2 | Februar 2019 (1)

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This is what I am, I am a man
So come and dance with me, Michael
So strong now, it's strong now
So come and dance with me, Michael
I'm all that you see, you want to see
So come and dance with me, Michael

Der Boden vibrierte im Takt der Musik unter Michaels Sohlen. Der Club war voll, viel zu voll und viel zu laut. Er war die stickige Luft in dem Kellergewölbe nicht mehr gewöhnt. Wann war er eigentlich so erwachsen geworden, sich nur noch an einem Freitagabend von den Jungs breitschlagen zu lassen, um die Häuser zu ziehen? Ihm war beim Blick auf sein schon wieder verdächtig leeres Bier klar, dass er bis Sonntag brauchen würde, bis er wieder fit wäre. Er versuchte in der Menschenmenge auf der Tanzfläche bekannte Gesichter auszumachen, aber es war unmöglich. Alles war in Bewegung, Arme und Köpfe rauschten an ihm vorbei und der künstliche Nebel erschwerte die Sicht noch zusätzlich.

Er fühlte sich wie eine Salzsäure, so felsenfest stand er noch zwischen seinen Kumpels, die es mal wieder krachen ließen. Sie johlten und lachten über etwas, das Michael nicht verstanden hatte. Über diesen Lärm hörte er gar nichts mehr – er war aber auch schon immer schlecht darin gewesen, aus dem Geräuschpegel beim Feiern das herauszufiltern, was gesagt wurde. Mürrisch sah er, wie die Bierflaschen aneinander krachten und die Runde gleichzeitig ansetzte, um sich die sicher von Tanzen schal gewordenen Getränke hinter die Binde zu kippen. Er war mal wieder zu langsam gewesen, um anzustoßen, nahm aber trotzdem einen kleinen Schluck von seinem Bier.

Was war heute eigentlich schon wieder los mit ihm? Mit einem weiteren Zug leerte er sein Bier und zog sich die Schachtel Kippen aus der Hosentasche. Mit den Fingern an den Lippen signalisierte er, dass er sich zum Rauchen nach oben absetzen würde. Heute war die Musik aber auch besonders scheiße und die anderen hatten ihm schon einiges voraus, als sie hergefahren waren. Das dumme Kundenmeeting hatte aber auch erst so spät stattfinden können, weil auf ihrem Stockwerk in der Firma immer noch gebaut wurde. Die Außenfassade bekam neue Leuchtreklame oder so etwas. Eigentlich interessierte es ihn auch nicht weiter, warum er diese Woche wieder so viele Überstunden gemacht hatte, war eh jede Woche das Gleiche. Die leere Flasche stellte er auf dem Weg achtlos auf einen der leeren Stehtische am Rande der Tanzfläche – er verabscheute die Menschen, die Ihre Getränke einfach irgendwo auf dem Boden aussetzen. Es erinnerte ihn an eine ziemlich schmerzhafte Nacht, die er in der Notaufnahme verbracht hatte, als sich ein kaputtes Glas durch die Sohle seiner Sneaker gebohrt hatte, sodass die Wunde genäht werden musste.

Mit jedem Schritt die Treppen nach oben wurde die Musik erträglicher – besser gesagt leiser, bis sie nur noch als dumpfes Dröhnen wahrnehmbar war. Endlich war die Luft nicht mehr verseucht mit dem Parfum und Schweiß der Feiernden und er konnte wieder frei atmen. Die vielen Menschen, die mit jeder ihrer Bewegungen gegeneinanderstießen, sich aneinander rieben oder sich achtlos anrempelten, überforderten ihn heute maßlos. Der Tag war lang gewesen und der Alkohol verweigerte seinen Dienst.


