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Simon hört erst auf zu erzählen, als Lilia wach wird und ihr Weinen die Frühlingsluft zerreißt. Nur langsam kommt er wieder im Hier und Jetzt an. Einige Male blinzelt er, bis die Bilder von Žan vor seinem inneren Auge verblassen und er wieder mit Michael am See sitzt. Mit seiner Tochter und dem Mann, den er unglaublich unfair behandelt hat, weil ihm die Vergangenheit im Nacken sitzt, und der dennoch bereit war, ihm zuzuhören.

„Entschuldige", murmelt er und fährt sich mit der flachen Hand über das Gesicht. Es ist anstrengend, sich an Žan zu erinnern und das Glück, das er damals mit ihm verspürt hat. Dabei hat gerade den Anfang ihrer gemeinsamen Zeit erzählen können, damals, als sie nicht einmal zusammen waren. Simon stößt den Atem aus, dabei blasen sich seine Backen auf. Dass gerade Michael der Mensch sein würde, dem er sich anvertraut, hat er nicht kommen sehen, aber nun scheint es ihm die logische Konsequenz. Wenn es ausgerechnet er schafft, ihm beizustehen, dann wird auch er es schaffen. Er wird einen Weg finden, sein Leben endlich zu leben. Er muss.

Mit zittrigen Knien steht er auf, um seine Tochter aus dem Wagen zu heben. Sobald er sie gegen seine Brust drückt, hört das Weinen auf und sie sieht ihn aus glasigen Augen an.

„Hast Du Hunger?", fragt er sie und streichelt über ihre rosige Wange. „Lass uns mal schauen, was noch im Rucksack ist." Er spricht leise und sanft; etwas, das er erst durch sie gelernt hat. Geduld und Rücksicht waren lange aus ihm verschwunden. Die Empathie wieder zuzulassen schmerzt ihn, hat er doch fast vergessen, wie es sich anfühlt.

Zu seiner Überraschung steht Michael ebenfalls auf und hebt den kleinen roten Rucksack auf. Unsicher dreht er ihn in den Händen, bevor er Simon nachdenklich mustert.

„Der hier?"

„Ja." Er setzt sich wieder, nimmt Lilia auf seinen Schoß und lässt Michael nach der Brotdose suchen. Gut, dass er vorhin noch eines der Butterbrote in kleine Stücke geschnitten hat, die er ihr nun nach und nach reicht.

„Es ist seltsam, dich mit deiner Tochter zu sehen", sagt Michael nach einer Weile, in der die beiden Männer dem Mädchen zusehen, wie es in Windeseile das Butterbrot vertilgt.

„Warum?" Simon wischt ihr einige Krümel aus dem Mundwinkel.

„Weil... es dieses Kind nicht geben würde, hättest Du früher gewusst, wer Du sein willst."

„Nein, Michael. Das siehst Du falsch." Simon lächelt gequält. „Ich habe schon sehr lange gewusst, wer ich bin. Und im Grunde auch, wer ich sein möchte. Aber das waren sehr unterschiedliche Dinge und ich habe die längste Zeit geglaubt, dass letzteres für mich unerreichbar ist. Vor allem als schwuler Mann! Ich habe es mir auch verboten, wieder glücklich zu werden. Žan und ich, was wir hatten... das werde ich vielleicht nie wieder finden. Gleichzeitig habe ich Angst, dass jemand seinen Platz einnimmt."

„Und deswegen bist Du so ein Arsch?"

Simon seufzt. „Ja, auch deswegen war ich... bin ich so ein Idiot. Aber nicht nur wegen ihm – es ist viel passiert damals, mit dem ich nie wieder etwas zu tun haben wollte. Ich bin geflohen davor."

„Gut. Du hast dich versteckt, das kann ich verstehen. Ich war auch nicht besser – wir haben wohl mehr gemeinsam als mir lieb ist." Michael macht eine Pause, um sich eine Schachtel Zigaretten aus der Innentasche seines Mantels zu fischen. „Aber um Himmels Willen, warum bist Du so geworden? Žan hat dir damals doch schon gesagt, was richtig ist. Warum warst Du so gegen alles Öffentliche? Du hattest doch trotzdem Sex mit Männern!"

Michael zündet sich eine Zigarette an, saugt gierig den Rauch in seine Lunge. Anscheinend erwartet er tatsächlich eine Antwort.

„Ja, ich... Scheiße, Michi, wie soll ich das erklären. Ich weiß, dass ich schwul bin, seit ich Žan in diesem Sommer das erste Mal nähergekommen bin. Und damit hatte ich auch nie ein Problem. Aber für mich ist das seit Žan nur noch mit Schmerz verbunden. Davor bin ich davongelaufen. Ich habe mich nicht vor der Gesellschaft versteckt oder vor mir, sondern vor dem, was ich mit Žan erlebt habe."

