaute sie ihren mächtigen Busen im Ausschnitt des Stoffes. Sie hasste ihren Körper. Die Narben und dunklen Male durch die Verbrennungen störten sie nicht mal, aber sie hasste es so bepackt zu sein. Sie war gezwungen worden so viel zu essen, dass sie immer fetter geworden war. Der Graf hatte ihre Kurven immer geliebt, doch sie schämte sich dafür, Massen an Speisen in sich hineinzustopfen während ihre Familie im Süden hungern musste. Und trotz ihren Rundungen hatte sie wegen ihrer kleinen Größe etwas sehr zartes an sich. Auch das hatte der Graf gemocht. Als sie endlich fertig war klatschte die Dame in die Hände. „Husch husch, Mädchen! Jeder an seine Arbeit!“ Die Weiber flossen aus der kleinen Kammer und auch die kleine Südlerin folgte ihnen. Sie wusste nicht, wo sie hin sollte, als plötzlich eine barsche Stimme sie von hinten anfuhr. „Du, dummes Gör! Wo willst du hin?“ Ruckartig drehte sie sich um. Neben der Hofdame war eine alte Magd mit tiefen Furchen im Gesicht und einer schiefen großen Nase erschienen. Ihre Arme waren verschränkt und das ekelhafte Grün ihres Gewands unterstrich ihre Hässlichkeit. „Sprich! Wie ist dein Name.“ Die Hände des Mädchens zitterten. „M…Momo!“ Die Mundwinkel der Unschönen fielen noch tiefer. „Stotter nicht so dumm. Und was ist das für ein Name? So etwas Naives tragen nur die dreckigen Huren im Bordell. Bist du eine Dirne?“ Bei jedem Wort zuckte Momo zusammen. „Antworte gefälligst wenn ich mit dir rede.“ Momo wollte stark sein, doch ihre Augen brannten und eine tiefe Träne rollte ihre Wange herab. „Jetzt heul nicht auch noch!“, verdrehte die Alte die Augen. Doch Momo konnte nicht aufhören. Mit langen behaarten Schritten stand sie plötzlich vor Momo und ehe diese reagieren konnte brannte ihre Wange und sie plumpste auf den kalten Boden. „Du antwortest künftig auf meine Fragen.“, zischte die Hässliche. Momo nickte immer noch heulend und stand auf. Ohne ein weiteres Wort drehten sich die beiden Damen um und Momo folgte ihnen stolpernd und schluchzend. Man hörte es noch die ganze Nacht.

„Du bist also das Weib vom Hofe des Grafen.“, bemerkte Maria – mittlerweile hatte die Alte sich vorgestellt – und  zeigte Momo die Küche. „Ja.“, antwortete das Mädchen, denn die Furcht bei Stillschweigen wieder bestraft zu werden war zu groß. Im wohlduftenden Dampf der Speisen hantierten Köche, Mägde und Küchenjungen herum und Momo war erstaunt über so viel Geschäftigkeit. An ihrem früheren Hof hatte sie immer nur in einer kleinen Kammer gespeist, was der Graf und die Hochwohlgeborenen übrig gelassen hatten, bevor sie in seine Gemächer befohlen wurde. „Glotz nicht so dumm!“, herrschte Maria sie an. Sofort sahen einige von ihrer Arbeit auf und warfen Momo einen neugierigen Blick zu. „Du wischt erst mal den Boden und wenn die Majestäten gespeist haben hilfst du beim Spülen und wenn du damit fertig bist, hilfst du bei der Stallarbeit.“ Momo seufzte leise auf. Dieser Tag schien noch lange nicht vorbei zu sein.