Unter seinen Schuhen knirschte leicht der Schnee, der in leichten Flocken vom Himmel fiel und die Welt unter einer sanften Decke begrub. Frau Holle hatte heute wohl die Betten extra gut aufgeschüttelt. Bei dem Gedanken grinste er leicht, an Märchen hatte er schon viel zu lange nicht mehr gedacht. Unter einem Hausvorsprung gegenüber fand er Unterschlupf und zündete sich endlich eine Zigarette an. Genüsslich inhalierte er, nur um den blauen Rauch anschließend in Richtung des Nachthimmels zu blasen. Die Härchen auf seinen Armen stellten sich zu einer Gänsehaut auf, die sich hier draußen über seinen Körper ausbreitete. Aber die kurze Auszeit war es wert, auch wenn das bedeutete, nur im Hemd zu frieren und sich vor dem Schneefall zu verstecken. Die tanzenden Flocken hypnotisierten ihn beinahe, als er seinen Kopf in den Nacken legte und in die graue Unendlichkeit sah, die von den wirbelnden Punkten durchbrochen wurde. Welche Reise jedes dieser Wunder wohl hinter sich hatte?

Sein Grübeln wurde unterbrochen, als sich jemand zu ihm unter den Hauseingang zwängte.

„Hast Du mal Feuer?"

Mit zusammengezogenen Brauen musterte Michael den Mann, der sich neben ihn gestellt hatte und ebenfalls eine dünne Zigarette zwischen den Fingern hielt. Unter dem Kragen seines Shirts spitzen die Ausläufer eines Tattoos heraus und zogen sich seinen Hals hinauf, fast bis zum Haaransatz seines in seinem Nacken. Den kannte er doch irgendwo her. Schließlich nickte Michael, steckte sich seine eigene Zigarette zwischen die Lippen und zog sein Feuerzeug aus der Hosentasche. Er hielt es dem anderen hin und ließ mit einem Schnippen seines Daumens über das kleine Rädchen eine Flamme entstehen, die unruhig im trüben Dämmerlicht tanzte. Als sich der Mann in Richtung, der Flamme lehnte, strichen ihm weiche Schatten über das Gesicht und seine dunklen Augen leuchteten auf.

„Danke", sagte er schlicht, nachdem er den ersten Zug wieder aus seinen Lungen entlassen hatte. Der Fremde lächelte leicht, als Michael nur stumm nickte und in einem sinnlosen Versuch sich gegen die Kälte zu schützen die Schultern hochzog. Ihm war nicht nach Konversation, aber ihm wollte nicht einfallen, woher er ihn kannte, obwohl er ihn immer wieder aus dem Augenwinkel beobachtete. Obwohl das dünne Baumwollshirt ihn sicher nicht warmhielt, stand er lässig da, lehnte seine Schulter gegen die eiskalte Hausmauer und sah den vereinzelten Menschen zu, die sich zur Raucherpause aus dem Club wagten.

Als Michael schließlich seine Zigarette austrat und sich anschickte, wieder nach unten zu gehen, trafen sich ihre Blicke für einen flüchtigen Moment und sein Herzschlag stolperte über seinen Takt. Die Intensität, die in den Augen des Fremden lag, faszinierte ihn ungemein – es lag so viel Bestimmtheit und Gewissheit darin. Dagegen fühlte sich Michael plötzlich klein, als ob er zu seinem größten Vorbild aufsehen würde, dabei schätze er sich in etwa gleich alt ein. Ein eiskalter Schauer überfiel ihn, schmolz in ihm zusammen und zog sich brennenden in seine Magengegend zurück. Mit einem gezwungenen Räuspern wandte er sich ab, blieb aber dann doch in dem Eingang stehen, neben diesem Mann, der aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schien und seinen Körper zeitweise von seiner eigentlichen Funktion abhielt.

„Christian."

Was? Michael ergriff wie in Trance die Hand, die ihm hingestreckt wurde. Die Finger, die seine eignen umschlossen, waren eiskalt, ob vom Rauchen oder dem Wintereinbruch vermochte er nicht zu sagen.

„Michael", hörte er seine eigene Stimme, ohne dass er wusste, wann er seinem Mund befohlen hatte, seinen eigenen Namen auszusprechen.

„Ich weiß", sagte Christian, der nun nicht mehr so fremd war. Er musste die Verwirrung auf Michaels Gesicht erkannt haben, denn er lachte leise in sich hinein.

