Zwei

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Eine knappe Woche ist vergangen, seit ich ihn das erste Mal gesehen habe. Eine Woche, in der ich fast jeden Tag, natürlich rein zufällig, nach der Uni zur Drogerie geschlendert bin, wahllos in den Gängen herum spazierte und vorsichtig nach ihm Ausschau hielt. Aber er kam nicht wieder.

Heute ist es anders. Ich habe mir Gedanken gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass es nicht sein soll und dass ich ihn sowieso nicht kenne und diese Schwärmerei daher völliger Blödsinn ist. Schließlich habe ich ja nicht mal ein einziges Wort mit ihm gewechselt.

Und deswegen widerstehe ich dem Drang, in den kleinen, hellen Laden abzubiegen, als ich auf meinem Weg nach Hause die Ladenstraße herab laufe.

Manchmal hasse ich mein dämliches, spätpubertäres Herz, das mir in Momenten wie diesen einen Stich versetzt. Ich bin zwanzig Jahre alt und ich habe keine Ahnung, wer dieser Typ ist – ich brauche überhaupt nicht enttäuscht zu sein, dass es scheinbar bei dieser einen Begegnung geblieben ist. Nebenbei bemerkt ist das ziemlich erstaunlich, da ich in einer Kleinstadt lebe, in der man gar nicht anders kann als jeden Menschen mindestens zwei Mal die Woche irgendwo auf der Straße zu sehen.

Vielleicht geht er mir ja aus dem Weg.

So ein Schwachsinn, Nika. Warum sollte er das tun?

Schlecht gelaunt bleibe ich an der großen Kreuzung stehen, die im letzten Moment auf rot gesprungen ist und vergrabe meine Hände in den Jackentaschen.

„Hey."

Genervt, weil ich fürchte, irgendeinem Kommilitonen über den Weg gelaufen zu sein, drehe ich mein Gesicht zur Seite und verliere augenblicklich die Kontrolle über meine Gesichtszüge.

Warum bin ich nur so verdammt uncool?

Er ist es. Er steht neben mir, die Hände ebenfalls in den Jackentaschen und lächelt mich an.

„Wir haben uns letzte Woche gesehen. Im Supermarkt, oder?" Er hat eine weiche, schöne Stimme und während er spricht, offenbart er eine Reihe weißer Zähne.

„In...in der Drogerie, ja", stottere ich. Meine Stimme ist gar nicht weich und gar nicht schön, befürchte ich. Sofort fühle ich mich wieder wie ein naives, kleines Schulmädchen, das seine Zunge verschluckt hat, als es aufgefordert wird zu sprechen. Dabei bin ich in den Jahren viel selbstbewusster geworden. Mit einem Schlag, und dieser Schlag steht immer noch vielleicht einen halben Meter neben mir, ist all das vergessen.

„Ich wollte dich eigentlich nach deiner Nummer fragen, aber du warst so schnell weg", lächelt er schief.

Ich hätte nicht so plötzlich gehen sollen, ich hab' s gewusst.

„Oh...tut mir leid. Ich musste noch wohin", lüge ich. Ich musste nirgendwohin. Die Ampel wird grün, wir laufen los. Auf der anderen Straßenseite muss ich nach rechts, er geht synchron mit.

„Wie heißt du?", fragt er, den Blick immer noch auf mich gerichtet.

„Nika", antworte ich und bin froh, dass meine Stimme wieder halbwegs normal klingt.

„Freut mich. Ich bin Finn."

Finn.

Weiter kommen wir nicht, denn wir sind vor meinem Haus angelangt und als ich stehen bleibe, bleibt er auch stehen.

„Ich wohne hier", sage ich entschuldigend lächelnd.

„Gibst du mir diesmal deine Handynummer oder muss ich wieder eine Woche warten?"

Ich muss grinsen und gebe mir einen Ruck. Sei einmal in deinem Leben kein Feigling, Nika. „Wenn...wenn du magst können wir auch noch was machen. Ich müsste mir nur schnell was anderes anziehen, aber sonst habe ich heute Abend noch nichts vor."

Kurz ist es still, dann wird sein Lächeln breiter. „Gerne."

Meine Finger zittern ein bisschen vor Aufregung, als ich die Haustür aufdrücke und auf dem Weg zur ersten Wohnung rechts, zu meiner Wohnung, den Schlüssel aus der Tasche krame. Meine letzte Verabredung ist Ewigkeiten her und dann auch noch mit so einem Typ! Endlich habe ich den blöden Schlüssel gefunden und stecke ihn ins Schloss.

