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Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor irgendetwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können.

Christoph Schlingensief

Vor dem großen Fenster eilten die Passanten durch den Frühlingsregen. Ein kurzer Schauer, der den Blumen wohl wesentlich besser gefiel als den Menschen. Blassblau traf Stadtgrau.

»Du solltest dir wirklich Hilfe holen.«

Talia blickte in Emmas besorgte rehbraune Augen und seufzte. »Ich bin doch nicht irre. Mir fehlt nichts.«

Jetzt wirkte Emma eine Spur weniger besorgt und mehr angefressen, wie es sich für eine beste Freundin gehörte. »Jetzt hör aber auf. Du hast immerhin gesehen, wie sich jemand umgebracht hat. Einfach so.«

Talia pustete sich eine kupferfarbene Haarsträhne aus dem Gesicht. »So schlimm war es nicht.«

Emmas Augenbrauen hoben sich und Talia verbesserte sich schnell. »Ich meine, ich hab nicht soviel gesehen. Er ist die Treppen hochgekommen, hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich meinen Schal verloren habe und dann ...« Talias Stimme wurde immer leiser und sie stoppte, als ihre Stimme zu zittern begann. Noch während sie ihren Schal aufhob, sprang der freundliche Mann vor den einfahrenden Zug. Einfach so. Talia blendete die Erinnerung aus. »Wie gesagt, mir fehlt nichts.«

»Du kannst doch nicht einmal Blut sehen!« Emma stützte einen Ellenbogen auf den Tisch, während sie das Kinn auf ihre Hand bettete. Prima, Dr. Watson war wieder am Start.

Für einen Moment startet Talia in Emmas Augen, dann wandte sie den Blick ab. »Ich bin härter, als du denkst.«

»Mein Gott, du bist Vegetarier!«

Talia zuckte mit den Achseln und schaute erneut aus dem Fenster des kleinen Bistros. Alles war so vergänglich geworden. So wertlos. Der Regen, der Kaffee, ja, selbst die Kunst! Es war nicht so, dass Emma unrecht hatte. Sie litt seit dem Vorfall vor drei Monaten unter einer untypischen Malblockade. Ihre Kinderbuchreihe fing gerade an sich zu verkaufen. Sie konnte es sich gar nicht leisten, nicht nachzuliefern.

Trotzdem, anstatt ihren kleinen Waschbären Willi durch den Immergrünwald zu schicken hörte sie die Geräusche des Aufpralls. Blut hatte sie nicht gesehen, aber die Farben dieses Tages überblendeten alles. Es war ein klarer Januar Morgen gewesen. Der Geruch nach Schnee lag in der Luft. Eisblau, kaltes Gelb. Dann dieses klatschende Geräusch und das Pechschwarz, das ihr die Farben nahm.

Sie konzentrierte sich wieder auf Emma. Diese ging nicht weiter auf Talias Ausreden ein, sondern hob nur eine blonde Augenbraue. »Was sagt denn Penelope dazu?«

Als ob Emma das wirklich Fragen müsste. Natürlich machte sich Talias Zwillingsschwester Sorgen,wahrscheinlich sogar noch größere als Emma. Die perfekte Schwester. Die perfekte Freundin. Es war erdrückend.

»Wie lange kennen wir uns jetzt?«

»Das weißt du doch, Em.«

Ohne eine Miene zu verziehen starrte Emma sie an und wartete einfach ab.

Talia gab nach. »Seit der zehnten Klasse und dem Werkbank-Desaster.«

»Eigentlich seit dem Jahr davor, in dem du mir im Religionskurs anhand eines Faltdings die Zukunft vorhersagen wolltest. Aber ja. Wir sind seit sechzehn Jahren befreundet. Wann denkst du wirst du anfangen, mal ohne Gezeter einen Hinweis von mir anzunehmen?« Sichtlich angefressen schob ihr Emma eine geschmackvolle Visitenkarte zu.

»Praxis Sommerfeld«, las Talia. »Psychotherapie, Paarberatung, Coaching.« Sie wollte Emma die Karte zurückschieben doch die legte ihre zarte Hand über Talias Finger und drückte.

»Behalte sie. Die Praxis ist mir empfohlen worden.«

»Von jemanden, der zur Psychotherapie musste?«

»Naja, Paarberatung.«

»Hat es funktioniert?«

Emma starrte sie wieder wortlos an.