„Der Sicherungskasten ist gegenüber von deinem Büro. Und Stephanie wirst Du nicht heißen."

„Was?"

Wie kam er auf den Namen seiner Kollegin, mit der er sich das Büro teilte? Und was wollte er mit dem Sicherungskasten? Was das ein Witz, den er nicht verstand?

Jetzt lachte Christian wirklich. „Du erinnerst Dich wirklich nicht, oder?"

Michael schüttelte nur den Kopf. „Arbeitest Du bei uns?"

Christian schüttelte ebenfalls amüsiert den Kopf, sodass sich ein paar Schneeflocken aus seinen schwarzen Haaren lösten. „Nein – also momentan schon. Die neuen Logos an der Außenfassade, die sollen doch leuchten. Ich mache die Elektrik."

„Und stalkst anscheinend die Belegschaft", versuchte sich Michael an einem lockeren Spruch, doch der glühende Ball in seinen Eingeweiden breitete sich weiter aus, während er der rauen Stimme seines Gegenübers lauschte. Er war schon neben sich gestanden, bevor er sich von seinen Freunden unten verabschiedet hatte, doch jetzt war es, als schwebte sein Verstand irgendwo über ihm und sein Körper bemächtigte sich der Kontrolle.

„Dich schon", sagte Christian ganz unverblümt, noch immer grinsend. Was zur Hölle?

„Da steckst Du!", ein kräftiger Arm legte sich um Michaels Schultern und verschonte ihn vor einer Antwort. Er starrte seinen Freund, der sich ungeschickt gegen ihn geworfen hatte, an, wusste aber nicht, ober sich über sein Auftauchen freuen oder ärgern sollte. „Alter, Du bist eiskalt. Komm wieder mit rein, Anton holt was Neues zu trinken!"

„Klar." Michael spürte Christians Blick auf sich, als er sich von Max wieder in Richtung der Clubtür ziehen ließ. Die glatten Sohlen seiner Schuhe rutschten auf dem von Schneematsch bedeckten Kopfsteinpflaster, Max schlingerte ebenfalls – diese Unsicherheit schob er aber auf die Wirkung des Alkohols.

Unten warteten die anderen bereits mit einem Tablett voller Schnapsgläser, in denen eine durchsichtige Flüssigkeit schwamm. Auf jedem Gläschen lagen zudem Zitronenscheiben, auch ein Salzstreuer stand bereit. Mit Sicherheit Tequila. Gerade richtig. Michael fuhr sich angespannt über das Gesicht, das von der plötzlichen Hitze kribbelte.

„Na endlich", rief jemand und begann die Gläser zu verteilen. „Da sind sie ja wieder."

„Also dann!"

Alle hoben den Tequila hoch, sahen sich der Reihe nach kurz in die Augen. Michael machte einfach mit, er kannte ihr Ritual, folgte ihnen und ehrlich gesagt kam ihm Schnaps gerade richtig. Was hatte Christian als Letztes gesagt. Dich schon? Das war wohl ein Witz. Ein Flirt? Nein, sicher nur ein dummer Kommentar. Ein Mann würde doch nicht mit ihm flirten, oder? Nein, sicher nicht, oder? Der dumpfe Hauch von Enttäuschung stieg in ihm auf – wollte er es denn, dass wieder ein Mann mit ihm flirtete?

Der Tequila war genauso schlecht, wie er erwartet hatte. Er brannte wie Feuer in seinem Mund und ihm wurde augenblicklich schlecht, als die Flüssigkeit in seinem Magen ankam. Er schüttelte sich, atmete für einen Moment bei geschlossenen Augen durch und beschloss dann, dass er genau dieses Gefühl jetzt brauchte. Sinnlos schlechten Alkohol trinken und einfach alles vergessen. Seit der Beerdigung seines Vaters hatte er viele lange Gespräche mit seinem Bruder geführt, die zusehends ihren Tribut forderten.