Bitterer Schweiß rann Momo‘ s Rücken herab. Sie kniete auf dem kalten Boden und schrubbte schon seit Stunden. Unter langsam fauligen Essensresten klebten das Blut der Burgenmauern und der schimmlige Geschmack des Todes. Momo‘ s Knie taten weh und auch ihre Wirbelsäule durchzog ein krümmender Schmerz. Doch würde sie jetzt aufhören, gäbe es eine Strafe in solchen Ausmaßen, die sie sich selbst nicht vorstellen konnte. Der Graf hatte sie immer geschlagen und ausgepeitscht, wenn sie nicht tat was er ihr sagte. Wenn seine erniedrigenden Forderungen nicht eingehalten wurden. Wenn sie ihre Menschenwürde beibehielt. Nur ein einziges Mal. Die blutigen Narben auf ihrem Rücken und tagelanger Hunger waren ihr eine Lehre gewesen. Für immer. Bis tief in die Abendstunden arbeitete sie weiter und hoffte inständig, dass Maria nicht wieder kommen würde bevor sie fertig war. Und sie hatte Glück. Dieses Glück durchzog allerdings ein bitterer Beigeschmack, als sie tief in der Nacht plötzlich ein hysterisches Kichern und das Auffliegen der Tür hörte. Eine tiefe, lallende Männerstimme murmelte schmutzige Worte und erwartete Antwort eines hellen Frauengesangs. Momo rutschte in eine Ecke. Wer weiß, was sie hier gleich miterleben musste. Sie schämte sich dafür, dass sie nicht schreiend raus rannte, sondern wie ein wimmerndes Baby alles über sich ergehen ließ. Sie wusste es einfach nicht. Wahrscheinlich war es der Graf, der ihre immer wieder mehr oder weniger gewaltsam klargemacht hatte, dass sie weniger Probleme bekam umso weniger sie auffiel. Ihre Mutter hatte ihr andere Sitten beigebracht. Sie war ein Mensch, eine Persönlichkeit, ein Wunder. Sie hatte das Recht auf Würde und Akzeptanz. Und dennoch hatte man Momo immer gesagt, sie solle sich still verhalten, wenn die weißen Männer im Lande waren. Doch Momo war nicht still. Momo war aufgefallen. Und genau das war der Grund, weshalb sie die erste schwarze Sklavin war, die aus dem Süden ins Königreich verschleppt und zur Unterworfenen der Oberen gemacht wurde. Weil sie nicht still gewesen war. Sie konnte diesen Fehler nicht rückgängig machen, aber sie konnte dafür sorgen ihn nicht zu wiederholen. Ein jeher empörter Schrei ließ sie aus ihren Gedanken fahren und unwillkürlich zog sich jede Faser ihrer Muskeln zusammen. Die Frauenstimme keifte wie eine alte Gans und Sekunden später fiel die Tür erneut ins Schloss. Momo lauschte angestrengt und hielt im Atem inne. Da hörte sie es. Das trunkene Keuchen des Mannes. Er war noch da. Und sie, sie war verloren. Das wurde ihr bewusst, als plötzlich jemand ihren Arm packte und sie hochzerrte. Der Mann schien augenscheinlich der Metzger des Hofes zu sein. Seine blutige Schürze stank nach Verwesung und Blut und er lachte tief auf. „Du dreckiges Miststück.“, lallte er und presste sie an sich. Sein Atem stank nach Alkohol und irgendetwas anderem, was Momo nicht deuten konnte. Als er grinste sah sie, dass ihm mehrere Zähne fehlten und die wenigen verbliebenen nur noch braune Stümpfe waren. Sein massiger Oberkörper schwappte über wie triefendes Fett und Momo musste würgen. „Bitte, bitte tut mir nichts.“, heulte sie. „Halt deine schwarze Schnauze Weib, oder ich stopf sie dir.“ Mit einer kräftigen Pranke schlug er sie zu Boden und in ihrem Kopf hallten Schmerzensschreie wieder. Sie konnte sich nicht rühren. Wimpernschläge später spürte sie sein Gewicht auf sich und sie schrie. Schrie die ganze Nacht. Schrie, bis er ihren Hilferufen mit einem Hieb ein Ende setzte.

Ein monotones Piepen weckte Momo. Sie konnte nur schwerfällig die Augen öffnen. Das eine war komplett zugeschwollen. Verschwommene Umrisse beugten sich über sie und der schrille Ton verschwand langsam. Doch mit den aufgewühlten Worten der um sich scharenden Silhouetten kamen auch tiefe Schmerzen in ihr Bewusstsein. „Schafft sie hier raus, los! Bevor der König zur Kontrolle kommt.“ Momo konnte sich nicht bewegen. Kräftige Hände hoben sie hoch und am liebsten hätte sie laut geschrien doch aus ihrer Kehle kam nur ein blutiges Krächzen. Die sie berührenden Finger erinnerten sie an den brutalen Gewaltakt ihres Peinigers. Der Graf war wenigstens immer zärtlich zu ihr gewesen. Doch jetzt? Jetzt war sie auf dem kalten Boden der Küche in einer Lache ihres eigenen Blutes aufgewacht und heimlich über den Flur getragen. Sie sah nur wenig und spürte, wie sie abermals drohte abzudriften. Sie wollte schlafen. Sterben. Entschweben. Über ihr flog das kalte Gestein hinweg, bis sie plötzlich zum Stillstand kam und eine gebieterische Stimme jagte ihr eine Gänsehaut über den geschundenen Körper. „Was ist hier geschehen?“ Schweigen. Woher kannte Momo die Stimme? „Was ist mit ihr?“ Ein dunkler Umriss drang in Momo‘ s Blickfeld ein und sie erkannte klare Gesichtszüge, einen schönen Mund und helle Augen. „Momo?“, fragte die Person und da wurde dem Mädchen klar, warum er ihr so bekannt vorgekommen war. Der Prinz. Es war der Prinz. Momo erinnerte sich an laue Sommertage, an denen er seinen Onkel auf seiner Residenz besucht hatte. Das musste nur wenige Monate her sein. Diesen Juli. Ja, es war Juli gewesen. Und so lächelte Momo selig und murmelte noch „Eure Majestät“, bis sie wieder den Halt verlor.

Tiefes Gemurmel weckte Momo aus ihrer Ohnmacht. Sie fand sich in einem Bett voll seidener Kissen und Decken wieder. Ihr Auge war immer noch zugeschwollen und ihre Brust tat weh. Wo war sie? Verblüfft sah sie sich um. Das Zimmer in dem sie lag war prunkvoll. Dunkle Vorhänge waren vor die großen Fenster gezogen und überall glänzte Gold und Silber. Doch all das konnte Momo‘ s Aufmerksamkeit nicht auf sich ziehen. Es waren der Prinz und ein Mann im hellen Leinenhemd und einer weißen Schürze. Hin und wieder zogen sich rötliche Schlieren durch den Stoff. Er musste Arzt sein. Die beiden redeten. Momo traute sich nicht etwas zu sagen und blieb somit still in ihrem Bett liegen. Irgendwann sah jedoch der Prinz zu ihr und es schien als zwang er sich zu einem gequälten Lächeln. „Du bist wach.“ Sie nickte vorsichtig. Auch der Arzt fing ihren Blick ein und trat zu ihr. „Momo, Liebes, du bist wach.“ Sie kannte ihn nicht aber er schien nett zu sein. Sein Lächeln war weiß und seine Seele schien dem in Nichts nachzustehen. „Wie fühlst du dich?“ Momo konnte nicht sprechen. „Ruh dich erst mal aus, Liebes. Über alles Weitere sprechen wir später.“ Er strich über ihre Wange und wandte sich dann wieder dem Prinzen zu, der sich nicht gerührt hatte. „Da wäre allerdings noch etwas, über das wir reden sollten, Eure Majestät. Womöglich sogar mit Eurem Vater.“ Der Prinz runzelte die Stirn und Momo durchforstete ihre Gedanken krampfhaft nach seinem Namen. „Schlaf, Kleines.“, forderte der Arzt noch einmal und stand dann auf. Langsam trat er zum Prinzen und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der weitete die Augen voller Schrecken, fasste sich dann allerdings wieder schnell. Bevor er das Zimmer verließ schenkte er Momo noch einen langen undurchsichtigen Blick. Da fiel es Momo wieder ein. Harry, er hieß Harry.