»Hat es?«, hakte Talia nach.

»Nein. Aber es hat meiner Kollegin die Augen geöffnet und sie ist nun besser dran.«

Talia schnaubte und Emma fügte hinzu. »Außerdem ist der Doktor wohl heiß.«

»Super, das ist wirklich genau das Kriterium.«

»Hey, möchtest du dich lieber von einem hübschen oder einem hässlichen Arzt therapieren lassen?«

»Ganz ehrlich, Em. Darüber hab ich noch nie nachgedacht.«

»Solltest du aber.« Dann schaute Emma auf ihre Uhr und zuckte zusammen. »Oh, Mist. Ich muss los, zahlst du heute?« Talia nickte und Emma lief aus dem Bistro, um mit der nächsten Straßenbahn zu ihrem Büro zu kommen. Die Mittagspause ging zu Ende und Emmas Chef war pingelig.

Während Talia der Bedienung signalisierte, dass sie zahlen wollte, spielten ihre Finger unbewusst mit der Visitenkarte. Sollte sie? Sollte sie nicht?

Drei Tage setzte sie sich zur Wehr. Schließlich gab ein Telefonat mit ihrem Zwilling den Ausschlag und sie vereinbarte einen Termin.

***

Talia stand vor dem modernen Gebäude und musterte kritisch das Praxisschild. Sommerfeld. Mit einem Baum zwischen Sommer und Feld. Sollte bestimmt irgendetwas bedeuten, Psychologie-Schrott halt. Warum nur hatte sie sich auf diesen Mist eingelassen?

Sie fuhr mit ihren Fingern über die kleine Schwalbe, die sie an einem Anhänger um den Hals trug. Wie hieß es so schön? Wer frei sein will, muss fliegen.

Zumindest würde sie so wahrscheinlich Ruhe vor Emmas und Pens Belehrungen bekommen. Also: Augen zu und durch.

Eine freundliche Dame hatte sie am Telefon gebeten, den Online Fragebogen auszufüllen, kurz ihre Beschwerden und den Vorfall zu beschreiben. Die Frage, zu welchem Doktor sie wollte, konnte Talia nicht beantworten. Woher hätte sie auch wissen sollen, dass es mehrere waren? Die Dame hatte ihr angeboten, noch einen Extratermin vor den Feierabend zu legen. Und hier stand sie nun.

Mit dem Fahrstuhl fuhr sie in den dritten Stock. Die Praxis schien sich über die ganze Etage zu erstrecken. Vor ihr breitete sich ein heller Warteraum mit sterilem Charme aus. Weiß fraß weiß. Sie umfasste ihre Handtasche fester. Hinter einem Tresen aus hochwertig wirkendem Holz saß eine adrette rothaarige Frau. Ansonsten war der Raum leer.

»Hallo. Mein Name ist Talia Friedrich, ich habe einen Termin um 17:00 Uhr.« Talia streckte ihren Rücken durch, damit sie größer wirkte, als sie tatsächlich war.

Die Empfangsdame studierte ihre Unterlagen bevor sie nickte. »Nehmen Sie doch Platz. Der vorherige Termin wurde in letzter Minute abgesagt, daher wird der Doktor gleich Zeit für Sie haben.«

Während sie ihre Jacke auszog und auf einem der reinweißen Stühle Platz nahm, hörte sie das Murmeln der Sprechanlage. Großartig. Der Doktor hatte bestimmt nicht die beste Laune, nachdem er dank ihres Sondertermins in Praxis hatte verbleiben musste.

Als sich die Schiebetür neben dem Tresen öffnete, erhob sich Talia. Ein schlanker Mann asiatischer Herkunft schaute aus dunklen Augen auf sie herab. Man sagte oft, asiatische Menschen sähen sich so ähnlich, das man sie leicht verwechseln könnte. Falls das überhaupt auf jemanden zutraf, dann ganz sicher nicht für diesen Mann. Dort, in der Tür, lehnte ohne jeden Zweifel Damian Sommer. Zwar in Anzug gekleidet und natürlich älter als zu Ihren Schultagen, aber die schmale Nase, die kräftigen Augenbrauen und das ganze Erscheinungsbild schrien ihr förmlich entgegen, in wessen Revier sie gestolpert war.

Damian Sommer. Ihre ganz persönliche Nemesis.

Der Dämon.

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