29. Discosound, Gewaltfantasien

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Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Nichts hatte sich geändert. Sven brauchte bloß zwei, drei Flaschen Bier, und seine Zunge lockerte sich, viel mehr als mir lieb sein konnte. Obwohl ich ihm das Versprechen abgerungen hatte, niemandem davon zu erzählen, schilderte er jedem Bekannten, den wir trafen, meine Begegnung mit dem Unerklärlichen. Er versprach sich davon offenbar einiges. Je später der Abend wurde und je attraktiver seine weiblichen Zuhörerinnen waren, desto fantasievoller schmückte er die Geschichte aus, ohne dass ich auch nur ansatzweise etwas dagegen unternehmen konnte, es sei denn ich hätte ihn am Kragen gepackt und aus der Kneipe gezogen, oder ic hätte noch tollere Geschichten aufgetischt.

Zuerst war es nur ein Klopfen in der Wand, dann eine nebelige Erscheinung, später ein Feuerdämon mit Klauen und Reißzähnen, groß wie ein Haus, den ich mit Hilfe meiner Zauberkatze Ramadan in einem furiosen Endkampf auf der Mönchshöhe zurück in die Tiefen der Harzberge vertrieben hatte.

Wären unsere Zuhörer nicht ebenso angeschiggert gewesen wie wir, hätten sie uns wohl für bescheuert erklärt und uns allein an Tisch oder Theke zurück gelassen. So hatten wir einfach unseren Spaß, erst recht als auch die anderen begannen ihre Spukerfahrungen zu beichten, von denen sie, nach eigener Aussage, aus Scham oder Angst vor Ablehnung niemanden bisher erzählt hatten.

Unsere Tour endete wie geplant im Cartoon, einer Traditions-Disco am Südbahnhof, in der wie immer die Hölle los war. Beim Hineingehen glaubte ich einen kurzen Moment lang, ganz hinten auf der Tanzfläche Mara in den Armen eines pickeligen Kerls zu sehen, doch beim nächsten Hinschauen war sie bereits verschwunden und tauchte auch nicht wieder auf.

Es ging mir nicht gut. Ich spürte den Alkohol durch meine Adern rauschen, das Hirn spannte unter der Schädeldecke, meine Augen brannten vom vielen Zigarettenqualm. Ich war das alles nicht mehr gewohnt.

Am Tresen erblickte ich Kurt Bukowski, einen Kerl, den ich schon zu Schulzeiten nicht hatte ausstehen können. Vergeblich versuchte ich Sven zurück zu halten, doch er musste Kurt unbedingt anquatschen.

Dieser schien uns jedoch gar nicht wiederzuerkennen. Sein Blick hing auf halb acht, und er hatte sichtlich Mühe auf dem Barhocker sein Gleichgewicht zu halten. Ich war überrascht, wie freimütig er mit Sven zu plaudern begann. Ich bestellte mir ein Wasser mit Eis und Zitrone und hörte den beiden einfach zu.

Es stellte sich heraus, dass Kurt Polizist geworden war. Mit herausgestreckter Brust erzählte er von seinem neuen Einsatzfahrzeug, und dass seine Uniform und seine Dienstwaffe draußen im Auto lägen, weil er noch bis vor zwei Stunden gearbeitet habe. Kurt hatte enorm an Muskelmasse zugenommen. Sein nicht mehr ganz so weißes Hemd spannte sich sichtbar über Brustkorb und Oberarmen.

„Bin da an 'ner ganz heißen Sache dran, Jungs ...! Falschgeld, Blüten, im ganzen Harz ... Stehe kurz vor der Aufklärung ... Ganz heiße Sache, ganz heiße Sache ...!"

Ja, ja, dachte ich. Du warst schon immer der Heißeste, Kurt, hast schon immer die dicksten Fische an der Angel gehabt, solange man deinen Erzählungen Glauben schenkte.

Irgendwann drehte Kurt sich einfach von uns weg, und begann das Gespräch mit einer Dunkelhaarigen Schönheit, die verrutschtes Make up trug und dabei war, sich die tränennassen Augen mit einem Taschentuch zu trocknen.

Gegen vier verließen wir das Cartoon. Gierig saugte ich den Sauerstoff in meine Lungen. Ich roch an meinen Klamotten. Kaltes Nikotin, Bierschweiß, billiges Parfüm. Ich ekelte mich vor mir selbst.