„Mavie?"

Ich halte inne. Meint er mich?

Der Name, vielmehr die Frage, ist das Letzte, was ich höre, bevor sich der Hausflur vor meinen Augen mit einem Mal verdunkelt.

„Mavie...Mavie, es ist alles gut. Tut mir leid, ich hab Panik bekommen."

Ich habe noch nicht mal die Augen geöffnet, da spüre ich die riesige Beule an meinem Hinterkopf. Verwirrt blinzele ich und werde noch viel verwirrter, als ich feststelle, dass ich in meinem Bett liege.

Er war das.

Er muss mich niedergeschlagen haben.

Oh Gott, er hat mich bewusstlos geschlagen.

Mein Blick verschwimmt, klart wieder auf und dann erkenne ich ihn, wie er neben mir auf der Bettkante sitzt und meine Hand hält. Reflexartig entziehe ich sie ihm, setze mich auf und rutsche so weit es geht von ihm weg.

„Was...was zur Hölle...", stottere ich. Mir ist schwindelig, aber die Angst vor ihm ist stärker in diesem Moment.

Warum hat er das getan?

„Es tut mir leid, Schatz, ich...das war eine Kurzschlussreaktion", murmelt er entschuldigend und senkt den Blick.

„Schatz? Wie nennst du mich? Wir kennen uns doch gar nicht", stelle ich hysterisch fest. Als er wieder aufsieht, sieht er noch eine Spur trauriger aus.

„Mavie", setzt er an, aber ich schneide ihm das Wort ab.

„Und ich heiße auch nicht Mavie. Ich heiße Nika, verdammt."

Finn macht Anstalten sich mir wieder etwas nähern zu wollen, doch ich kämpfe mich sofort hoch, klettere über meine Matratze und schwanke aus meinem Zimmer.

Er folgt mir, das weiß ich, aber rennt nicht. Das macht mir Angst.

Wenn er keinen Grund hat zu rennen, muss die Wohnungstür abgeschlossen sein.

„Süße, ich will doch nur mit dir reden. Glaub mir, wenn du dich erinnern könntest, würdest du alles verstehen."

Ich bin an der Tür angelangt, drücke die Klinke nach unten und stelle mit einem Gefühl, als hätte jemand einen Eimer Eis in meinem Magen ausgeleert, fest, dass ich Recht hatte.

Sie ist zu. Fahrig sehe ich mich um, doch ich kann das, wonach ich suche, nirgendwo entdecken.

„Ich hab den Schlüssel, hör mir bitte zu."

Ruckartig drehe ich mich um, verliere dabei das Gleichgewicht, habe Glück, dass ich mit dem Rücken gegen die Tür falle und dadurch nicht stürze.

„Du bist irre. Vollkommen irre", flüstere ich. Wieso flüstere ich eigentlich? Oder besser gesagt – wieso schreie ich nicht?

Obwohl er eindeutig einen Sprung in der Schüssel hat, begreift er sofort, was ich vorhabe und so dauert mein Schrei nicht mal den Bruchteil einer Sekunde, als er von seiner Hand erstickt wird.

„Nicht schreien, bitte, bitte versuch es zu verstehen. Du musst dich nur erinnern." Dass er größer als ich und schon ziemlich athletisch gebaut ist, gefällt mir nun gar nicht mehr, denn er keilt mich zwischen sich und der Tür ein. Ich habe keine Chance, nicht mal die geringste.

Tränen schießen mir in die Augen.

Was passiert hier gerade? Und was habe ich damit zu tun? Wieso muss ausgerechnet ich an diesen verrückten, gewalttätigen Typen gelangen?

„Hörst du auf zu schreien?"

Die Tränen weichen Wut. Zornig funkele ich ihn an. Was bildet er sich eigentlich ein? Dass wir uns nun in der Küche an den Tisch setzen, ein Käffchen trinken und über seine Störung plaudern?

„Dann hör mir wenigstens zu. Wir müssen sowieso noch warten, bis es dunkel wird."

Bis es dunkel wird? Will er mich verarschen? Was hat er bitte vor?

