Acht

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Ich sehe mich. Überall. Mein Gesicht. An den Wänden, auf dem Boden, einfach überall.

Er hat mich gemalt, unzählig oft.

„Oh Gott", keuche ich und mache einen Schritt zurück, stolpere beinahe über meine eigenen Füße. Das ist das Gruseligste, was ich je erlebt habe. Fahrig sehe ich mich um, doch von Finn ist weiterhin keine Spur. Ich nehme all meinen Mut zusammen, trete erneut in das Zimmer ein und ziehe die Tür hinter mir ins Schloss. Einen Augenblick brauche ich. Die Handflächen und die Stirn an die Tür gelehnt, schließe ich die Augen und atme durch, atme tief und versuche mich zu beruhigen. Langsam blinzele ich, beiße mir auf die Unterlippe und drehe mich um.

Das bin nicht ich. Oder doch, irgendwie schon, ein bisschen vielleicht, aber nicht ganz. Irgendetwas stimmt nicht. Auf jeder Zeichnung sieht das Mädchen, das mir starr entgegenblickt, manchmal lächelt und manchmal die Augen geschlossen hat, etwas anders aus. Als hätte Finn jedes Mal eine Kleinigkeit an ihr anders gemalt. Manchmal sind es die Lippen, manchmal ist es die Augenpartie und manchmal die Form des Kinns. Kleinigkeiten, die einem auffallen, wenn man sich selbst täglich im Spiegel sieht.

Und doch sieht sie mir unfassbar ähnlich. Ist sie das? Ist das Mavie? Mavie in seiner Vorstellung? Aber warum hat er sie jedes Mal anders gemalt? War er sich selbst nicht sicher, wie sie in seinem Kopf aussieht? Die Zeichnungen erinnern mich an Phantombilder, die der Maler jedes Mal auf Grundlage der Beschreibung einer anderen Person gezeichnet hat. Jeder hat das Mädchen etwas anders in Worte gefasst, jeder hat etwas anderes an ihr als wichtig erachtet. Doch letztendlich ist es ein und dasselbe Mädchen.

Und das bin ich.

Erst das Klopfen an der Tür reißt mich aus meiner Trance. Mein Herz pocht so gewaltig in meiner Brust, dass mir schlecht wird. Ich kann nicht antworten, ich kann mich nicht bewegen, ich kann nicht mal weg sehen.

„Ist alles in Ordnung?", klingt Finns gedämpfte Stimme zu mir herein. Ich höre das leise Quietschen der Türklinke, die er herab drückt. Bei ihm klemmt sie nicht, ich spüre den Luftzug hinter mir, als die Tür aufgezogen wird und ich spüre seine Anwesenheit. Dass er nur ein kleines Stück entfernt von mir steht. Und plötzlich habe ich kein Mitleid mehr mit ihm, kein Verständnis, sondern Angst, pure Angst vor ihm. Erst die Sache mit dem Kaffee und jetzt dieses...dieses psychomäßige Atelier.

Ich habe so große Angst, dass ich mich auf einen Schlag ganz taub fühle. Als hätte jemand meinen ganzen Körper betäubt, der sich wie eine steife, hölzerne Statue anfühlt. Vor meinen Augen flimmert es ein wenig. Ungelenk wende ich mich von den Bildern ab, drehe mich zu ihm und starre ihn an. Er steht im Türrahmen, hat die Hände miteinander verschränkt und sieht mich forschend an. Als würde er darauf warten, dass ich etwas sage. Als würde er hoffen, dass ich ihm nun endlich glaube.

Aber das sage ich nicht. „Ich gehe jetzt", murmele ich stattdessen tonlos, schiebe mich irgendwie an ihm vorbei und er ist so verdutzt, dass er es zulässt.

„Hey, warte, wo willst du jetzt hin?" Ich höre seine Schritte auf der Treppe hinter mir.

„Mavie, jetzt bleib doch stehen!" Ich spüre seine Hand auf meiner Schulter, als ich die Haustür öffnen will, die immer noch verriegelt ist.

„Hey, sieh mich an. Ich kann dir das erklären!" Er nimmt mein Gesicht in seine Hände, zwingt mich, ihm in die Augen zu sehen, aber ich schaue durch ihn hindurch, nehme ihn gar nicht wahr.

„Hör mir bitte zu!" Ich entwinde mich ihm, taumele an ihm vorbei Richtung Wohnzimmer.