„Ich hole noch eine Runde", sagte er deswegen und setzte sein bestes Grinsen auf. Er zwang sich, einfach alles auszuschalten. Den komischen Kommentar von eben zu vergessen, seine Deadlines und Kundenpräsentationen auf der Arbeit, für den Abend auch Felix, alles einfach. Vor allem wollte er aber das Gefühl vergessen, das sich seiner bemächtigt hatte, als er Christian kurz in die Augen gesehen hatte. Weg damit – Tequila war dafür ein ziemlich gutes Mittel, fand er.

An der Bar zwang er zunächst den Barkeeper, mit ihm einen weiteren Schnaps zu kippen, bevor er mit neuen Getränken auf dem Tablett wieder zurück an ihren Tisch kam.

„Los geht's", lachte er. Er war schon immer gut darin gewesen, den Schalter in seinem Hirn mechanisch umzulegen, wenn es sein musste. Und jetzt war so ein Moment, in dem er sich nur vor sich selbst retten konnte, indem er sich zu jemandem anderen machte.

Die Jungs pfiffen freudig durch die Zähne, als er jedem von ihnen einen Shot vor die Nase stellte und dann sein Glas zum Anstoßen anhob.

„Auf uns!", rief er über die laute Musik.

Michael tanzte zwischen seinen Kumpels, bis seine Kondition am Ende war. Das Hemd klebte ihm nass an der Brust und seine Wangen glühten. Max lehnte sich neben ihn an den Tresen, wohin sie sich zurückgezogen hatten, um nach Luft zu schnappen.

„Du hast ja noch ganz schön aufgeholt", schrie er ihm ins Ohr. „Und ich dachte schon, du bist heute wieder der Spielverderber, so grantig wie Du angekommen bist."

Missbilligend zog Michael die Augenbrauen nach oben und sah zu seinem Freund auf, der sich die feuchten roten Haare aus der Stirn strich. Dieser lachte und wich gespielt einen Schritt zurück, wobei er die Hände entschuldigend vor seinen Körper hob.

„Ist ja gut, bin ja still", grinsend deutete er dem Barkeeper nach einem weiteren Bier. „Du auch?"

„Ne, danke", Michael hatte genug für den Moment. Vor ihm begannen die Menschen in seinem Sichtfeld an nach rechts und links zu kippen, was er als deutliches Zeichen wertete, dass morgen kein schöner Tag werden würde, wenn er jetzt nicht aufhörte zu trinken.

„Bin gleich wieder da."

Er ließ Max an der Bar zurück und bahnte sich einen Weg zu den Toiletten. Langsam war er eindeutig betrunken, der Tequila hatte es mal wieder gerichtet. Trotzdem sehnte er sich nach kaltem Wasser im Gesicht und im Nacken, um kurz einen klaren Moment zu haben und sich nicht vollends in den tanzenden Lichtern zu verlieren. Vielleicht sollte er auch nach Hause gehen, es war spät, er war außer Puste und der Abend hatte nicht mehr viel zu bieten. Die Reihen der Feiernden dünnten sich langsam aus und die Musik wurde immer schlechter.


Auf der Toilette beugte er sich über eines der Waschbecken und drehte das Wasser auf eiskalt. Er füllte seine Hände, um sie sein Gesicht damit abzukühlen. Sein Bart war sowieso schon nass vor Schweiß und Bier, durch das Nachspülen mit klarem Wasser fühlte er sich bedeutend besser, klarer. Das Wasser wusch den Dreck des Abends von ihm ab, doch er fühlte sich noch immer etwas schmutzig – so wie ihm sein Hemd mittlerweile am Körper klebte, konnte die Katzenwäsche am Waschbecken auch nichts ausrichten. Er seufzte und klatsche sich eine letzte Hand voll Wasser in den Nacken, erfrischend war es immerhin.