„Ich dachte, das mit Žan und dir war etwas Schönes?"

„Das ist zu kompliziert, um es kurz zusammenzufassen. Ich würde gern alles erzählen." Und, gesteht er sich ein, er muss es endlich jemandem erzählen. Er kann es nicht mehr länger mit sich herumtragen. Tief hat sich der Schmerz in seine Brust gegraben und langsam ist es Zeit, diesen wieder zu verbannen. Denn er weiß, er hat es verdient wieder selbstbestimmt zu leben, sich nicht mehr von alten Geistern treiben zu lassen. Und seine Tochter hat einen Vater verdient, der für sie da sein kann und ihr ein Vorbild ist. Als er daran denkt, dass es ihr vielleicht irgendwann ebenso geht, sie sich verloren fühlt und die Augen vor der Welt verschließt, schüttelt er den Kopf. So weit darf er es nicht kommen lassen.

Der Weg kann nicht sein, sie mit einer Lüge groß werden zu lassen. Und lieben wird er sie immer, egal wie weit entfernt er von ihr ist. Er wird da sein, wann immer sie ihn ruft.

„Was wirst Du jetzt tun?", fragt Michael, dessen Zigarette langsam herunterbrennt. Etwas Asche ist auf seiner Jeans gelandet, doch er scheint es nicht zu bemerken.

„Ich werde nach Hause gehen und mich dann nach einer Wohnung umsehen." Simon schluckt die bittere Galle hinunter. Er weiß, dass es früh ist, Vanessa mit der Kleinen allein zu lassen. Aber er weiß auch, je früher er geht, desto geringer wird der Trennungsschmerz für Lilia und Vanessa hat die Chance, neu anzufangen. Und er vielleicht auch. „Und dann werde ich es ihr sagen müssen."

„Du wusstest doch die ganze Zeit, was richtig ist", vorwurfsvoll sieht Michael ihn an. „Warum war ich dann hier?"

Simon leckt sich über die Lippen, sieht beschämt auf seine Schuhe. Der nasse Kies hat Flecken auf dem Stoff der Sportschuhe hinterlassen, die er nun aufmerksam studiert. „Ich habe niemanden, mit dem ich einfach so darüber sprechen kann. Alle meine Freunde kennen mich als Aufreißer und eben jetzt als Vater. Einige wussten schon, dass ich nicht treu war. Aber dass ich statt mit einer Petra, mit einem Peter nach Hause gegangen bin, habe ich ihnen nie gesagt. Natürlich ist es meine Schuld, dass ich mich so isoliert habe... nur, ich habe reden müssen."

„Und, hat es wenigstens geholfen?", Michael klingt bissig und ein wenig bitter. An was er wohl denkt?

„Ja", sagt er frei heraus, „sehr sogar."

„Ich habe dir keinen Rat gegeben, den Du nicht selbst schon gekannt hast."

„Das ist nicht wichtig. Du hast mir zugehört." Er hat nicht gewusst, wie dringend er das tatsächlich gebraucht hat. Ehrlich zu sich zu sein, zu einem anderen Menschen. Alles fallen zu lassen und sich von der Seele zu reden, was sich dort schon so lange anstaut. Es ist egoistisch von ihm, ausgerechnet Michael all dies aufzubürden, aber welche Wahl hat er?

„Nicht ganz freiwillig, wohlgemerkt." Michael sieht ihn an, mit seinen warmen, braunen Augen, in denen er sich für eine Weile so gern verloren hat. Aber nie hat er darin gefunden, was er in Žan gesehen hat. Ob er das jemals wieder erleben wird, weiß er nicht. Dass aber Michael sein Glück gefunden zu haben scheint, gibt ihm Hoffnung. Auch seine Geschichte ist keine schöne; seiner eigenen nicht unähnlich. Und leider spielt Simon darin keine unerhebliche Rolle.

„Aber Du bist nicht gegangen, Michael. Danke." Mühsam ringt er sich ein Lächeln ab, das breiter wird, als Michael zögerlich nickt.

Das Butterbrot ist mittlerweile gänzlich in Lilia verschwunden und sie beginnt unruhig zu werden. Ihr wird es langweilig auf seinem Schoß.

„Ich glaube ich muss langsam die Kleine nach Hause bringen", läutet Simon den Abschied ein. Die beiden sitzen seit einer geraumen Weile hier. Sein Hals ist rau, sein Mund trocken. Michael hat ihn lange sprechen lassen, hätte ihm womöglich noch länger zugehört, hätte Lilia sie nicht unterbrochen. Eine Welle der Dankbarkeit überkommt ihn. „Sehen wir uns wieder?"