Sven deutete auf die geparkten Autos, und jetzt sah auch ich Kurts Polizeiwagen. Er war so ungekonnt geparkt worden, dass die Wagen vor und hinter ihm nicht hinauskommen würden. Sven war als erster da, legte die Hand gegen die Seitenscheibe und sah in den Innenraum.

„Der Kerl ist ja so was von durchgeknallt! Der hat tatsächlich seine Knarre auf der Rückbank liegen gelassen!"

Ich sah ebenfalls hinein, und ich dachte mir, jetzt sei der richtige Moment alles auf eine Karte zu setzen, alles anders zu machen als bisher, einfach mal etwas zu wagen. Es wäre so einfach gewesen, die Tür zu öffnen und die Dienstwaffe mitgehen zu lassen! Ach was, wir mussten sie gar nicht klauen. Es reichte vollkommen aus, sie ins nahe gelegene Gebüsch zu schleudern. Was seine Vorgesetzten wohl dazu sagen würden, wenn er eingestehen musste, dass er seine Dienstwaffe verlegt hatte?

Am Eingang des Cartoon wurde es plötzlich unruhig.

„Hey, ihr da! Weg von meinem Wagen!"

Wie es aussah hatte Kurt das Interesse an der Dunkelhaarigen verloren, denn er kam mit riesigen Schritten auf uns zu gestapft. Jedenfalls beabsichtigte er das. Bereits auf der zweiten Stufe begann er zu straucheln, auf der dritten knickte er um und auf der vierten verlor er endgültig die Balance und knallte mit dem Gesicht zuerst auf 's Pflaster.

Sofort waren etliche Leute bei ihm und halfen ihm auf.

Sven und ich machten uns aus dem Staub. Auch wir standen nicht mehr sicher auf den Beinen, doch offensichtlich immer noch besser als Kurt, das aufgeblasene Hähnchen. Mit krächzender Stimme brüllte er hinter uns her: „Ich weiß genau wer ihr seid! Glaubt wohl ich hätte euch nicht erkannt! Lupo Scholz und Sven Friedemann, gnade euch Gott, ihr Drecksäcke!"

Nach einem viel zu kurzen Nickerchen war er da, der Lauenstein-Tag.

Ich hatte mies geträumt. Von Kurt, der mit zwei geladenen Dienstwaffen hinter mir her gelaufen war, erst durch meine Wohnung, dann durch die Innenstadt, über den Marktplatz, hinauf zur alten Burg. Plötzlich waren hinter den Grabsteinen Männer mit zotteligen Bärten aufgetaucht, die die geballten Fäuste in die Luft reckten und irgendwelche Parolen skandierten. Dann ein Licht am Firmament, erst klein, dann immer größer werdend. Eine Lichtgestalt in wehendem Gewand stieg zu mir herab. Es war Mara. Sie nahm mich, und stieg mit mir zum Himmel empor, wobei sie mir etwas ins Ohr flüsterte, was ich jedoch sogleich vergaß. Schade.

Der Gottesdienst begann um zehn, und Lauenstein hatte mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er mich erwartete. Ich hätte mich ohrfeigen können. Waren meine Mitstudenten Ende der Sechziger nicht genau deswegen auf die Straße gegangen? Um gegen die alten, verkrusteten Eliten zu protestieren, die alles am liebsten so belassen wollten wie es immer schon gewesen war? Ich hatte stets den Eindruck gehabt, diese Botschaft sei inzwischen bis in den hintersten Winkel der Republik vorgedrungen, nur nicht bis nach Grubenhagen. Hier hörte man noch freiwillig auf einen reitenden Pastor mit Siegelring und Herrscherallüren. Als wäre der Kaiser noch am Leben. Am allerschlimmsten aber war: ich war einer dieser herumkriechenden Untertanen, ohne Arsch in der Hose, ohne Widerspruchsgeist.

Was sollte ich tun? Doch noch Kurts Dienstwaffe klauen, ins Pfarrhaus eindringen und kurzen Prozess machen? Lauenstein hatte mich in der Hand. Auch die Wahrheit über Rebeccas Zustand, so glaubte ich, half mir im Moment nicht weiter. Der reitende Pastor konnte eine Existenz mit einem Federstreich vernichten, zumindest was das irdische Dasein in dieser Stadt anbelangte.

Svens Worte klangen mir noch immer in den Ohren. Abhauen und woanders seinen Lebensunterhalt verdienen.

Aber wie denn nur vor lauter Lachen?

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