Als er sich schließlich wieder aufrichtete und in den Spiegel sah, bemerkte er hinter sich Christian an den Kabinen lehnen, doch außer ihnen war die Toilette verwaist. Er hatte seinen Mundwinkel leicht nach oben gezogen, und er sah ihm durch den Spiegel wieder direkt in die Augen. Für einen Moment hielt Michael die Luft an, denn da war es wieder, dieses Brennen im Bauch. Spätestens jetzt war klar, es wurde nicht durch die Kälte oder den Alkohol ausgelöst, es war er.

„Du bist noch da", sagte Christian schlicht und kam auf ihn zu. Noch immer wagte es Michael nicht, sich zu bewegen, denn in seinem inneren rang er mit sich. Er stand still da, atmete flach und wartete darauf, was Christian als nächstes tun würde. Die Selbstsicherheit, die dieser Mann ausstrahlte, machte ihn verrückt. Es war keine Arroganz, keine Überheblichkeit, sondern Ruhe. Er hielt Michaels um sich selbst kreisende Gedanken für einen Moment an, einfach, indem er ihn über den Spiegel aus seinen dunklen Augen fixierte und sich dicht hinter ihn stellte, sodass Michael ihn atmen hören konnte. Seine schlanken Finger tasten Michaels Nacken ab, dort wo sich noch immer Wassertropfen in den feinen Härchen verfangen hatten, blieben kurz an seinem Hemdkragen hängen, bevor nur der Zeigefinger sanft seine Wirbelsäule hinabfuhr. Die Berührung über dem Stoff des Hemdes war so flüchtig, dass sich Michael nicht sicher war, ob sie überhaupt stattfand oder er es sich nur wünschte, dass es passierte. Aber er musste sich eingestehen, dass dieser heimliche, unwirkliche Kontakt etwas mit ihm anstellte. Die Fleckchen Haut, auf denen sich eben noch Christians Finger befunden hatten, brannten jetzt lichterloh und die Hände, die er noch am Rand des Waschbeckens abgestützt hatte, begannen zu kaum merklich zu zittern. Als sich der fremde Finger in seinen Hosenbund einharkte und dort verweilte, kam Michael nicht umhin, seine Augen für einen Herzschlag zu schließen, um sich zu sammeln. Er sperrte die Welt aus, atmete tief durch die Nase und nahm das herbe Aroma auf, das wie ihn wie eine Wolke einhüllte. Er meinte, einen Hauch Zitrus zu erkennen.

Gerade gab es nur ihn und den Mann in seinem Rücken. Er nahm Christians Anwesenheit am ganzen Körper wahr, auch wenn sich nur wenige Zentimeter ihrer Haut auch tatsächlich berührten. Er spürte wie in Zeitlupe, dass sich eines der Tröpfchen aus seinem Nacken einen Weg an seinem Rücken herab bahnte, genau an der Wirbelsäule, genau dort, wo eben noch Christians Finger flüchtig entlang gefahren waren.

Mit dem erneuten Öffnen seiner Lider kam er in einer anderen Welt an. Wieder fanden sich ihre Blicke im Spiegel, doch diesmal musterte er den Mann hinter sich anders. Er nahm nicht mehr nur das herausfordernde Blitzen in seinen dunkelbraunen Augen wahr, sondern auch die Details in seinem Gesicht. Eine winzige Narbe an seiner linken Augenbraue, den dezenten Bartschatten, der sich auf seinen Wangen bildete, die kurzen schwarzen Haare, die zum Nacken hin ausrasiert waren. Er spürte die Erregung in sich aufsteigen und schluckte trocken. Plötzlich kam er sich dumm vor, dass er dieses Gefühl hatte vergessen wollen, denn es war so unendlich verführerisch. Beinahe musste er ein Keuchen unterdrücken, als die Hand tiefer wanderte und über seinen Hintern strich. Wieder war die Berührung beinahe nicht wahrnehmbar.

Scheiße, warum machte ihn das so an? Er kannte ihn nicht, er hatte kaum ein Wort mit ihm gewechselt, warum ließ er sich so den Kopf verdrehen? Warum zur Hölle ließ er sich in der Toilette einfach von ihm anfassen, wo sie jederzeit erwischt werden konnten?