„Warum. Hast Du jetzt nicht, was Du wolltest?"

Simon dreht den Kopf weg und sieht stattdessen zu den Jugendlichen, die laut lachend die Decke zusammenlegen. Ihre fahrigen Bewegungen verraten, wie wenig Cola die Flasche tatsächlich enthalten hat. Er kann Michaels prüfenden Blick beinahe auf seiner Haut spüren; brennend und forsch. Natürlich fragt er sich, was er noch von ihm will.

Einer Eingebung folgend spricht Simon aus, was er wirklich denkt. „Ich könnte einen Freund gebrauchen, einen echten. Bei dem ich mich nicht verstecken muss."

Michael schnaubt ungehalten. „Das ist ein bisschen viel verlangt, meinst Du nicht? Nachdem Du..."

„Sprich es ruhig aus." Simon streicht Lilia über den Kopf, um sie noch für einen Moment ruhig zu halten.

Kopfschüttelnd schweigt Michael. Er scheint das, was er ihm aufgezwungen hat, noch immer nicht richtig verarbeitet zu haben und die Schuld wallt heiß und giftig auf in Simons Brust. Trotzdem verzieht er keine Mine, warum auch? Was geschehen ist, ist vorbei. Diesen Ratschlag muss er auch endlich in Bezug auf Žan beherzigen.

Und weil er Michael wenigstens zeigen möchte, dass er genau weiß, was er getan hat, ergreift er für ihn das Wort. „Ich habe dich behandelt, als wärst Du unter meiner Würde. Ich war unehrlich zu dir und habe dich abgewiesen, als Du mich gebraucht hättest und dich im Regen stehen lassen. Und weil das noch nicht genug ist, habe ich mich dir aufgedrängt."

Michael sieht ihn an, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Es muss ihm weh tun, es laut zu hören und obwohl Simon ehrlich bereut, was er getan hat, tut es ihm nicht leid, Michael jetzt zu konfrontieren.

„Und warum denkst Du dann, dass ich mit dir befreundet sein möchte?", Michaels Stimme ist leise, aber klar. Er trägt es mit Fassung, aber seine Skepsis ist groß.

„Das denke ich nicht. Ich würde es mir aber wünschen." Simon überkommt ein Schauer; sich so verletzlich zu zeigen, ist für ihn eine Tortur. Vor allem, wenn er verliert, so wie jetzt. Schwungvoll steht er auf, denn es wird an der Zeit, das hier zu beenden. Es hat gutgetan, über Žan zu sprechen, über Vanessa. Aber jetzt braucht er weder seine noch Michaels Zeit weiter zu vergeuden, denn dessen Ablehnung ist klar.

Lilia auf dem Arm wirft er den Rucksack in den Kinderwagen und nickt in Richtung Parkplatz. Seufzend folgt Michael und erhebt sich.

„Komm, lass mich." Unbeholfen nimmt Michael ihm den Wagen ab und schiebt diesen über den unebenen Kiesweg, während Simon Lilia zum Auto trägt.

„Danke."

Sie schweigen, bis sie vor Simons Kombi stehen. Alles daran schreit nach Familie, die hinteren Fenster sind getönt, aber dennoch ist der Kindersitz zu erkennen; ebenso wie das kleine Plüschtier, das auf dem Beifahrersitz liegt. Michaels Audi sieht dagegen elegant aus, zeigt, an was für unterschiedlichen Punkten im Leben sie doch stehen.

„Willst Du sie kurz halten?", fragt Simon und sieht, wie Michaels Adamsapfel angestrengt hüpft. „Ich muss den Wagen einladen."

Zögerlich streckt Michael die Arme nach Lilia aus. Wie erstarrt hängt sie einen Augenblick später in seinem Griff; beide unsicher, was sie mit dieser Situation anfangen sollen. Doch Simon bekommt kaum genug von ihrem Anblick. Seine kleine Tochter in den Händen eines anderen Mannes; das ist das Bild einer Familie, wie sie vielleicht für ihn nie Realität werden wird, egal wie sehr er es sich wünschen würde.

Er kommt nicht umhin, Michael mit Žan zu vergleichen, doch er sieht nichts von seiner großen Liebe in dem schick gekleideten Mann. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, berührt ihn es ihn, sein Glück über Lilia mit ihm teilen zu können.