Unsanft wurde Momo aus dem Schlaf gerüttelt. Einige Sekunden brauchte sie, um klar sehen zu können immerhin stand ihr gerade nur ein Augenlicht zur Verfügung. „Aufstehen!“, knurrte eine tiefe männliche Stimme. Eine Wache. Eindeutig. „A…aber…“, stotterte Momo. „Anordnung des Königs. Verlass den königlichen Hof und lass dich hier nie mehr blicken, dreckige Dirne.“ Vor Momo‘ s Augen verschwammen die Umrisse. Wie ein Schlag ins Gesicht traf sie die Aufforderung. Beschimpfungen, die war sie gewohnt aber so etwas nicht. „Warum?“, zitterte sie. „Frag nicht so dumm und verschwinde.“ Momo erkannte an der Tür zwei weitere Wachen. Der Mann neben ihr packte ihren Arm und zog sie hoch. Vor Schmerzen schrie sie laut auf. Die Ränder ihres Blickfeldes verschwammen und sie spürte einen Schlag gegen die Wange. Ohne Rücksichtnahme zerrte man sie zur Türe, doch ihre Beine hielten sie nicht mehr und sie brach zusammen. Die Wachen konnten ihr Gewicht nicht halten und sie sank ungebremst zu Boden. „Beweg dich, fettes Weib.“ Momo war nicht dick, das wusste sie. Und somit versuchte sie alles an sich abprallen zu lassen doch es gelang ihr nicht. Verzweifelt versuchte sie bei Bewusstsein zu bleiben. Gerade als die zwei Wachen sie wieder hart hochzerrten, ließ eine zornige Stimme sie alle erstarren. „Lasst sie sofort los!“ Harry. „Eure Majestät, wir müssen dem Befehl des Königs folgen.“, meinte einer der Männer und senkte sein Haupt. „Wagt es nicht mir zu widersprechen!“, knurrte der Prinz. „Was wird ihr vorgeworfen?“ Die Wachen zuckten mit den Schultern. „Ihr werdet ihr kein Haar krümmen, bis ich nicht mit den König aufgesucht habe.“ „Das wird wohl nicht nötig sein, mein Sohn.“ Und das war der Moment in dem sich die Sonne aufhörte zu drehen, die Erde stillstand und keiner wagte zu atmen. Tief verneigten sich alle vor ihm. Der König stand in der Tür. Sein nahezu weißlicher Bart fiel ihm bis knapp auf die Brust und das funkelnde Gold auf seiner Stirn ließ Momo zusammenzucken. Das scharfe Schiefergrau seiner Augen verengte sich als er sie ansah. „Was wird ihr vorgeworfen, Vater?“ Der König schüttele langsam den Kopf, ließ dabei Momo‘ s Blick nicht los. „Sie ist schwanger.“ Innerlich brach in der Afrikanerin alles, wahrhaftig alles zusammen. Wenn sie schwanger war, dann konnte nur der Graf der Vater des Kindes, des Bastards sein. Der König sprach genau das aus, was sie dachte. „Und Harry, wir wissen beide genau wessen Kind sie mit sich trägt.“ Einen Moment sagte niemand etwas. „Und jetzt, verschwinde von meinem Hof.“ In dem harten Blick der Majestät lag so etwas wie ein Funke von Mitleid, doch er blieb unnachgiebig und Momo wurde aus dem Zimmer gezerrt. Gerade als sie begann hemmungslos zu heulen durchbrach ein einziger Satz ihr gesamtes Universum und warf ihre Zukunft unwillkürlich auf einen komplett neue Seite. „Ich bin der Vater.“, erklang die Stimme des Prinzen.

„Wir…wir hatten ein Verhältnis. Im Sommer als ich Onkel besucht habe.“ Momo wurde schwindelig und sie sackte zusammen. Die Wachen ließen sie los. Der Prinz kam zu ihr und hob sie hoch. „Ich bin der Vater und sie,“, er sah Momo tief in die Mitternachtsirden „, sie ist meine Geliebte.“ Der König schüttelte den Kopf. „Sohn, überlege dir deine Worte gut. Du kannst sie nicht mehr zurück nehmen.“ Der Prinz senkte zunächst den Blick, dann hielt er dem seines Vaters stand. „Es ist die Wahrheit. Ich liebe Momo. Ich liebe sie. Und das Kind wird der Thronfolger von England falls es ein Junge wird.“ Mit diesen Worten trug er Momo wieder zu seinem Bett. Langsam und mit Sorgfalt breitete er die Decke über ihr aus und küsste die Sprachlose sanft auf die Stirn, dann auf die rechte und dann auf die linke Wange. „Und ich werde sie heiraten.“ Jeder im Raum wusste, dass das was der Prinz da verlauten ließ niemals der Wirklichkeit entsprechen konnte, doch keiner zweifelte dies laut an. Selbst der König nicht. „Wenn das so ist, wird das Mädchen natürlich nicht fortgehen. Sie wird hier bleiben und den Thronfolger austragen. Und du mein Sohn“, er schenkte Harry einen blitzenden Blick „, wirst diese Frau auf Händen tragen. Schließlich wird sie einmal Königin werden.“ Und das, das war der Moment in dem die Masse an Ereignissen für Momo zu erdrückend wurde und sie spürte wie alles um sie herum verschwamm.