„Kommst Du mit mir tanzen?", hauchte Christian gegen seinen Hals. Er war so nahe, dass sein Atem auf seiner Haut kitzelte. Wenn er sich nur kleines bisschen nach hinten lehnen würde, wäre sein Rücken an Christians Brust. Der Gedanke war elektrisierend.

Tanzen war nicht verboten. Ob die anderen auf ihn warteten? Noch immer stand er regungslos am Waschbecken und genoss, was auch immer Christian beschloss mit ihm zu tun.

„Bitte", seine Lippen schwebten nun direkt über seiner Haut und ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. Diesmal konnte er sein Stöhnen nicht unterdrücken, was die Bestätigung zu sein schien, auf die Christian gewartet hatte. Wieder verzog dieser seinen Mund zu einem frechen Grinsen, doch anstatt ihm näher zu kommen, zog er sich zurück. Kurz zerrte der Finger wieder an Michaels Hosenbund, dann war er schon bei der Tür. Einen letzten Blick warf er über seine Schulter, zog seine verschmitzt Augenbrauen nach oben, als ob er ein Spiel einläutete, dessen Regeln nur er bestimmte.

Erst als die Tür hinter ihm zugefallen war, konnte Michael sich aus seiner Starre lösen. Scheiße, war er bereit sich darauf einzulassen? Er fuhr sich durch die Haare, übers Gesicht, versuchte die Nässe aus seinem Bart zu wischen.

Verzweifelt schloss er seine Hände zur Faust, als er die Spannung in seinem Inneren nicht mehr aushielt. Er hatte diese Seite an sich seit Jahren so erfolgreich unterdrückt, hatte seit Simon keinen Mann mehr angerührt und das sollte auch so bleiben. Wenn ihn jemand sah, wäre es vorbei auf der Arbeit. Aber verdammt, es hatte sich so gut angefühlt, wie Christian hinter ihm gestanden und ihn berührt hatte. Er kämpfte mit sich, das unterdrückte Verlangen torpedierte sein wackeliges Selbstbild. Der Alkohol, den er noch vor wenigen Momenten als heilsam empfunden hatte, entpuppte sich nun als hinterhältiger Verräter, denn er trieb ihn in eine Richtung, die er sich seit so langer Zeit verbot.

Wieder schluckte er trocken, gab sich einen Ruck, riss sich von dem Waschbecken los und steuerte zur Tür.

Es dauerte nicht lang, bis er Christian fand. Er stand allein in der Mitte der Tanzfläche und bewegte sich rhythmisch zwischen den Menschen, aber für Michael hätte er überall hervorgestochen. Das Stroboskoplicht flackerte wild über seinen definierten Körper, über sein kurzes schwarzes Haar und brach sich in seinen dunklen Augen. Schon als er auf ihn zukam, begann Christian siegessicher zu lächeln, drehte sich jedoch bei den letzten Takten des Songs um, sodass er ihm provokativ den Rücken zuwendete und Michael das Spielfeld überließ. Dieser konnte kaum noch klar denken, für ihn war der Tanz auf dem Vulkan eröffnet.

Der nächste Song, den der DJ anspielte, war schnell und die Menge um sie herum fing an zu grölen. Wie im Auge des Sturms verlangsamte sich für Michael alles, er nahm alles überdeutlich wahr, als er sich seinen Weg durch die Tanzenden bahnte. Er sah, wie ein Plastikbecher in die Luft flog, sich drehte und seinen Inhalt über die Köpfe der Menschen verteilte. Sah, wie neben ihm eine junge Frau auf die Schultern eines Mannes kletterte und die Arme nach oben reckte. Sah, wie sich Christians Körper lasziv zum Takt bewegte, seine Fersen in den Boden stampften und die Schultern sich mit der Musik wiegten. Immer wieder spannte sich sein ganzer Nacken an, sodass sich die Form der Tattoos am Hals über den Sehnen und Muskeln veränderte und zu fließen begann. In seinem Hals glitzerten einzelne Schweißtropfen, die sich weigerten, weiter an seinem Körper hinabzulaufen.

