Drei

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„Es tut mir wirklich leid."

„Wenn es dir leid tun würde, hättest du mich hier nicht eingesperrt. In meiner Wohnung", fauche ich. Er hat das Klebeband abgenommen, gefesselt bin ich aber immer noch. Jetzt sitzen wir uns gegenüber auf dem Boden, er an die Tür gelehnt, ich an die Duschwand. Feindeselig funkele ich ihn an in der Hoffnung, dass er endlich zur Vernunft kommt und merkt, dass ich nicht die bin, für die er mich hält.

„Das war, wie gesagt, eine Kurzschlussreaktion. Ich habe Panik bekommen und ehrlich gesagt, war die auch berechtigt", sagt er, wobei er die letzten Worte mehr in sich hinein nuschelt.

„Berechtigt? Spinnst du eigentlich? Ich wollte doch mit dir weggehen. Wo war dein scheiß Problem?"

Kopfschüttelnd mustert er mich. „Ich hatte Angst, dass du dich nicht angesprochen fühlst, wenn ich dich bei deinem Namen nenne. Und das tust du ja auch nicht."

Schnaubend atme ich aus. „Weil mein Name Nika ist, N-i-k-a. Nicht Mavie."

Als hätte ich gerade etwas sehr Dummes gesagt, könnte aber nichts dafür, seufzt er. „Genau das ist das Problem."

„Nein!", schleudere ich zurück und werde immer lauter. „Du bist das Problem. Du-"

Doch weiter komme ich nicht, denn plötzlich klingelt es.

Ella. Bitte, bitte lass es Ella sein. Sie ist zwar heute morgen Richtung Heimat gefahren, aber vielleicht hat sie ja was vergessen.

Die erste Sekunde meines Hilfeschreis kann Finn nicht verhindern, doch dann verschließt mir wieder das Klebeband die Lippen. Trotzdem, sie muss mich gehört haben. Sie muss einfach.

Finn richtet sich auf, klopft seine Hose ab und schenkt mir einen durchdringenden Blick. „Ich bin gleich wieder da."

Na super.

Dann lässt er mich allein, verschließt die Badezimmertür hinter sich und ich höre, wie er die Haustür, die immer ein bisschen über den Boden schleift, aufzieht.

Das ist nicht Ella. Verdammt, wer ist das? Ich verstehe nicht genau was sie sagen, da sie beide sehr leise sprechen, aber das ist definitiv keine Frauen-Stimme.

Hat er sich jemanden zur Verstärkung geholt? Jemanden, der ihm dabei hilft, mich hier raus zu schleppen? Oh Gott, bitte nicht. Sind denn plötzlich alle verrückt geworden?

„Verdammt, Finn", wird der Fremde plötzlich ungewollt laut. Dann ist es kurz still. Vielleicht redet der Typ ihm ja auch ins Gewissen, wer weiß? Finn hat selbst gesagt, dass es eine spontane, unbedachte Reaktion war, mich niederzuschlagen – er kann also gar keinen Plan haben und ist vermutlich überfordert mit der Situation.

Er ist erwachsen, also ist er selbst für seine Handlungen verantwortlich! Es sei denn, er ist wirklich krank. Wenn er unzurechnungsfähig ist, kann er dafür vermutlich nicht mal was.

Ich sollte ganz schnell aufhören, ihn in Schutz zu nehmen. Er darf so nicht mit mir umgehen. Er darf es einfach nicht. Wenn er krank ist, muss er sich Hilfe suchen. Komplett neben der Spur und triebgesteuert scheint er ja nicht zu sein, sonst hätte er mich doch schon bei unserer ersten Begegnung verfolgt und überwältigt, oder?

Oder er hat sich Zeit gelassen, um einen Plan zu schmieden. Und diese angebliche Kurzschlussreaktion ist nur eine Ausrede. Vielleicht ist er auch komplett berechnend und ein verdammt guter Schauspieler.

Die leise herabgedrückte Klinke lässt mich zusammenzucken. Was passiert jetzt?

Ein junger Mann, schätzungsweise zweiundzwanzig oder etwas älter mit dunkler Haut und kurzen, schwarzen Afro-Locken schiebt sich ins Bad, ohne Finn. Er schließt die Tür hinter sich, dreht den Schlüssel um, lässt ihn in seine Hosentasche gleiten und mein Herz bricht.