Müde wusch Momo ihr Gesicht und das getrocknete Blut bröckelte langsam ab. Eine Zofe half ihr dabei ihren Körper zu reinigen und sie anschließend zu trocknen. „Möchten Sie sich anziehen?“ Momo sah beschämt auf ihren nackten prallen Körper herab. So viele Dinge schienen sich schlagartig von selbst zu erläutern. Die noch kräftigeren Oberschenkel, die leichte Wölbung ihres Bauches und der noch runder werdende Po. „Ja!“, antwortete sie tonlos. Das junge Mädchen half Momo in einen Unterrock und dann in ein bombastisch wirkendes Kleid. Ihr Busen quoll oben heraus und beschämt  bedeckte sie ihre Blöße. Die Zofe schnürte die Korsage. „Mach es nicht zu fest, das Kind braucht Platz!“, murmelte Momo und die Zofe lockerte die Schnürung etwas. Eine weitere Dame versuchte Momo‘ s wilde Lockenpracht zu bändigen bis schließlich Maria an die Zimmertüre Momo‘ s klopfte. Sie wurde herein gebeten und machte einen leichten Knicks. Die junge Frau musste ein Würgen unterdrücken. Gedemütigt, verhöhnt und erniedrigt hatte dieses Weib sie und nun, nun tat sie als ob nie etwas geschehen wäre und machte sich daran der künftigen Prinzessin zu gefallen. Grob verdrängte sie die Dame, die sich an den schwarzen Strähnen zu schaffen machte und nahm ihren Platz ein. „Solch ein starkes Haar habe ich wahrlich noch nie gesehen.“ Momo‘ s Mund wurde zu einem schmalen Strich und ihre Finger zitterten. Dennoch musste man zugeben, dass Maria ihre Arbeit gut machte und letztendlich eine feine Frisur aus dem wüsten Schlachtfeld auf Momo‘ s Kopf gezaubert hatte. Die Haare waren streng nach hinten gekämmt und im Nacken zu einem großen Knoten zusammen gebunden. „Mylady!“, hauchte eine Zofe und half Momo auf um sie dann vor einen Spiegel zu führen. Das goldene Kleid wirkte befremdlich an den klaren Rundungen der Afrikanerin und auch ihre Haare warfen ein völlig neues Licht auf ihre definierten Gesichtszüge. Das musste man der Plumpen lassen, für ein Sklavenweib hatte sie wahrlich klare und feine Gesichtszüge. Ihre Nase war schmal und ihre Lippen wohl proportioniert. Ihre Stirn war in einem ansehnlichen Verhältnis zum Rest des Gesichtes und mittlerweile war die Schwellung am Auge fast vollständig abgeklungen. Ja, Momo war schön und wahrscheinlich war eben diese Wirkung auf den Prinzen die Rettung vor einem sicheren Tode im bitteren Schnee gewesen und so musste Momo nun einsehen, dass sie wohl am ehesten durch ihre Optik punkten würde. Das Kleid kaschierte ihr Hinterteil und ihr Busen sah sehr einladend aus. Wieder klopfte es an die Tür. „Mylady, der Prinz erwartet Euch im Speisesaal!“, rief eine Stimme durch das massive Holz. Erst wollte Momo antworten, doch eine Zofe kam ihr zuvor und eilte zur Tür um einige belanglose Worte mit dem Mann dahinter zu wechseln. Dann drehte sie sich zu Momo und knickste. „Seid Ihr bereit?“ Sie nickte und schritt dann langsam zur Tür in zittriger Erwartung auf ihren künftigen Ehemann.

Harry saß Momo gegenüber. Sie speisten alleine. Sie redeten nicht. Sie aßen nur. Das Schweigen war unangenehm und Momo stocherte letztendlich nur in ihren Speisen. „Wie fühlst du dich?“ Harry‘ s Stimme war fest aber leise. Viel zu weit weg von Momo. Am liebsten hätte sie sich neben ihn gesetzt, aber sie war nicht fähig sich zu rühren. Sie war ihm dankbar, er musste ein wundervoller Mensch sein. Er hatte ihr Leben gerettet und seinen eigenen Vater belogen. Dass dieser auch noch sein Vater war, verstärkte ihr Ansehen ihm gegenüber nur noch mehr. „Besser, ich danke Euch!“ Harry nickte schwach. „Es freut mich, das zu hören.“ Jetzt nickte Momo. Plötzlich stand der Prinz ruckartig auf. „Entschuldigt mich bitte!“, räusperte er sich und verließ fluchtartig den Raum. Hinterlassen hatte er eine völlig verwirrte Momo, die bis in die Nacht noch lange über ihre vorgegebene Liebe nachdenken musste.