Und dann renne ich.


Keine Ahnung wie, aber bis in den Garten habe ich es geschafft. Bis in den Garten, der mir keinen Ausweg bieten konnte. Da hat Finn aufgehört, mir nur hinterher zu laufen, denn als ich meine Stimme wieder gefunden habe und aus Leibeskräften angefangen habe zu schreien, hat er mir die Hand auf den Mund gedrückt und mich mühevoll reingetragen, obwohl ich wie verrückt um mich geschlagen, getreten und geweint habe.

Jetzt sitzen wir nebeneinander auf dem Badewannenrand und er versorgt die Nähte, die zum Teil wieder aufgerissen sind und durch den Verband geblutet haben.

Ich zittere, zittere am ganzen Körper, was es für ihn nicht gerade leichter macht, aber ich kann nichts dagegen tun.

Und ich weine. Ich weine, ohne einen Laut von mir zu geben, als hätte ich all meine Kraft dafür verbraucht, mir draußen die Seele aus dem Körper zu brüllen. Obwohl es niemand gehört hat.

Finn redet dafür die ganze Zeit. Ich höre ihm nicht zu, verstehe kein einziges Wort, weil es so ist, als würde ein dicker Schleier über meinen Ohren liegen, der nur tiefe, dunkle Töne durchdringen lässt.

Plötzlich spüre ich einen Stich, in meinem Arm, ganz leicht, ganz leise, aber ich spüre mich langsam wieder. Mein Blick gleitet herab zu dem Pieks. Während ich Finn dabei zusehe, wie er meine Haut zusammennäht, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, verstehe ich ihn zunehmend besser.

„...solltest es auch eigentlich erst später sehen, wenn du dich wieder erinnern kannst. Aber ich hätte nicht gedacht, dass-"

„Wann hast du die gemalt?", unterbreche ich ihn. Überrascht sieht er auf. Da ich seit geraumer Zeit nicht mit ihm gesprochen habe, hat er wohl nicht damit gerechnet, dass sich das auf einmal ändert.

„Unterschiedlich. Die meisten in den letzten Jahren, einige in den letzten Tagen und wenige in meiner Kindheit", sagt er ruhig, konzentriert sich wieder auf meine Arme und weicht meinem Blick damit aus.

„In deiner Kindheit?", hake ich mit verengten Augen nach. „So lange stellst du mir schon nach?"

Er seufzt leise. „Ich habe sie aus meiner Erinnerung gemalt. Bevor wir uns in der Drogerie gesehen haben, wusste ich nicht mal sicher, dass du wirklich wieder da bist. Ich habe es nur gehofft, aber nicht gewusst und konnte dir damit auch gar nicht...nachstellen."

„Achso. Das hast du dir also für die Tage danach aufgehoben."

Kurz schweigt er. „Ich musste dich einfach finden, Mavie. Ich habe mein ganzes Leben lang auf dich gewartet."

Schnaubend schüttele ich den Kopf. „Du weißt, dass das nicht sein kann. So etwas wie eine Wiedergeburt gibt es nicht und das weißt du, weil du nicht dumm bist. Verrückt vielleicht, aber nicht dumm."

Diesmal antwortet er sofort: „Und wenn doch? Was, wenn es das doch gibt? Woher weiß ich wohl, wie du deinen Kaffee trinkst? Weil du ihn in unserem früheren Leben genau so mochtest. Und die Bilder – was ist mit den Bildern? Das bist alles du, jede einzige Zeichnung zeigt dich. Egal, wie du dich nennst." Ich will etwas sagen, aber jetzt schüttelt er den Kopf und schneidet mir das Wort ab. „Nein, warte! Ich weiß, dass es verrückt klingt. Ich weiß das. Und dass du mich für irre hältst, das ist mir mehr als klar. Seit ich denken kann, versucht mich jeder, mit dem ich in Berührung komme, davon zu überzeugen, dass es dich nicht gibt. Dass ich mir alles nur einbilde. Für mich ist das auch nicht leicht, ich musste immer für uns kämpfen. Aber jetzt bist du da. Kannst du da wirklich gar nicht verstehen, dass ich dich nicht einfach so wieder loslassen kann?"

„Ich bin nicht sie", presse ich hervor und will aufstehen, aber Finn drückt mich an den Schultern zurück.

„Ich verlange ja gar nicht, dass sofort alles wieder da ist. Alles, was wir erlebt haben. Dass du dich auf einen Schlag erinnerst, kann ich nicht voraussetzen. Aber ich bitte dich, es zu versuchen. Für uns."