Er ist auf seiner Seite. Er wird mir nicht helfen.

Doch als er sich umdreht und zu mir kommt, zwinge ich mich, mir meine Angst nicht anmerken zu lassen, obwohl er mir immer näher kommt.

Aber er tut mir nicht weh. Stattdessen löst er vorsichtig meine Fesseln und zieht das Klebeband ab, um alles ins Waschbecken fallen zu lassen und sich dahin zu setzen, wo Finn gerade noch saß.

Ich kann mich nicht rühren. Nicht einen Zentimeter. Wenn er mich raus lassen wollen würde, hätte er doch nicht abgeschlossen, oder?

Warum tut er das?

„Du bist Nika, richtig?"

Ich nicke stumm, selbst das fällt mir schwer. Mein Körper fühlt sich wie in Blei gegossen an.

„Ich bin Louis. Finns bester Freund."

Meine Brust verengt sich. Sein bester Freund. Er ist sein bester Freund. Er wird mich niemals über ihn stellen.

Nun kommen mir doch die Tränen. Verzweiflung breitet sich in mir aus, pure Verzweiflung. Und wieder schießt diese Frage nach dem Warum durch meinen Kopf.

„Hey, nicht weinen. Ich helfe dir, versprochen!"

Ich glaube ihm nicht. Ich glaube ihm einfach nicht. Wieso sollte er mir helfen? Mich kennt er nicht mal, Finn ist sein Freund, sein bester Freund.

„Finn ist...", setzt er an, sucht nach den richtigen Worten. „Er ist kein schlechter Mensch."

Ein verächtliches Schnauben entweicht mir.

„Ich weiß, dass das für dich alles andere als nachvollziehbar ist, aber er macht das wirklich nicht mit Absicht. Er denkt, dass du seine verstorbene Frau aus einem anderen Leben bist. Er ist der festen Überzeugung, dass er wiedergeboren wurde und du auch, als Reinkarnation seiner großen Liebe. Sein ganzes Leben lang glaubt er an diese Geschichte und genau so lange sucht er nach dir."

Ich ziehe die Knie an. „Er ist verrückt."

Erstaunlicherweise macht Louis eine Kopfbewegung, die einem Nicken ähnelt. „Er ist krank, Nika. Er bekommt Medikamente und ist seit sehr vielen Jahren in Therapie. Und bisher hat das auch gut funktioniert, er hat noch nie jemandem etwas getan wegen seiner Überzeugung."

„Er hat mir etwas getan", protestiere ich wütend. „Das nennt sich Körperverletzung und Freiheitsberaubung."

„Ich weiß", seufzt Louis und fährt sich resignierend durchs Haar. „Und das tut ihm auch leid."

„Das macht es nicht ungeschehen."

„Ich weiß."

Kurz schweigt er, als wüsste er nicht, was er noch sagen soll. Da ich das aber sowieso nicht mehr hören will, rappele ich mich auf, wobei ich immer noch etwas schwanke und sehe ihn auffordernd an.

„Lass mich raus", versuche ich, so fest wie möglich zu klingen.

„Das kann ich nicht."

Und wieder verkrampft sich mein Innerstes, mir wird schlecht. Hatte ich auch nur für einen winzigen Moment die Hoffnung, dass zumindest er nicht vollkommen durchgedreht ist, hat die sich gerade in heiße Luft aufgelöst.

„Lass mich raus", wiederhole ich mich, diesmal wackelt meine Stimme merklich. „Bitte."

Seufzend steht auch er auf, hält meinen Blick fest und zieht den Schlüssel hervor.

„Du musst mir versprechen, dass du ihn nicht bei der Polizei anschwärzt", stellt er eine lächerliche Bedingung.

„Sonst was? Lässt du mich sonst nie mehr hier weg?" Obwohl ich kurz davor bin zu heulen, schwingt eine gewaltige Spur Zorn in meinen Worten mit.

„Doch, natürlich lasse ich dich wieder raus. Und ich werde Finn nach Hause bringen und aufpassen, dass er nicht wiederkommt."

„Du solltest ihn in die Klapse fahren", fauche ich, was mir fast etwas leid tut, weil ich dieses Wort hasse. Aber im Kern meine ich es genau so – Finn braucht ganz dringend jemand Professionellen, der ihm hilft. Gerade weil er bereits in Therapie ist und Medikamente nehmen muss, wird Louis' Einfluss da nicht ausreichen.