„Wie ist es dazu gekommen?“ Harry hielt Momo‘ s Hand. Sie saßen im Thronsaal dem König gegenüber. Der ließ das Mädchen nicht aus den Augen, schenkte aber auch hin und wieder seinem Sohn einen kühlen Blick. Harry drückte Momo‘ s Hand. „Wir haben uns im Sommer verliebt.“, antwortete er. „Das sagtest du bereits, mein Sohn!“ Harry schluckte. „Ich liebe sie, Vater! Ich habe mich nie getraut die Wahrheit zu sagen, aber jetzt, wo sie unser Kind erwartet“, er strich sanft über Momo‘ s Bauch, „, kann ich nicht länger schweigen. Jeder soll es wissen.“ Der König lachte tonlos. „Du bist dir der Tatsache bewusst, dass du viel Häme für sie“, er spuckte ihm das Wort vor die Füße „ernten wirst?“ Harry drehte sich zu Momo und hielt ihren Blick fest. Gespielte Zärtlichkeit, kaltes Augenlicht. Er näherte sich ihrem Gesicht und legte seine Lippen auf ihre. Keiner wagte sich zu rühren. „Sie ist die zukünftige Königin. Keiner wird auch nur ein schlechtes Wort über sie verlieren.“ Er sah noch immer Momo an, sprach jedoch zum König. „Nun Sohn, wenn du das sagst, wird es wohl stimmen.“ Der alte Mann schmunzelte leicht. „Dann dürft ihr euch jetzt in dein Gemach entfernen.“ Sein Grinsen wurde breiter. Entsetzen legte sich in Momo‘ s Augen, doch Harry blieb ruhig und wandte sich wieder seinem Vater zu. „Ich danke Euch!“ Er stand auf und Momo tat es ihm gleich. Synchron verließen sie den Thronsaal. Sie lief neben ihm her, wusste aber nicht wohin. „Ich muss euch danken. Ihr habt…“, begann sie, doch der Prinz hob die Hand und brachte sie damit zum Schweigen. „Bedeuten tust du mir herzlich wenig. Ich werde dich heiraten weil du weitaus mehr im Köpfchen zu haben scheinst als der Rest der Auswahl. Also halt bitte einfach deinen Mund und lass mich in Ruhe. Unsere Ehe werden wir noch früh genug vollziehen.“ Und mit diesem Worten raubte Harry Momo den Atem. Als sie fassungslos stehen blieb, beachtete der Prinz sie nicht weiter und eilte den Gang entlang bis sie ihn nicht mehr sah.

Momo saß heulend auf ihrem Bett in ihrem eigenen Gemach. Wie konnte sie nur so dumm und einfältig gewesen sein zu denken, der Prinz würde sie wirklich und wahrhaftig mögen? Wie konnte sie nur? In ihrem Fluss aus Selbstmitleid klopfte es an die Tür und ihre Zofen traten ein. „Mylady, Eure Hoheit der Prinz lädt sie zum Maskenball heute Abend ein.“ Seltsamerweise war Momo nicht mal überrascht. Der Prinz hatte ihr heute unmissverständlich deutlich gemacht, was er von ihr und von sich selbst erwartete. Er würde vor den Hochwohlgeborenen den liebenden Verlobten und erfreut künftigen Vater spielen aber sobald das letzte Licht im Ballsaal erloschen war, so würde er sich wieder wie ein arroganter Mistkerl verhalten. Und somit glomm in Momo nicht der Hauch von Freude auf als sie sich die folgenden Stunden auf die Nacht voll Tanz und Trunk vorbereitete.