Michael überbrückte den letzten Abstand zwischen den beiden und legte seine Hände an Christians Hüften, doch dieser tat... nichts. Er tanzte weiter, passte sich lediglich etwas Michaels Bewegungen an. Er versuchte nicht, die Lücke zwischen ihnen zu schließen, tat nichts, um ihn näher zu kommen, sondern schaffte es nur, dass sich die beiden in gemeinsamen Rausch aus Musik und Nähe wiederfanden. Immer mehr flossen ihre Körper in eine gemeinsame Form, in einen gemeinsamen Rhythmus. Die Bedenken, die Michael noch vor wenigen Minuten gehabt hatte, waren wie weggefegt. Alle Gedanken waren wie weggefegt. Es gab nur noch ihn und den Mann vor ihm, dessen Präsenz ihn magisch anzog.

Als der Song erneut wechselte, drehte sich Christian endlich um. Seine Augen waren halb geschlossen, während er sich auf den neuen Beat einstellte. Sein Mund stand leicht offen, die Lippen glänzten. Noch immer tat er genau das, worum er Michael gebeten hatte – tanzen. Nicht mehr und nicht weniger. Er überstürzte nichts, forderte nichts von ihm, ließ ihn in seinem bei ihm Tempo ankommen.

Irgendwann hielt es Michael nicht mehr aus, die Nähe machte ihn wahnsinnig. Er hatte die Grenzen, die ihn so lange beherrscht hatten, bereits niedergerissen, hatte sich auf den Flirt eingelassen. Und jetzt verlangte sein Körper nach mehr, trieb seine Vernunft dazu, endlich die Stichelei zu beenden. Obwohl der den Mann nicht gut kannte, fühlte er sich zu ihm auf eine neue Art hingezogen, die ihm fremd war. Die dunklen Augen, die unglaubliche Ausstrahlung und das Verlangen, das von ihm ausging.

Der DJ bediente langsam aber sicher nur noch die Betrunkenen und wechselte immer schneller, ohne sich noch um gut abgemischte Übergänge zu scheren. In die verbliebenen Tänzer kam neues Leben, als der schwerfällige Beat eines Rocksongs über die Anlage schallte. Selbst Michael musste lachen, als er den Song erkannte. Für wie alt hielt der DJ sein Publikum? Mann, wie alt war sein Publikum, dass die letzte Welle Euphorie ausgerechnet jetzt aufwallte? Und er war mittendrin. Die beiden wurden von der springenden und grölenden Menge gegeneinander gepresst, doch anstatt dass Christian den nächsten Schritt ging auf ihn zu ging, riss er die Arme nach oben und schrie sich den Refrain gemeinsam mit allen anderen aus dem Leib. Wieder drückte jemand gegen Michaels Rücken, sodass er nur in Richtung von Christian ausweichen konnte. Seine Finger kribbelten, wo sie nach wie vor auf dem anderen Körper ruhten – sein Herzschlag schien sich mit jeder Sekunde zu beschleunigen. Er wollte es. Er wollte ihn.

Gepackt von der Stimmung, die sich plötzlich über alle noch Anwesenden gelegt hatte, erlitt Michaels Vernunft die letzte Niederlage des Abends und kapitulierte. Die Tabus, die er für unumstößlich gehalten hatte, fielen dem Alkohol und seiner Lust zum Opfer. Seine Hände wanderten an Christians Körper nach oben, fühlten seine harte Brust, fühlten seine schmalen Schultern und legten sich schließlich auf seine Wangen. Lachend sahen sie sich in die Augen, kosteten die Leichtigkeit aus, die sie in diesem Moment beflügelte, bevor Michael die letzte Distanz zwischen ihnen überbrückte. Er gab der Spannung nach, die er verspürt hatte, seit er Christian im Spiegel beobachtet hatte.