Fahrig reibt er sich über den Mund, bevor er den Kofferraum öffnet, um alles zur verstauen. Es dauert nicht lange, bis er Lilia aus Michaels Armen hebt und in den Kindersitz setzt. Sich gemeinsam mit Vanessa um die Kleine zu kümmern, löst in ihm nicht die gleiche Verbundenheit aus, gibt ihm weniger das Gefühl, dass es richtig wäre, was er tut. Dabei ist es das auch nicht; sie an seiner Seite zu behalten ist egoistisch.

Vorsichtig schließt er die Tür zur Rücksitzbank, schickt einige beruhigende Worte zu seiner Tochter, die augenblicklich beginn zu quengeln.

„Wer weiß, dass Du schwul bist?", fragt Michael unvermittelt.

„Du." Simon lässt die Schultern hängen und lehnt sich gegen die Fahrertür.

„Aber, ich verstehe das nicht, Žan und ihr wart doch zusammen, nicht?"

„Später, ja. Aber erst, als wir uns nach einiger Zeit während meines Studiums wiedergetroffen haben. Da waren wir lange weg von hier. Als es dann vorbei war, bin ich zurückgekommen."

„Du hast studiert?"

„Ich habe keinen Abschluss. Deshalb", verlegen kratzt Simon sich am Kinn. Dass er sein Studium abgebrochen hat, ist ein weiteres heikles Thema. Aber vor Michael schämt er sich nicht, denn dieser hat bereits die schlimmsten Seiten an ihm gesehen.

„Scheiße. Was ist passiert?"

Tief holt dieser Luft, fährt sich durch die Locken. Er weiß nicht, wie er es in wenigen Worten sagen soll, zu viel ist geschehen, das ihn so tiefgreifend verändert hat, das es ihm unmöglich gemacht hat, sich wieder bei jemandem fallen zu lassen.

„Simon..." Langsam verschwindet die Schärfe aus Michaels Blick, der sanfter wird. Der Angesprochene ringt nach Worten, atmet schwer. Er kann nicht mehr weitersprechen, es reicht für heute.

„Es ist eine lange Geschichte", wiegelt er deshalb ab.

„Kannst Du mit jemandem reden?" Michael legt ihm die Hand auf die Schulter. Die Wärme seiner Hand dringt durch den groben Stoff seiner Jeansjacke. Langsam sieht er zu Boden, denn natürlich ist da niemand. Er hat sie alle aus seinem Leben verbannt – Michael ist der Einzige, der ihm noch eingefallen ist. Er ist der Einzige, der ein ähnliches Schicksal durchgemacht hat.

„Ist schon gut", schwach lächelt er, „es ist eben meine Bürde. So wie ich auch deine war."

„Das sollte so nicht sein. Nicht mal dir wünsche ich das." Leicht drückt Michael seinen Oberarm, bevor er den Kontakt unterbricht. „Wenn Du nicht weißt wohin, dann ruf mich an. Ich war in deiner Situation. Ich war genauso allein wie Du jetzt."

„Ich – ehrlich?" Simon sucht seinen Blick und er merkt, wie sein Herz schneller zu schlagen beginnt. Michaels Angebot fühlt sich nicht nach Mitleid an, sondern vielmehr nach ehrlicher Sorge.

„Weißt Du, mein Freund meint, dass es unglaublich wichtig wäre, die eigene Geschichte zu erzählen, um anderen durch ihre schweren Zeiten zu helfen. Und vielleicht ist es jetzt an mir, dafür zu sorgen, dass Du nicht noch jemandem weh tun kannst."

Auch wenn der letzte Satz sich schmerzhaft in seine Eingeweide frisst, nickt Simon. „Dein Freund ist ein Heiliger. Ich muss mich wohl bei ihm bedanken."

„David ist viel, aber sicher nicht heilig", Michael grinst bei diesen Worten breit, das erste Mal an diesem Tag. Dieser Mann scheint ihn glücklich zu machen, wenn er allein bei er Erwähnung seines Namens so reagiert. Auch Simon lächelt ein wenig, Michaels Freude ist ansteckend.

Aus dem Wagen dringt lautes Weinen und reißt die beiden aus ihrem Moment.

„Ich muss langsam los", nuschelt Simon. „Ich... melde mich. Danke. Für alles."

„Bis dann", erwidert Michael schlicht und tritt zurück. Simon indes gleitet auf den Fahrersitz, wo er sich sofort zu seiner Tochter umdreht, und versucht sie mit dem Plüschtier zu beruhigen. Aus dem Augenwinkel sieht er, wie Michael in seinen Audi steigt. Der Ausgang ihres Gesprächs kommt ihm wie ein Wunder vor und hat ihm neue Kraft gegeben. Es gibt wohl doch einen Menschen, der hinter ihm stehen wird, auch wenn er in wenigen Tagen seine Familie zerstören wird. 

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