Momo‘ s Schritte waren gleichmäßig. Sie kannte den Tanz nicht, aber der Prinz hatte ihr gesagt, dass sie nur die Augen schließen brauche und er den Rest tun würde. Diese Worte hatten Momo fast zu Tränen gebracht, denn es bewies, dass der Prinz tatsächlich in der Öffentlichkeit Liebe und Einigkeit vortäuschte. Es war ein schlichter Beweis. Doch mittlerweile ließ Momo sich treiben. Es war ihr egal, was geschehen würde. Sie würde die Königin von England werden und nach ihr, ihre Kinder. Denn würde das Kind in ihrem Leibe ein Mädchen sein, so würde sie wohl tatsächlich noch Kinder mit dem Prinzen zeugen müssen. Ob sie wollten oder nicht. Als die Musik wie eine Kerze im Wind erlosch, wurde sie aus ihrer Melancholie geweckt. Harry nahm seine Hand von ihrer Hüfte und ihren Fingern. „Es werden jetzt die Partner getauscht.“, flüsterte er. Momo schüttelte den Kopf. „Wie soll ich Euch dann wieder erkennen?“, wisperte sie zurück. „Mach dir darüber keine Sorgen. Ich werde dich auf jeden Fall finden.“, grinste er. Wahrlich, Momo trug zwar Kleidung und Maske wie alle anderen, doch sie war – natürlich – die einzige mit der Haut tiefster Schokolade. Man würde sie finden, ja. Doch bevor sie noch mehr Fragen stellen konnte, stand nicht mehr Harry sondern ein anderer Mann vor ihr. Sein Blick lag auf ihrem Bauch. Die winzige Wölbung schien ihm förmlich ins Auge zu springen. Momo hatte nicht die leiseste Ahnung, wer er war, bis sie seine Stimme vernahm und fast ohnmächtig geworden wäre. „Mylady, darf ich um diesen Tanz bitten?“ Ihr Herzschlag setzte aus und sie musste sich konzentrieren ruhig zu atmen. Unter tausenden hätte sie diese Klänge heraus gehört. Zu oft hatte sie in erregter Erwartung ihren Namen gestöhnt. Der Graf. Und schon begannen sie zu tanzen. Er war ihrem Gesicht so nahe, wie nicht mal Harry es gewesen war. „Man munkelt Ihr tragt den Thronfolger mit euch herum.“, flüsterte er. Sie schluckte. „Ihr scheint gute Quellen zu haben, Eure Hoheit.“ Der Graf grinste. Sein breiter Mund war das einzige was man von seinen Zügen noch sah. „Aber aber Mylady, Ihr seid es, die man künftig mit Eure Hoheit anreden wird. Doch sagt mir eins, wie kommt es, dass Harry den Bastard ohne Weiteres übernimmt?“ Empört wollte Momo sich von ihm lösen, doch der Graf hielt sie wie früher fest im Griff. „Er liebt mich, ganz einfach. Und das Kind ist das seine, Mylord.“ Der Graf lachte leise auf. „Ach komm schon, Schnee des Südens, mich brauchst du doch nicht anzulügen. Immerhin ist das kleine Biest“, er wies auf ihren Bauch, „unseres.“ Als er sie Schnee des Südens nannte, zuckte sie zusammen. Im Sommer, als sie noch bei ihm gelebt hatte, war sie immer Sonne des Südens gewesen. Doch jetzt waren es nur noch wenige Wochen bis heilig Abend und sie wurde nicht länger als Sonne bezeichnet. Wochen? Tage! Der Graf beugte sich vor und küsste sie sanft auf die Wange. Momo befahl sich, nicht zusammen zu zucken. „Ich wünsche Euch viel Glück mit Eurem Verlobten, Mylady!“, wisperte er und ließ sie los. Die Musik verstummte und der Abend war beendet. Harry kam zu Momo und hielt ihr seinen Arm hin. „Ich geleite Euch auf Euer Zimmer.“, meinte er monoton und führte sie hinaus. Der steinerne Flur war leer und unbehaglich kühl. Die wenigen Kerzen an den Wänden spendeten nicht den Hauch von Wärme und Momo fröstelte. Harry bot ihr weder seine Jacke an, noch tat er Sonstiges damit sie sich wohlfühlte. Momo wusste nicht, ob sich das einfach nicht schickte oder ob er es nicht wollte. Wahrscheinlich kam beides zusammen. Vor ihrem Gemach öffnete er ihr die Türe und sie drehte sich noch einmal zu ihm. Und dann tat Momo etwas, das sie wohl noch bereuen würde. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Harry sanft auf die Lippen. Der Kuss war warm und gar nicht so hart wie Momo es sich vorgestellt hatte. So wie sie es gewohnt war. Grob, lieblos und in Trance. Dieser Kuss mit Harry war anders. Schön, wahrlich, schön. Momo hätte niemals gedacht, dass sie einen Kuss jemals als zärtlich bezeichnen würde. In ihrer Kehle breitete sich ein tiefes Grollen aus und sie bemerkte, dass es Harry nicht anders ging. Ruckartig löste sich der Prinz von ihr. Jegliche Sanftheit war aus seinen Zügen entschwunden und er sah auf sie herab. „Du hast eine Grenze überschritten.“, knurrte er, machte auf dem Absatz kehrt und verließ mit hallenden Schritten Momo‘ s Nahbarkeit. Diese taumelte rückwärts in ihr Zimmer und als sie irgendwann ihr Bett in den Kniekehlen spürte, ließ sie sich kraftlos auf die Matratze sinken. Ozeane brachen aus ihr heraus und nässten ihr Kleid. Immer wieder streichelte sie über ihren Bauch. „Für dich mein Engel, für dich!“, flüsterte sie noch, bevor sie in einen tiefen traumlosen Schlaf schwand.

„Mylady, Mylady Sie müssen aufstehen! Morgen ist Heilig Abend und heute die traditionelle Schlittenfahrt der Königsfamilie durch die Wälder und Felder!“, weckte eine junge Zofe mit einer mehr als hohen Stimme die immer noch vollständig bekleidete Momo. Ihr Kopf schmerzte als sie sich aufsetzte und in die entgeisterten Gesichter von rund einem halben Duzend Zofen sah. „Mylady, Sie tragen ja immer noch Ihr Ballkleid. Jetzt müssen wir uns aber sputen!“, meinte eine Zofe. Momo wunderte sich, wo Maria war. Sonst war sie ja die erste, die zur Stelle war um der zukünftigen Hoheit ins Hinterteil zu kriechen. Doch heute ließ sie sich nicht blicken. Rasch wurde Momo aus dem Kleid befreit und gewaschen. Das warme Wasser hätte sie eigentlich beruhigen sollen, aber etwas warf sie völlig aus der Bahn. Ein zuckender Schmerz in der Magengegend, Atemraub, Schmerzensschrei. „Mylady, das ist nur das Baby! Es tritt und regt sich, damit jeder weiß wie gesund und munter es ist.“, versuchte eine Dame Momo zu beruhigen und half ihr aufzustehen und zum Bett zu stolpern. Momo hielt sich den Bauch, die Rundung, das Leben und sah dann auf. Ihr Kopf schmerzte noch immer und alles schien zu schwanken. „Ganz sicher Mylady!“, beteuerten die Zofen und Momo nickte. „Ihr werdet schon Recht haben.“, murmelte sie, doch wie falsch sie damit lag würde sie nur allzu bald noch erfahren.