„Ich werde mich darum kümmern, dass er dich in Ruhe lässt, okay? Aber bitte geh nicht zur Polizei. Die werden ihn wegsperren, vielleicht für immer und das würde er nicht überleben."

Ich kämpfe mit mir. Er hätte es verdient. Er hätte es einfach verdient und vor allem wird ihm in einer psychiatrischen Einrichtung geholfen. Er hat mir weh getan und er hat mich eingesperrt – damit hat er eine Grenze überschritten.

Und doch tut er mir irgendwo leid. Wer weiß, warum er diese wahnwitzige Überzeugung hat. Vielleicht wurde er in seiner Kindheit misshandelt und hat dadurch den Verstand verloren.

„Meinst du nicht, dass ihm damit geholfen wäre, wenn er eingewiesen werden würde?", frage ich Louis.

Der schüttelt sofort den Kopf. „Nein, Nika. Er würde daran zu Grunde gehen. Ich rede mit ihm und ich verspreche dir, dass du ihn nie wieder sehen wirst. Ich verspreche es dir! Auf mich hört er noch am ehesten. Sogar noch mehr als auf seinen Therapeuten und der behandelt ihn seit er zur Schule geht."

Mit mir hadernd starre ich auf das Springseil und meinen Schal im Waschbecken, mit dem Finn mir Hand- und Fußgelenke zusammen gebunden hat.

Er kann mir das nicht versprechen. Dafür müsste er vierundzwanzig Stunden am Tag bei Finn sein und auf ihn aufpassen. „Wie willst du dafür sorgen, dass er mich in Ruhe lässt?"

Das weiß er selbst nicht, ich sehe es an seinem Blick. „Er wird auf mich hören. Das hat er immer."

Skeptisch ziehe ich die Augenbrauen zusammen. „Hat er das schon mal gemacht? Das, was er mit mir gemacht hat?"

„Nein", gibt Louis zu. „Nein, hat er nicht. Aber er wird es nicht wieder tun. Und wenn irgendwas ist..." Suchend sieht er sich um, findet aber scheinbar nichts und holt schließlich sein Handy aus seiner Hosentasche hervor. „Tipp deine Nummer ein. Ich ruf dich an, dann hast du meine Nummer und falls er nochmal bei dir aufkreuzt, kannst du mich sofort erreichen."

Er drückt mir das Telefon in die Hand. „Wie beruhigend", murmele ich, gebe aber dennoch die Ziffern ein.

„Danke für dein Vertrauen", sagt er, nimmt das Teil wieder an sich und sieht erleichtert aus, obwohl ich ihm noch nicht mal zugesichert habe, dass ich nicht zur Polizei gehen werde. „Ich gehe jetzt raus und bringe Finn hier weg, okay?"

Nickend schweige ich.

„Danke, Nika."

Ich warte noch fünf Minuten, bevor ich mich raus traue, nachdem die zwei gegangen sind. Louis hat auf Finn eingeredet, leise, eindringlich, aber ich habe nicht verstanden, was er gesagt hat, obwohl ich mein Ohr an die Tür gepresst habe. Finn wurde lauter, seine Stimme klang verzweifelt und dann hat er gar nichts mehr gesagt.

Vorsichtig ziehe ich die Tür auf und luge auf den Flur.

Sie sind weg.

Meine Tasche liegt unangerührt in der Küche auf dem Tisch. Finn muss sie mit mir rein getragen haben, nachdem er...Jedenfalls liegt sie da und ich stürze mich sofort auf sie, nachdem ich sicher gegangen bin, dass die zwei wirklich fort sind. Meine Finger zittern, als ich mein Handy endlich ganz unten gefunden habe.

Ein verpasster Anruf. Das muss Louis' Nummer sein. Kurz zögere ich. Und obwohl es die dümmste Entscheidung überhaupt ist, wähle ich nicht die Nummer der Polizei, sondern speichere stattdessen die unbekannte Nummer ein und setze sie auf die Kurzwahlliste.

Wieso bin ich so verdammt nett?

Und so, so dumm?