Egal was er sagt, er wirkt absolut ehrlich dabei. Und sanft. Und verzweifelt, vollkommen verzweifelt. Das kann ich verstehen. Immerhin ist er überzeugt davon, dass seine Geschichte stimmt und ich stehe seinem Glück, dass er demnach so unfassbar lange gesucht hat, im Weg, obwohl ich gleichzeitig unentbehrlich dafür bin. Alles hängt an mir.

„Angenommen, du hättest Recht. Was ist, wenn ich mich nicht erinnern werde, niemals?"

Überraschenderweise schmunzelt er. „Dann ist es immer noch so, dass du dich schon einmal in mich verliebt hast. Auch wenn ich glaube, dass du einfach etwas Zeit brauchst, könnte es auch irgendwie ohne deine Erinnerung gehen. Wir haben uns in einem anderen Leben bereits geliebt, Mavie, warum sollten wir das in diesem Leben nicht auch können?"

Wieder muss ich schnauben. „Oh, da fällt mir sofort mindestens ein Dutzend Gründe ein. Zum Beispiel die Tatsache, dass du mich entführt hast. Normalerweise ist das keine so gute Grundlage, um Gefühle füreinander zu entwickeln."

Er ist fertig mit dem Nähen und verbindet meine Arme neu, weicht mir demonstrativ aus. „Das war ein Fehler, ich weiß, aber was hätte ich denn machen sollen?"

Wütend entziehe ich mich ihm und stehe auf. „Normale Menschen fragen sich einfach gegenseitig nach der Nummer oder ob man mal was zusammen machen kann, wenn man Interesse aneinander hat. Ach warte, das hast du ja sogar gemacht, bevor du mich niedergeschlagen und in meiner eigenen Wohnung eingesperrt hast", fauche ich. Zornig marschiere ich zur Tür, doch Finn ist schneller, windet sich an mir vorbei, zieht sie zu und stellt sich demonstrativ davor.

„Geh jetzt nicht schon wieder weg! Du kannst nicht dauernd davonlaufen, wenn wir uns unterhalten", meint er halb bittend, halb fordernd. „Ich kann nicht oft genug sagen, wie leid mir das tut und mir ist bewusst, dass ich damit ziemlich viel versaut habe, aber-"

„-aber du hast Panik bekommen, ja ja, schon klar. Das sagtest du bereits. Weißt du, wie egal mir das ist? Du hättest deinen besten Freund anrufen können, du hättest gehen können, du hättest so viel Richtiges tun können in diesem Moment. Aber was hast du gemacht? Du hast dich für die falscheste Option überhaupt entschieden. Und nur weil du einen Fehler gemacht hast, kannst du nicht erwarten, dass ich das jetzt ausbade und mit dir in diesem scheiß Haus versauere bis ich sterbe."

Meine Worte scheinen ihn getroffen zu haben. Einen Moment blitzt das pure schlechte Gewissen in seinen Augen auf, doch er zwingt sich, stark zu bleiben und strafft die Schultern. „Genau so ist es aber nun. Und daran kannst weder du noch ich etwas ändern."

„Doch", widerspreche ich ihm augenblicklich etwas sanfter. „doch, wir könnenes ändern. Wir können es hier und jetzt beenden. Du fährst mich nach Hause und dann-"

„-und dann was? Was passiert dann? Rufst du dann Louis an oder gleich die Polizei?"

Am liebsten würde ich die Fäuste in die Seiten stemmen, um ein bisschen selbstsicherer zu wirken. „Natürlich würde ich das. Verdammt, Finn, das nennt sich Freiheitsberaubung und...und Körperverletzung!"

„Ich weiß, was das ist und genau aus diesem Grund wird dir ja wohl klar sein, weshalb es eben nicht einfach ist."

Weil ich endgültig genug von diesem Gespräch habe, strecke ich die Hand nach der Türklinke aus, doch Finn greift blitzartig nach meinem Handgelenk und hält es fest. „Das ist deine einzige Chance. Unsere einzige Chance, hörst du? Du musst hier bleiben, du musst! Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, auch wenn ich mir das genau so sehr wünsche wie du. Aber das Kind ist jetzt in den Brunnen gefallen und es gibt nur zwei Wege, es wieder rauszuholen: entweder, du erinnerst dich oder du verliebst dich."

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