Der dichte Pelz schmiegte sich eng an Momo‘ s gepeinigten Körper. Sie war in mehrere Lagen überteuerten Stoff gehüllt und wurde nun durch den Schnee über den Hof geleitet. Eine Zofe war stetig bei ihr und stützte sie. Mehrere Kutschen standen schon bereit und das heiße Schnauben der angespannten Pferde verkündete erfreutes Wintertreiben. Schnee. Überall Schnee. Schnee des Südens. Momo schüttelte den Kopf. „Stimmt etwas nicht, Mylady?“, wurde sie von irgendwo gefragt und sie antwortete irgendjemandem mit einem Kopfschütteln. Plötzlich wurde der zierliche Arm der Zofe durch einen kräftigen und weitaus prunkvoller gekleideten Arm ersetzt. Momo sah auf und durch die leichten Schneeflocken und den Schwindel in ihrem Schädel erkannte sie Harry. Alsbald gesellten sich der König und die Königin - es war das erste Mal, dass Momo sie sah – zu den beiden und noch einige junge Männer, die wohl die Spielgefährten Harry‘ s sein mussten. „Ich würde sagen, du Sohn und deine reizende Verlobte“, er schenkte Momo und feixendes Grinsen, „beansprucht einen Schlitten für euch.“ Seine ölige Stimme säuselte schmerzlich in Momo‘ s Ohren und wie in Trance hörte sie nur noch undeutbare Stimmen und dann wurde sie zu einem Schlitten geführt und auf ein weiches Bärenfell gesetzt. Langsam klarte ihre Sicht und ihr Gehör wieder auf und sie hörte, wie Harry den Kutscher aufforderte, loszufahren. Momo wurde in den Sitz gedrückt und um sich herum jubelte der Hof und warf ihnen giftige Küsse zu. Momo schloss die Augen und öffnete sie eine ganze Weile nicht mehr. Irgendwann, als die Schreie verklungen und nur noch das Schlittern der Kufen zu hören war, schlug sie die Augen wieder auf. Harry saß schweigend neben ihr. Sie suchte nach Worten, Taten, Herzensgedanken, doch es fiel ihr nichts ein und so schwieg sie weiter. Irgendwann durchbrach Harry selbst die Stille. „Warum hast du das gestern getan?“ Verblüfft drehte sich Momo zu ihm, ignorierte das Schaukeln und fing seinen Blick ein. „Ihr seid mein Verlobter. Früher oder später wird es zur Vollstreckung unserer Ehe kommen, das habt Ihr selbst gesagt.“ Der Prinz lachte und wandte seinen Blick ab. Er sah in den an sich vorbei fliegenden Wald und die weißen Schneegestöber. Das ließ Momo ungewohnt zornig werden. „Ihr habt beschlossen das Kind anzunehmen. Ihr habt entschieden alle anzulügen. Ihr habt mein Leben auf den Kopf gestellt und das alles, weil Ihr mich so sehr hasst?“ Die letzten Silben flüsterte das Mädchen aus dem Süden und die Tränen kamen wieder hoch wie ein uralter Sturmgesang. Blitzartig drehte Harry sich wieder zu ihr und funkelte sie wütend an. „Du solltest mir dankbar sein, du elende Hure! Ich erdulde es, dass ein Bastard künftig mein Königreich regieren wird.“ Momo‘ s Kopf donnerte. „Ich akzeptiere eine schwarze Dirne in meinen steinernen Mauern.“ Ihr wurde übel und seine Worte verschwammen. „Ich hab dir dein wertloses Leben gerettet!“ Und bevor Momo schwarz vor Augen werden konnte, flüsterte sie noch einen letzten Satz: „Du. Gott segne deinen königlichen Egoismus.“

Starke Arme holten Momo aus ihrer Ohnmacht zurück in die Wirklichkeit und verzerrte Schreie drangen an ihre Ohren. Über ihr war zunächst grauer Himmel, dann millionen Gesichter und dann die kalten Deckensteine des Schlosses. Tausend Eindrücke pressten sich auf ihren Körper und sie spürte einen stechenden Schmerz im Bauch, wie ein fauliges Messer in einer fleischigen Wunde. Dann Geraschel, eine Decke wurde zur Seite geschlagen und über ihr die feinen Stoffe des Himmelbettes. Ihr Atem stockte, Schweiß trat auf ihre Stirn, starb sie? Sie wollte etwas sagen, doch nur ein hohles Krächzen entrann ihr und so beschloss sie es sein zu lassen. Und dann tauchte über ihr eine Silhouette auf, die sie völlig aus der Bahn warf. Harry. Er war bei ihr und in seinem Gesicht lag etwas so unbekanntes, dass Momo mehrmals blinzeln musste, um es wahrhaben zu können. Besorgnis. Hinter einer Fassade aus Zorn und Furcht lag reinste und wahrhaftigste Besorgnis. Seinen Namen. Nur seinen Namen wollte sie flüstern, doch es gelang ihr nicht. „Was hat sie?“, flüsterte er und der ihr bekannte Arzt nahm ihr Blickfeld ein. „Das Kind, Eure Hoheit, es ist das Kind!“, murmelte er. Dann verschwanden die Gesichter und Momo spürte, wie sich glühende Hitze ihre Wirbelsäule herauf schlich. „Das wird eine mehr als schwere Nacht, Majestät. Sie müssen jetzt beide stark sein!“, war das letzte, was Momo noch völlig klar wahrnahm. Und dann, dann verlor sie sich selbst in einen tiefschwarzen Albtraum aus Blut, Staub und königlichem Hass.

Glut. Rote Glut. Hass. Schwarzer Hass. Tod. War sie tot?

 

Ein Schrei entwich Momo‘ s Kehle und sie saß kerzengerade im Bett, bevor sie völlig hüllenlos wieder zurück sank. Mehrere zittrige Anfälle überkamen sie und sie hoffte inständig, dass sie nun sterben dürfte. Ihr Leben war nichts mehr wert. Sie war dem Königssohn nicht würdig, ihr Kind war ein elender Bastard und sie selbst eine schwarze Entführte. Keins dieser Sachen animierten sie zu kämpfen. Doch etwas anderes tat genau das. Und es überzog sie mit Tränen, Gänsehaut, Unglauben: Als sie zur Seite sah, erblickte sie Harry, wie er neben ihrem Bett hockte. Er hatte seinen Kopf auf die Matratze gelegt und hielt mit beiden Händen die ihre. Am anderen Ende des Zimmers saß der Arzt auf einem Stuhl und betrachtete beide in Zufriedenheit. Er stand auf und kam auf Momo zu. „Die Nacht ist noch lang, Liebes, schlaf noch ein wenig.“ Und das fehlende Mylady brachte Momo zum Lächeln und Schlafen.