Es sind Wochen vergangen. Drei oder vier, vielleicht sogar fünf. Auf jeden Fall ist so viel Zeit verstrichen, dass ich das Geschehene fast vergessen hätte. Louis hat Wort gehalten, ich habe Finn nicht wieder gesehen. Am Anfang habe ich die Drogerie gemieden, bin nicht mehr über die Einkaufsstraße nach Hause gelaufen, sondern einen ziemlichen Umweg. Ganz am Anfang habe ich mich dauernd umgesehen, wirklich andauernd. Aber Finn hat mich in Ruhe gelassen. Ich musste Louis' Nummer nicht einsetzen.

Und doch habe ich heute ein ungutes Gefühl. Ich muss heute mit dem Fahrrad in ein Viertel, das etwas außerhalb liegt, fahren und das gefällt mir nicht. Die Gegend ist kein Ort, an dem man sich gern aufhält und doch muss ich heute genau da hin, weil meine Waschmaschine kaputt gegangen ist und ich dringend ein Ersatzteil brauche. Im Internet habe ich verschiedene Seiten durchforstet, bis ich jemanden gefunden habe, der so ein Teil recht günstig verkauft, aber eben nur an Selbstabholer. Kurz habe ich gezögert, weil mich der bescheuerte Gedanke beschlichen hat, dass Finn hinter dem anonymen Profil steckt.

Aber so kann es auch nicht weitergehen. Ich kann wegen eines Vorfalls nicht mein ganzes Leben von der Angst bestimmen lassen.

Ein Vorfall, was mache ich mir eigentlich vor? Das war mehr als nur ein Vorfall. Ich hätte die Polizei verständigen sollen.

Komm runter, Nika, danach ist überhaupt nichts mehr passiert. Louis hat ihn im Griff, ganz sicher.

Ich fahre zehn Minuten, wobei ich mir wirklich den Hintern abstrampele und vollkommen außer Atem und verschwitzt ankomme. Ich will nicht im Dunkeln zurück fahren und die Sonne scheint mit jedem Meter, den ich fahre, ein bisschen schneller unterzugehen. Die Verkäuferin des Ersatzteils wohnt in einem Zehngeschosser, der immerhin einen Fahrstuhl hat. Bei der Gegensprechanlage antwortet mir, Gott sei Dank, wirklich eine weibliche Stimme und nicht Finns, wodurch ich mich gleich etwas entspanne. Zumindest solange, bis mir wieder einfällt, dass ich gleich wieder heim fahren muss.

Die junge Frau ist sehr nett, ich bezahle, sie gibt mir das Teil und ich verstaue es in meinem Rucksack. „Bist du mit dem Rad da?", fragt sie.

„Ja", antworte ich.

„Dann hoffe ich, dass du ein Licht dran hast. Ist schon fast dunkel draußen."

Mir weicht augenblicklich jegliche Farbe aus dem Gesicht. „Echt?"

Sie nickt mitleidig. „Lass dich lieber nicht erwischen, wenn du keins hast. Die Polizei steht hier überall und zieht Radfahrer aus dem Verkehr."

Obwohl ich tatsächlich kein funktionierendes Licht mehr habe, seit ich mit dem Rad mal übel gestürzt bin, beruhigt mich diese Aussage.

Hier ist überall Polizei. Ich bin sicher.

Dennoch ist mir mulmig, als ich im Fahrstuhl nach unten fahre.

„Du fährst ihm einfach davon, ist doch kein Problem", rede ich mir leise ein, doch der Versuch mich selbst aufzumuntern, funktioniert nicht. Zunehmend nervöser drücke ich die Haustür auf und ziehe den Reißverschluss meiner Jacke hoch. In der Sonne war es noch angenehm mild, jetzt ist es ziemlich frisch. Mein Fahrrad habe ich bei einigen anderen Fahrrädern an einen Zaun, der eine Hecke vom Gehweg abgrenzt - wofür auch immer das gut sein soll – angeschlossen. Obwohl ich mir jedes Mal, wenn ich ihn suche, vornehme, den blöden Schlüssel das nächste Mal in die Seitentasche zu tun, habe ich das natürlich wieder nicht getan. Genervt von mir selbst krame ich in meinem Rucksack, verlagere das Gewicht und schiebe ihn auf meinen Oberschenkel. Ich finde ihn einfach nicht. Ausgerechnet jetzt, ausgerechnet hier, im Halbdunkeln. Das Licht des Hauses reicht kaum bis hier hin und ich schirme es auch noch mit meinem Rücken ab, weswegen ich mich umdrehe.

Und erstarre.

„Es tut mir so, so leid."

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