Ich weiß nicht, wieso ich plötzlich viel wütender als ängstlich bin, aber ich bin es. Das kann er doch nicht machen! Sollte ich ihn richtig verstehen, steigt mein Entsetzen über ihn ins Unermessliche.

„Du musst dich nur erinnern. Ich weiß, es ist nicht leicht, aber du musst es versuchen, mein Schatz!"

Ich bin nicht dein Schatz. Und ich habe keine Ahnung, wie ich so bescheuert sein konnte, mir das je zu wünschen. Wie konnte ich mich nur so von seinem Äußeren blenden lassen?

„Ich bin' s, Finn", sagt er sanft. „Das weißt du doch. Und du bist Mavie, verstehst du?"

Ich schüttele unter seiner Hand den Kopf. Resignierend seufzt er.

„Wir sind verheiratet. Wir haben neunzehnhundertsechsundneunzig geheiratet, erinnerst du dich?"

Ganz sicher nicht, in diesem Jahr war ich nämlich noch nicht mal auf der Welt und auch unabhängig davon, denke ich, dass ich mich an meine eigene Hochzeit erinnern könnte. „Du warst so schön."

Vielleicht verwechselt er mich. Er muss mich verwechseln.

Selbst wenn er mich verwechselt – er sieht nicht viel älter aus als ich. Er muss zu der Zeit ebenfalls maximal ein Kleinkind gewesen sein. Das haut alles nicht hin.

Außerdem würde das immer noch nicht rechtfertigen, weshalb er mich geschlagen und hier eingesperrt hat.

Ungelenk versuche ich mich aus seinem Griff zu entwinden, aber er ist zu stark. Erneut seufzt er auf, als er meinen Kampf bemerkt. „Vielleicht brauchst du einfach ein bisschen Zeit."

Er hat mich allen Ernstes in mein eigenes Badezimmer eingesperrt. Um mir Zeit zu geben. Und als würde das nicht reichen, hat er mich auch noch gefesselt und mir den Mund zu geklebt, weil er Angst hatte, dass ich wieder zu schreien beginnen würde. Die Angst war berechtigt, das hätte ich auf jeden Fall getan und dennoch bin ich unfassbar wütend auf ihn. Er kann mich doch nicht einfach hier einsperren! In meiner eigenen, verfluchten Wohnung! Keine Ahnung, wieso ich jetzt so viel mutiger bin als vorhin. Und jetzt geht es immerhin um Freiheitsberaubung, vorhin nur um eine Telefonnummer und eine Verabredung.

Das ist gefühlt nicht mal zwei, drei Stunden her. Jetzt sitze ich auf meinem Duschvorleger und versuche mir irgendwas einfallen zu lassen. Jedes Mal, wenn es in meiner Nase gebrannt hat und ich kurz davor war, zu heulen, habe ich mir so sehr auf die Zunge gebissen, dass es weh tat.

Heulen bringt mich nicht weiter.

Wobei – vielleicht bekommt er ja dann Mitleid. Er hat zwar definitiv 'ne Schraube locker, aber scheinbar liegt ihm etwas an mir. Oder besser gesagt an Mavie, aber das kann er ja nicht auseinanderhalten. Vielleicht habe ich ja einen heimlichen Zwilling. Ist aber immer noch nicht sinnvoll – auch mein Zwilling wäre neunzehnhundertsechsundneunzig noch nicht da und erst recht nicht heiratsfähig gewesen.

Und wenn er was geschmissen hat? Ich kenne viele hier, die das machen. Einige nur zu Partys, andere haben immer irgendwas dabei. Doch er hat gar nicht so gewirkt, als wäre er drauf. Er schien so, als würde er all das, was er sagt, wirklich ernst meinen. Vermutlich ist er verwirrt, hat irgendeine Krankheit und hat sich daher nicht unter Kontrolle.

Egal, woran es liegt, ich muss ihm klarmachen, dass es so nicht weiter geht. Dass er mich nicht einfach hier festhalten kann. Oder womöglich irgendwohin verschleppen darf.

Wenn er wirklich krank ist, könnte es ja eventuell sein, dass er nur jemanden braucht, der ihn zurück in die Realität holt. Ich meine...kann ich das? Ich habe es versucht, aber er hat mich angesehen, als wäre ich die Verwirrte.

Ich muss es versuchen. Bevor er alles nur noch schlimmer macht.

Es klopft an die Tür. „Mavie? Ich komme jetzt rein."

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