Als ihre Lippen sich trafen, vermischten sich Gin und Tequila. Der erste Kuss war zaghaft und kurz, Michael schreckte zurück, überrascht von seinem eigenen Mut. Mit großen Augen starrte er auf das hübsche Gesicht vor ihm und ließ die Hände von seinen Wangen gleiten. In seinem Magen glomm noch immer der Funken, den er den ganzen Abend über gehegt hatte. Gerade drohte die Welle der Angst, die über ihm zusammenschlug, diesen zu ersticken – er hatte es wirklich getan. Er hatte wieder einen Mann geküsst. Erinnerungen an hastig und verschämt getauschte Zärtlichkeiten drängten sich in seinen Kopf, schmerzhafte Bilder von Ablehnung und Verlust.

Christian sah zu ihm auf, als die Hände seinen Körper wieder verließen. Ihre Blicke trafen sich erneut, doch nun lag in Michaels Augen erneut die Schwere des Seins. Deutlich war in seinem Gesicht die Überforderung zu lesen, doch dieses Mal wurde er nicht allein gelassen. Starke Arme zogen ihn in eine Umarmung, fuhren durch die Haare in seinem Nacken. Ihre Körper drückten sich sanft aneinander, in Christians Streicheln lag Zärtlichkeit und so glaubte er, auch Verstehen. Sie waren sich so nah, dass ihre Wangen einander berührten, Christians Stoppel kratzten ihn leicht. Er ließ sich in die Umarmung sinken und spürte die Geborgenheit, die von dem anderen Mann ausging. Obwohl er zögerte, stieß er ihn nicht weg, sondern zog ihn näher zu sich heran. Vielleicht war es doch nicht so falsch?

Langsam ließ er seinen Kopf nach vorne sinken und legte seine Hände wieder an Christians Rücken. Seine Lippen suchten schüchtern den nächsten Kuss, drückten nur leicht auf die anderen. Es dauerte nicht lange, bis er Christians Zunge fragend an seiner Unterlippe spürte. Das süße Kitzeln lockte seine Lust aus ihrem Versteck und ließ ihn erwartungsvoll seinen Mund öffnen.

Das Gefühl, als ihre Zungen aufeinandertrafen, war unglaublich, hatte nichts mit den gestohlenen Küssen zu tun, die er kannte. Christian war anders, ehrlich. In der Art und Weise, wie ihre Körper auf der Tanzfläche verschmolzen und sich aneinander rieben, brachte ihn in ungeahnte Höhen.

Christian löste sich von ihm, um keuchend Luft zu holen. Noch immer presste sich seine Brust dicht an ihn, und Michael war nicht danach, dies zu ändern. Er legte seine Lippen an den Hals des kleineren Mannes und zeichnete die Konturen der Tattoos mit nach. Die Zitrusnote in seinem Geruch war aus dieser Nähe noch deutlicher.

Während er sich an Christian Duft berauschte, zerrten dessen Finger sein Hemd aus der Hose. Nur an einer kleinen Stelle am Rücken lockerten sie den Stoff, nur genug, um sich unschuldig darunter zu schieben und ihn mit dem Kontakt von Haut auf Haut an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Seine Knie wurden weich, als Christian seine Hüfte bei einem erneuten Kuss noch fester an ihn drückte und ihm unmissverständlich klar machte, was er wollte.

Wollte er es auch?

Ja, verdammt, er wollte es so sehr.

„Zu mir", raunte er Christian deshalb ins Ohr. Die Zeit für Zurückhaltung war vorbei. Und obwohl er sich nicht sicher war, ob seine Worte gegen die laute Musik überhaupt zu verstehen waren, grinste Christian ihn an und nickte in Richtung des Ausgangs. 


~~ 

Kurze Anmerkung zum Text am Anfang des Kapitels: Das ist die große Inspiration für meinen Hauptcharakter, eigentlich ist die Geschichte aus dieser einen Szene entstanden. Wie ich von hier zu allen anderen Charakteren gekommen bin - keine Ahnung. Aber trotzdem muss ich mich bei einer meiner Lieblingsbands bedanken, für diesen einen Song, ohne den wir nicht hier wären. 

Franz Ferdinand - Michael

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