Diesmal war es kein Albtraum der Momo zum verzweifelten Aufschrei brachte, sondern der so massive Schmerz, dass sie sich fast übergeben musste. Harry wachte auf und der Arzt war sofort zur Stelle. Als würden tausend Feuerbälle sich in Momo‘ s Magen ansammeln und kurz davor sein zu implodieren. Als würden donnernde Pferdehufe über sie hinweg reiten. Als würden Milliarden von Nadeln Blut aus ihr heraus sickern lassen. Das Schreien wurde zu einem Keuchen und dieses wiederrum zu einem Wimmern. Plötzlich breitete sich in einem letzten Stoß triefende Nässe an Momo‘ s Rücken aus, als hätte jemand eine Axt in ihr Rückgrat gefressen. „Harry, helft mir sie umzudrehen!“, murmelte der Arzt und ergriff die glühende Schulter Momo‘ s. Der Prinz nickte angsterfüllt und fasste sie an der Taille. Verblüfft stellte er fest, wie leicht und eigentlich sogar zart das Mädchen war. Stöhnend drehte sie sich auf die Seite und der Arzt japste, als er die Blutlache sah, in der sie kurz davor noch gelegen hatte. „Was ist mit ihr?“ Ehrlichste Besorgnis zerfraß Harry und er ergriff wieder die Hand der jungen Frau. „Das Kind, Eure Majestät, es ist wahrhaftig das Kind!“, murmelte er. Momo‘ s Tränen liefen über ihre Nasenspitze und dann auf das Laken. Harry lief um das Bett und kniete nun so neben ihr, dass er ihr genau in die Augen sehen konnte. „Du wirst nicht sterben! Hörst du?“ Momo schüttelte schwach den Kopf. „Das Kind ist tot. Jetzt habe ich nicht mal mehr einen Thronfolger den ich Euch schenken kann.“, murmelte sie. „Ich bin wertlos.“ Harry riss die Augen auf und küsste sanft ihre Fingerspitzen. „Hör auf so zu reden. Und hör verdammt nochmal auf mich so anzureden! Momo, solange dein Lachen nicht erstirbt, wirst du ewig leben. Hörst du?“ Momo lächelte leicht und er beugte sich vor um sie auf die Stirn zu küssen. „Du brauchst mich nicht anzulügen.“ Die Ränder ihres Gesichtsfeldes färbten sich allmählich tiefschwarz. „Ich lüge nicht. Es ist die Wahrheit! Momo, es ist mir gleich ob du mir ein Kind schenkst oder nicht. Ich war dumm und einfältig und du hast Recht, ein Egoist war ich auch. Aber du, du zeigst mir gerade was ein wahrer König besitzen muss!“ Diesmal lächelte er sanft und seine Augen glitzerten leicht. „Und was ist das?“, fragte Momo kaum hörbar. Harry nahm ihre Hand und legte sie auf seine Brust. Unter ihren zitternden Fingern begann sich ein starker, natürlicher Rhythmus bemerkbar zu machen und Momo konnte wieder klar sehen. „Ein Herz!“, flüsterte sie. „Ein Herz.“

Als Momo im Morgengrauen aufwachte, begrüßte ein kühler aber wahrhaftiger Sonnenstrahl ihr Lächeln. Ihr Unterleib schmerzte und sie fürchtete sich noch immer vor der grausamen Lache ihres Lebenssaftes, doch als sie schließlich einen schlafenden Prinzen an ihrer Bettkante erblickte, vergas sie das für einen Moment. Wenn er schlief, wenn er so friedlich war, wenn er so ehrlich war, dann war er das schönste Gottesgeschenk, das sie jemals erblickt hatte. Heute war Heilig Abend und wenn auch nur ein Wort von Harry und gestern Abend nicht einem wüsten Fiebertraum entsprungen war, dann war sie glücklich. Doch ihre Euphorie wurde je unterbrochen, als sie sich wieder erinnerte, warum sie so schreckliche Schmerzen verspürte. Sie hatte ihr Kind verloren. Den Thronfolger. Ihren Existenzhalter. Und wieder musste sie weinen. Stumm und in tiefster Trauer. Eine kühle Hand strich die Tränen fort und sie erschrak. Sie drehte sich wieder zu Harry. Er war wach und er lächelte sie müde aber erleichtert an. „Weine nicht, du bist am Leben und das ist das Wichtigste.“ Sie rollte sich zusammen und schluchzte noch heftiger. „Ich habe euch den künftigen König genommen.“ Harry setzte sich zu ihr und nahm sie in den Arm. Diese plötzliche Nähe raubte Momo den Atem. „Wir werden ein eigenes Kind bekommen. Wir werden ein eigenes Imperium aufbauen. Wir werden leben, Momo, wir werden leben.“ Und obwohl wusste, dass kein Kind der Welt ihr Sternenkind ersetzen würde nickte sie zart. Der Prinz küsste sie auf den Scheitel und sah auf sie herab. „Du bist wunderschön Momo. Ich glaube, das habe ich dir noch nie gesagt.“, murmelte er. Sie lachte leise unter Tränen, doch die Pein klang etwas ab. Ein zarter Hauch von Schmetterlingsstaub breitete sich in Momo‘ s Kehle aus. Harry strich ihr wildes Haar aus der Stirn und liebkoste dann ihre Wange. „Du bist wunderschön!“, wiederholte er atemlos und dann, dann verloren sie sich in einem Kuss, den ihrer beider Seelen so lange erwartet hatten und endlich, endlich spürten beider das Synchronisieren ihrer Herzschläge und die aufkeimende zarte Verbundenheit in dem, was für einen wahrhaftigen König am wichtigsten ist. Im Herzen.

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